Nach diesen Darlegungen wird es keinem Zweifel mehr unterliegen können: auch das Mittelalter hat seine Frauenfrage gehabt; es hat sie auch zu lösen versucht. Und diese mittelalterliche Frauenfrage war weit schwieriger; sie umfasste viel breitere Schichten der Bevölkerung als das, was heute unter jenem Schlagworte meist verstanden wird. Wie unbedeutend, wie winzig müssen uns neben dem Massenelend unter den Frauen des Mittelalters die Schmerzen erscheinen, denen die moderne Frauenbewegung Heilung bringen will!
Und doch, wenn wir unsere Verhältnisse mit denen des Mittelalters vergleichen, unsere Hilfsmittel mit denen jener rauhen, an Behagen so armen Zeit — haben wir dann gegründete Ursache, uns zu überheben? Ist das Dasein unserer Fabrikarbeiterinnen und Handlungsgehilfinnen etwa freundlicher gestaltet als das Los der Meistersfrauen und Töchter, die ihren Gatten und Vätern im Gewerbe halfen, ja selbst als das der Spinnmägde und Kämmerinnen, deren Arbeitsverhältnis durch Sitte und Gesetz geregelt wurde? Haben wir Anstalten, welche an Reinheit und Klarheit der Ziele sich mit den Bekinenstiftungen, den Samenungen, den Häusern der Bussschwestern und Reuerinnen vergleichen liessen? Ist die Stellung der Gesellschaft zu den »fahrenden Frauen« eine würdigere geworden?
Gewiss hat das Mittelalter seine Frauenfrage nicht endgültig gelöst. Es hat sie nicht endgültig lösen können, weil es die Quellen nicht zu verstopfen vermochte, aus denen das Uebel sich in fortwährender Wiederkehr erneuerte. Aber die Anstalten, welche es geschaffen hat, genügten doch Jahrhunderte lang dem Bedürfnisse der Zeit, von der man mit Unrecht mehr verlangen würde, als ihre Mittel erlaubten[64]. Absolute Lösungen für soziale Fragen sucht man nur im Lande Utopia. Wir Menschen der wirklichen Welt müssen zufrieden sein, wenn das, was wir schaffen, auch nur einer oder wenigen Generationen genügt. Mögen die Nachkommenden es mitleidlos einreissen, sobald sie Besseres an die Stelle setzen können!