Hier wirft sich zunächst die Frage auf: woher kommt dieser bedeutende Ueberschuss der erwachsenen weiblichen über die männliche Bevölkerung? Ich will versuchen, dieselbe mit ein paar kurzen Andeutungen zu beantworten. Drei Ursachen scheinen mir besonders in Betracht zu kommen:
1. die zahlreichen Bedrohungen, welchen das männliche Leben in den mittelalterlichen Städten infolge der fortwährenden Fehden, der blutigen Bürgerzwiste und der gefahrvollen Handelsreisen ausgesetzt war;
2. die grössere Sterblichkeit der Männer bei den oft sich wiederholenden pestartigen Krankheiten. Mindestens weisen auf eine derartige Vermutung hin die stärkeren Ziffern für die Frauen, welche regelmässig nach Pestjahren in den Frankfurter Steuerlisten auftreten[3];
3. die Unmässigkeit der Männer in jeder Art von Genuss.
Ausserdem ist wohl die Vermutung nicht abzuweisen, dass die städtische Berufsarbeit in engen, ungesunden Räumen, zwischen hohen, dicht zusammengerückten Häusermauern bei der Unvollkommenheit der technischen Hilfsmittel viel mehr aufreibende Muskelarbeit von den Männern erfordert habe, dass der Daseinskampf bei dem raschen Wechsel von guten und schlechten Jahren, von hohen und niederen Lebensmittelpreisen, von Ueberfluss und Mangel für sie, wenn auch vielleicht im ganzen nicht schwieriger, so doch unregelmässiger und wechselvoller sich gestaltet haben müsse als in Zeiten besserer Gesundheitspflege und ausgebildeten nationalen und internationalen Verkehrs.
Welcher von diesen Entstehungsursachen nun auch der mittelalterliche Frauenüberschuss vorwiegend zuzuschreiben sein mag — sicher ist, dass er vorhanden war und dass er in mancherlei Verhältnissen des sozialen Lebens seinen Ausdruck fand. Sicher ist auch, dass die dadurch für zahlreiche Frauen gegebene Unmöglichkeit einer Versorgung in der Ehe zu Uebelständen führte, die das Mittelalter klar erkannte und auf seine eigene Art zu heilen suchte.