3.

Der nächste Morgen kam, und Maderai, der Gusti von Kota, hatte seinen Platz zwischen den übrigen Richtern eingenommen, während das Volk in neugierigem, dichtem Schwarm den weiten Raum der großen Bambushütte füllte. Jedes Schmuckes baar, die Haare glatt und schlicht herabgekämmt, die Schultern mit einem dunklen selbstgewebten Zeug bedeckt, ohne Goldringe in den Ohren oder um die Arme, stand das wunderschöne Mädchen seitwärts in einer kleinen Einfriedigung von Bambusstäben und harrte der Klägerin, die vorgefordert war, gegen das des Diebstahls beschuldigte Mädchen aufzutreten. Das verhängnißvolle Tuch hing an einem Stab neben des Gusti Sitz. Immer aber noch erschien die Klägerin nicht, und draußen das Schiff in der Bai, das seine Segel heute Morgen schon gelöst, seine Flagge aufgehißt und seine Boote an Bord genommen hatte, war augenscheinlich im Begriff, ihre Küste zu verlassen. Ließen die Weißen also die Klage gegen das Mädchen fallen, so war sie frei. Von den Eingeborenen konnte ihr Niemand die Schuld beweisen.

Da senkte sich wieder eins der Boote zum Wasser nieder, deutlich konnte man, selbst von hier aus, erkennen, wie der Capitain mit seiner Frau hineinstieg, die hellen Kleider der Europäerin, die noch einmal an Land kam, um eins der eingeborenen Mädchen verurtheilen zu lassen, schimmerten bis hier herüber, und langsam und regelmäßig fielen die Ruder ein, das scharfgebaute Boot zum Ufer treibend, das bald seinen scharfen Bug an dem Corallensand des Strandes scheuerte.

Capitain Van Soeken kam aber nicht freiwillig heute Morgen zum Gericht. Das Schiff lag zur Abfahrt bereit mit Fracht und Wasser an Bord, Wind und Strömung waren günstig, seine Papiere in Ordnung und selbst den Anker hatte er schon früh am Morgen heben lassen, um jeden Augenblick die Segel loswerfen und in See gehen zu können.

„Was liegt denn an dem Tuch?“ sagte er beschwichtigend, als seine Frau am frühen Morgen darauf drang, hinüber zu rudern an Land und es beim Gusti, mit Hinterlegung ihrer Klage, abzuholen. „Du mochtest es so nicht mehr tragen, und kommen wir nach Amsterdam zurück, so sollst du dir eins dafür aussuchen, wie es dein Herz verlangt.“

„Mir liegt nichts an dem Tuch,“ entgegnete aber, den Blick fest und mißtrauisch auf den Gatten geheftet, die Frau. „Mir ist's der Sache selber wegen, die Diebin zu bestrafen. Drei- oder viermal hab' ich sie schon hier an Bord gesehen; was hatte sie anders hier zu thun, wenn nicht – Gelegenheit auszuspüren?“

„Sie kam mit den andern Mädchen,“ sagte kopfschüttelnd der Capitain, „lieber Gott, bei dem Volke muß man der Neugierde auch etwas zu gut halten.“

„Und wie kam sie in die Kajüte hinunter und in den Sekretär?“ rief Madame, die Worte scharf betonend. „Van Soeken, hier liegt, wie ich fast fürchte, ein Geheimniß zu Grunde, das die Schuld der Dirne um ein gewaltiges vergrößert – und verringert. Ich gebe dir mein Wort –“

„Aber liebes, gutes Kind,“ bat sie der Capitain, „sei doch vernünftig, und setze dir nicht eine Menge thörichter Sachen muthwillig in den Kopf. Wenn wir hinüber könnten zum Verhör, würde ich dir rasch beweisen, wie das Ganze ein einfacher Diebstahl ist, wegen dem ich dich aber recht herzlich bitte, kein großes Aufheben zu machen und die Sache lieber fallen zu lassen. Du weißt, wie furchtbar streng die Eingeborenen jeden Diebstahl unter sich strafen, wie die Frauen schwere jahrelange Gefängnißstrafe in niederen Bambuskäfigen und Verbannung, die Männer den Tod zu gewärtigen haben. Die Eingeborenen sind dabei so unendlich freundlich und gastfrei gegen uns gewesen; laß uns nicht mit einer solchen Erinnerung, einer solchen Kleinigkeit wegen, von ihnen scheiden.“

„Wenn wir hinüber könnten, sagst du?“ rief die Frau. „So willst du nicht gehen?“

„Aber siehst du denn nicht, daß unser Fahrzeug segelfertig liegt und ich wahrhaftig vor meinen Leuten nicht verantworten kann, die schöne Zeit zu versäumen?“

„Das Schiff ist dein – ist unser Eigenthum, wir können damit thun, was wir wollen. – Aber ich sehe schon, wie es ist. – Rücksicht auf die Leute willst du nehmen – auf dein Weib nicht. Und soll ich dir sagen, weshalb du dich fürchtest, das Land wieder und jenen Gerichtshof zu betreten?“

„Fürchten? – Aber, bestes Kind –“

„Soll ich's dir sagen, oder glaubst du gar, ich sei blind und hätte den Blick nicht gesehen, den das Mädchen gestern auf dich warf, als ich sie des Diebstahls beschuldigte?“

„Auf mich?“

„Auf dich, hab' ich gesagt, und wagtest du heute, der Dirne mit einer Klage gegenüber zu treten, würfe sie dir entgegen, daß du ihr das Tuch geschenkt.“

„Aber liebe, beste Marie!“

„Das Tuch geschenkt, sag' ich!“ rief die Frau, mehr und mehr in eifersüchtigen Zorn gerathend, da die augenscheinliche Verlegenheit des Mannes ihren Verdacht nur mehr und mehr bestätigte. „Und wenn du mir das Gegentheil jetzt nicht beweisest, so schwör' ich dir, so wahr ich Marie heiße und das Unglück habe, dein Weib zu sein, das Schiff hier zu verlassen und am Lande Schutz zu suchen.“

„Aber Marie, so nimm doch nur Vernunft an!“ bat der Capitain.

„Und weigerst du dich, auch mich an Land zu setzen, dann, bei dem ewigen Gott, spring ich über Bord und mache diesem Leben, das doch von da an nur Qual und Elend für mich haben müßte, ein rasches Ende. – Verrathen und betrogen – lieber nicht leben, als mit der Gewißheit dem Grabe langsamer aber ebenso sicher entgegen sehen.“

„Aber so sprich doch nur vernünftig!“ rief Van Soeken, so gewissermaßen zur Verzweiflung getrieben. „Wenn dir das Schiff selber so wenig am Herzen liegt, einer solchen Bagatelle, einer wahnsinnigen Idee wegen Wind und Strömung zu versäumen, gut, so sag' mir wenigstens, was du verlangst und eile damit.“

„Was ich verlange?“ rief rasch triumphirend die Frau, „augenblicklich mit dir an Land zu fahren und Zeuge der Gerichtsverhandlung zu sein.“

„Du mit mir? weshalb? – Einer genügt vollkommen, und wenn du es verlangst und wenn es dich beruhigt, will ich hinüber fahren, die Klage einlegen und dir das Tuch, an dem dein Herz so hängt, zurückbringen.“

„Du allein? – Das glaub' ich dir!“ lächelte die Frau den Gatten hämisch an. „Wenn du mich hier an Bord wüßtest, wär' das Geschäft da drüben wohl bald und glücklich abgemacht. Fort mit dir! Euch allen ist nicht zu trauen, und wo der Eine den Andern unterstützen kann, thut er's mit Freuden, gilt es ja doch nur, das arme, verrathene Weib zu täuschen.“

„So komm denn, meinetwegen,“ sprach der Capitain, der keinen Ausweg weiter sah, der peinlichen Geschichte zu entgehen, „du bist auch im Stande, eher den Lügen der Dirne zu glauben, wenn sie sich irgend eine Ausflucht suchen sollte, als deinem Mann. Aber komm, du sollst wenigstens sehen, daß ich deine wahnsinnige Anklage nicht fürchte und mit gutem Gewissen dem Verhör entgegen gehe. Ist mein Boot noch unten, Steuermann?“ rief er dann mit lauter Stimme dem vorn am Anker stehenden Officier hinüber.

„Ja, Mynheer,“ lautete die Antwort zurück; „soll gleich aufgeholt werden. Alles fertig.“

„Halt! – wir fahren noch einmal an Land.“

„Noch einmal an Land?“ brummte der Steuermann nicht wenig erstaunt, „na, da bitt' ich zu grüßen, Ebbe und Brise, wie sie im Buche stehen, alles klar, und noch einmal an Land? Wo so eine Schürze an Bord ist, hört doch der ordentliche Dienst gleich auf. Hol's der Teufel, möchte nur wissen, was jetzt wieder im Wind ist.“

Das Brummen half ihm aber nichts. Die Jölle wurde langseits gehalten, der Kajütsjunge hing die Treppe wieder aus, und wenige Minuten später schnitten die Ruder in die klare Fluth und trieben das schlanke Boot pfeilschnell dem Lande zu.

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