Ihre statistische Wurzel

Was zunächst jenes statistische Missverhältnis betrifft, so ist es eine bekannte Tatsache, dass fast in allen europäischen Staaten unter den Neugeborenen die Zahl der Knaben überwiegt, dass aber durch rasches Absterben der männlichen Kinder das Zahlenverhältnis zwischen beiden Geschlechtern bis etwa zum 17. oder 18. Jahre sich ausgleicht. Wo nun eine Bevölkerung weiterhin nur natürlichen Einflüssen ausgesetzt ist, d. h. wo die Verminderung der Geschlechter nur durch Absterben erfolgt, da kann sich das Zahlenverhältnis derselben etwa vom 18. bis zum 30. Jahre, also dem eigentlichen Heiratsalter, im Gleichgewicht erhalten. Es würde bei rechtzeitiger Verheiratung jede Frau einen Mann bekommen können. Vom 30. Jahre ab gewinnt überall das weibliche Geschlecht ein Uebergewicht und steigert dasselbe von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, so dass in den höchsten Altersstufen auf 10 Männer durchschnittlich 14–20 Frauen zu kommen pflegen.

So gestaltet sich das Verhältnis der Geschlechter unter rein natürlichen Einflüssen. Allein diese natürlichen Einflüsse gelangen in vielen Staaten nicht zu ungestörter Wirksamkeit. Kriege und Auswanderung, sowie die nachteiligen Folgen mancher Berufstätigkeiten verringern die Zahl der Männer schon zwischen dem 18. und 30. Jahre so stark, dass fast plötzlich um das 20. Jahr das anfängliche Uebergewicht des männlichen Geschlechts in ein Uebergewicht des weiblichen Geschlechtes umschlägt. Insbesondere ungünstig prägen sich die Ergebnisse der angedeuteten nachteiligen Einwirkungen in der Geschlechtsgliederung der deutschen Bevölkerung aus. Von den Altersstufen zwischen 20 und 25 Jahren kommen im Deutschen Reiche nach der Zählung von 1900 auf 1000 Männer schon 1012 Frauen; im Alter von über 20 Jahren überhaupt auf 1000 Männer 1064 Frauen. Noch ungünstiger gestaltet sich diese Betrachtung, wenn wir berücksichtigen, dass normaler Weise das Heiratsalter des Mannes um etwa fünf Jahre höher ist, als das der Frau. Stellen wir demgemäß die Männer im Alter von 25–30 Jahren den Frauen im Alter von 20–25 Jahren gegenüber, so erhalten wir für die deutsche Bevölkerung auf je 1000 Männer 1105 Frauen.

Es kann demnach ein beträchtlicher Teil der heiratsfähigen Frauen unter keinen Umständen heute zur Verehelichung gelangen, selbst den Fall vorausgesetzt, dass alle Männer heiraten wollten und könnten. Dieser Fall trifft nun aber bekanntlich nicht zu. Ein ansehnlicher Teil der Männer (in ganz Deutschland gegen 10%) bleibt unvermählt. Es ist klar, dass beide Umstände, der statistische Frauenüberschuss und das soziale Uebel der männlichen Ehelosigkeit, in ihrem Zusammenwirken einen beträchtlichen Teil der unverheiratet bleibenden Frauen auf eine Existenz durch eigene Erwerbsarbeit hinweisen. Zu einem eigentlichen Erwerbs-Notstande führen dieselben indes nur in den sogen. höheren Klassen der Gesellschaft, für die es an passenden Frauenerwerbsgebieten fehlt.

Aus ganz derselben Ursache, wie die moderne Frauenerwerbsfrage, entspringt die mittelalterliche Frauenfrage, von der im Folgenden die Rede sein soll. Wenn ich im allgemeinen von einer mittelalterlichen Frage spreche, so soll damit nicht gesagt sein, dass das ganze Mittelalter und alle Klassen der Bevölkerung in die Erörterung hereingezogen werden sollen. Ich muss mich vielmehr beschränken auf die Zeit und die Teile der Bevölkerung, für welche uns allein Quellen über diese Dinge fliessen, auf die deutschen Städte von der Mitte des XIII. bis zum Ausgange des XV. Jahrhunderts.

Share on Twitter Share on Facebook