VI. Die Agrumen.

Unter der Bezeichnung agrumi faßt der Italiener die verschiedenen Vertreter der Gattung Citrus, also die Zitronen, Orangen, Mandarinen usw. zusammen. Die Kultur dieser in seinem Lande und neuerdings auch bei uns so beliebten Früchte scheint uns untrennbar mit dem Begriffe Italien oder Spanien zu sein. Seit Goethe in seinem Mignonlied der Sehnsucht des Nordländers nach den sonnigen südlichen Gestaden so treffenden Ausdruck gegeben hat, können wir uns das glückliche warme Mittelmeergebiet nicht vorstellen ohne das satte Grün dieser Fruchtbäume, ohne den würzigen Blütenduft der Zitronen und das prächtige Gleißen der schimmernden „Goldorangen“. Dem ist aber nicht immer so gewesen. Es sind vielmehr noch keine tausend Jahre verstrichen, seitdem die ersten Vertreter dieser Produkte ostasiatischer Kultur dem Fruchtbaumbestande Südeuropas durch die damals das Mittelmeer beherrschenden Araber einverleibt wurden.

Das Altertum hat diese Früchte durchaus nicht gekannt. Wohl kennen die römischen Schriftsteller das Wort citrus, mit dem sie aber einen ganz anderen Begriff als wir verbanden. Die Bedeutung dieses Wortes verstehen wir erst, wenn wir daran erinnert werden, daß sie dasselbe wie so unendlich viele andere Kulturgüter und deren Bezeichnungen den in bezug auf Gesittung weiter als sie fortgeschrittenen Griechen verdankten. Citrus ist das romanisierte kédros der Griechen, das mit dem Namen Zeder zusammenhängt. Darunter verstanden die Römer wie die Griechen, von denen sie Wort und Begriff übernahmen, das duftende, den Würmern widerstehende Holz verschiedener Nadelhölzer, besonders Zedern-, Wacholder- und Lebensbaumarten, das zur Herstellung von mottensicheren Truhen zur Aufbewahrung der ja vorzugsweise aus Wolle hergestellten Kleider diente. Für die Römer der Kaiserzeit war es wohl in erster Linie das schön gemaserte, wohlriechende weil öl- und harzdurchtränkte Holz der nordafrikanischen Zypressenart Callitris quadrivalvis — die Produzentin des echten Sandarakharzes —, welche, weil durch ihren starken Duft vor Motten schützend, zur Fabrikation von solchen Kleiderkisten — Schränke kannte man damals noch nicht — diente.

Von den Griechen hatten sie vernommen, daß auch die starkduftenden, im übrigen aber nicht eßbaren Früchte eines aus dem Orient bezogenen Baumes vortrefflich zur Abwehr von Motten in den Kleiderkisten seien. Es waren dies eiförmige, über faustgroße grüne bis gelbe Früchte mit einer überaus dicken, reich mit ätherischen Ölen durchsetzten, feinhöckerigen Schale, die wir im Deutschen als Zedraten oder Zitronatzitronen bezeichnen, weil aus ihren würzigen, dicken Schalen durch Kochen in Zucker das Zitronat hergestellt wird. Die Zedraten, von den Italienern cedro genannt, sind weit größer als unsere bekannten Zitronen und erreichen in runden, bis stark in die Länge gezogenen Formen oft die Größe eines Menschenkopfes. Ihr Fruchtfleisch enthält einen mäßig sauren Saft — jedenfalls bedeutend weniger als bei der Zitrone — dem durch den Gehalt an Zitronensäure fäulniswidrige Eigenschaften innewohnen.

Diese Zedraten waren schon den alten Ägyptern als kitri und den Hebräern zur Zeit des Moses als hadar bekannt. Der Baum scheint zur Zeit der 18. Dynastie (1580–1350 v. Chr.) aus Südasien nach dem Niltal gekommen zu sein, wo ihn später die Griechen kennen lernten. Bei den letzteren galt die wenig schmackhafte, säuerliche Frucht der Zedrate nicht nur als gutes Mittel um, in die Kleiderkisten gelegt, die Motten davon fernzuhalten, sondern geradezu als ein äußerst wirksames Gegengift. Nach ihrem Dafürhalten konnte, wer immer davon aß, in den nächsten darauffolgenden Stunden nicht vergiftet werden.

So empfahl der um 200 n. Chr. in Alexandrien und Rom lebende griechische Grammatiker Athenaios aus Naukratis in Ägypten als bestes Schutzmittel gegen Vergiftung eine in Honig gekochte Zedrate zu essen. Wer morgens früh ein halbes Glas des daraus gepreßten Saftes genieße, dem können den ganzen Tag über Gifte nichts anhaben. In seiner 15 Bücher umfassenden Schrift „Deipnosophistai“, die wichtige Nachrichten über Leben, Sitte, Kunst und Wissenschaft der alten Griechen enthalten, schreibt er: „Daß der Kedrosapfel (kedrómēlos) ein Mittel gegen Gift ist, weiß ich von meinem Landsmann, welcher Statthalter von Ägypten war. Er hatte einige Verbrecher dazu verurteilt, in dem zu Tierkämpfen bestimmten (Amphi-)Theater von wilden Tieren getötet zu werden. Als diese dahin geführt wurden, gab ihnen unterwegs eine mitleidige Frau einen Kedrosapfel, den sie zufällig bei sich hatte. Die Leute aßen ihn, wurden gleich darauf den wilden Bestien vorgeworfen und auch von Aspisschlangen gebissen, litten aber gar nicht. Der Statthalter wunderte sich nicht wenig darüber; und, wie er erfuhr, daß sie einen Kedrosapfel gegessen, ließ er am folgenden Tage dem einen eine solche Frucht geben, dem anderen nicht. Jener blieb gesund, dieser aber starb vom Schlangenbiß auf der Stelle. Dieser Versuch wurde öfters, und immer mit demselben Erfolg wiederholt.“ Diese Aspis der Griechen und Römer war, nebenbei bemerkt, die Ara, d. h. Aufgerichtete der alten Ägypter, gräzisiert als „Uräus“-schlange bezeichnet, die man als Sinnbild der Erhabenheit zu beiden Seiten der Sonnenkugel des Gottes Ra über dem Portal der altägyptischen Tempel eingemeißelt findet und deren Nachbildung der Pharao als zierendes Abzeichen seiner Hoheit und Herrschergewalt an seinem Diadem über der Stirne trug. Diese bis 2,25 m lange ägyptische Brillenschlange (Naja haje) ist noch größer als ihre südasiatische Verwandte und wird von jeher in Ägypten sehr gefürchtet. Wie heute noch die Gaukler auf den Straßen vor allem Volke die so überaus gefürchtete, in Ledersäcken verwahrte „Haje“ vorführen, so produzierten sich mit ihr schon Moses und Aaron vor dem Pharao. Sie war es auch, mit der sich die berühmte Buhlerin Kleopatra, Königin von Ägypten und nacheinander die Geliebte von Julius Cäsar und Marcus Antonius, nach des letzteren Selbstmord nach der verlorenen Seeschlacht von Aktium im Jahre 30 v. Chr. tötete, um nicht von ihrem ihren Gunstbezeugungen unzugänglichen Überwinder Octavianus Augustus im Triumph in Rom vorgeführt zu werden. Bevor dieses so viele Männer mit ihren Verführungskünsten bestrickende Weib in den Tod ging, ließ sie ihre vertrautesten Dienerinnen von solchen Schlangen beißen, um zu sehen, welchen Effekt der gefährliche Biß auf sie haben werde.

Der Zedratbaum (Citrus decumana), dessen oft fast nur aus Schale bestehenden, bis 6 kg schweren Früchte eines saftigen Fruchtfleisches in der Regel entbehren, ist ein 3–5 m hoher Baum mit stumpfen, dunkelgrünen Blättern, die an breitgeflügeltem Stiele sitzen, und weißen, wohlriechenden Blüten. Seine Heimat ist höchstwahrscheinlich im malaiischen Archipel zu suchen, wo er heute noch in zahlreichen Spielarten, auch solchen mit saftigem, säuerlichsüßem bis süßem Fruchtfleisch kultiviert wird. Schon früh kam er nach Indien, Hinterindien und China, in welch letzterem Lande er schon zu Beginn des letzten vorchristlichen Jahrtausends unter dem Namen yu gepflanzt wurde. Von Indien aus gelangte er nach der Mitte des letzten vorchristlichen Jahrtausends nach Medien und Persien, wo ihn die Griechen auf dem berühmten Zuge Alexanders des Großen ins Innere Asiens von 334 bis 324 v. Chr., der ihnen überhaupt eine Fülle neuer Naturprodukte aus dem Pflanzenreiche vermittelte, kennen lernten. Der pflanzenkundige Theophrastos (390–286 v. Chr.), nach Alexander selbst Schüler des großen Aristoteles, beschreibt diesen Baum, den er jedenfalls nur von der Beschreibung der Teilnehmer am Alexanderzuge kannte und nicht selbst sah, in seiner Pflanzengeschichte folgendermaßen: „Medien und Persien erzeugt unter anderen eigentümlichen Gewächsen auch den medischen oder persischen Apfel (mḗlon). Das Blatt dieses Baumes sieht fast genau so aus wie das der Andráchlē (Arbutus andrachne), auch hat der Baum Dornen wie der Birnbaum (ápios) und der Weißdorn (oxyákanthos); sie sind glatt, sehr spitzig und stark. Der Apfel wird nicht gegessen, allein er hat, so wie auch das Blatt des Baumes, einen sehr angenehmen Geruch; und der Apfel schützt Kleider, zwischen die er gelegt wird, vor Motten. Auch dient er als Arznei. Der Baum, der am besten auf lockerem, feuchtem Erdreich gedeiht, hat das ganze Jahr hindurch Früchte. Während man reife abnimmt, sind auch unreife und Blüten daran vorhanden.“

Von den Griechen erhielten die Römer die Kenntnisse vom medischen Apfel. Der römische Dichter Vergil (70–19 v. Chr.) nennt ihn in Italien zuerst als „goldenen“ oder „Glücksapfel“. Er sagt von ihm in seiner Georgica: „In Medien wächst der Glücksapfel (felix malum), dessen Saft den jämmerlichen, lang anhaltenden Geschmack hat, aber ein herrliches Mittel gegen verschlucktes Gift ist. Der Baum selbst hat eine gewaltige Größe, sieht dem Lorbeer sehr ähnlich, riecht aber ganz anders. Die Blätter werden von keinem Winde abgerissen; auch die Blüte trotzt dem Sturm. Der Meder nimmt sie in den Mund, um dem Atem Wohlgeruch zu geben, und Greise stärken mit ihr die schwach werdende Brust.“ Man glaubte, wie verschiedene griechische Schriftsteller der römischen Kaiserzeit berichten, in ihnen die Äpfel der Hesperiden vor sich zu haben. Es waren dies der Sage nach die Töchter des Atlas und der Hesperis, die mit dem Drachen Ladon die „goldenen Äpfel“ der Hera im Garten der Götter im äußersten Westen des Okeanos bewachten, die dann der berühmte Heros Herakles auf Geheiß des delphischen Gottes Apollon im Dienste des Königs Eurystheus von Mykenä holte.

Der gelehrte ältere Plinius (23–79 n. Chr.) schreibt in seiner Naturgeschichte über ihn: „Aus dem Ausland stammt der medische Apfelbaum, den man auch cedrus nennt; er trägt Früchte, die man gegen Gifte braucht. Als Speise genießt man sie nicht, aber sie riechen vortrefflich, und auch die dem Erdbeerbaum (unedo) gleichenden Blätter, zwischen denen Dornen stehen, riechen. Dieser Geruch teilt sich Kleidern, zwischen welche man die Früchte legt, mit und schützt gegen Mottenfraß. Der Baum hat jederzeit Früchte, reife und unreife zugleich. Man hat diese Bäume, weil sie so ausgezeichnete Arznei liefern, in irdene Töpfe, welche Luftlöcher haben, gepflanzt und sie in andere Länder zu versetzen gesucht; denn jung gedeihen sie bis jetzt nur in Medien und Persien.“ An einer anderen Stelle nennt er die Frucht Citrusapfel (malum citreum) und den Baum citrea, spricht auch von Citrusöl (oleum citreum), das von den Vornehmen bereits als Parfüm gebraucht wurde.

Sein Zeitgenosse, der aus Anazarbos in Kilikien gebürtige, um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Rom praktizierende griechische Arzt Dioskurides schreibt in seinem Buche über Arzneiwissenschaft: „Allgemein bekannt ist der medische oder persische Apfel, auch kedrómēlon, von den Römern kítrion (= citreum) genannt. Der Baum hat das ganze Jahr hindurch Früchte, und diese sind länglich, runzlig, goldfarbig und haben einen starken, aber angenehmen Geruch. Die Samen sind denen der Birne ähnlich. Man legt die Früchte in Wein und braucht dann diesen gegen Gifte. Auch kocht man sie, und spült sich mit der Abkochung den Mund aus, um ihn wohlriechend zu machen. Legt man die Früchte in Kleiderkisten, so sollen keine Motten hineinkommen.“ Und der im Jahre 131 n. Chr. in Pergamon geborene und um 200 in Rom verstorbene griechische Arzt Galenos sagt: „Der auch kítrion genannte medische Apfel besteht aus drei Teilen: dem sauren, der in der Mitte liegt, dem fleischigen, der den sauren umgibt, und der wohlriechenden, gewürzhaften Schale. Wird letztere in Menge genossen, so ist sie schwer zu verdauen; kleingerieben und in geringer Menge stärkt sie dagegen die Verdauung. Das saure, nicht eßbare Mittelstück legt man in Essig, um diesen zu verstärken. Die fleischige Masse, die weder sauer noch scharf ist, wird mit Essig und Fischsauce (garum) gegessen.“

Der bereits erwähnte Athenaios (um 200 n. Chr.) sagt: „Aus den Komikern ersieht man, daß der Kedrosapfelbaum aus Asien nach Griechenland versetzt wurde“ und an anderer Stelle: „Zur Zeit des Theophrast und bis auf die Zeit unserer Großväter hat kein Mensch Kedrosäpfel gegessen; sie wurden dagegen in Kleiderschränke gelegt.“ Zu seiner Zeit wurde der, wie Plinius meldet, in Kübel aus gebranntem Ton in Medien gepflanzte Zedratbaum wie zur Zeit Ludwigs XIV. und seiner Nachahmer die Orangenbäume zur Zierde der Villen vornehmer Römer in deren Alleen aufgestellt. Bald lernte man ihn aber auch im Lande selbst ziehen. So beschreibt uns der Grieche Florentinus ums Jahr 218 n. Chr. die Kultur der von ihm kítria genannten Bäume ganz in der Art der heute noch in Italien betriebenen Agrumen, und fügt hinzu, daß reiche Leute sie auch in freiem Lande an nach Süden gerichteten Wänden pflanzen und sie im Winter zudecken, da sie vom Froste leicht eingehen. „Die Früchte werden schwarz, wenn man Reiser des kítrion-Baumes auf Apfelbäume, rot dagegen, wenn man sie auf (schwarze) Maulbeerbäume pfropft; auch lassen sie sich auf Granatbäume pfropfen.“

Fast zweihundert Jahre später gibt uns der noch im Mittelalter viel gelesene römische Ackerbauschriftsteller Palladius ums Jahr 380 n. Chr. ausführliche Kunde über die Kultur des Zedratbaums, dessen Früchte teilweise schon einen süßen Saft in ihrem inneren Fruchtfleisch entwickelt hatten. Er schreibt: „Im Monat März nimmt man die Vermehrung des Citrusbaums (citri arboris) vor, und zwar auf vier verschiedene Arten, nämlich durch Samen, Äste, Stecklinge und Keulen. (Hier folgen die näheren Angaben über das Vorgehen dabei, die uns nicht interessieren.) Man pfropft ihn auch an warmen Stellen im April, an kalten im Mai nicht in die Rinde, sondern in den Stamm selbst, den man über der Wurzel spaltet. Man kann auch Zedratreiser, wie einige behaupten, auf Birn- und Maulbeerbäume pfropfen, aber man muß dann das Propfreis dadurch schützen, daß man ein Körbchen oder Töpfchen darüber stülpt.

Der Citrusbaum liebt einen lockeren Boden, ein warmes Klima und fortwährende Nässe. Am liebsten steht er an warmen, bewässerten, dem Meere nahe gelegenen Stellen. Will man’s aber erzwingen, daß er in einem kalten Klima wachsen soll, so muß er von Winden geschützt und auf der Südseite stehen, muß auch den Winter über eine Umhüllung von Stroh bekommen. Man glaubt, daß er auch besser gedeiht, wenn in seiner Nähe Flaschenkürbisse (cucurbita) gepflanzt werden, deren Sprosse man auch verbrennt, um eine dem Citrusbaum förderliche Asche zu bekommen. Um größere Früchte zu erzielen, gräbt man die Erde um den Baum fleißig um. Man darf aber an ihm, außer dürren Ästen, fast nie etwas abschneiden.

Martialis sagt, der Citrusbaum habe in Assyrien immerfort Früchte; dieselbe Erfahrung habe ich in meinen in Sardinien und bei Neapel gelegenen Gütern gemacht. Dort sind Boden und Luft lau und genügend feucht. An den auf diesen Gütern stehenden Bäumen hängen immer unreife Früchte, wenn reife abgenommen werden, und Blüten, während die unreifen Früchte wachsen. Man sagt, das Mark der Citrusfrucht werde süß, wenn man die zu pflanzenden Kerne drei Tage lang in Honigwasser oder in Schafsmilch, was noch besser ist, aufweicht. Manche bohren im Monat Februar unten in den Stamm ein schiefes Loch, das aber auf der andern Seite nicht herauskommen darf. Aus diesem lassen sie Saft fließen, bis die Früchte sich bilden, dann füllen sie das Loch mit Lehm aus und behaupten, durch dieses Verfahren werde die Mitte der Citrusfrucht süß. — Die reife Frucht hält sich am Baume hängend fast das ganze Jahr, und jedenfalls besser, als wenn man sie in Gefäße legt. Will man sie pflücken und nachher längere Zeit aufbewahren, so nimmt man sie in einer mondlosen Nacht in der Weise ab, daß noch ein beblättertes Zweigstück bleibt, und legt jede so, daß sie die andern nicht berührt. Manche Leute legen auch jede Citrusfrucht einzeln in ein besonderes Gefäß, verstreichen den Deckel mit Gips und stellen die Gefäße an einen schattigen Ort. Die meisten aber heben sie in Zederspänen (besonders Spänen von Wacholder und Lebensbäumen) oder in Häckerling oder Spreu auf.“

Was für Künsteleien die von den reichen Römern als Gärtner in ihren Landhäusern mit Vorliebe gehaltenen syrischen Sklaven, die sich mit der Pflege dieser empfindlichen Importbäume abgaben, gelegentlich an solchen Früchten vornahmen, darüber berichtet uns Julius Africanus, ein zur Zeit des Kaisers Alexander Severus (222–235 n. Chr.) lebender Christ, der sagt: „Um zu bewirken, daß eine Citrusfrucht, ein Apfel, eine Birne, ein Granatapfel usw. die Gestalt eines Tieres oder sonst eines beliebigen Gegenstandes annehme, so umschließt man sie, wenn sie die Hälfte ihres Wachstums erreicht haben, mit einer entsprechenden, aus Gips oder Lehm geformten, in zwei Hälften geschnittenen, getrockneten und in letzterem Falle im Töpferofen gebrannten Form.“

In den Wirren der Völkerwanderung ging dieser nutzlose Luxusbaum der Römer, mit dem die germanischen Stämme nichts anzufangen wußten, in Italien unter, wurde aber im späteren Mittelalter wieder aus dem Orient hier eingeführt. Heute wird er wieder ziemlich viel unter dem Namen cedro in Italien kultiviert, um aus dem Wertvollsten an den Früchten, der dicken, würzigen Schale, durch Einkochen in Zucker das Zitronat zu gewinnen, das einen für die Konditoreien begehrten Handelsartikel bildet. Auch ein für die Parfümerien verwendbares ätherisches Öl läßt sich daraus gewinnen. Noch mehr als in Italien wird aber der Zedratbaum im westlichen Mittelmeergebiet und auf den Azoren angepflanzt, obschon man neuerdings die Schalen einiger fruchtbarerer Spielarten der Zitrone, oder besser gesagt Limone, vielfach zur Herstellung von Zitronat verwendet.

Diese Zedrat-Zitronen, die eigentlich allein den Namen Zitronen verdienen und tatsächlich auch bei den meisten Völkern diesen Namen führen — nur die Deutschen und Franzosen nennen die Limonen Zitronen — variieren außerordentlich in ihrer Form und viele Abänderungen sind durch Pfropfen und Veredeln fixiert worden. So bekommt man neben stark in die Länge gezogenen auch fast runde Zedraten zu sehen. Manche Sorten erreichen eine gewaltige Größe und ein Gewicht von bis 10 kg. Eine solche besonders große, rundliche, durch stark höckerige Schale und feinen Wohlgeruch ausgezeichnete Zedrate mit sehr saurem Fruchtfleisch wird als Adams- oder Paradiesapfel bezeichnet, weil sie im Mittelalter allgemein von Juden und Christen für die verbotene Frucht des Paradieses gehalten wurde. Ganz abgesehen davon, daß sich Adam, wenn wir seine Existenz zugeben, sehr wohl gehütet haben würde, in eine solche saure, unschmackhafte Frucht zu beißen, da er wohl bessere im Garten Eden zur Verfügung hatte, wissen wir heute bestimmt, daß der hebräische Mythus unter dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zweifellos die Dattelpalme verstand, die einer der ältesten Fruchtbäume Babyloniens war, wo die Juden, von den babylonischen Semiten beeinflußt, ihre Schöpfungssagen ausbildeten. Und weil die auf fabelhafte Fruchtbarkeit des Paradieses hinweisende großfrüchtige Zedrate heute noch neben dem Palmblatt und allerlei Zweigen beim Laubhüttenfest — ursprünglich einem Erntefest — der Juden Verwendung findet, wird sie vielfach aus Korfu, Palästina und Marokko, wo sie die Araber mit Vorliebe anpflanzen, bei uns eingeführt und kann bei vorgeschriebener Form einen sehr hohen Geldwert erlangen. Die lithauische Jüdin Pauline Wengeroff schreibt im 1. Band ihrer „Memoiren einer Großmutter — Bilder aus der Kulturgeschichte der Juden Rußlands im 19. Jahrhundert“ über diese von ihr als Eßrog bezeichnete Frucht bei der Beschreibung des Versöhnungstages, des am 10. des Monats Tischri (September oder Oktober) gefeierten Fest- und Fasttages der Juden: „Mein Vater ging gleich von der Synagoge fort, um einen Eßrog (zitronenähnliche Frucht) und einen Lulow (Palmenblatt) zu kaufen; und frohgelaunt kehrte er heim, wenn es ihm gelang, einen völlig fehlerfreien Eßrog — einen sogenannten ‚Mibuder‘ — zu finden. Ein solches Stück kostete im Jahre 1838 5–6 Rubel, da zu jener Zeit der Transport der Früchte aus Palästina, wo sie nur in geringer Zahl wuchsen, mit viel Schwierigkeiten und Gefahren verbunden war. Nichtsdestoweniger erhielt jeder der jungen Männer unseres Hauses je einen Eßrog für sich. Eine jede dieser wohlriechenden, prächtigen Früchte wurde sorgfältig in weichen Hanf gebettet und in einem Silbergefäß aufbewahrt. Diese Früchte werden im Verlaufe der acht Feiertage des Laubhüttenfestes (Sukkoth) beim Morgengebet benützt. Die Palmenblätter, Myrten und Weidenzweige, die der Vorschrift gemäß dazu gehören, standen in einem großen, mit Wasser gefüllten irdenen Krug. Und im Hause wurde es wieder hell und heiter. Man aß, trank, lachte, plauderte nach Herzenslust.“

Manche andere Spielarten dieser großen Zedrate werden auch nur gezüchtet, um ihre riesigen Früchte zur Schau zu stellen, wozu sie sich schon deshalb besonders eignen, weil sie sich länger halten als alle übrigen Früchte der Gattung Citrus. Eine chinesische, den Europäern übrigens wegen des faserigen Fleisches wenig mundende Varietät bildet in ihrer Heimat einen Leckerbissen, den die Chinesen selbst in fremden Ländern nicht missen mögen, weshalb diese Früchte überallhin, wo jene sich niederlassen, nach Kalifornien, Hawai usw. exportiert werden. Die Chinesen schälen die innere, weiße, widerlich bitter schmeckende Schale mit größter Sorgfalt ab, um zum rötlichen, süßlich-sauren Fruchtfleisch zu gelangen, das sie nicht nur roh, sondern auch in Form von Mus und Gelee essen. Aus dem Saft bereiten sie ein erfrischendes Getränk und die Schalen kandieren sie, ähnlich wie wir dies mit den Pomeranzenschalen tun. Übrigens gibt es einige Spielarten, die auch dem Europäer sehr wohl schmecken; vor allem gilt dies von der Pompelmuse von Batavia, einer wirklich köstlichen Frucht, die in Indonesien häufig gezogen wird.

Der Baum, der die leuchtend gelben Zitronen zeitigt, die die Italiener und Engländer mit Recht mit ihrem geschichtlichen Namen als Limonen bezeichnen, war den Mittelmeervölkern des Altertums durchaus unbekannt, bis ihn die Araber im Laufe des 10. Jahrhunderts in Palästina und Ägypten, sowie in ganz Nordafrika ansiedelten. Im 11. Jahrhundert wurde er durch sie in Spanien, bald darauf auch in dem von ihnen eroberten Sizilien angepflanzt, wo der Italiener Falcando im Jahre 1260 besonders um Palermo herum diesen bevorzugten Schützling der Araber in Menge kultiviert fand. Denn dieses Volk, dem der Koran den Genuß alkoholhaltiger Getränke verbot, suchte sich am sauren, angenehm erfrischenden und den Durst löschenden Safte der von ihnen als limûn bezeichneten Zitronen, den sie mit gezuckertem Wasser vermischt als bevorzugtes Getränk vor der Einführung des Kaffees tranken, schadlos zu halten. Sie selbst hatten die Frucht eben als limûn von den Persern erhalten, die wiederum sie aus Indien unter dem dort gebräuchlichen Namen limu entlehnt hatten. Von den Arabern lernten die Italiener die Frucht als limone und den daraus bereiteten beliebten Trank als limonata kennen, woraus wir Deutsche unsere Limonade bildeten. Kreuzfahrer und Handelsleute der italienischen Seestädte, vorzugsweise Venedig, Pisa und Genua, brachten die Limone zuerst nach Europa, wo sie nördlich der Alpen nicht unter dieser jüngeren Bezeichnung, sondern der älteren, die auf der Bekanntschaft mit dem Zedrat-Citrus fußte, bekannt wurde. Auch hier lernte man, als dann die Frucht häufiger aus Italien dahin kam, wie im Orient den sauren Saft derselben und die aromatisch duftende, an wohlriechendem ätherischen Öl reiche Schale als angenehme Beigabe zu vielen Speisen schätzen und sie auch in Verbindung mit dem zu gleicher Zeit bekannt werdenden Zucker zu Limonaden und Bowlen verwenden. Auch als Medikament fand sie weithin Verbreitung; ist doch ihr saurer Saft stark fäulnishemmend und demnach sehr günstig bei allen Leiden, die mit Darmfäulnis zusammenhängen, wie ihr saurer Saft die beim Fieber erhöhte Alkalescenz des Blutes herabsetzt.

Die Heimat des Zitronenbaumes (Citrus medica var. limonum) ist das östliche Südasien von den mittleren Tälern am Südfuße des Himalaja über Nordbirma nach dem südlichen China und Cochinchina. Noch heute wird er von Gurwal bis Sikkim, in den Kasia- und Garrobergen wild wachsend in oft größeren Beständen gefunden. Zur weit größere und edlere Früchte zeitigenden Kulturpflanze wurde er wohl in Cochinchina erhoben, von wo er allmählich nach China und Japan verpflanzt wurde. Über Indien gelangte er etwa im 8. Jahrhundert n. Chr. nach Persien in den Machtbereich der Araber, die ihn dort kennen lernten und allmählich in dem ganzen von ihnen eroberten Gebiete ansiedelten. Von ihnen lernten die Kreuzfahrer den Baum und dessen Früchte in Syrien und Palästina kennen. Von solchen aus dem Morgenlande heimkehrenden Kreuzfahrern ist er gegen das Ende des 11. Jahrhunderts an der Riviera angesiedelt worden. Aber einen größeren Aufschwung nahm dessen Kultur erst vom 14. Jahrhundert an, bis sie im 17. Jahrhundert durch das Populärwerden der Limonade in Europa erst volle Bedeutung erlangte. Ums Jahr 1655, da der 1602 in Pescina in den Abruzzen (Süditalien) geborene Kardinal Jules Mazarin (eigentlich Mazarini, gestorben 1661) das Staatsruder Frankreichs führte, traten in Paris, wie zuvor in Italien, die ersten Limonadiers auf, um dort, wie bald hernach in den übrigen größeren Städten Europas eine ähnliche Rolle wie die sie darin später ablösenden Cafetiers zu spielen.

Der Zitronenbaum ist ein strauchartiger kleiner Baum, der selten über 5 m Höhe hinausgeht, sehr empfindlich ist und schattige Standorte bevorzugt. An sonnigen Standorten wächst er nur, wenn er sehr viel Wasser zur Verfügung hat. Sein glattberindeter, aus einem sehr feinen, gelben Holze bestehender Stamm trägt eine lichte Krone glänzend grüner, kahler Blätter, die im Gegensatz zu denjenigen des Zedrat- und Orangenbaums einen ungeflügelten Blattstiel besitzen. Die weißen, außen etwas rötlich angelaufenen Blüten duften sehr stark und sind wohlriechender, aber nicht so haftend als die ganz weißen der Orange. Die uns allen von Jugend auf genugsam bekannten eiförmigen gelben Früchte mit saftigem, saurem Fruchtfleisch werden zum Export noch grün gepflückt, in einem „Fermentierhaus“ 2–3 Wochen lang bei einer Temperatur von etwa 50°C. nachreifen gelassen, wobei die Schale dünn und gelb wird, und dann noch längere Zeit bei niedriger Temperatur gehalten, wonach sie sehr lange haltbar sind. Aus den minder schönen und guten Früchten wird an deren Produktionsort der in Küche und Haushaltung, weil gesunder als Weinessig, immer häufiger Anwendung findende Zitronensaft gepreßt, der sich im Fruchtfleisch in strahlenmäßig angeordneten, wasserhellen kleinen Beutelchen befindet, während aus den Schalen das angenehm duftende Zitronen- oder Limonenöl gewonnen wird, indem durch einen Nadelapparat die es umschließenden Ölbehälter angestochen werden. Aus den Schalen der unreifen Zitronen dagegen stellt man das Petitgrainöl her. Diese Substanzen kommen wie die Zitrone selbst in bedeutenden Mengen in den Handel, so daß sie eine sehr wichtige Einnahmequelle der Zitronenkultur treibenden Einwohner Südeuropas bilden. Die wichtigsten Produktionsorte für Europa sind außer dem Dorado hierfür, Sizilien, das allein jährlich über eine Milliarde dieser Früchte exportiert, die Riviera di Ponente westlich von Genua, dann Spanien, Portugal und Nordafrika. Dieselbe Rolle spielen für das Gebiet der Vereinigten Staaten Florida und Kalifornien, die heute immense Zitronenkulturen in Plantagenbetrieb aufweisen.

Man macht heute ausgedehnten Gebrauch vom sauren Safte der Zitronen, der schon im Kräuterbuch des kurfürstlich pfälzischen Leibarztes Tabernämontanus nicht bloß „als wider die innerliche Faulung und das Gifft sehr gut und kräftig“ gepriesen, sondern auch „gegen alle Traurigkeit und Schwermüthigkeit des Hertzens und die Melancholey“ angelegentlich empfohlen wird. Nach ihm widerstehe die Schale der Frucht wie die Rinde dem Gift, daher solle man sie zur Zeit der Pest „im Munde halten, auch einen Rauch damit machen“. Jedenfalls wirkt der Zitronensaft, wie bereits bemerkt, antiseptisch, d. h. die Fäulnis im Magen-Darmkanal herabsetzend und bei Mundfäule heilend. Daher ist er in Verbindung mit dem Genusse frischer Gemüse das wirksamste Vorbeugungs- und Bekämpfungsmittel des Skorbuts oder Scharbocks, der vormals den Seefahrern zur Zeit der Segelschiffe auf ihren lange währenden Meeresfahrten gewaltig zusetzte und bis zur Gegenwart der größte Feind der Polarfahrer war. Bei allen Marinen der Erde besteht die Vorschrift, der Mannschaft bei längerer Seefahrt Zitronen zum Genusse von deren Saft zu verabreichen, weshalb wir diese südasiatische Frucht im eisernen Bestand aller Schiffsvorräte finden.

Auch die Symbolik hat sich mannigfach der Zitrone bemächtigt. Das Aromatische, Erquickende und Belebende dieser Frucht hat sie vielfach auch zum Sinnbild des Lebens, zum Abzeichen des Schutzes gegen alle dem Leben feindlichen Einflüsse überhaupt gemacht. Daher schützt auch die Zitrone nach altem Glauben, wie die etwas minder saure Zedrate, nicht bloß gegen Gift, sondern auch vor Verzauberung und allen schädlichen Einwirkungen der Geisterwelt auf Menschen und Tiere. Daher rührt ihre mannigfache Verwendung als Gegenzauber beim gemeinen Volke im Süden her und die damit zusammenhängende Sitte, daß die Leichenträger bei Begräbnissen eine Zitrone in der Hand halten, wie auch einst die den Scheiterhaufen besteigenden indischen Witwen diese Frucht als Abwehr der finsteren Mächte mit sich auf ihrem Todesgange trugen. Diese fürchterliche Sitte der Witwenverbrennung ist jetzt glücklicherweise durch ein streng von den Engländern gehandhabtes Gesetz verboten. Sie war übrigens der Ausfluß der absurden Lehre vom Karma, die ihrerseits eine Folge der Wiederverkörperungslehre ist. Nach ihr ist eine jede Witwe schuld an dem Tode ihres Gatten durch eine schwere Sünde, die sie in einem früheren Leben begangen hat. Deshalb wird, selbst wenn sie ein Kind sein sollte, das noch gar nicht mit dem ihr einst von den Eltern angetrauten Manne zusammengelebt hat, jede Witwe in Indien von den Angehörigen, die über den von ihr verursachten Todesfall in der Familie aufs äußerste erzürnt sind, ihres Schmuckes beraubt, muß zeit ihres Lebens in Trauergewandung gehen, wird verachtet und oft genug mißhandelt. Man gönnt ihr kein freundliches Wort mehr und Wiederverheiratung ist vollständig ausgeschlossen. Unter diesen Umständen war es kein Wunder, daß viele Witwen den freiwilligen, ihr als großes Verdienst angerechneten Tod durch Verbrennung mit der Leiche des Gatten dem freudlosen, überaus leidvollen Leben, dem sie entgegensahen, vorzogen.

Eine Varietät der echten Limone oder Zitrone ist die süße Limone oder Lumie mit süßem Fruchtfleisch, die hauptsächlich als Zierfrucht und ihres ätherischen Öles wegen kultiviert wird. Ausschließlich in den Tropen und nicht mehr im Mittelmeergebiet wächst die Limonelle oder Zitronelle, ein kleines, schmächtiges Bäumchen mit zierlichen, sehr sauren, meist rundlichen Früchten, die eine glatte, grüne, bei der Reife gelblich werdende dünne Schale besitzen. Im malaiischen Archipel und in vielen anderen tropischen Gegenden ersetzen sie die Zitronen und werden besonders in Westindien viel zur Herstellung von Limonellensaft im großen kultiviert.

Für uns noch viel wichtiger als die Zitrone, die mehr in der Küche Verwendung findet, ist die Orange, die für Mitteleuropa und die nördlichen Vereinigten Staaten bald eine der wichtigsten Obstarten bildet, da sie seit den besseren Eisenbahnverbindungen in solchen Mengen und zu einem so billigen Preise eingeführt wird, daß selbst der Ärmste sich den Genuß dieser Frucht um einen geringen Preis leisten kann. Sie ist für uns um so wertvoller, da sie gerade im Winter, wenn das übrige Obst, soweit es nicht konserviert zu werden vermag, selten ist, geerntet wird und überall zu haben ist. Diese süße Varietät der Orange bezeichnet man gewöhnlich als Apfelsine, die bittere dagegen, die nicht zu uns kommt, Pomeranze. Die zunächst nur für die viel früher als die süße bei uns bekannt gewordene bittere Abart aufgekommene Bezeichnung Orange, die nach der charakteristischen ziegelroten Färbung der Früchte dann auch eine Farbenbezeichnung wurde, ist auf das Sanskritwort nagrunga zurückzuführen, mit dem die alten Inder diese rotschimmernde Frucht bezeichneten. Von ihnen erhielten die Perser den Baum mit dem indischen Namen narungschi und gaben ihn an die Araber weiter, die daraus das Wort naranschi bildeten. Daraus formten die Byzantiner nerantzi, die Italiener naranci und später mit abgeschliffenem n aranci, arangi und endlich die Franzosen orange. Aus dem italienischen aranci bildete das mittelalterliche Latein das Wort aurantium mit Bezugnahme auf den hineinspielenden Begriff aurum, Gold, wegen der wie Gold gleißenden Früchte. Die botanischen Schriftsteller des 16. und 17. Jahrhunderts bezeichneten die Früchte als poma aurantia, woraus das deutsche Pomeranze und das polnische pomarancza hervorging.

Die chinesische Abstammung der verlockend gefärbten süßen Abart gibt sich sehr deutlich in dem deutschen Worte Apfelsine zu erkennen, was Apfel von Sina, d. h. China bedeutet. Und in der Tat gelangte die süße Orange erst im Jahre 1548 aus Südchina durch die Vermittlung der Portugiesen nach Portugal und von da nach Spanien und in die übrigen Mittelmeerländer. Noch weist die italienische Bezeichnung derselben portogallo deutlich auf diese ihre Herkunft über Portugal hin.

Daß die Portugiesen die Vermittler dieser und anderer chinesischer Fruchtbäume waren, hängt ganz einfach damit zusammen, daß sie eben zuerst jenes Land betraten und sich in einen Tauschhandel mit den Bewohnern einließen. Das erste europäische Schiff, das in China, und zwar im Jahre 1517 landete, war ein portugiesisches und die Portugiesen waren es, die bereits 1557 die erste Niederlassung von Europäern in China gründeten. Es ist dies Macao, ein befestigter Ort auf einer Insel an der Mündung des Perlflusses in Südchina, welches der Hauptstapelplatz des Handels mit China war, bis vor kaum mehr als 50 Jahren die englische Niederlassung Hongkong es dann weit überflügelte.

Wie der Apfelsinenbaum sich von Portugal aus an den Küsten des Mittelmeeres bis tief nach Westasien hinein ausbreitete, um neben dem Zitronenbaum in warmen, windgeschützten Lagen gepflanzt zu werden, da die Frucht bald allgemeinen Beifall fand, so brachten ihn Portugiesen und Spanier in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch nach Amerika, wo er in den tropischen und subtropischen Gegenden wunderbar gedieh und mit der Zeit überallhin in der Neuen Welt verbreitet wurde.

Die ursprüngliche Heimat des Orangenbaums (Citrus aurantium s. vulgaris), ist das Gebirgsland südlich vom Himalaja über Birma nach Südchina und Cochinchina, also dieselben Gegenden, die wir als die Heimat des Zitronenbaumes angeführt haben. Wie der Zitronenbaum wurde er wohl in Südchina zuerst in Kultur genommen und veredelt. Er bildet stattlichere Bäume als jener, aber seine Blätter haben an den Blattstielen herzförmige Flügel und seine rein weißen Blüten duften weniger angenehm als diejenigen des Zitronenbaums.

Wie der Zitronenbaum die mannigfaltigsten, in bezug auf Gestalt, Farbe, Größe und Geschmack der Früchte abweichenden Kultursorten hervorgebracht hat, ja, in der Limetta, die besonders an der ostafrikanischen Küste vielfach angepflanzt wird, eine süßfrüchtige Art besitzt, so hat sich auch der Orangenbaum in zahllose samenbeständige Kulturvarietäten aufgelöst, von denen wir hier nur die süße, die wir in allen Fruchtläden zu Gesicht bekommen, und die bittere besprechen wollen.

Die süße Abart (Citrus aurantium chinense s. dulcis) besitzt schwach blaßgrüne, wenig aromatische Blätter. Die kugelige Frucht ist orangefarbig, selten gelb und enthält unter einer meist dünnen Schale ein schwach säuerliches, wohlschmeckendes, in den hochkultivierten Sorten bereits kernlos gewordenes Fruchtfleisch. Der Baum ist wie die anderen Citrusarten empfindlich gegen kalte Winde, deshalb zieht man ihn wie den Zitronenbaum, mit dem er dieselben Gegenden als für den Anbau geeignet teilt, soweit er solchen Winden ausgesetzt ist, in Reihen, die durch dichte Hecken eng nebeneinander gepflanzter Zypressen geschützt werden. Diese hohen Zypressenhecken fallen einem jeden auf, der durch die Provence oder Algier reist.

Von Genua bis Marseille findet man ihn an den geschützten Lagen angepflanzt, dann besonders in Sizilien, Spanien, Portugal, Nordafrika; in Nordamerika besitzen besonders Kalifornien und Florida gewaltige Orangengärten. Erst in Sizilien und von da weiter südlich erreicht er die Größe unseres Apfelbaums und liefert dann, gut gehalten, 600–800 Früchte jährlich, während ein ausgewachsener Zitronenbaum bei voller Kraftentfaltung sogar 1000–1100 Früchte in demselben Zeitraum liefert. Man rechnet nach Theobald Fischer in den berühmten Zitronen- und Orangengärten in der Conca d’oro bei Palermo einen durchschnittlichen jährlichen Rohgewinn von 3000 Lire vom Hektar. Was das besagen will, geht daraus hervor, daß die einträglichsten Gemüse- und Fruchtgärten bei Paris es nur zu einem jährlichen Rohgewinn von 2500–2700 Franken auf den Hektar bringen. Dies ist allerdings nicht zu vergleichen mit dem Ertrage der Südfrüchte in Kalifornien, wo der Morgen, also etwas mehr als ¼ Hektar bis 4000 Mark einträgt und eine 5 Morgen umfassende Erdbeer- oder Obstplantage ein Einkommen von 7–10000 Mark abwirft. Allerdings ist der Geldwert drüben bedeutend geringer als bei uns, so daß wir einen entsprechenden Abzug machen müssen, um diese Verhältnisse auf die unsrigen zu übertragen.

Es gibt eine Unzahl von Apfelsinensorten, von denen aber nur einige wenige zu uns gelangen, worunter außer der gewöhnlichen die immer beliebter werdende Blutapfelsine (var. sanguinea) mit blutrot gestreiftem oder ganz blutrotem, süßem Fruchtfleisch, ebenso die doppelfrüchtige Orange, bei der jede Frucht in ihrem oberen Teile sozusagen noch eine zweite enthält, ferner auch die violette Orange, deren Blätter, Blüten und unreifen Früchte teilweise violett überhaucht sind und welche, wie die kleine buchsbaumblättrige Orange nur als Zierbaum gezüchtet wird. Die gleichfalls meist nur als Zierstrauch dienende myrtenblättrige Orange besitzt mispelgroße Früchte, die zuweilen auch wie die chinesische Bigaradie eingemacht werden.

Viel länger im Mittelmeergebiet bekannt als die, wie gesagt, erst im Jahre 1548 direkt von China nach Portugal eingewanderte süße Art, ist die bittere, die stets im Mittelalter unter den poma aurantia verstanden war. Die Äste und Zweige des Baumes sind mit Dornen besetzt, die Blätter sind dick, tief dunkelgrün und riechen sehr aromatisch; sie bilden die offizinellen Orangenblätter, die zur Herstellung eines wohlschmeckenden Tees Verwendung finden. Aus ihnen und den jungen Trieben wird ebenso wie aus den unreifen Früchten das als essence de petit grain bezeichnete ätherische Öl gewonnen. Besonders reich an dem Glykosid Hesperidin sind die jungen Früchte, die ebenfalls als Aurantia immatura offizinell sind, d. h. in den Apotheken und Drogerien gehalten werden. Aus den relativ großen, weißen, an Wohlgeruch diejenigen des Apfelsinenbaums übertreffenden Blüten wird in großen Mengen das ebenfalls für die Parfümerie wichtige Nafa- oder Neroliöl — auch Orangenöl genannt —, ebenso das Orangenwasser gewonnen. Die kugeligen, tief orangeroten Früchte enthalten ein bittersaures Fruchtfleisch, dessen Saft wie derjenige der Zitrone zur Herstellung von Limonade dient, besonders aber zur Bereitung der berühmten Orangenmarmelade benutzt wird. Zu diesem Zwecke werden jährlich viele Schiffsladungen Sevillaorangen nach der schottischen Stadt Dundee, wo dieses Genußmittel hauptsächlich bereitet wird, importiert. Die sehr dicke, rauhe Schale von tiefer Orangefarbe kommt als kandierte Pomeranzen- oder bittere Orangenschale oder auch einfach getrocknet in den Handel. Sie ist die offizinelle Pomeranzenschale und enthält bis zu 2,4 Prozent das angenehm riechende, aber bittere Bigaradieöl. Sie wird vorzugsweise zur Bereitung von Likören (Pomeranzenlikören, Curaçao, Kurfürstlichem Magenbitter aus Danzig usw.), zur Würze von Weinen (Bischofessenz) und allerlei Konfitüren benutzt. Da der Stamm des bitterfrüchtigen Orangenbaums sich als besonders widerstandsfähig erwiesen hat, so benutzt man ihn auch häufig als Unterlage, um auf ihn andere, weniger widerstandsfähige Citrusarten aufzupfropfen. Eine Varietät des Pomeranzenbaums ist die chinesische Bitterorange oder Bigaradie, die kleiner als die Sevillaorange und fast kugelrund ist und häufig in Sirup eingemacht wird, zumal in Frankreich, wo sie als bigaradier chinois in allen Delikatessenhandlungen der Großstädte zu finden ist.

Aus seiner südostasiatischen frühesten Kultur gelangte der bittere Pomeranzenbaum sowohl nach Hinterindien und den Sundainseln, als über Indien nach Persien. Seit dem Ende des 9. christlichen Jahrhunderts ist er in Arabien nachweisbar. Die Araber verbreiteten ihn dann im 10. Jahrhundert nach Afrika und Spanien. Im Jahre 1002 finden wir ihn auch in dem damals von den Arabern (Sarazenen) besetzten Sizilien frisch eingeführt, wo er auch heute noch einen wesentlichen Bestandteil der Agrumenplantagen bildet. Die Kreuzfahrer sahen ihn in Syrien und Palästina und haben ihn wahrscheinlich mit dem Zitronenbaum an die Riviera gebracht.

In China und Japan wird die japanische Zwergorange, kumquat oder kinkan genannt, viel kultiviert. Es ist dies ein niedriger, gegen Frost empfindlicher Strauch mit kleinen, schmalen Blättern, winzigen Blüten und etwas über kirschgroßen, von einer sehr aromatischen Schale bedeckten säuerlichen Früchten, die namentlich von Kindern, auch roh, gegessen werden. Meist werden sie aber in Sirup eingemacht und gelten als Delikatesse. In neuerer Zeit werden sie in dieser Zubereitung auch exportiert. In Ostindien werden die Früchte einer anderen Citrusart, marmelo genannt, häufig gegessen und ebenfalls besonders gerne mit Zucker eingekocht. Von ihnen rührt unsere Bezeichnung Marmelade her. Aus den höchst aromatischen Fruchtschalen der erst seit dem Ende des 17. Jahrhunderts bekannten Bergamotte (Citrus bergamea) mit blaßgelben Früchten und angenehm säuerlichem Fleisch, das aber für gewöhnlich nicht gegessen wird, gewinnt man das für die Parfümerien und die Apotheken sehr wichtige Bergamottöl, während die sehr kleinen Früchte der myrtenblätterigen Abart (Citrus myrtifolia) in Zucker eingekocht die beliebten „Chinois“ bilden. Wie für alle Agrumen, ist auch für diese Sizilien der Hauptproduktionsort, das über 100000 kg Bergamottöl und fast ebensoviel aus Pomeranzen gewonnenes Portugalöl (vom italienischen portogallo für die bitterfrüchtige Pomeranze) jährlich exportiert. Das Bergamottöl ist ein dünnflüssiges, angenehm riechendes, bitter schmeckendes ätherisches Öl, welches bei längerem Stehen einen gelben, festen Bodensatz, den Bergamottölkampfer, ausscheidet.

In Cochinchina und Südchina ist auch die Mandarine (Citrus nobilis) zu Hause, wo sie seit Urzeiten unter dem Namen kan kultiviert wird. Sie ist heute noch in China und in Japan, in welch letzterem Lande sie mikan genannt wird, die vorzugsweise angebaute Orange, die hier den Winter über in großer Menge und sehr billig zum Verkauf kommt. Der Mandarinenbaum ist in allen Teilen kleiner als der Apfelsinenbaum und durch einen buschigeren Wuchs ausgezeichnet. Die lanzettlichen, schwach gekerbten Blättchen sitzen an kurzen, kaum geflügelten Blattstielen. Die in Büscheln stehenden weißen Blüten liefern die bekannten, an den Polen abgeflachten, kleinen, orangeroten, süßen Früchte, die jetzt ebenfalls Gegenstand bedeutenden Exportes aus Italien und Spanien geworden sind. Der Mandarinenbaum gedeiht an der Riviera sogar besser als der Apfelsinenbaum. Wie gegen Frost, ist er auch gegen heiße, trockene Winde empfindlich, die hier vollkommen fehlen. Aus seiner ostasiatischen Heimat gelangte er ziemlich früh nach den Sundainseln, wo er viel angebaut wird. Erst im Jahre 1828 ist er in Südeuropa und 1848 in San Remo an der Riviera eingeführt worden. Wegen des feinen, aber nicht jedermann zusagenden Geschmacks hat die Kultur der Mandarine im Mittelmeergebiet in den letzten 30 Jahren einen ganz außerordentlich großen Umfang angenommen und hat besonders im westlichen Mittelmeergebiet, in Spanien, Algier, Malta, sowie auch noch in der Provence und in Ligurien Fuß gefaßt.

Ohne weiter auf verschiedene andere, namentlich in Ostindien kultivierte Citrusarten mit oft ziemlich großen Früchten einzugehen, die meist Varietäten der Zitrone sind, wollen wir hier noch einer durch Veredelung festgehaltenen monströsen Zitronenform gedenken, welche in Indien hervorging und als buddhafingerige Zitrone beim dortigen Volke zu allerlei abergläubigen Vorstellungen Veranlassung gab. Diese, auch in manchen Gärten der Riviera gezogene Art ist eigentlich nichts anderes als eine erblich gewordene Mißbildung, wie z. B. der Blumenkohl und unter den Haustieren Mopse, Dachshunde usw. Sie beruht darauf, daß die einzelnen Fruchtfächer statt zu einer runden Frucht vereinigt zu bleiben, an ihren Enden frei hervorwachsen. Dadurch bekommt die Frucht fünf Fortsätze, die entfernt an die vorgestreckten Finger einer Hand erinnern.

Noch merkwürdiger ist die ebenfalls bisweilen in den Gärten der ligurischen Küste angetroffene Bizzarria, ein Citrusbaum, der zugleich Orangen und Zitronen trägt, aber auch solche, welche die Mitte zwischen jenen beiden Fruchtarten einhalten und solche, an welchen einzelne Fächer das Aussehen von Orangen, andere wiederum dasjenige von Zitronen besitzen. Ihre Entstehung ist bis jetzt nicht endgültig aufgeklärt worden. Die einen halten sie für Bastarde, während andere meinen, sie seien bei der Veredelung durch zufällige Vermischung der Eigenschaften der Unterlage und des aufgepfropften Edelreises entstanden. Sonst weisen die Bastarde im allgemeinen wohl eine Verschmelzung der elterlichen Eigenschaften, aber kein getrenntes Nebeneinander derselben wie in diesem Falle bei der Bizzarria auf. Andererseits lehrt die Erfahrung, die wir täglich bei der Veredelung unserer Obstbäume, der Rosen und sonstigen Gewächse machen, daß die Unterlage ohne allen Einfluß auf das Edelreis bleibt, daß beide vielmehr ihre besonderen Eigenschaften unvermischt beibehalten.

Nun gibt es aber einen richtigen Bastard zwischen Orange und Zitrone, die man als süße Zitrone oder Limette bezeichnet. Sie hat kleine weiße Blüten, eine rundliche bis eiförmige Frucht und geflügelte Blattstiele. Das süßliche, etwas aromatische Fruchtfleisch wird roh oder gekocht gegessen und auch zum Einmachen verwendet. Da aber die Frucht weder die vollen Eigenschaften der Zitrone, noch diejenigen der Orange besitzt, hat sie keinen besonderen Wert und findet sich deshalb nur selten angebaut.

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