XV. Die berauschenden Getränke.

Es scheint dem Menschen das tiefgehende Bedürfnis inne zu wohnen, sich bisweilen zu berauschen. Diese eigentümliche Neigung teilt er übrigens mit der Tierwelt, die sich gerne, wo sie nur kann, über sich ihr darbietende alkoholhaltige Getränke hermacht, um sich daran in einen Rauschzustand zu versetzen. Wenn beispielsweise eine Eiche oder sonst ein Baum infolge irgendwelcher Verletzung blutet und der austretende Zuckersaft durch das Hinzutreten der allgegenwärtigen Hefepilze in alkoholische Gärung gerät, so kommen die Hirschkäfer von weit und breit angeflogen und feiern mit solcher Ausdauer ein Gelage, daß sie oft dutzendweise völlig beduselt am Fuße des Baumes herumliegen. An blutenden Birken mit gärendem Safte findet man stets eine Menge von Trauermänteln, Hornissen, Fliegen und anderen Insekten, die durch ihr absonderliches Benehmen erkennen lassen, daß ihnen die gefährliche Flüssigkeit das Unterscheidungsvermögen geraubt hat. Gleicherweise hat man Bienen an wässerigem und dann rasch in alkoholische Gärung übergegangenem Honigtau sich dermaßen berauschen gesehen, daß sie den Heimweg nicht mehr fanden und, betrunken, auf den betreffenden Bäumen übernachteten. Wie Affen kann man bekanntlich auch Pferde und Hunde leicht an geistige Getränke gewöhnen, so daß sie eine förmliche Sucht danach bekommen, und selbst an frei lebenden Säugetieren, wie z. B. an Eichhörnchen, die sich an gegorenem Eichensafte berauschten, lassen sich derartige Neigungen beobachten.

Allerdings war es für den Menschen im Naturzustande äußerst schwierig, sich solche Stoffe zu verschaffen, die ihn in einen derartigen Zustand der Berauschung brachten. Beim zufälligen Genusse giftiger Pflanzen lernte er diesen wohl zuerst kennen und suchte ihn gelegentlich später freiwillig zu erneuern. So ist vielleicht die Tollkirsche einst bei den Steinzeitvölkern Europas in der Weise gebraucht worden, wie heute noch der Fliegenschwamm bei den ostsibirischen Mongolenstämmen. Wenn diese auf niederer Kulturstufe stehenden Menschen ein Fest zu feiern wünschen, so genießen sie eine Abkochung des giftigen Fliegenschwammes, den sie in den Wäldern sammeln und trocknen, um ihn für solche Gelegenheiten aufzubewahren. Dieser bringt sie in einen rauschartigen Zustand, so daß sie taumeln und wie betrunken hinfallen. Den Weibern, die nüchtern bleiben, da sie nichts von diesem Berauschungstranke genießen dürfen, fällt dann die Aufgabe zu, die betreffenden Ehegatten aufzulesen und sie unbeschädigt nach Hause zu bringen, wo sie ihren schweren Rausch ausschlafen können. Um nun diesen mit schweren Träumen und Delirien verbundenen Rauschzustand möglichst lange auszudehnen, trinken jene Leute, aus dem Dusel erwachend, immer wieder ihren eigenen Urin, in dem das Gift aus dem Körper ausgeschieden wird, bis endlich nach mehrtägiger Vergiftung die Ernüchterung erfolgt.

Was für verschiedene Pflanzengifte die ältesten Menschen Europas zu solchem Rausche verwandten, das steht völlig dahin. Nur das eine wissen wir, daß der berauschende Honigtrank mit der Zeit die anderen weniger angenehmen Berauschungsmittel verdrängte und sich in späterer vorgeschichtlicher Zeit allgemeiner Beliebtheit erfreute. Auch hier führte der Zufall zur Entdeckung dieses Betäubungsmittels der Urzeit. Überall sammelt der Mensch auf niederer Kulturstufe mit Vorliebe den leckeren Honig wilder Bienen, den er, weil dessen starke Süße in konzentrierter Form in größerer Menge seinem Geschmacke widerstand, in Wasser verdünnt genoß. Blieb eine solche Honiglösung in einer als Gefäß benützten dürren Kürbisschale oder sonst welchem Naturgefäß einige Tage hindurch stehen, so begann sie durch spontane alkoholische Gärung infolge von Hineingelangen der allgegenwärtigen Hefepilze berauschend zu wirken. Als man diese Erfahrung gemacht hatte, stellte man absichtlich in Wasser stark verdünnten Honig beiseite, um sich daraus das älteste alkoholische Getränk, den Met, als sehr geschätztes Berauschungsmittel zu bereiten.

Diesen Honigtrank liebten schon die Indogermanen, als sie zu Ende der Steinzeit noch als ein Volk in Norddeutschland hausten. Wie im Sanskrit mádhu Honig und Honigtrank bedeutet, so bedeutet im Griechischen méthy der berauschende Trank schlechthin und méthē die Trunkenheit. Im Deutschen benutzen wir dafür das Wort Met, das wie das altslawische medu sowohl Honig als den daraus bereiteten Trank bedeutet. Den ältesten nachweisbaren Germanen war der aus Wildhonig bereitete Met das beliebte Festgetränk, das noch in der Edda als die Menschen und Götter gleicherweise erfreuend häufig genannt wird. In einer der ältesten schriftlichen Aufzeichnungen aus Hellas, dem orphischen Fragment 49, gibt die personifizierte Nacht dem Zeus den Rat, den Vater Kronos, der seinerseits bereits seinen Vater Uranos (d. h. Himmel) entthront und seine sämtlichen Kinder außer Zeus verschlungen hatte, wenn er „honigberauscht“ unter den Eichen liege, zu binden und zu entmannen. Es war also auch bei den Griechen, die schon sehr früh mit dem Wein bekanntgemacht wurden, die Urzeit als mettrinkend gedacht. Und noch in der klassischen Zeit Griechenlands waren die in Südrußland wohnenden Skythen, wie die in Mitteleuropa hausenden Barbaren den Griechen als Mettrinker bekannt. Bei diesen letzteren, die uns später als Germanen entgegentreten, war es bis ins Mittelalter hinein Pflicht des Häuptlings und Fürsten, seine Dienstmannen, wie seine Gäste, reichlich mit diesem beliebten Getränk zu bewirten.

Die Herstellung dieses Nationalgetränkes der Deutschen, wie Europäer der Urzeit überhaupt, war bis in die merowingische Zeit einfach genug. Man sott das Honigwasser, um die spätere Gärung zu beschleunigen, und stellte es dann in offenen Gefäßen zur Ausgärung hin. Von der Merowingerzeit an liebte man es mit würzigen Kräutern, besonders Salbei, zu versetzen und etwas Hefe hinzuzufügen, welch letztere nach erfolgter Wirkung wieder abgeschieden wurde. Erst im 12. Jahrhundert hat dann das höfische Leben das bis dahin noch allgemein herrschende Ansehen des Metes in Mitteleuropa zugunsten von Bier und Wein herabgedrückt, bis derselbe schließlich in ganz Süd- und Mitteldeutschland mit dem Ende des 15. Jahrhunderts völlig außer Gebrauch kam. Nur in Norddeutschland, speziell Westfalen, und in Rußland hat er sich als beliebtes Volksgetränk bis auf unsere Zeit erhalten.

Etwas jüngeren Datums, wenn auch schon sehr lange im Gebrauch, ist das Bier. Wie der aus Wildhonig bereitete Met vorzugsweise das Getränk des Jägers und Viehzüchters war, so war das Bier das Getränk des seßhaften Ackerbauers, das den Besitz von Getreide zu dessen Bereitung voraussetzt. Nach der Ernte und zu sonstigen Festzeiten wurde dann das, was man davon entbehren zu können glaubte, zur Herstellung dieses beliebten Trankes verwendet, das damals noch, wie auch der Met, so schwach an Alkoholgehalt war, daß erst größere Mengen davon berauschend wirkten.

Das Bier wurde in der Weise hergestellt, daß man das Getreide erst einweichte, bis die einzelnen Körner zu keimen begannen und aus dem Stärkemehl derselben durch Fermentwirkung Zucker entstanden war. Dann erst wurden die erweichten Körner auf der Handmühle zerquetscht und an der Sonne oder, wie das Obst, auf einer Hürde über dem Herdfeuer gedörrt, damit bei dem darauffolgenden Kochen kein Brei, sondern ein zuckerreicher Extrakt entstehe. Die durch Kochen ausgezogene Zuckerlösung wurde durch Hinzufügen des hefehaltigen Restes des letztgebrauten Bieres zum größten Teil zu Alkohol vergoren und damit war das Bier zum Trinken fertig.

Altgermanisch nannte man das Getränk alu, was zweifellos mit alan groß, kräftig werden zusammenhängt, indem man ihm, wie dies noch in geschichtlicher Zeit geschah, kräftigende Eigenschaften zuschrieb. Daher heißt das Bier heute noch in Skandinavien und Dänemark Öl, wie in England aus dem angelsächsischen ealu (altsächsisch alo) ale. Bei den Engländern heißt alehouse das Bierhaus. Ein weit jüngerer Name ist bei den Germanenstämmen das althochdeutsche bior, aus dem unsere Bezeichnung Bier sich ableitet, das durchaus nichts mit dem lateinischen bibere trinken zu tun hat, wie manche Etymologen fälschlicherweise heute noch annehmen.

Bild 43. Betrunkene Herren werden nach einem Gelage von ihren Dienern heimgetragen.
Altägyptisches Wandgemälde in Beni Hassan bei Theben. (Nach Woenig.)

Alle möglichen Getreidearten dienten und dienen heute noch den verschiedenen primitiven Völkern zur Herstellung von Bier, das zum Teil schon vor der Begründung des Ackerbaus aus wildwachsenden Getreidearten und vor der Erfindung der Töpferei durch Erhitzen mit darein geworfenen heißen Steinen bereitet wurde, wie letzteres beispielsweise bei den Letten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts noch der Fall war. Erst mit der Zeit traf man hierin eine Auswahl des Besseren und schließlich des Besten. Wie anderswo Hirsebier, so trank man noch im 12. Jahrhundert in Deutschland Hafer-, Weizen- und Gerstenbier. Wo aber schon frühzeitig vorzugsweise oder allein Gerstenbier genannt wird, so ist eben auch nur diese in Europa älteste Anbaufrucht die ursprünglich dazu benützte gewesen. Solchen Gerstentrank brauten schon die ältesten für uns nachweisbaren Ägypter. Sie nannten es haki und ließen zu seiner Herstellung, wie auch wir heute noch tun, die Gerstenkörner keimen und gewannen so aus dem Malz eine Zuckerlösung, die durch Hefegärung einen mäßigen Gehalt an Alkohol aufwies. Jedenfalls tranken sie dieses Erzeugnis gerne neben dem später aufgekommenen Wein. So mahnt der Schreiber Ani (ums Jahr 1000 v. Chr.) seinen Sohn Chunsuhotep nach einem auf uns gekommenen Papyrus: „Versitz nicht im Bierhaus die Zeit, und Übles vom Nächsten darfst du auch im Rausche nicht reden... Leicht fällst du zu Boden und brichst dir die Glieder, und keiner reicht dir die Hand zur Hilfe. Sieh deine Genossen, sie trinken und sagen. Geh heim, der du genug getrunken!...“ In einem in den Papyri Sallier und Anastasi uns erhaltenen Briefwechsel zwischen mehreren Schreibern rügt Kakabu das leichtsinnige Leben seines Kollegen Anana mit folgenden Worten: „Es ist mir gesagt worden, du verlassest das Schrifttum, du sehnst dich nach Lustbarkeiten, du gehest von Kneipe zu Kneipe. Der Biergeruch, wohin führt er? Man meide den Biergeruch, da er die Leute herunterbringt und ihren Geist benachteiligt.“ Trotz aller weiser Mahnungen muß es aber in Ägypten oft recht toll zugegangen sein und mancher schwere Rausch mit nachfolgendem Katzenjammer hat altägyptische Gelage beschlossen; denn gleich dem viel älteren Herodot, der ums Jahr 460 v. Chr. Ägypten bereiste, meldet uns der griechische Geschichtschreiber Diodoros aus Sizilien, der in der zweiten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts seine „Historische Bibliothek“ in 40 Büchern schrieb, daß das von den Ägyptern aus Gerste gebraute, als zýthos bezeichnete Bier sie so lustig mache, als ob sie Wein getrunken hätten. Und wir finden auch tatsächlich in den bildlichen Darstellungen an den Grabwänden drastische Beispiele für die Wirkung dieses Gerstensaftes. In Beni Hassan sehen wir zwei Sklaven ihren Herrn als „Bierleiche“ davontragen, und eine zweite Leiche folgt hinterher. In einem Wandgemälde des Gräberfeldes von Theben ist eine ägyptische Dame so mit Bier gefüllt, daß sie den Überschuß des aufgenommenen Getränks erbricht. Besonders ausgelassen muß es nach Herodot an den großen Festen zugegangen sein, an denen bis tief in die Nacht zu Ehren der zu feiernden Gottheit getrunken wurde. Die auf uns gekommenen griechischen Papyrusurkunden lehren uns, daß aber auch noch in späterer Zeit, als schon reichlich Wein gekeltert wurde, allenthalben in Ägypten viel Bier gebraut und getrunken wurde. Unter den prunkliebenden Ptolemäerkönigen war die Bierbrauerei sogar ein königliches Monopol, was gewiß nicht der Fall gewesen wäre, wenn der Ertrag aus diesem Gewerbe nicht sehr erklecklich gewesen wäre.

Ebensolche Biertrinker wie die Ägypter waren die nichtarischen Urbewohner Spaniens und Italiens, die Iberer und Ligurer, ebenso die arischen Stämme der Phrygier, Thrakier und Armenier. So sagt der um 25 n. Chr. verstorbene griechische Geograph Strabon: „Die Ligurer wohnen an der Südseite der Alpen, leben großenteils von der Milch ihrer Herden und trinken (bei Festlichkeiten) Gerstenbier (kríthinon póma).“ Ebenso an einer anderen Stelle: „Die Lusitanier (im heutigen Portugal) trinken Bier und nur selten Wein; statt des Öls gebrauchen sie Butter. Bei Trinkgelagen tanzen sie nach dem Takt der Flöte oder Trompete und springen dabei in die Höhe.“ Plinius dagegen sagt: „In Spanien braut man sogar ein Bier, das sich lange hält.“ Viel früher, nämlich schon ums Jahr 700 v. Chr., berichtet uns der Grieche Archilochos, daß die Phrygier und Thrakier aus Gerste und dem Würzkraut konýzē ein als brýton bezeichnetes Bier brauen und trinken. Ein anderer Grieche, Xenophon aus Athen, ein Schüler Platons, der im Jahre 400 v. Chr. als Vierzigjähriger die zehntausend Mann griechische Truppen, welche dem jüngeren Kyros gegen dessen Bruder Artaxerxes Mnemon zu Hilfe gezogen und geschlagen worden waren, durch das gebirgige Armenien ans Schwarze Meer und nach Byzanz führte, um sie von da aus zu Schiff nach Griechenland, ihrer Heimat, befördern zu lassen, berichtet in seinem über jenen strapaziösen Rückzug geschriebenen Bericht, der jedem Griechisch lernenden Schüler bekannten Anábasis, daß seine Leute, vom Karduchischen Gebirge kommend, in Dörfern rasteten, wo sie außer anderen Vorräten auch mit „Gerstenwein“ gefüllte Gefäße fanden. In ihnen habe noch die Gerste herumgeschwommen; zum Trinken aus diesem Gemisch dienten Rohrhalme, durch die man die Flüssigkeit einsog, ohne die darin befindlichen Gerstenkörner in den Mund zu bekommen. Das Getränk sei stark und berauschend gewesen, wenn man es nicht durch Zusatz von Wasser verdünnte; im übrigen aber hätten alle, die sich daran gewöhnten, diesem den weintrinkenden Griechen sonderbaren Tranke Geschmack abgewonnen.

Auch von den alten Illyriern wird uns gemeldet, daß sie ein als sabaja oder sabajun bezeichnetes Bier tranken, und von den Pannoniern berichtet uns Priscus, als er sie im Jahre 448 n. Chr. gelegentlich einer Gesandtschaftsreise besuchte, daß sie aus Gerste ein als camum bezeichnetes Getränk bereiteten. Den weitaus ältesten Bericht über das Vorkommen von Bier bei den Mitteleuropäern verdanken wir aber dem unternehmenden griechischen Kaufmanne Pytheas aus Massalia, dem heutigen Marseille, der zu Ende des 4. vorchristlichen Jahrhunderts auf seiner Fahrt um die Ostküste Europas nach dem Bernstein liefernden Norddeutschland bis in die Nordsee vordrang und uns von den dort lebenden Stämmen berichtet, daß sie kaum Gartengewächse und Haustiere besäßen, sich aber, außer von Kräutern, Beeren und Wurzeln, von angebauter Hirse nährten, aus der sie ein Getränk brauten, das neben dem aus Honig erzeugten — also dem Met — im Gebrauch sei.

Dann berichtet der griechische Geschichtschreiber Diodoros aus Sizilien von den Germanen, daß sie ein meist aus Gerste gebrautes Bier trinken. Nach ihm sagt der römische Historiker Tacitus in seiner bekannten Schrift über Germanien: „Das Getränk der Germanen wird aus Gerste und anderem Getreide gebraut und ist weinartig. Die am Rheinufer Wohnenden kaufen auch Wein. Sie trinken so gierig, daß man sie ebensogut durch Lieferung berauschender Getränke, wie durch Waffengewalt überwinden kann.“ Schon im Altertum muß die Freude am Bier- wie am älteren Metgenuß allen Germanenstämmen gemeinsam gewesen sein und kein Fest wurde ohne Gelage gefeiert, an welchem diese Getränke reichlich getrunken wurden. So erfreuen sich auch in der Edda alle Götter daran, und der Meergott Ägir ist zugleich auch himmlischer Braumeister in Walhalla. Er besitzt — als Symbolisierung des Meeresbeckens, dessen Gott er ist — einen Riesenkessel und alljährlich einmal ladet er alle Asen zu einer feierlichen Kneiperei ein. Aber in derselben Sammlung von altnordischen Volksliedern, die als ältere Edda im 12. Jahrhundert auf Island vorgenommen und niedergeschrieben wurde, wird doch auch schon vor den schädlichen Folgen des Trinkens solcher berauschender Getränke gewarnt. So stammt aus Odins, des Göttervaters Sprüchen, der Ausspruch, daß zu reichlicher Met- und Biergenuß „der Sterblichen Stamme“ nichts tauge. Vor allzu schlimmen Wirkungen sollte das Legen der „Bierrune“ oder das Tragen der Wurzel des Zauberlauches (Allium victoralis) als Amulett schützen. Damals war das Trinken von Bruderschaft, das nicht mehr wie in der Urzeit mit Blut, sondern nur mit Met oder Bier vorgenommen wurde, eine heilige Handlung, die gegenseitiges Eintreten bis zum Tode bedeutete.

Selbstverständlich war das ganze Altertum und frühe Mittelalter hindurch die Bereitung des Bieres, wie auch des älteren Metes, für die kleinen Haushaltungen der Vorzeit Sache der Hausfrau, die das Kochen und alle übrigen Hausgeschäfte besorgte. Wie der Met war auch das Bier nicht nur Gesellschafts-, sondern auch Opfertrank. Als der heilige Columbanus ums Jahr 600 zu den Alamannen kam, da opferten diese dem Wodan noch regelmäßig Met oder Bier, indem sie ihm den ersten Ausguß weihten und den Rest zu seinen Ehren tranken. Später wurde der Zins an die Kirchen und Klöster vielfach in Form von Bier — in Norddeutschland Met — bezahlt. Der römische Naturforscher Plinius der Ältere berichtet, daß das Bier in Spanien caelia oder cerea, im keltischen Gallien dagegen cervisia genannt und in beiden Ländern aus verschiedenen Getreidearten gebraut werde. Doch scheint es den an den Genuß von Wein gewöhnten Römern nicht gemundet zu haben. Auch Kaiser Julian der Abtrünnige, der es, als er während der Mitte des 4. Jahrhunderts in Gallien weilte, hier versuchte, spottet darüber in einem uns noch erhaltenen Gedicht.

Diese Kelten Galliens haben das Bier, wie auch den auch von ihnen daneben noch häufig getrunkenen Met, zuerst in aus meist eichenen Dauben hergestellten Holzbottichen bereitet und dann in aus demselben Material hergestellten Fässern mit einer kleinen, oberen Öffnung kurze Zeit aufbewahrt und transportiert. Bis dahin waren bei den Römern und Griechen, wie bei den übrigen Kulturvölkern der alten Welt, große Tonkrüge (griechisch píthos, lateinisch dolium) im Gebrauch gewesen, und diese Neuerung nahmen die umwohnenden Völker als sehr zweckmäßig bald an. So treten uns in den Darstellungen der römischen Denkmäler des 3. Jahrhunderts n. Chr. in der Moselgegend Kufe und Holzfaß der Kelten auch für Bereitung, Aufbewahrung und Transport von Wein von seiten der Römer entgegen.

Jedenfalls würde das rohe „Gegorene“, das die Kelten und Germanen in ihren Grubenwohnungen oder sonstigen primitiven Behausungen bis ins Mittelalter hinein tranken, uns heutigen, so überaus verwöhnten Europäern sehr wenig munden; denn, abgesehen von allem anderen, ist die Bierbereitung mit Zusatz von Hopfen als Würze erst nach der Zeit der Völkerwanderung aufgekommen. Zwar war es — wie wir sahen — schon bei manchen der verschiedenen bierbereitenden Völker des Altertums gebräuchlich gewesen, dem Biere noch irgend ein würziges Kraut oder herbe Eichenrinde zur Verbesserung des sonst etwas süßlichen Geschmackes dem einfachen Malzauszuge beizufügen; aber Hopfen befand sich sicher nicht darunter, obschon er damals in ganz Mitteleuropa wildwachsend angetroffen wurde und durch seine aromatisch-bitteren Fruchtähren schon früh auffallen mußte und jedenfalls auch als Heilmittel diente.

Der Zusatz von Hopfen zu Bier, um den Gerstentrank würziger und heilkräftiger, zugleich aber auch haltbarer zu gestalten, verdanken wir nach den eingehenden Untersuchungen von Kobert wohl zuerst finnisch-ugrischen Stämmen. Bei Finnen, Letten und Esthen finden wir bereits in alten Traditionen und Sagen die Kenntnis und Anwendung gehopften Bieres. So wird auch in ihrem Nationalepos Kalewala, das jahrhundertelang durch mündliche Überlieferung erhalten wurde, bis es Lönnrot sammelte und geordnet herausgab, der Hopfen als Bierwürze genannt. Von diesen Stämmen der Ostsee drang die Sitte, das Bier mit Hopfen zu würzen, langsam westlich vor. Zwischen der Zeit des Abzuges der Angeln und Sachsen von der unteren Weser und Elbe nach England im Jahre 449 und dem Aufkommen der Karolinger als Hausmeier im Frankenreiche der Merowinger im 7. Jahrhundert muß dieser Gebrauch nach Westeuropa gelangt sein. Zuerst tritt er uns in nordgallischen Klöstern um die Mitte des 8. Jahrhunderts entgegen, und es klingt wie eine verdunkelte Erinnerung an die Einführung einer solch wichtigen Neuerung, wenn seit dem Mittelalter die Sage ging, daß in der Landschaft Brabant ein König Gambrinus das Würzen des Bieres mit Hopfen erfunden habe. Nun wissen wir aus den mittelalterlichen Urkunden jener Gegend, daß die besonders in den Klöstern amtierenden Bierbrauer mittellateinisch cambarii und ihre Werkstatt, das Brauhaus, camba hieß. Aus diesem cambarius hat die geschäftige Legende einen König Gambrinus gemacht; aber dieser Erfinder des gehopften Bieres trug keine Krone, sondern den geschorenen Scheitel und die wollene Kutte eines Mönchs. Und bei den engen Verbindungen der Klöster untereinander ist es nicht zu verwundern, daß das Hopfenbier mehr und mehr in Aufnahme kam und das weniger schmackhafte und haltbare ungehopfte Bier allmählich verdrängte.

Die erste nachweisbare Erwähnung einer Hopfenpflanzung befindet sich unter der Bezeichnung humularia in einer Schenkung Pippins des Kleinen, des Sohnes Karl Martells und Vaters Karls des Großen, aus dem Jahre seines Todes 768; vierhundert Jahre später war die heilige Hildegard, Äbtissin des Klosters Rupertsberg bei Bingen (1098–1197), der erste Autor, der den Hopfen als würzenden Zusatz zu Bier nennt. Zu ihrer Zeit pflanzte man schon ziemlich Hopfen in Bayern, Franken und Niedersachsen, aber erst im 14. Jahrhundert wurde die Kultur dieser Pflanze in Deutschland von größerer Bedeutung. Während des ganzen Mittelalters trank man in den Klöstern Europas viel Bier in mancherlei Sorten wie Gersten-, Weizen- und Haferbier; das letztere scheint nach den Aufzeichnungen des Klosters St. Gallen im 10. Jahrhundert das gewöhnliche Alltagsgetränk der Mönche gewesen zu sein, und erstere müssen mehr Festgetränke gebildet haben. In den Klöstern, wohin die leibeigenen Bauern den Zehnten ihres Gewinnes an Vieh und Frucht abzugeben hatten, lernte das Volk dieses Getränk kennen und schätzen. So bildeten sich mit der Zeit in Dörfern und Städten öffentliche Bierbrauereien, deren Erzeugnisse teilweise weithin Ruf erlangten.

Neben dem Hopfen dienten damals noch alle möglichen anderen Pflanzenstoffe als Bierwürze, so besonders die Blätter von Esche, Porsch, Rosmarin und Myrte. So zählt das Hausbuch von Colerus aus dem 16. Jahrhundert an „medizinalischen Bieren“ auf: Rosen-, Wermut-, Salbei-, Beifuß-, Polei-, Isop-, Rosmarin-, Wolgemut-, Nelken-, Lavendel-, Lorbeer-, Melissen-, Kirsch-, Haselwurz-, Eichel-, Schlehen-, Himbeeren- und Hirschzungenbier. Auch von einem Honigbier melden uns bereits die Konzilienbeschlüsse von Worms aus dem Jahre 868 und Tribur 895.

Je mehr nun das Trinken des gehopften Bieres aus den Klöstern in die Laienkreise überging und besonders unter der Bürgerschaft der Städte Aufnahme fand, um so mehr suchte die Obrigkeit seine Herstellung zu regeln. So enthalten bereits die Königsurkunden der Merowinger Bestimmungen über Herstellung, Aufbewahrung und Verkauf von Bier. Nach ihnen erließen die Karolinger und die verschiedensten Herrscher des Mittelalters Verordnungen über die Fabrikation und den Ausschank dieses wichtigen Volksgetränkes. In den freien Reichsstädten wirkte jeweilen der Rat in diesem Sinne und schrieb vielfach die dazu zu verwendenden Rohstoffe vor. So ließ beispielsweise eine Verordnung der freien Reichsstadt Nürnberg vom Jahre 1290 einzig den Gebrauch der Gerste zur Bereitung von Bier zu und verbot Dinkel, Weizen, Roggen und Hafer dazu zu nehmen. Im 14. Jahrhundert taten sich die Bierbrauer in den Städten zu Zünften zusammen und wählten den mythischen König Gambrinus von Brabant zu ihrem Schutzpatron.

Während des späteren Mittelalters wurde das Bier wenigstens in Süddeutschland mehr und mehr von dem als vornehmer geltenden Weine verdrängt, bis später das haltbarere, nach besseren Braumethoden bereitete norddeutsche Bier das verlorene Terrain wieder einigermaßen eroberte. So hatte im 16. Jahrhundert das Einbeckerbier, das auch Luther mit Vorliebe trank, einen besonderen Ruf und wurde weithin versandt. Nach ihm wird das heutige Bockbier genannt. Im Jahre 1591 wurde das Münchener Hofbräuhaus eröffnet, und erst vom 17. Jahrhundert an wandte sich die bis dahin Rebbau treibende und Wein trinkende Bevölkerung Bayerns wiederum dem Biere zu. Lagerbier braut man in Deutschland seit dem 13. Jahrhundert. 1492 erfand Christian Mumme in Braunschweig das nach ihm benannte Bier, das später selbst nach Indien exportiert wurde, und 1738 kam die Gose, ein obergäriges Bier, aus dem Dessauischen nach Eutritzsch im Sächsischen. Hier erzeugte eine einzige Brauerei 30000 Hektoliter jährlich und versorgte mit seinem Erzeugnis das benachbarte Leipzig. Im Jahre 1541 wurde in Nürnberg das erste Weißbier gebraut. Sonst war das Weizenbier besonders in England beliebt, das während des ganzen 15. Jahrhunderts von dort viel nach Hamburg ausgeführt wurde. 1526 begann man es in Hamburg selbst zu brauen, ebenso seit 1572 in Berlin, wo es sich zum heutigen Weißbier entwickelte.

In England war die Anwendung des Hopfens beim Brauen von Bier bis ins 15. Jahrhundert verboten. Noch im 17. Jahrhundert erhob die Bevölkerung von London beim Parlament Beschwerde „gegen zwei der größten Übelstände ihrer Zeit“ — gegen den Steinkohlengebrauch, dessen Rauch die Luft verpeste, und gegen den Hopfenzusatz zum Biere, weil dadurch der angenehm süßliche Geschmack dieses Getränkes verdorben werde. Ale und Porter werden in England seit kaum mehr als hundert Jahren gebraut. Ersteres wurde vom Braumeister Harwood erfunden und ist hell, wird wenig gekocht, aber stark gehopft, letzteres dagegen ist dunkel und wird durch langes Kochen aus stark gedörrtem, dunkelm Malz gewonnen, ist daher recht vollmundig. Beide enthalten bis 8 und 9 Prozent Alkohol, während das gewöhnliche Bier nicht mehr als 3 bis höchstens 5 Prozent dieses Stoffes enthält.

Noch heute steht Europa unter den biererzeugenden Erdteilen mit etwa 203 Millionen Hektolitern Jahreserzeugnis weitaus an erster Stelle; dann folgen die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit 65 Millionen Hektolitern, Australien mit 2,5 Millionen, Südamerika mit 1,5 Millionen, Asien mit 0,6 Millionen und Afrika mit 0,15 Millionen Hektolitern. Von den europäischen Staaten überragt das Deutsche Reich bei einer jährlichen Produktion von annähernd 74 Millionen Hektolitern Bier — also mehr als einem Drittel der Weltproduktion (!) — die übrigen Staaten bedeutend. Ihm folgen Großbritannien und Irland mit 58 Millionen Hektolitern, Österreich-Ungarn mit 22 Millionen, Belgien mit 16,5 Millionen, Frankreich mit 14,5 Millionen, Rußland mit 6,6 Millionen, Schweden mit 3,3 Millionen, die Schweiz mit 2,6 Millionen, Dänemark und die Niederlande mit je 2,5 Millionen Hektolitern jährlich. Von den 74 Millionen Hektolitern Jahresproduktion des Deutschen Reiches entfallen auf Norddeutschland 47 Millionen, auf Süddeutschland 27 Millionen, davon auf Bayern 18,4 Millionen Hektoliter. Wenn nun auch Deutschland das meiste Bier erzeugt, so konsumiert es gleichwohl nicht am meisten, sondern kommt darin, auf den Kopf der Bevölkerung berechnet, erst an dritter Stelle. Mit einem gewaltigen Vorsprung marschieren Belgien mit 222 Litern, dann England mit 146 Litern Bierverbrauch pro Kopf der Bevölkerung jährlich. Deutschland mit 119 Litern folgen Dänemark mit 93 Litern, die Vereinigten Staaten von Amerika mit 76 Litern, die Schweiz mit 65 Litern, Schweden mit 52 Litern, Österreich-Ungarn mit 41 Litern, Frankreich mit 34 Litern, Norwegen mit 14, Rußland mit 5, Spanien mit 1,3 und Italien mit 1 Liter.

Bei den Völkern des klimatisch gesegneten Mittelmeergebietes hat von jeher der Wein den Vorzug vor dem Biere erhalten, wenn letzteres überhaupt gebräuchlich war und die Bevölkerung nicht etwa noch am altertümlicheren Mete hing. Wie den Syrern und Kleinasiaten galt auch den Griechen der Wein als weitaus das edelste aller gegorenen Getränke. Schon in homerischer Zeit, d. h. vor dem Jahre 1000 v. Chr., stand er bei den Völkern um das Ägäische Meer in allgemeinem Gebrauch und wird als eine natürliche Gabe des Landes vorausgesetzt. Brot, Wein und Kleider waren für die Menschen jener Zeit die drei ersten Lebensbedürfnisse. In der Ilias wird besonders Phrygien durch das kennzeichnende Beiwort ampeloéssa, d. h. das rebenbepflanzte, bezeichnet, und auf dem ehernen runden Schilde des Achilleus soll unter anderem auch eine Weinlese dargestellt gewesen sein. In der Odyssee werden die Gärten des Alkinoos, des Königs der Phäaken, wie auch des Odysseus als durch eine Fülle von Trauben ausgezeichnet geschildert. In seiner Heimat auf der Insel Ithaka besaß letzterer, nach den Mitteilungen im Epos, selbst ausgedehnte Rebberge, von deren Ertrag die Hirten und selbst ihre Unterknechte den Wein tranken. Und als Odysseus nach seinen langen Irrfahrten in seine Heimat zurückkehrte, wurde er von seinem getreuen „göttlichen“ Schweinehirten Eumaios mit Ferkelbraten und Wein bewirtet.

Eine Menge alter Landschafts- und Städtenamen des alten Griechenland sind vom Wein und vom Rebbau abgeleitet oder führen den kennzeichnenden Beinamen der rebenreichen als Beweis dafür, wie populär die Kultur dieser Nutzpflanze in diesem Lande schon in sehr früher Zeit war. Auch in späterer Zeit waren besonders reich an Rebbergen die kleinasiatische Küste des Ägäischen Meeres und das dahinter gelegene Land, besonders Mysien, von wo, wie Herodot berichtet, die Kunst der Weinbereitung in grauer Vorzeit zuerst zu den wilden Thrakern, den Verehrern des Kriegsgottes Ares, gelangte.

Die edle Weinrebe (Vitis vinifera) war ursprünglich nicht in diesen Gegenden heimisch, sondern sie gelangte, wie der Gott des Weines und des Natursegens überhaupt, Dionysos, dem der ferne Orient, ja Indien, die Heimat sein sollte, aus Westasien dahin, wo sie in den ausgedehnten Waldungen zwischen Kaukasus, Ararat und Taurus heute noch wildwachsend gefunden wird. Dort schlingt sie ihre aus einem bis armdick werdenden Stamme hervorsprossenden Zweige lianenartig von Baumkrone zu Baumkrone und läßt ihre im Naturzustande kleinen und etwas herben Trauben reifen, die der Mensch im Laufe der Jahrhunderte durch Kulturauslese größer, saftiger und süßer gestaltete. Dies geschah wohl zuerst irgendwo in ihrer Heimat im Berglande Armenien. Die Bezeichnung Wein, wie auch das lateinische vitis = Rebe scheint zur urindogermanischen Wurzel uei oder ui „sich winden“ zu gehören. Nach S. Schraders einleuchtender Vermutung wurzelt der Name speziell im Armenischen, von wo er sich einerseits zu den Westsemiten, andererseits über Kleinasien zu den Balkanvölkern und von da zu den Griechen verbreitete. So ist aus dem älteren uainio einesteils das semitische jáin und arabische wain, andernteils das phrygische uaina, daraus das griechische oinos und zuletzt das lateinische vinum entstanden, aus welchem dann die verschiedenen heutigen europäischen Bezeichnungen dieses Getränkes hervorgingen.

Wenn wir nun auch offenkundig den indogermanischen Stämmen Vorderasiens die Verbreitung des Namens Wein verdanken, so muß doch die Kultur des Weinstocks älter sein als sie und ist zweifellos einem vorarischen Volke zu verdanken, das aber jedenfalls kein semitisches war. Charakteristischerweise nennt auch die biblische Überlieferung keinen Semiten, sondern den gemeinsamen Ahnherrn der Semiten, Hamiten und Japhetiten als ersten Weinbauern. Es ist dies bekanntlich Noah, der sich nach der großen Flut (Sintflut, d. h. allgemeine Flut) am Fuße des Berges Ararat, unweit des armenischen Hochlandes, niedergelassen haben soll. Hier nahm er den Weinstock in Pflege und trank von dessen vergorenem Safte. „Noah aber fing an, ward ein Bauer und pflanzte Weinberge. Und da er vom Wein trank, ward er trunken und lag in der Hütte nackt.“ Da sah nun sein jüngster Sohn Ham seines Vaters Scham und sprach davon zu seinen beiden Brüdern draußen. „Da nahmen Sem und Japhet ein Gewand, legten es auf ihre beiden Schultern und gingen rücklings hinzu und deckten ihres Vaters Scham zu; und ihr Gesicht war abgewandt, damit sie ihres Vaters Scham nicht sahen. Als nun Noah erwachte von seinem Wein und erfuhr, was ihm sein kleiner Sohn getan hatte, so verfluchte er ihn und sprach: er sei ein Knecht aller Knechte unter seinen Brüdern.“ 1. Mose 9, 20–23. Auch später gehörte der Wein bei seinen Nachkommen zu den Bedürfnissen des Lebens. Als Jakob Isaak segnete, sprach er: „Gott gebe dir vom Tau des Himmels und der Fettigkeit der Erde und Korn und Wein die Fülle.“

Nach ihrer eigenen Geschichtserzählung fanden die Juden den Rebstock als längst eingeführte Kulturpflanze in Palästina vor, als sie ums Jahr 1250 v. Chr. dieses Land eroberten. Es sei hier nur an die Kundschafter erinnert, die Moses aussandte, und die dann mit Trauben von seltener Größe beladen aus dem Lande Kanaan zurückkehrten. Dort heißt es wörtlich: „Und sie kamen bis an den Bach Eskol und schnitten daselbst eine Rebe ab mit einer Traube und ließen sie zwei an einem Stecken tragen, dazu auch Granatäpfel und Feigen.“ 4. Mose 13, 24. Ferner an die Verheißung Jahves, die er seinem Volke durch Mose kundtun ließ: „Denn der Herr, dein Gott, führet dich in ein gutes Land, worinnen Bäche, Brunnen und Seen sind, die an den Bergen und durch Auen fließen, ein Land, da Weizen, Gerste, Weinstöcke, Öl-, Feigen- und Granatbäume darinnen sind, da es Öl und Honig gibt, ein Land, da du Brot genug zu essen hast und dir nichts mangelt.“ 5. Mose 8, 7 u. 8.

Solange sie selbst noch nomadische Viehzüchter waren, hatten sie für Milch und Honig als die für sie begehrenswertesten Nahrungs- und Genußmittel geschwärmt und sich auf ihrem Zuge durch die Wüste einen Wohnsitz gewünscht, der ihnen solche Herrlichkeiten in Fülle böte. Da entdeckten sie in diesem ihnen von ihrem Gotte Jahve durch Moses gelobten Lande die großbeerigen Trauben und die daraus gepreßten Vorräte von Wein, den die älteren unter ihnen von Ägypten her kannten und den sie auf ihrer langen Wüstenwanderung gewiß bitter entbehrt hatten. Sie fuhren nun fort, die eroberten Rebberge zu kultivieren und wiederum selbst, wie einst im Lande Gosen, Wein zu keltern und in großen Tonkrügen mit Ölabschluß oder in Schläuchen aufzubewahren, wie solches sie und ihre Vorfahren schon in Ägypten getan hatten. Denn im Niltale war schon zu Ende des 4. vorchristlichen Jahrtausends neben dem älteren Gerstenbier auch der Wein als Genußmittel bekannt, der, wie die Wandmalereien in den Grüften der Vornehmen jener Zeit bekunden, aus im Lande selbst gezogenen Reben gekeltert wurde. Zwar berichtet der griechische Geschichtschreiber Herodot, der um 460 v. Chr. selbst in Ägypten war, Ägypten besitze keine Weinstöcke und bringe keinen Wein hervor; auch sollte derselbe nach demselben Gewährsmann dort weder getrunken, noch zum Opfer verwendet worden sein. Aber das war zweifellos eine unrichtige Beobachtung des Griechen, der wohl nicht sehr weit im Lande herumkam und dort das gemeine Volk nur Gerstenbier trinken sah.

Die zahllosen Darstellungen an den Grabwänden der altägyptischen Totenstädte und das Bild der Weinrebe, ihrer Kultur und Ernte in den ältesten Monumenten und Papyrustexten tun uns aufs unzweideutigste kund, daß die Rebe bereits zu Beginn des 3. vorchristlichen Jahrtausends in ausgedehntem Maße in Ägypten kultiviert wurde. Die Rebe und die reife Traube hießen im Altägyptischen aruri, der Wein arp, während die unreifen Beeren gangani und die von den Trauben gelesenen und an der Sonne getrockneten Beeren, die auch mit Vorliebe den Toten mitgegeben wurden, ashep genannt wurden. Solche getrocknete Weinbeeren haben sich häufig in den altägyptischen Gräbern gefunden und wurden auch zu Opfern verwendet. Herodot berichtet uns, daß man dem beim Opfer an die Isis verbrannten Stier außer Weihrauch, Myrrhen, Honig und Feigen auch solche getrocknete Weinbeeren in den Bauch tat.

Schon durch eine der ältesten hieroglyphischen Inschriften erfahren wir von Amten, dem Oberjägermeister des Königs Snofru aus der 3. Dynastie (um 2900 v. Chr.), daß er inmitten eines großartigen Parkes einen Weingarten anlegte und daraus sehr viel Wein gewann. Bereits im alten Reiche (2980–2475 v. Chr.) werden nach den Inschriften vier Sorten Wein angeführt und nach Farbe und Ursprungsort als schwarzer, roter, weißer und nördlicher (aus dem Delta) bezeichnet. Aus dem Papyrus Harris I. erfahren wir, daß Ramses III. aus der 20. Dynastie (1200–1090 v. Chr.) nicht nur in Ober- und Unterägypten, sondern auch in den verschiedenen Oasen westlich vom Niltal Weingärten „ohne Zahl“ anlegen ließ, und namentlich dem berühmten Weinberg Ka-en-kêmet, der den ausgedehnten Gartenanlagen des großen Ammontempels in Theben angehörte, seine besondere Fürsorge widmete.

Bis in die Ptolemäerzeit lassen sich die Spuren einer fleißigen Kultur der Weinrebe in Ägypten verfolgen. Die meisten Weingärten lagen im arsinoitischen Nomos (Gau), dem heutigen Fajûm, und im Delta. So waren bei den Griechen und Römern verschiedene Weinsorten aus jenen Gegenden sehr berühmt, so der mareotische, plinthinische, taniotische, sebennitische, selonnytische, ekboladische und der von Koptos und Anthylla. Man zog die Rebe an Spalieren, in Lauben oder an Stangen. In den Wandgemälden sind die Rebstöcke rotbraun, das Laub grün und die Trauben meist dunkelblau, seltener blaßrot oder blaßviolett dargestellt. Auf einem der Gemälde in der Totenstadt Theben begießt einer der Winzer die Stöcke des Weingartens; zwei andere pflücken Trauben, noch andere tragen sie in großen Körben von dannen und ein Knabe verscheucht mit einer Holzklapper die daran zu naschen versuchenden Vögel. — Die Trauben wurden durch Austreten mit den Füßen in Holzkufen gekeltert und der ausgepreßte Saft floß seitlich durch einen mit Hahn verschließbaren Auslauf in die daneben gestellten Bottiche. Um den ausgetretenen Beeren die letzten Saftreste zu entnehmen, tat man sie in grobe Leintücher oder Bastmatten und drehte an den beiden Enden, an denen zur größeren Kraftentfaltung Holzstäbe staken. Der dabei ausfließende Saft wurde in großen, nach unten spitz auslaufenden Tongefäßen aufgefangen. Auf Grabgemälden in Beni Hassan und an andern Orten finden wir sowohl Männer als Frauen mit solchem Auspressen der Beeren beschäftigt. Zuletzt wurde der Most filtriert und in große, oft mehr als 1,5 m hohe Tonkrüge geleert, darin mit Deckeln verschlossen, versiegelt, von den Schreibern notiert und in den Vorratskammern entweder auf besondere Holzgestelle oder den Wänden entlang in langen Reihen nebeneinander aufgestellt. An diesen umfangreichen, teilweise zweihenkeligen Tonkrügen von sehr gefälliger Amphorenform wurde dann zum Schluß die Aufschrift arp, d. h. Wein angebracht. Wo verschiedene Sorten nebeneinander zur Aufbewahrung gelangten, war genau notiert, ob sie abs arp, d. h. Weißwein, tesr arp, d. h. Rotwein oder sonst eine Marke enthielten, damit keine Verwechslung möglich war. Zum täglichen Bedarfe entnahm man ihn durch Ansaugen vermittelst langer Heber und mischte ihn nach Belieben mit andern Weinsorten oder Wasser. So sehen wir auf einer Darstellung der Gräberstadt von Theben einen Schenken vermittelst dreier Heber aus Metall Wein aus drei verschiedenen kleinen Krügen, die auf einem Gestell von drei übereinander gereihten Lagen von je vier Krügen ruhen, entnehmen, um sie in einer auf einem Taburett stehenden flachen, zweihenkeligen Schale zu mischen und den Gästen beim Mahle als Trank zu reichen.

Most und Wein scheinen den alten Ägyptern vortrefflich gemundet zu haben. An einer Wand des großen Tempels zu Edfu ist der König mit einem Becher in der Hand dargestellt und die erläuternde Inschrift lautet: „Man tat Weinbeeren in das Wasser, davon trinkend sprach der König...“ In manchen altägyptischen Gedichten wird der Wein als „Seife der Sorge“ bezeichnet, und im „Liede des Harfners“ aus dem Grabe des altthebanischen Königs Entufe heißt es ermahnend: „Mit strahlendem Gesicht feiere einen frohen Tag und ruhe nicht an ihm; denn niemand nimmt seine Güter mit sich und niemand kehret wieder, der dahingegangen ist.“ Und daß man sich trotz des so weitgehenden Totenkultes die Freude am vollen Lebensgenuß nicht nehmen ließ, das zeigen die häufig zur Darstellung gelangten Trinkgemälde an den Wänden altägyptischer Gräber. Andere weisen die Folgen solcher Trinkgelage auf. So tragen in einem Grabgemälde von Beni Hassan zwei Sklaven ihren sinnlos betrunkenen Herrn an Kopf und Füßen gefaßt von einem Trinkgelage heim. Ihnen folgen drei andere, über deren Köpfen regungslos ausgestreckt der Körper seines Kumpanen liegt. Der erste der Diener hält mit der einen Hand das schwer herabhängende Haupt des Gebieters. Neben Gelagen von Männern der obersten Gesellschaftskreise finden wir auch solche von Damen dargestellt. So führt uns ein Wandgemälde zu El kab in eine mit Lotosblüten geschmückte zahlreiche Damengesellschaft. Der Knabe, welcher die munteren Schönen bedient, reicht einer derselben eine flache, mit Wein gefüllte Trinkschale und spricht: „Trinke bis zum Rausche und feiere einen guten Tag; merke auf die Worte deiner Nachbarin. Werde nicht müde.“ Einer andern Dame braucht diese Aufforderung nicht erst gesagt zu werden. Sie ruft dem kleinen Diener zu: „Reiche mir 18 Becher mit Wein. Siehe, ich sehne mich nach einem Rausche! Die Stätte, an der ich weile, ist von Stroh!“ Aus solchen und andern Äußerungen des ägyptischen Volksgeistes ersieht man, daß man damals selbst an der Stätte des Todes den derben Humor nicht scheute.

Auf einem Grabgemälde der Totenstadt Thebens werden bei einem Gelage mehrere Weinsorten gemischt und wir sehen zur Entnahme des Weines mehrere lange Heber in Funktion, deren einer vom Diener eben an den Mund gesetzt wird, um durch Ansaugen die Luft darin zu verdünnen und den Inhalt eines Kruges zum Herausfließen zu bringen. An den großen Festen zu Ehren der Götter floß der Wein in Strömen, so besonders bei der Techu(d. h. Volltrink)feier und an dem bacchanalischen Bubastisfeste, das man mit großen Opfern, Schwelgereien und sehr ausgelassenen, uns sittenlos vorkommenden Aufführungen beging und an welchem, wie Herodot berichtet, an einem Tage mehr Wein getrunken wurde, als während des ganzen übrigen Jahres zusammengenommen.

In den langen an den Tempelwänden verzeichneten Geschenklisten der Pharaonen bilden unter den liegenden Gütern auch Weinberge und Baumgärten, wie auch Krüge mit Wein eine nicht unbedeutende Rolle. So schenkte nach dem Papyrus Harris Ramses VII. (um 1100 v. Chr.) den Tempeln Ober- und Unterägyptens insgesamt 514 Weinberge und Baumgärten, und während seiner 31jährigen Regierungszeit wurden von ihm 28080 Krüge Wein für die Priester außer 228380 Krügen Rebensaft für die Opferfonds gestiftet. Gaben an Wein nebst Brot, Kuchen und Fleisch von Haustieren, besonders Gänsen, fehlten keinem Opfer, sei es an die Himmlischen, sei es an die Geister vornehmer Verstorbener. Solchen Totenopfern verdanken wir auch die Reste von Weintrauben, die mehrfach in Form von zusammengeschrumpften schwärzlichen Rosinen von holziger Beschaffenheit, teilweise noch mit dem bläulichen Wachsüberzug bedeckt, auf uns gekommen sind. In manchen derselben konnte noch der einst beim Trocknen ausgeschiedene Traubenzucker nachgewiesen werden.

Wie der Weinbau bereits zu Ende des 4. vorchristlichen Jahrtausends aus dem mesopotamischen Hochlande über Mesopotamien und Syrien nach Ägypten gelangt war, so wanderte er etwas später durch ganz Kleinasien, und gelangte schließlich an die Ostküste und auf die Inseln des Ägäischen Meeres, wo er um die Mitte des 2. vorchristlichen Jahrtausends bereits eingeführt war. Auch die Mykenäer pflanzten schon Reben, wie uns die Traubenkerne beweisen, die in den Ruinen der mykenischen Burgen von Tiryns im Peloponnes und von Troja am Hellespont aus dem 16. und 15. vorchristlichen Jahrhundert gefunden wurden. Immerhin beweist uns ihre auffallende Kleinheit, daß die damals von ihnen gepflanzte Rebe noch recht kleinbeerig und wenig durch Kultur veredelt war. Dasselbe beweisen auch die Reihen mächtiger, von den Griechen pithoi genannter Vorratskrüge aus gebranntem Ton in den Palästen von Knosos und anderer Herrensitze aus mykenischer Zeit auf der Insel Kreta, die außer für Getreide und Öl jedenfalls auch ganz besonders zur Aufbewahrung von Wein gedient haben werden.

Die Kultur der Rebe scheint auf zwei verschiedenen Wegen nach Griechenland gelangt zu sein. Der eine, ältere ging, wie erwähnt, über Kleinasien und Thrakien, von woher die Griechen den Weinbau und den damit zusammenhängenden Dionysoskult erhalten haben wollen. Von solchen Reben an der thrakischen Küste bereiteten Wein tranken nach Homer die Griechen bei der Belagerung Trojas, die ihn nach den Angaben in der Ilias beim Genusse nicht weniger als zwanzigfach mit Wasser verdünnt genossen. Der andere, jüngere Weg führte der Südküste Kleinasiens entlang über die Inseln Kreta, Naxos und Chios, die ebenfalls mit dem Dionysoskult in engerer Verbindung standen, nach dem griechischen Festlande. Auf diesem letzteren scheinen die schiffahrtkundigen Phönikier in erster Linie die Vermittler gewesen zu sein.

Besonders berühmt war im alten Griechenland der pramnische Wein vom Berge Pramne auf der Insel Ikaros und der maroneische von der thrakischen Küste, dann diejenigen der Inseln Lesbos, Kos und Thrasos. Doch würden sie wahrscheinlich unseren Beifall nicht ganz gefunden haben, da man sie nach uralter Sitte durch Zusatz von Harz der Aleppokiefer (Pinus maritima) haltbar zu machen suchte; deshalb bildet ein Tannenzapfen den Knauf des rebenumwundenen Thyrsosstabes, den die Bacchanten am Feste des Gottes Dionysos mit Weinlaub bekränzt schwangen.

Schon bei den Griechen haben sich eine Menge Sitten und Gebräuche an die geselligen, mit Weingelagen einhergehenden Zusammenkünfte geknüpft. Das Präsidium besaß der symposiárchos, der die Sitzung leitete und das Zutrinken bewachte. Den ersten Schluck brachte man dem Weingotte Dionysos selbst dar, den zweiten dem Göttervater Zeus, den dritten der Gesundheit und den vierten dem Götterboten Hermes, dem Herrn der Nacht, dem Spender des Schlafes und der süßen Träume. Dabei bekränzte man sich mit Weinlaub und Rosen und erfreute sich dabei der vollkommensten Redefreiheit, die denn auch bei dem witzigen, geistreichen Volke gehörig ausgenutzt wurde.

Mit der ausgedehnten griechischen Koloniengründung kam der Weinstock und sein Anbau sehr früh auch nach Sizilien und Unteritalien und von da in der Folge zu den damals noch auf Mittelitalien beschränkten Römern, die aus dem Akkusativ des griechischen oínon den Namen vinum für Wein bildeten. Bevor die Römer durch die unteritalischen Griechen mit diesem Getränke bekannt gemacht wurden, kannten sie als Getränk außer Wasser nur die Milch der Herdentiere, welche auch die ältesten uns bekannt gewordenen Opfersatzungen dieses Volkes den Göttern zu opfern geboten. Wenn auch nicht besonders angeführt, wird auch Met bei festlichen Anlässen getrunken worden sein, Bier dagegen fehlte. Während aber noch Romulus den Göttern Milch als das vornehmste Getränk opferte, verbot schon Numa Pompilius, der zweite König von Rom, der von 715–672 v. Chr. geherrscht haben soll, bei den Totenfeiern den Holzstoß, auf dem die Leichen verbrannt wurden, mit dem aus Großgriechenland importierten Wein zu besprengen.

In Unteritalien gedieh die Rebe so üppig, daß schon Herodot im 5. vorchristlichen Jahrhundert diesem Lande die Bezeichnung Oinótria, d. h. Land der Weinpfähle gab, weil hier die Weinstöcke an Pfählen gezogen wurden, im Gegensatz zu den Landschaften, wo sie an Bäumen emporwuchsen, wie in Etrurien und Campanien, dem Gebiete des alten Kulturvolkes der Etrusker oder Tusker, oder ohne Stütze kurz und niedrig gehalten wurden, wie im südlichen Gallien und Spanien, wohin die Rebe vielleicht schon durch die handeltreibenden und ebenfalls noch vor den Griechenstämmen Kolonien gründenden Phönikier gelangte. In Latium, wo die Rebenkultur erst im Jahre 180 v. Chr. soll in Aufnahme gekommen sein, untersagten die früheren römischen Gesetze Frauen überhaupt und Männern vor dem 25. Jahre Wein zu genießen. Später aber war man darin viel nachsichtiger, wie dies bei den Griechen Sitte war. Zu Ende der Republik werden uns in Mittelitalien die Landschaften Campanien und Picenum als besonders weinreich geschildert. Auch in die Gegenden um die Pomündungen muß der Weinstock mit dem griechischen Seeverkehr schon früh gekommen sein, so weit der niedrige, leicht Überschwemmungen ausgesetzte Boden diese Kultur gestattete. Mit Recht verwundert sich der im letzten vorchristlichen Jahrhundert in Italien lebende griechische Geograph Strabon über das merkwürdige Zusammentreffen der dortigen Sümpfe mit überaus reichem Weinbau. Tatsächlich war der Wein zur römischen Kaiserzeit in Ravenna wohlfeiler als Wasser, so daß der ums Jahr 102 n. Chr. verstorbene bissige römische Dichter Martialis in einem bekannten Epigramm meinte, er möchte daselbst lieber eine Zisterne mit Wasser als einen Weinberg besitzen, und sich beklagt, ein betrügerischer Schankwirt jener Stadt habe ihm einst reinen Wein, statt den von ihm verlangten mit Wasser vermischten verkauft.

Es galt nämlich sowohl bei den Griechen, als auch bei den Römern der früheren Zeit für unfein und war deshalb verpönt, den Wein, weil ziemlich stark, pur zu trinken. Man verdünnte ihn deshalb stets reichlich mit Wasser. Erst in späterer Zeit, als die Sitten üppiger wurden, begann man vielfach unverdünnten Wein zu trinken. Dabei kühlte man den Wein auf Eis, versetzte ihn gerne mit Gewürzen und fing an nach alten Jahrgängen zu trachten. Bei den prunkvollen Gastmählern der Vornehmen Roms mußte schon acht- bis zehnjähriger Wein aufgetischt werden, um geschätzt zu werden. Aber noch viel älteren, selbst zweihundertjährigen Wein gab es damals. So mundete dem im größten Luxus aufgewachsenen Kaiser Caligula, der von 37 bis 41 n. Chr. regierte, vornehmlich Wein vom Jahre 121 v. Chr., dem besten Jahrgange, den Italien jemals erlebt hatte. Dieser vor allen geschätzte Wein wurde der opimische genannt, weil damals Opimius Konsul war. Es war dies übrigens das verhängnisvolle Jahr, in welchem der letzte der Gracchen, Gajus, wegen der mit seinem Bruder Tiberius veranlaßten Äckerverteilungen zugunsten der ärmeren Bürger, einen gewaltsamen Tod fand. Selbstverständlich war das kein billiger Wein; denn nach dem Berichte des älteren Plinius kam eine Amphore solchen Weines auf mehr als 240000 Mark zu stehen. Da nun die Amphore 20 Liter faßte, so kostete also der Liter dieses berühmten opimischen Weines nicht weniger als 12000 Mark. Ein Genuß, den sich allerdings nur die Allerreichsten der reichen Römer leisten konnten. Daß es aber damals überhaupt so alte Jahrgänge gab, beweist, daß man sich also im Altertum weit besser auf die Konservierung von Wein verstand als im modernen Italien, dessen Weine kaum eine einjährige Aufbewahrung zulassen. Zu solchem Zwecke versetzte man ihn mit dem Harz der Strandkiefer, mit Gips oder Ton, auch Marmor- und Kalkstaub — letzteres, um ihm die Säure zu nehmen —, oder man kochte ihn ein, vielfach mit Zusatz von wohlriechenden Kräutern. Der ältere Plinius rühmt speziell das Anmachen des Weins mit Seewasser als für den Magen besonders heilsam.

Hatte zunächst in der alten Kulturwelt Griechenland lange Zeit hindurch ein Monopol mit seinen Weinen ausgeübt, so übernahm ein solches mit dem Beginne der christlichen Zeitrechnung das durch die römische Weltherrschaft mächtig gewordene Italien. Zur Zeit des älteren Plinius um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. gehörten von den 80 berühmtesten Weinlagen der damaligen Kulturwelt mehr als zwei Drittel der italienischen Halbinsel an, die durch diesen ihren Reichtum den Sieg über die Pflanzenschätze aller Länder davontrug mit alleiniger Ausnahme der Gewürzpflanzenländer. „Es ist aber,“ fährt Plinius fort, „wenn der Weinstock in Blüte steht, kein Duft lieblicher als seiner.“ Der Dichter Horaz, den Maecenas, der Freund des Kaisers Augustus, protegierte und dem er ein Gütchen im Sabinerlande schenkte — woher das Wort Mäcen die Bedeutung von Beschützer und Gönner der Künste und Wissenschaften erhielt —, hat in seinen Gedichten, die von allen gebildeten Römern gelesen wurden, dem Falernerwein vom ager Falernus im nordwestlichen Campanien, dessen vorzüglichste Marke der Massiker war, eine Reklame gemacht, die dem wirklichen Werte des Weines durchaus nicht entsprach. Nach allgemeinem Urteil des Gourmets des alten Rom war der Cäcuber an der Küste besser; doch verschwand er zu ihrem Leidwesen, als Kaiser Nero zwischen Bajä und Ostia einen Kanal graben ließ. Als Tischwein zog Kaiser Augustus allen andern denjenigen von Setia vor, den auch seine Nachfolger auf dem Throne der Cäsaren begünstigten „weil die Erfahrung lehrte, daß man von diesem Wein keine üblen Folgen zu befürchten hat“. Livia dagegen, die Gattin des Augustus, schrieb ihre körperliche Frische, die sie bis zu ihrem 86. Lebensjahre bewahrte, dem Umstande zu, daß sie sich täglich an Pucinerwein erlabte. Man rühmte im alten Rom auch die Vorzüge des Weines von Surrentum (dem heutigen Sorrent bei Neapel); doch erklärte Kaiser Tiberius diesen Wein für einen ganz gemeinen Essig, der seinen Ruf nur der bezahlten Lobpreisung einer Ärzteklique verdanke. Außer dem Surrentiner und Cäcuber erklärte Columella den Massiker und Albaner für die edelsten Weine der damaligen Welt. Der erstere wuchs in der Nähe Neapels, der letztere dagegen in der Nähe Roms. Julius Cäsar soll der erste gewesen sein, der seinen Gästen zu einer Mahlzeit vier verschiedene Weine vorsetzte. Seit jener Zeit wollte jeder reiche Römer einen wohlassortierten Weinkeller besitzen und suchte einer den andern mit feinen Marken zu überbieten, für die teilweise, wie wir beim alten opimischen Wein sahen, fabelhafte Preise bezahlt wurden.

Wie zu Ende der Republik Italien geradezu ein Weinland geworden war, das Wein ausführte, aber Getreide einführte, so gedieh die von kleinasiatischen Griechen schon im 7. vorchristlichen Jahrhundert nach Spanien gebrachte Rebe auch in diesem Lande vortrefflich. Nach Plinius war der hispanische Wein auch in Rom sehr beliebt, ebenso der aus dem südlichen Gallien stammende. Um ihn haltbarer zu machen, pflegte man die Tonkrüge, in denen man ihn aufbewahrte, nach orientalischer und griechischer Sitte in Rauchkammern zu räuchern oder mit Terpentin oder Mastix zu versetzen. Solchem Weine würden wir heute ebenso wenig Geschmack abgewinnen, als solchem der mit Meerwasser versetzt war, wie dies besonders in Kleinasien und Griechenland geschah, ein Verfahren, das Plinius als für den Magen heilsam bezeichnete. Auch die uralte Sitte, den Wein in innen geharzten Ziegenschläuchen zu transportieren, würde kaum unsern Beifall gefunden haben, da er dadurch einen widerlichen, bockigen Beigeschmack erhielt.

In Frankreich, dem heute vorzugsweise Weinbau treibenden Lande, hat um die altgriechische Kolonie Massalia herum, der erste Rebberg gestanden. Hierher brachten, wenn nicht schon die Phönikier, so jedenfalls die Phokäer ums Jahr 600 v. Chr. die Rebe. Jedenfalls war die Art ihres Anbaues, die aus der griechischen Mutterstadt in Kleinasien — etwas nördlich von Smyrna gelegen — mitgebrachte ohne Stützen und Pfähle. Von jener ältesten Pflanzstätte des Weinbaues in Gallien verbreitete sich diese Kultur längs der Küste, zunächst um die befestigten Ansiedelungen herum. Und bald waren die umwohnenden Ligurer auf dieses neue, wohlschmeckende Genußmittel erpicht, das sie im Tauschhandel gegen die Rohprodukte ihres Landes, hauptsächlich um Vieh, Häute und Getreide erstanden. Aber nur die Wohlhabenden konnten sich diesen Luxus gestatten, während die Ärmeren notgedrungen bei ihrem altgewohnten Gerstenbier verblieben.

Von der Küste drang nun der Wein und seine Kultur, wie auch gleichzeitig diejenige des ebenfalls von den Griechen angebauten Ölbaumes, zunächst dem Rhonetal folgend, immer weiter ins Innere Galliens vor, so daß die Römer, die nicht bloß ein Krieger-, sondern auch ein höchst eigennütziges Kaufmannsvolk waren, bald für ihre Ausfuhr an Wein und Öl in jenes Land zu fürchten begannen und den von ihnen besiegten transalpinen Galliern die Enthaltung von Öl- und Weinbau als Friedensbedingung auferlegten. Die Folge davon war, daß immer noch eine starke Einfuhr von italischem Wein über das inzwischen von den Römern unterjochte Massalia stattfand, als nach den Siegen über die Allobroger und Arverner die Gegend zwischen Pyrenäen, Cevennen und Alpen zur römischen Provinz Gallia narbonensis erhoben wurde. Als dann Cäsar um die Mitte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts das ganze übrige Gallien bis zur Nordsee und zum Rhein eroberte, drang mit der römischen Kultur auch der Weinbau immer mehr nach Norden und Westen vor.

So war schon zu Ende des 1. christlichen Jahrhunderts nicht nur das südliche Gallien im Gebiete der Rhone und Garonne, sondern auch das nördliche im Bereiche der Saône und Mosel ein eigentliches Weinland mit besonderen Trauben- und Weinsorten, welch letztere nicht nur bei den Germanenstämmen, sondern vielfach auch in Italien selbst Anklang fanden und in ziemlichen Mengen dahin exportiert wurden, obschon sie durch künstliche Behandlung mit Harz zur besseren Haltbarkeit einen nach unseren Begriffen jedenfalls nicht sehr angenehmen Geschmack danach besaßen. Solche anerkannt gute gallische Weine waren nach dem älteren Plinius diejenigen der Gallia narbonensis, die schon Cäsar rühmte, dann diejenigen der Bituriger (die Vorläufer des heutigen Bordeauxweines), der arvernische (der Auvergne) und der bäternanische (von Frontignac).

Um nun den italienischen Weinbau gegen die Konkurrenz hauptsächlich der gallischen Weine zu schützen, erließ Kaiser Domitian, der von 81–96 n. Chr. regierte, eine Verordnung zur Einschränkung der Weinkultur in den Provinzen; zugleich ließ er die Hälfte der gallischen Weinberge zerstören. Erst Kaiser Probus, der von 276–282 die Herrschaft inne hatte, hob im Jahre 280 diese Verfügung für Gallien, Spanien und Britannien auf und ließ in Gallien, Pannonien und Mösien zu den alten zahlreiche neue Rebberge anlegen. Unter Aurelian und den Antoninen wurde die Côte d’or in Westfrankreich mit Reben bepflanzt, woher die Weine jener Gegend noch heute nach den Römern Romané heißen.

Vom 2. nachchristlichen Jahrhundert an war die Moselgegend ein Zentrum des Weinbaus im nördlichen Gallien, das das Erzeugnis seiner Reben in Holzfässern, wie uns verschiedene Abbildungen aus römischen Denkmälern jener Zeit lehren, auf Schiffen und Wagen weithin ausführte. Es war dies gegenüber den sonst von den Römern gebrauchten tönernen Gefäßen, den Dolien und Amphoren, in denen der Wein durch eine Schicht Olivenöl, wie heute noch der Chianti, von der atmosphärischen Luft abgeschlossen wurde, eine wichtige Neuerung, die seinem Transport in entferntere Gegenden sehr zugute kam. Im 4. Jahrhundert entwirft uns der römische Dichter Ausonius von Burdigala (Bordeaux) in seinem Gedichte Mosella ein malerisches Bild von den rebenbepflanzten Hügeln der Moselgegend, die ihn an die Umgebung seiner Heimat Bordeaux erinnern; sie trugen in theaterartig ansteigendem Aufbau bis zum obersten Gipfel hinauf die grünenden Ranken und süßen Früchte. Noch Venantius Fortunatus in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts stellt dem in Wogen rauschenden Rhein die traubenreiche Mosel gegenüber. Von Trier bis Koblenz scheinen damals alle besseren, sonnigen Lagen mit Rebbergen bestanden gewesen zu sein.

Unter den merowingischen Königen, die auf ein gutes und reichliches Weinlager hielten und Naturlieferung von Wein als Steuer forderten, wie uns der fränkische Geschichtschreiber Gregor von Tours (540–594) berichtet — so setzte König Chilperich fest, daß jeder Besitzer von Grund und Boden eine Amphora Weines auf jede aripennis Land gebe —, griff der Weinbau im nördlichen Gallien immer weiter um sich. Seit dem 6. und 7. Jahrhundert haben wir zerstreute Zeugnisse dafür, die mit den Zeiten der Karolinger immer häufiger werden. So meldet Gregor von Tours von Bischöfen, wie z. B. Nicetius von Lyon, und Herzögen, wie Chrodin von Dijon, daß sie mit Anlegen und Verbessern von Weinbergen dem Volke als leuchtendes Beispiel vorangingen. Das salische Gesetz schützte solche bereits durch Strafbestimmungen und setzte für die Winzer, wie für andere kunstfertige unfreie Diener, auch ein höheres Wergeld fest.

Von der Moselgegend erhielten wohl die Germanen zuerst den römischen Wein und damit auch den lateinischen Namen dafür, der althochdeutsch vîn lautet und männlich ist, wie dies hier in Gallien der Fall war, in dessen Sprachgebrauch das Neutrum früh verloren ging. Aber erst nach dem Untergange der Römerherrschaft empfingen sie auch die Rebe und alle Gerätschaften und Bezeichnungen, die die Römer für deren Kultur besessen hatten. Vor allem aber diente ihnen die aus eichenen Dauben hergestellte Kufe (cupa) und das Faß keltischen Ursprungs bei der Weinbereitung. Solche Behälter sind aber, wie die Erfahrung der Weinbauern lehrte, um so besser, je älter sie sind. Frisch hergestellt sind sie nicht gut zu gebrauchen; sie müssen vielmehr zur ausgiebigen Auslaugung der löslichen Bestandteile des Holzes, die dem Wein sehr schlecht bekommen, zunächst ein halbes Dutzend mal mit kaltem Wasser, das man geraume Zeit in ihnen stehen läßt, behandelt und dann ebenso oft mit heißem Wasser ausgebrüht werden. Aber auch dann wird kein guter Edelwein in solchen frischen Fässern aufbewahrt, sondern eine minderwertige Sorte, mit der sich das Holz sättigen kann, wodurch es erst die Fähigkeit verliert, noch irgend welche lösliche Bestandteile an den in ihnen lagernden Wein abzugeben.

Form und Bestandteile, die das von den Kelten Galliens übernommene Faß beim römischen Weinbau an der Mosel besaß, sind ihm später geblieben, als der Weinbau und die Kunst der Weinbereitung in Gärkellern zunächst von den Klöstern übernommen wurde. In ihnen blühte demgemäß auch die Böttcherei. Der unter Abt Gozbert zwischen 816 und 832 angefertigte Grundriß des Klosters von St. Gallen zeigt im Bier- und Weinhaus große und kleine Fässer, die auf starken Balkenlagen liegen, und der 973 verstorbene St. Galler Mönch Ekkehard I., der Verfasser des auf alte deutsche Heldenlieder zurückgehenden, in lateinischen Hexametern geschriebenen Walthariliedes und Onkel des aus Scheffels Roman bekannten Ekkehard II., redet von einem Ordensbruder, der mit geschwungener Axt die Reifen aus Weidenholz vom Fasse lösen wollte. Aber unbequem waren diese alten Fässer insofern, als sie nur eine obere Öffnung zum Ein- und Ausfüllen besaßen. Erst allmählich sah man ein, daß es praktischer sei, auch dem Faßboden an seiner vorderen, unteren Stelle eine kleine Öffnung zum Abfüllen zu geben. Dieses Loch wurde mit einem Holzzapfen geschlossen. Erst im 15. Jahrhundert wurde zum Ablassen eine hölzerne Röhre mit drehbarem Hahn gebräuchlich, eine Vorrichtung, die sich ohne große Änderung bis heute erhielt. Für die Leistungen der Böttcherei im 16. Jahrhundert, um dies hier noch zu erwähnen, reden gewisse Riesenfässer, von denen das 1591 unter Kurfürst Johann Kasimir erbaute große Faß auf der Burg in Heidelberg den größten Ruhm erlangte. Der Kurfürst Karl Ludwig ließ 1664 ein neues Faß aufstellen, das dann Karl Theodor 1751 durch das jetzt noch vorhandene 221726 Liter haltende berühmte Faß ersetzte.

Kehren wir nach dieser kurzen Abschweifung technischer Art zur Einführung des Weinbaus in Deutschland zurück, so muß hier bemerkt werden, daß ein solcher auf deutschem Boden im Rheintal zunächst nur in der Umgebung der römischen Kastelle und späteren Pfalzen von Bingen bis Sinzig am linken Ufer des Stromes betrieben wurde. Gregor von Tours bezeugt uns zum Jahre 589 Weinberge bei Zabern und eine Urkunde von 613 Weinbau um Straßburg. Später berichtet Venantius Fortunatus von ausgedehnten Weinbergen bei Andernach, die auf dem rechten Rheinufer gelegen haben müssen. Der Mönch Regino hebt im Jahre 885 Koblenz, Andernach und Sinzig als Stapelplätze für den einheimischen Wein hervor. Später waren Regensburg, Nürnberg, Bacharach und Köln bedeutende Weinhandelsplätze.

Bild 44. Treten der Trauben mit den nackten Füßen und Weinkelter.
Nach einem Baseler Holzschnitt von 1548.

Schon im letzten vorchristlichen Jahrhundert war der Weinbau nach dem Veltlin und Südtirol vorgedrungen. Die dort gekelterten rätischen Weine waren nach dem Dichter Vergil, der ihnen nur den Falerner vorzog, das Lieblingsgetränk des Kaisers Augustus. Kaiser Probus, der von 276–282 regierte, ließ griechische Reben nach Pannonien, Syrmien und in die Südtäler der Karpathen bringen und dort anpflanzen. Von Rätien wanderte die Rebe nach Noricum und Pannonien. In Noricum, südlich der Donaulinie, erbaute sich der heilige Severin im 5. Jahrhundert an einem entlegenen Orte, bei den Weinbergen genannt, eine Zelle, in welcher er als Klausner lebte. Nördlich der Donau sind die ersten Weinberge im 7. Jahrhundert bezeugt. Bis zum 10. Jahrhundert hatten sie in Bayern eine ziemlich große Ausdehnung erlangt. Im Laufe des 8. Jahrhunderts bürgerte sich der Weinbau im württembergischen Unterland um Heilbronn ein, und im 9. Jahrhundert finden wir ihn in Franken um die alte Bischofsstadt Würzburg, ebenso in Böhmen und Mähren verbreitet. Im 10. Jahrhundert war er über Hessen nach Thüringen, wo ihn im Hildesheimischen besonders der kunstsinnige Bischof Bernwart begünstigte, und gegen Ende desselben bis in die Gebiete von Werra, Saale und Unstrut vorgedrungen. Urkunden vom Jahre 973 melden uns an letzteren Orten von Weinbergen. Im 11. Jahrhundert gelangte der Weinbau nach Schlesien, Brandenburg und Pommern und im 12. durch die Ritter des deutschen Ordens sogar nach Holstein und Ostpreußen, wo er allerdings bald wieder als unrentabel aufgegeben wurde.

Erst im 10. und 11. Jahrhundert wurden nach den auf uns gekommenen Urkunden die heute so berühmte Weinsorten liefernden Steilgehänge am rechten Rheinufer zwischen Mainz und Bingen mit Terrassenbau für die Rebenkultur in Angriff genommen. Von solchen darauf gewonnenen Weinen wird besonders der Deidesheimer, Heppenheimer, Rüdesheimer, Asmannshauser und Niersteiner hervorgehoben. Von Elsässerweinen, die im Mittelalter sich in Deutschland besonderer Wertschätzung erfreuten, wird von einem St. Galler Mönche der Sigoltsheimer als stark und anfeuernd gerühmt. In der Förderung des Weinbaus gingen überall die Klöster als Haupterben der altrömischen Kultur den Laienkreisen voran; es geschah dies schon aus dem Grunde, weil sie den Wein zu rituellen Zwecken benutzten. Da sie ihn zum Abendmahle nötig hatten, ließen sie sich dessen Anbau überall, wo sie Fuß faßten, angelegen sein. Ihnen folgten dann zunächst die großen Grundherren, die es vorzogen, den Wein durch ihre Hörigen selbst zu erzeugen, statt ihn wie bisher zu teurem Preise aus Gallien zu beziehen; und erst viel später begannen auch Bürger der Städte wie Bauern, die sich bis dahin an Met und Bier erlabt hatten, sich in geeigneten Lagen eigene Rebberge anzulegen, um bei festlichen Anlässen wie die Vornehmen Wein trinken zu können; denn bis dahin hatten sie schon wegen der hohen Transportkosten nicht daran denken können, es hierin jenen gleich zu tun.

Aber dieses deutsche Eigengewächs war in den meisten Fällen recht herb und sauer, im Gegensatz zum feuerigen, milden, ausländischen Weine. Deshalb pflegte man solches das ganze Mittelalter hindurch durch Zusatz von allerlei würzigen Kräutern trinkbarer zu machen. Als solche aromatische Zusätze nennen uns schon die altrömischen Schriftsteller, so Columella im ersten nachchristlichen Jahrhundert, Wermut, Isop, Stabwurz, Thymian, Fenchel, Polei und Myrte. Im Mittelalter dagegen sind Wermut, Rosmarin, Salbei, Alant, Lavendel, Pimpernell, Fenchel, Pfeffer- und Frauenminze die gebräuchlichsten. Im Jahre 854 rät der Mönch Wandalbertus, Diakon der Benediktinerabtei Prüm in der Eifel, ein Rheinländer von Geburt, in einem kürzlich von ihm aufgefundenen lateinischen Gedicht über den Kreislauf der Jahreszeiten „den herben Wein mit duftigen Kräutern zu versetzen, die die Fluren zu allerlei Arznei hervorsprießen lassen und sich damit im voraus gegen die Giftkräutlein der tückischen Stiefmütter zu sichern“. So hat man das ganze Mittelalter hindurch solchen Kräuterwein als beliebten Gesundheitstrank getrunken. Welche Wertschätzung derselbe genoß, zeigt der Refrain eines einst viel gesungenen mittelalterlichen Trinkliedes, der folgendermaßen lautet:

„Er setzt das gleslein für sein mund, krauseminte, er trank es ausz bisz auf den grund, salveie, poleie, die blümlein an der heiden, krauseminte!“

Seit uralter Zeit war es im Orient, wo man Wohlgerüche auch in Speisen überaus hochschätzte, Sitte gewesen, den Wein mit Würzkräutern und duftigen Blüten zu versetzen. Die gebräuchlichsten solcher Zusätze, um ihn zu parfümieren, waren Mastix und Myrrhen; später fanden besonders Gewürznelken und Pfeffer Verwendung, die wie den römischen Zungen des Altertums, so auch den deutschen des Mittelalters durch ihre Stärke vornehmlich zusagten.

Die vornehmen Römer der Kaiserzeit ließen bei ihren Gastmählern die von ihnen bevorzugten alten Jahrgänge des Falerners und Cäcubers durch Rosenfilter gießen, um ihm den von ihnen so geschätzten Duft nach jenen Blüten zu geben, wie im Orient mit Rosen parfümierter Sirup und andere Süßigkeit von alters her beliebt waren. Und wenn die vornehmen Römer und Griechen bei ihren Gelagen begannen berauscht zu werden, so entblätterten sie den ihr Haupt schmückenden Rosenkranz, um die wohlriechenden Rosenblätter in den Wein zu schütten. Mit den aus Indien bezogenen Gewürzen bereiteten sie den vinum pigmentatum oder claratum. Diese letztere Bezeichnung führte er von der Klärung her, die man ihm zum Schlusse angedeihen ließ, um ihm ein recht appetitliches Aussehen zu geben.

Tafel 77.

Hydraulische Kelter zum Pressen des Weines.

Moderne Weinfässer aus Zement mit Glaswänden.
(Weingut Dürkheim der Weinhandlung Heinrich Eckel & Cie. in München.)

Tafel 78.

Faune im Geleite des Weingottes Bacchus.
(Nach einem Gemälde von P. P. Rubens in der alten Pinakothek in München.)

Degorgieren des Champagners.

Einen womöglich noch köstlicheren Blütennektar bereiteten sich die Muhammedaner im Scherbet (vom arabischen scharab Trank so genannt), den sie durch Abkochen von Rosen-, Veilchen-, Zitronen- und anderen wohlriechenden Blüten in mit säuerlichem Limonensaft versetztem Zuckerwasser bereiteten. Schon Muhammed hat einen solchen aus Honig und wohlriechenden Blüten hergestellten Trank über alle anderen Genüsse gestellt. Da er seinen Anhängern den Genuß des Weines als entnervend verboten hatte, so hielten sie sich gern an dergleichen aromatische süße Tränke, die bis heute in allen dem Islam verfallenen Ländern in der verschiedensten Weise bereitet werden.

Überall, wo die Muhammedaner sich zu Herren des Landes aufwarfen, konnte naturgemäß ein Produkt nicht mehr gedeihen, dessen Genuß das Gesetz der Eroberer den Gesunden aufs strengste untersagte und nur Kranken in mäßiger Menge als Arznei gestattete. So ging nicht nur in Vorderasien, der Wiege der Rebenzucht und Weinkultur, sondern auch in Nordafrika, Spanien und Sizilien der Weinbau nach dem Eindringen der Araber stark zurück. Manche fanatische Kalifen duldeten seinen Anbau überhaupt nicht. So befahl auch in Spanien Hakim II. den größten Teil der Weinberge auszurotten; bloß etwa ein Drittel derselben ließ er stehen zum Genusse ihrer Früchte als reife Trauben, frisch oder getrocknet, oder zu Traubenhonig eingekocht, was zu genießen der Prophet erlaubt hatte.

Was dem Islam in Spanien nicht ganz gelang, wie die heutigen Malaga- und Xeresweine beweisen, das setzte er im gegenüberliegenden Marokko durch. Die atlantische Küste des letztgenannten Landes war im Altertum ein berühmter und ergiebiger Weinbezirk, dem die Rebe schon von den Phönikiern zugetragen wurde. Dort lag das Vorgebirge Ampelusia, d. h. Rebenkap (das heutige Kap Spartel), und die uralte Stadt Lix, die auf ihren punischen und punisch-römischen Münzen die Traube als Wahrzeichen führte. Noch im frühen Mittelalter, bei der Ankunft der Araber, muß eine blühende Rebenkultur hier bestanden haben, da die an Stelle des alten Lix gegründete muhammedanische Stadt den Namen El Araisch, d. h. zum Weinberg, erhielt. Jetzt trägt das überaus fruchtbare Land infolge der arabischen Herrschaft fast keine Weinpflanzungen mehr; nur unter einigen unabhängig gebliebenen Stämmen der Küste konnte der altgewohnte Trank nicht abgeschafft werden und ist deshalb einiger Rebbau zu finden.

Das heutige Griechenland, das einst vorzügliche Weine produzierte, erzeugt mit wenigen Ausnahmen nur schlechten Wein. Der Ruhm der Weine von Chios, Lesbos und Thasos ist längst dahin, und der nach Harz schmeckende Resinato, über den schon der langobardische Bischof Liutbrant von Cremona auf seiner Gesandtschaftsreise nach Konstantinopel im Jahre 968 klagte, ist ein sehr schlechter Ersatz dafür. Auch die heute daselbst angepflanzten Korinthen — so genannt, weil sie von Korinth aus exportiert werden — scheinen nur eine durch Degeneration entstandene Varietät der Weintraube zu sein. Sie sollen ursprünglich von der Insel Naxos gekommen und nicht vor dem Jahre 1600 in Morea bekannt gewesen sein. Heute sind sie wiederum gänzlich von Naxos verschwunden und werden ausschließlich in Patras, auf Zante und Kephalonia gepflanzt, von wo jährlich etwa 100 Millionen kg ausgeführt werden.

Nur an zwei Punkten hat am Ausgang des Mittelalters die Hand des Menschen den Bezirk der Rebe wirklich erweitert, nämlich auf Madeira und den Kanarischen Inseln. Auf der ersteren Insel ließ schon der portugiesische Prinz Heinrich der Seefahrer am Ende des 15. Jahrhunderts Rebenschößlinge vom Peloponnes und von der Insel Kreta bringen, nach Teneriffe aber verpflanzte der Spanier Alonzo de Lungo gegen das Jahr 1507 Weinstöcke von Madeira. Der dort also aus griechischen Reben gewonnene Wein wurde in der Folge recht berühmt und besonders von den auf weiten Bezirken der Erde angesessenen Engländern gern getrunken, die auch die starken Weine der pyrenäischen Halbinsel, den nach dem Exporthafen Xeres benannten Sherry und den nach dem Einschiffungsorte Oporto geheißenen Portwein bevorzugen, wie sie auch die starken Schnäpse und scharfgewürzten Biere — man denke nur an das Ingwerbier — lieben.

Nach Ungarn waren italienische Reben unter König Stephan im 11. Jahrhundert gelangt. Aus ihnen erwuchs dann der Tokayerwein, der seine volle Berühmtheit allerdings erst vom Ende des 15. Jahrhunderts und besonders seit 1560 erhielt, als man begann Ausbruch aus den dortigen Reben herzustellen. Von diesen ungarischen, wie auch griechischen und syrischen Reben brachten französische Ritter aus den Kreuzzügen Ableger in ihre Heimat mit, um die einheimischen Sorten damit zu veredeln. Denn als zu Beginn des 2. christlichen Jahrtausends das Abendland durch die Kreuzzüge regere Verbindungen mit dem Morgenlande anknüpfte, kam begreiflicherweise die Kenntnis und damit auch die Wertschätzung der von den Christen in Palästina gezogenen starken, edlen Weine nach Europa. Diese wurden bald von den Vornehmen, die sich solch teuren Trunk leisten konnten, bevorzugt, bis schließlich auch diese Gebiete wiederum von den Muhammedanern besetzt wurden, wodurch der morgenländische Weinbau rasch ein Ende nahm. Damit hörte auch der Import der palästinensischen Edelweine nach dem Abendlande auf. Dafür bezog man, solange die muhammedanische Invasion dahin noch nicht stattgefunden hatte, den griechischen Wein, der nach der Gegend von Malvasia auf Morea Malvasier genannt wurde, oder als kipper-, auch ciperwîn von Zypern stammte. Besonders letzterer wurde so sehr geschätzt, daß Gedichte der mystischen Richtung ihn selbst die Seligen im Himmel trinken ließen. Den Charakter eines südlichen Weines trägt auch der aus Ungarn, der unter dem Namen osterwîn nach Deutschland verführt wurde.

Als diese beliebten Süßweine nicht mehr zu bekommen waren, begann die Christenheit als Ersatz dafür die bis dahin üblichen Würzweine mit Honig zu süßen und an Stelle der schwachwürzenden einheimischen Kräuter die starken Gewürze Indiens zu verwenden, die die Venezianer mit ihren Schiffen aus dem Morgenlande, speziell Ägypten, holten und den Abendländern teuer verkauften. Von da brachten Säumer die kostbare Ware über die Alpen nach den reichen deutschen Städten, wo diese Gewürze trotz ihrer hohen Preise rasch Absatz fanden. Man benutzte sie zur Herstellung von allerlei „gepîmenteten wînen“ — aus vina pigmentata verdeutscht — wie die Würzweine damals hießen, deren Feuer dadurch gehoben werden sollte.

Im 14. und 15. Jahrhundert erfreute sich der als clarêt bezeichnete Würzwein besonderer Hochschätzung. In französischen Klöstern war er zuerst aufgekommen und hatte mit der mittellateinischen Benennung claretum — aus vinum claratum, d. h. geklärter Wein — in deutschen Klöstern und dann auch in Laienkreisen gute Aufnahme gefunden. Er wurde in der Weise hergestellt, daß man Pfeffer, Zimt, Gewürznelken, Kardamomen und Ingwer pulverisiert in Beutelchen in den mit Honig versüßten und, war es Weißwein, mit Safran vielfach gefärbten Wein hing und bis zum völligen Ausgelaugtwerden und Abklären darin beließ. So gewann der Trank, wie man hervorhob, die Stärke und den Reiz des Weines, die Würze und den Duft der Spezereien und die Milde und Süße des Honigs. Eine halbe Verdeutschung ist das mittelhochdeutsche clârtrank, während das völlig deutsche Wort lûtertrank eine seit dem 12. Jahrhundert in Deutschland zuerst aufgekommene Art mit Honig gesüßten Würzweins von unbestimmter Zusammensetzung bezeichnete. Lange gingen die beiden Ausdrücke clarêt und lûtertrank nebeneinander für zwei verschiedene Begriffe, obwohl es sich dabei nur um durch die Verschiedenheit der verwendeten Gewürze entstandene Spielarten eines und desselben Stoffes handelte, bis schließlich keine Unterscheidung mehr bei ihnen gemacht werden konnte.

Wahrscheinlich spielte die Farbe des Weines dabei keinerlei Rolle, und Claret wie Lautertrank konnten ebenso von rotem, wie von weißem Weine gemacht werden. Oft erscheint in den Schilderungen der mittelalterlichen Gastmähler der lûtertrank hinter dem wîn genannt, und gleichsam als Steigerung hervorgehoben. Jedenfalls war er oder der clarêt der Ehrentrunk, der bei festlichen Anlässen vornehmen Gästen offiziell reichlich gespendet wurde. Für den gemeinen Mann und für einfache Verhältnisse waren solche Luxusgetränke nicht bestimmt. So verbot beispielsweise der Rat zu Magdeburg im Jahre 1505 bei einfachen Verlöbnissen, ebenso beim Kirchgange der Braut clarêt zu schenken als zu kostbar.

Eine besondere Sorte solchen Würzweins aus Rotwein bildete der Sinopel, der bei manchen Dichtern, wenn auch nicht häufig, erwähnt wird; so z. B. wenn gesagt wird: (sie genossen) „den lûtertrank und daz clarêt, darzuo den roten sinopel“. Im deutschen Epos Parzival wird dieser rote Sinopel im heiligen Gral wie sonst der das Blut Christi versinnbildlichende Rotwein beim Abendmahl der Christen reichlich gespendet. Der Name rührt vom lateinischen cinnabaris, mittellateinisch cinnobris, deutsch Zinnober her von seiner schön hellroten Farbe, die an das von den alten Römern cinnabaris genannte rote Drachenblut von der Insel Sokotra erinnerte. Das Wort hat also nichts mit der von uns Zinnober genannten Quecksilberverbindung zu tun, wie man ohne genaue Kenntnis der Drogenkunde der Völker des Altertums glauben könnte, sondern bezieht sich auf die rote Lösung von Drachenblut, mit der das Getränk Ähnlichkeit hatte. Die daneben angetroffene Form siropel nimmt Bezug auf die Süßigkeit und knüpft an siropel im Sinne von Sirup an, das seinerseits vom arabischen Worte scharab für Trank abzuleiten ist.

Ein anderer ebenfalls aus Rotwein hergestellter Würzwein des Mittelalters war der heute noch mancherorts bei festlichen Anlässen, in Basel z. B. an Sylvester und Neujahr, aufgetischte Hippokras, der seiner vermeintlichen heilkräftigen Wirkung wegen nach dem angesehensten Arzte des Altertums, dem Vater der Heilkunde, Hippokrates so genannt wurde. Der englische Dichter Shakespeare erwähnt ihn mehrfach in seinen Dramen, und noch im 18. Jahrhundert war er auf der französischen Tafel allgemein verbreitet. Auch er ist als hypocras wie der clarêt eine französische Erfindung, obschon der deutsche Arzt Brunfelsz in seinem 1532 erschienenen Spiegel der Arzneikunde erklärt: „Dieser tranck heißt Ipocras, wann Hypocras (gemeint ist natürlich Hippokrates) hat in seer genützt (benutzt), und auch selbst erfunden.“ Man bereitete ihn in der Weise, daß man Rotwein in einer Terrine mit Zucker, Zimt, Pfeffer, Gewürznelken, Muskatblüte, Ingwer und Schnitzen des Reinetteapfels versetzte und diese Mischung einige Tage stehen ließ, dann das Ganze seihte, klärte und in Flaschen abfüllte. Als eine besonders feine Abart kam im 18. Jahrhundert in Frankreich der hypocras parfumé auf, dem außer geriebenen Mandeln besonders Bisam (Moschus) und Ambra zugesetzt wurde. Auch dieser fand in Deutschland bald Aufnahme und ein märkischer Chronist des 16. Jahrhunderts findet ihn „recht anmutig und schleckerhaft“.

Neben dem Hippokras wurden eine Menge medizinische Weine getrunken, die meist nach ihrer Wirkung auf ein bestimmtes Organ oder einen kranken Körperteil benannt wurden. So empfahl ein Gemminger Arzt, mayster Thoman Rüsz, im Jahre 1479 der Gräfin Margarete von Württemberg gegen ihr Milzleiden einen wahrscheinlich von ihm selbst bereiteten Milzwein, dessen Zusammensetzung allerdings in dem uns erhaltenen Briefe nicht angegeben wird. Wir wissen nur aus den Arzneibüchern, daß die mannigfaltigsten Kräuter dazu verwendet wurden, so vornehmlich je nach der beabsichtigten Wirkung Johanniskraut oder Boretsch oder Augentrost, Salbei oder Isop.

Solchen Würzwein trank man wie den Wein überhaupt je nach Geschmack und Bedürfnis warm oder kalt. Ersteren bevorzugte man in Fällen von Krankheit und bei Kälte. So berichtet uns Gregor von Tours vom Jahre 590, daß sich Wächter einer Stadt Frankreichs im Winter an einem offenen Feuer Glühwein bereiteten und sich daran berauschten; und von Ludwig I., dem Frommen, dem dritten Sohne Karls des Großen von seiner dritten Gemahlin Hildegard, berichtet uns sein Biograph, daß er sich noch kurz vor seinem Tode im Jahre 840 bei Mainz einen Schluck warmen Weines zur Stärkung geben ließ.

Die starken und kräftig schmeckenden gewürzten Weine unserer Vorfahren sind heute außer Mode gekommen, bis auf den Glühwein und die verschiedenen Arten von Bowlen. Zu ersterem wird der Wein gewärmt, mit Gewürznelken, Zimt und einem Zitronschnitz versehen, getrunken; bei letzteren verwendet man mit Wasser oder Schwarztee verdünnte gezuckerte Weine, denen durch duftende Früchte wie Erdbeeren, Pfirsich, Ananas oder wohlriechende Kräuter wie Waldmeister mit Zusatz von einigen Apfelsinenscheiben (Maitrank) oder Schalen bitterer Pomeranzen (Bischof) ein angenehmes Aroma verliehen wird. In England ist von solchen Getränken besonders der claret cup beliebt, der aus Rotwein besteht, in den man grüne Gurkenscheiben geschnitten hat. Von allgemeiner Wertschätzung ist der Wermutwein, der dadurch gewonnen wird, daß man dem gärenden Moste Wermutkraut zusetzt, wodurch er einen etwas herben Beigeschmack erhält, den viele lieben. Am bekanntesten ist der norditalische Vermut di Torino.

Außer dem Traubenwein, der nur den Wohlhabenden zugänglich war, und auch von diesen nur bei festlichen Anlässen genossen wurde, trank man von alters her durch ganz Europa die verschiedensten Obst- und Beerenweine. Die Äpfel und Birnen, die man nicht frisch oder gedörrt aufzubewahren vermochte, wurden im überreifen, weichen Zustande gekeltert und Most aus ihnen gewonnen, der angenehm schmeckte, durch seinen geringen Alkoholgehalt kaum berauschte und durch seinen Reichtum an Pflanzensäuren, besonders Apfelsäure, angenehm durstlöschend wirkte, was besonders in der Sommerhitze von Vorteil war. Im Notfalle mußten Holzäpfel und Holzbirnen zur Herstellung solchen Trankes dienen; selbst aus den sauren Schlehen gewann man einen wegen seiner heilkräftigen Wirkung beliebten slêhentranc. Der aus Kirschen hergestellte kerswîn und der aus Quitten gewonnene kütenwîn wurden besonders Kranken als Labetrunk gespendet. Reiche Leute taten sich an solchen Obstweinen gütlich, die mit Honig gesüßt und auf verschiedene Weise gewürzt waren.

Schon zur Merowingerzeit war ein Getränk aus zerquetschten wilden Maulbeeren, worunter auch Brombeeren verstanden sind, beliebt, deren Saft in einem gepichten Faß mit Honig und, nach Belieben, mit würzigen Kräutern versetzt wurde. Ein offenbar romanischer Schreiber des 9. Jahrhunderts gibt uns ausführliche Vorschriften über die Zubereitung dieses als vinum moratum oder moraz bezeichneten Getränkes, das sich namentlich in den Klöstern besonderer Beliebtheit erfreute. Anfänglich nur aus Beerensaft bereitet, wurde er dann an den Höfen des Mittelalters in der Weise gewonnen, daß man Maulbeeren beziehungsweise Brombeeren in Wein ansetzte. Auch die Verwendung von Heidel- und Preiselbeeren, wie auch Johannisbeeren für einen gegorenen Haustrunk ist uralt. Schon das Capitulare de villis Karls des Großen aus dem Beginne des 9. Jahrhunderts hat eine sorgfältigere Bereitung des Beerenweins im Auge, wie es auch das Stampfen der Weintrauben mit den nackten Füßen als unappetitlich verbot, was allerdings durchaus fruchtlos blieb, da diese Sitte nach wie vor geübt wurde und sich teilweise bis in die Gegenwart erhielt.

Die Erzeugung von gebranntem Wein kam in Europa erst im 13. Jahrhundert auf, und zwar durch die Vermittlung arabischer Ärzte, die ein Destillat aus Wein und seinen Häuten und Trebern schon seit dem 10. Jahrhundert kannten und als al kehal, d. h. das Feine, Edle — woraus dann unser Wort Alkohol wurde — zu äußerlichem Gebrauche bei Erkrankungen aller Art, besonders bei Gicht, verwendeten. Die Kunst des Brennens gehört dem Orient an, wo sie zuerst im 9. Jahrhundert in Persien, dann auch in Syrien, Kleinasien und den Inseln des griechischen Archipels zur Gewinnung des wohlriechenden ätherischen Rosenöles geübt wurde. Stets haben ja die Morgenländer eine leidenschaftliche Vorliebe für Wohlgerüche gehabt, und da kann es uns nicht wundern, daß sie Mittel und Wege suchten, den Blumenduft zu konzentrieren. Dies gelang ihnen zuerst mit den Rosen, deren Blumenblätter sie mit Wasser angemacht in einem geschlossenen Kessel mit einem schnabelförmigen, langen Abzugsrohr erhitzten, um die Dämpfe mit dem wohlriechenden ätherischen Rosenöl durch Abkühlung in einem andern damit verbundenen Gefäß sich niederschlagen zu lassen. Ein solches Destillat lernte man bald auch aus anderen duftenden Blumen und Pflanzenstoffen aller Art gewinnen, die dann alle als äußere Heilmittel wie auch der Weingeist zum Einreiben gegen mancherlei Krankheit sehr geschätzt waren.

Als dann die Abendländer zur Zeit der späteren Kreuzzüge mit der morgenländischen Methode des Destillierens bekannt wurden und diese Kunst selbständig zu üben begannen, wurden aus sehr zahlreichen Pflanzen alkoholische Wässer für Heilzwecke gebrannt. Diese Kunst übten zunächst Laien, bis die später aufkommenden Apotheker sich ihrer bemächtigten und sie technisch weiter ausbildeten. Sie erst begannen zu Heilzwecken den gebrannten Wein als aqua vitae, d. h. Lebenswasser, in größeren Mengen unter das Publikum zu bringen. Während er vorher nur äußerlich gebraucht wurde, begann man ihn im 14. Jahrhundert den Kranken auch innerlich zu geben. Erst im 15. Jahrhundert begannen ihn auch Gesunde angeblich „zur Erhaltung einer festen Gesundheit“ zu trinken, und zwar „alle Morgen einen Löffel voll“; „wer dies tue“, sagt uns ein Bericht des 16. Jahrhunderts, der „werde nimmer krank“. Leider fand diese Sitte zum Zwecke der Vorbeugung gegen Krankheit nur zu rasch Aufnahme bei den besser Situierten, die sich dieses teure aquavit oder aqua ardens, weil es beim Hinunterschlucken brannte, als Genußmittel leisten konnten. Schon zu Ende des 15. Jahrhunderts und mehr noch im 16. Jahrhundert erließen die Räte mancher Städte, wie z. B. als eine der frühesten Nürnberg 1496, die Verordnung, daß man gebrant wîn weder Feiertags noch Alltags auf Straßen oder vor Häusern feilhalten dürfe. Erst der dreißigjährige Krieg (1618–1648), der so namenloses Elend über Deutschland brachte und zu allgemeiner Sittenverwilderung führte, hat das Schnapstrinken, wie auch das Rauchen, in weiteren Kreisen populär gemacht. Die zügellose Soldateska tat sich damit groß, und in der allgemeinen Not der Zeit begannen Bürgersmann und Bauer diese leidige Sitte nachzuahmen. Dabei fanden sie bald genug Geschmack daran.

Auch in der Folgezeit waren es stets die Kriege mit der sich daran knüpfenden Verrohung und Verwilderung der Sitten, welche wie die Unmäßigkeit im Genusse geistiger Getränke überhaupt, so auch speziell dem Schnapstrinken gewaltigen Vorschub leisteten. So waren es besonders der Siebenjährige Krieg (1756–1763) und danach die napoleonischen Feldzüge, welche diese für das Volkstum überaus verderbliche Unsitte in hohem Maße förderten. Zugleich damit wurden die Verfahren zur Herstellung konzentrierter geistiger Getränke immer mehr vervollkommnet und besonders auch billige Rohmaterialien wie Korn und Kartoffeln zu deren Gewinnung verwendet, wodurch der Preis natürlich mehr und mehr sank, so daß selbst die Ärmsten sich für wenige Pfennige den Genuß von Schnaps gestatten konnten. Die Folge davon war die „Branntweinpest“, die besonders im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts eine bedenkliche Verbreitung fand. Sie veranlaßte die erste antialkoholische Bewegung, welche recht schöne Früchte zu zeitigen begann, als die Revolution von 1848 einsetzte und ihren verdankenswerten Bestrebungen ein vorzeitiges Ende machte.

In der Folge nahm der Mißbrauch geistiger Getränke wieder bedeutend zu und erreichte eine beängstigende Höhe als die moderne Temperenzbewegung einsetzte und den Alkohol in jeder Form als Plasmagift feststellte, das den Einzelnen wie auch seine Nachkommen vom Mutterleibe an zugrunde richtet, die größten sozialen Schäden hervorruft und geradezu den Kulturfortschritt bedroht. Ist es nicht eine geradezu beunruhigende Tatsache, zu vernehmen, daß die Bevölkerung des Deutschen Reiches nicht weniger als drei Milliarden Mark jährlich für den Kauf geistiger Getränke ausgibt. Das macht pro Kopf, selbst die keine geistigen Getränke zu sich nehmenden Säuglinge und Kinder mitgerechnet, 60 Mark jährlich. Es ist dies ein ungeheurer Luxus, der im Begriffe ist, die bedenklichsten Folgen zu zeitigen! Gibt doch das deutsche Volk in demselben Zeitraum eines Jahres nur wenig mehr, nämlich 3060 Millionen Mark, für das wichtigste Lebensmittel, nämlich für Getreide, Brot, Mehl und Backwaren einschließlich der Kartoffeln aus.

Unter diesen 3000 Millionen Mark, die das deutsche Volk jährlich für geistige Getränke ausgibt, fallen fast zwei Drittel auf das Bier. Der Bierkonsum hat durch alle Schichten der Bevölkerung eine solche Ausdehnung erlangt, daß er trotz seines verhältnismäßig schwachen Alkoholgehaltes die schlimmste Geißel des neu angetretenen Jahrhunderts zu werden verspricht. Sein Konsum hat sich in den letzten 40 Jahren bei uns geradezu vervierfacht und beträgt heute schon über 140 Liter auf den Kopf der Bevölkerung jährlich. Davon entfällt mehr als das Doppelte dieser Zahl an jeden Einwohner der eigentlichen Bierländer wie München, wo das Bierherz und die Biernieren sehr gewöhnliche Erscheinungen der Krankenhäuser sind.

Es ist durch sorgfältige statistische Erhebungen nachgewiesen, daß heute im Deutschen Reiche nicht weniger als 1⁄15 des Ackerbodens allein für die Gewinnung der Rohprodukte zur Bereitung alkoholhaltiger Getränke verwendet wird, und daß jeder sechzehnte arbeitsfähige Deutsche für die Erzeugung und den Vertrieb geistiger Getränke arbeitet. Alle diese Leute erhöhen nicht im geringsten den Volkswohlstand, sondern untergraben ihn vielmehr direkt, indem sie unter vorzugsweiser Bereicherung des Großkapitals der Verarmung und geistigen wie körperlichen Zerrüttung der großen Massen des Volkes den denkbar größten Vorschub leisten, die Kranken- und Armenhäuser, die Gefängnisse und Irrenanstalten füllen helfen und eine Unzahl sozialer Übel heraufbeschwören.

Heute trinkt man nicht mehr die leichten, nicht haltbaren Biere, wie dies unsere Vorfahren taten, die höchstens 2 Prozent Alkohol enthalten, sondern solches von durchschnittlich 4,5 Prozent bis zum schweren Exportbier mit 8 Prozent Alkohol. Diese nähern sich sehr dem Wein, der zwischen 9 und 15 Prozent Alkohol enthält, während die mit Branntweinzusatz haltbar gemachten Südweine bis 22 und 24 Prozent Alkoholgehalt steigen können und allmählich zu den Likören führen, die 30 und mehr Prozent daran enthalten. Diese Liköre werden in der verschiedensten Stärke und Zusammensetzung aus entfuseltem Branntwein mit Zusatz von Zucker, der ihm den milden, öligen Charakter verleihen soll, aromatischen Pflanzenextrakten und Wasser in verschiedener Menge hergestellt und, mit den verlockendsten Phantasienamen versehen, zum Kaufe angeboten. Diese führen unmittelbar zu den eigentlichen Schnäpsen, deren schwerste bis zu 70 Prozent Alkohol enthalten und ätzend wie Feuerwasser den Schlund hinabgleiten.

Von dem im Deutschen Reiche erzeugten Branntwein kommen abzüglich des exportierten durchschnittlich etwa 12 Liter auf den Kopf der Bevölkerung. Nicht weniger als 78 Prozent desselben werden aus Kartoffeln, 16 Prozent aus Getreide, 3 Prozent aus Melasse, 2 Prozent aus Wein, Weinhefe und Trebern und nur 1 Prozent aus Obst und Obsttrebern hergestellt. Für die Gewinnung des gemeinen Spiritus, der auch für die technische Verwertung große Bedeutung erlangt hat, ist heute die stärkemehlreiche Kartoffel das wichtigste Rohmaterial, wie sie auch im Speisezettel von uns Mitteleuropäern eine dominierende Rolle spielt.

Da der muhammedanischen Welt der Genuß geistiger Getränke von ihrem Propheten verboten wurde, benützt sie die Trauben, soweit sie dieselben nicht frisch genießt, durch Einkochen von deren süßen Saft zur Herstellung von Sirup und verwendet sie auch getrocknet in Form von Rosinen. In Asien ist die Traubenkultur besonders in Persien verbreitet, wo die einheimische Kischmischtraube, aber auch die südspanische Malagatraube gezogen wird. Dort wird außer dem Schire genannten Traubensirup auch ein von den weniger strenge an den Satzungen Muhammeds hängenden Persern genossener würziger Wein hergestellt, der als Wein von Schiras oft genug von den Dichtern besungen wurde. Außerordentlich alt ist die Rebenkultur auch in Ostasien, wo das sehr früh zu namhafter Kultur emporgestiegene mongolische Volk der Chinesen außer dem jetzt dort einzig noch gebräuchlichen Reisbranntwein schon vor 4000 Jahren den Wein kannte und die heute noch in Nordchina wildwachsende Rebe mit herrlichen Trauben zu dessen Herstellung fleißig anpflanzte. Am Wein labten sich damals nicht nur die Menschen, sondern er diente wie im Orient und bei Griechen und Römern gleicherweise als Opfertrank für die zu ehrende Gottheit. Doch wurde später seine Gewinnung und Benutzung von einsichtsvollen Regenten verboten, und auf ihre strenge Weisung hin mußten die Weingärten unerbittlich ausgerodet werden. Auch als zur Zeit der römischen Kaiser die von Seidenhändlern aus Westasien nach China mitgebrachte Rebe angebaut und Wein daraus zu bereiten versucht wurde, untersagte die Regierung dieses Beginnen abermals. So vermochte der Weinbau selbst im nördlichen China, wo er sehr gute Bedingungen fände, bis heute nicht aufzukommen. Doch haben seit 1890 Europäer kalifornische und österreichische Reben in Tschifu in der Provinz Schan-tung eingeführt, und auch die fortschrittlich gesinnte Regierung von Japan hat seit 1880 sehr gut gedeihende Versuchsweinpflanzungen mit französischen, deutschen und österreichischen Reben eingerichtet.

Bild 45. Die Reblaus (Phylloxera vastatrix).
a geflügelte Reblaus (Geschlechtstier), b Wurzellaus von unten, c Wurzellaus,
an der Wurzel saugend; d Eier; e durch Saugen der Reblaus entstandene
krankhafte Anschwellungen an den Wurzeln der Weinrebe.

Am Kap der Guten Hoffnung, von wo heute ein vorzüglicher Wein in großen Mengen exportiert wird, begründeten französische Hugenotten im Jahre 1685 den Weinbau. In Nordamerika schlug 1620 ein Versuch, aus der wilden Rebe Virginiens Wein zu bereiten, fehl. So mußte der Wein aus Europa für die Liebhaber desselben in der Neuen Welt eingeführt werden, bis Schweizer Kolonisten ums Jahr 1800 aus der einheimischen Fuchsrebe (Vitis labrusca) einigermaßen trinkbaren Rotwein herstellten. Festen Fuß faßte der Weinbau in den Vereinigten Staaten aber erst seit dem Jahre 1821, als Adlum die der Fuchsrebe nahe verwandte, ebenfalls rotbeerige Catawbarebe vom Flusse Potomac nach Washington brachte. Heute sind sie in vielen Varietäten im Norden der Vereinigten Staaten zur Weinbereitung kultiviert, während im Süden der Union die mehr die Wärme liebende Büffelrebe (Vitis rotundifolia) gezüchtet wird. Da diese amerikanischen Reben noch nicht durch Jahrtausende alte Kultur verzärtelt sind, erweisen sie sich viel widerstandsfähiger gegen die Reblaus, jene bei uns so überaus gefürchtete Wurzellaus des Weinstocks (Phylloxera vastatrix), welche in Frankreich fast sämtliche weinbautreibende Departements heimsuchte und seit ihrem Auftreten im Jahre 1869 bis heute jenem Lande einen Schaden von über 20 Milliarden Franken brachte. In Deutschland trat dieser Schädling zuerst im Jahre 1874 auf, zeigte sich im Jahre 1881 im Ahrtal und hat von da aus dank seiner unglaublichen Fruchtbarkeit — die Nachkommenschaft eines einzigen Tieres beziffert sich nämlich im Laufe eines Sommers nach Millionen — in der Folge auch andere Gebiete ergriffen, so daß man sich zu den strengsten Gegenmaßregeln verpflichtet sah. Vor allem begann man in den von der Reblaus am meisten heimgesuchten Gegenden die dagegen bedeutend widerstandsfähigeren amerikanischen Reben als Unterlagen für die europäischen zu benützen.

In den Vereinigten Staaten, die nun auch die besseren europäischen Rebensorten besitzen, entwickelte sich der Weinbau am günstigsten im Staate Ohio, bis in den letzten Jahren Kalifornien wie in der Anpflanzung sämtlicher Obstarten, so auch im Anbau von Reben den größten Vorsprung gewann. Endlich kam die Rebenkultur im Jahre 1862 auch nach Australien, wo sie heute schon eine ganz erhebliche Ausdehnung besitzt.

Was nun die Weinerzeugung in den verschiedenen Weinbauländern betrifft, so steht Italien mit 52 Millionen Hektolitern jährlichem Ertrag obenan, ihm folgt Frankreich auf dem Fuße nach, dessen Durchschnittsertrag der letzten zehn Jahre 49 Millionen Hektoliter betrug. Im Jahre 1908 hat Frankreich 60 Millionen Hektoliter Wein hervorgebracht. (Außerdem wird in diesem Land eine Milliarde Hektoliter Kunstwein gebraut und konsumieren das Departement du Nord 300 Liter Bier und das Departement Calvados 350 Liter Apfelwein, auf den Kopf der Bevölkerung berechnet.) An dritter Stelle steht Spanien mit einer Produktion von 21 Millionen Hektoliter Wein pro Jahr. In weitem Absatz folgt an vierter Stelle Algerien mit 8,6 Millionen Hektolitern. Nach ihm kommen Portugal mit 4,5 Millionen, Österreich mit 3,5 Millionen, Ungarn mit 3,1 Millionen, Rußland und Rumänien mit je 2,6 Millionen, Bulgarien und Chile mit je 2,1 Millionen, Deutschland mit 1,9 Millionen, die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit 1,6 Millionen, die Türkei und Cypern mit 1,5 Millionen, Argentinien mit 1,3 Millionen, Griechenland mit 1,5 Millionen und endlich die Schweiz mit 0,9 Millionen Hektolitern als durchschnittlichem Jahresertrag an Wein. Dabei beträgt der mittlere Weinverbrauch auf den Kopf der Bevölkerung in Litern jährlich: in Spanien 115, Griechenland 109,5, Bulgarien 104,2 Portugal 95,6, Italien 95,2, Frankreich 94,4, Schweiz 60,7, Rumänien 51,6, Österreich-Ungarn 22,1, Türkei 20,3, Deutsches Reich 5,7, Rußland 3,3, Belgien 3,2, Holland 2,2, Vereinigte Staaten 1,9, Großbritannien 1,7, Dänemark 1,2, Norwegen 0,9 und Schweden 0,5.

Dieselbe Rolle, die die Rebe als Lieferantin eines berauschenden Getränkes bei den Kulturvölkern der Alten Welt spielt, kommt bei denen der Neuen Welt dem in alkoholische Gärung gebrachten zuckerigen Saft der Agave zu. Wie die Kakteen sind die zu den Amaryllisgewächsen gehörenden Agaven ausschließlich in Amerika zu Hause und wachsen dort in etwa 80 Arten in den regenarmen Steppen im südlichsten Teile Nordamerikas, besonders aber in Mexiko und teilweise noch im Andengebiet Südamerikas. Die wichtigste unter ihnen ist die in Mittel- und im nördlichsten Südamerika heimische Agave americana, in Mexiko maguey, weiter im Süden metl genannt. Bei uns wird sie fälschlicherweise wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit der afrikanischen Lilienart Aloë, deren bitteres Harz als Abführmittel vielfach bei allen Kulturvölkern der Erde Verwendung findet, auch Aloë genannt, und zwar im Gegensatz zu jener hundertjährigen Aloë, weil es bei uns viele Jahrzehnte gehen kann, bis sie zur Blüte gelangt und mit der Fruchtreife ihre Vegetationsperiode abschließt, ein Ziel, das sie in ihrer heißen, fast regenlosen Heimat, wo die Sonne das ganze Jahr hindurch mit ungeschwächter Kraft scheint, in wenigen Jahren erreicht. Am kurzen Stamm sitzt eine Rosette von 1–3 m langen, am Grunde oft über 40 cm breiten und bis 30 cm dicken, graugrünen, dorniggezähnten, fleischigen Blättern, deren inneres Gewebe als Nahrungs- und zugleich Wasserreservoir dient. Hat die Pflanze genug Reservematerial erworben und in ihren Blättern aufgespeichert, was in ihrer tropischen Heimat im Alter von 6–10 Jahren, in unsern Gewächshäusern jedoch erst nach 40–60 Jahren der Fall ist, so treibt sie einen an der Basis über armdicken, bis 10 m hohen Blütenschaft, der oben kandelaberartig viele Hunderte von einschließlich der Staubgefäße 12–13 cm langen, gelbgrünen Blüten aufweist. Nach Befruchtung derselben durch bestimmte Immen reifen die dattelartigen Früchte heran, wonach die Pflanze, die dabei all ihre Vorräte erschöpft hat, abstirbt, nachdem sie noch zahlreiche Wurzelschößlinge hervorgetrieben hat, die man auch neben dem Samen zur Vermehrung verwendet.

Die Magueypflanze wurde schon von den alten Mexikanern zur Gewinnung eines berauschenden Getränkes in Plantagen angebaut, wie dies heute noch in jenem Lande geschieht. Sobald sie ihren Blütenschaft zu treiben beginnt, schneidet man ihr die Gipfelknospe heraus und vertieft die Wunde zu einer schüsselförmigen Mulde von 30 bis 50 cm Durchmesser. Diese füllt sich 1–6 Monate lang täglich mit dem für die Blüten- und Fruchtbildung bestimmten zuckerreichen Saft in der Menge von 4–5, ja bei kräftigen Pflanzen 7 Litern im Tag, so daß eine Pflanze nach und nach bis 1100 Liter Zuckersaft liefert. Täglich wird dieser vermittels eines langen, hohlen Kürbisses durch Aufsaugen gesammelt und in lederne Schläuche gefüllt, in denen man ihn vergären läßt. Er liefert dann, auf Flaschen gezogen, ein stark moussierendes, erfrischendes, aber leicht berauschendes Getränk, das in Farbe und Geschmack an Berliner Weißbier erinnert und das Nationalgetränk der Mexikaner bildet, die unglaubliche Mengen davon vertilgen. Bei den alten Azteken hieß er oktli, die heutigen Bewohner Mexikos dagegen nennen ihn Pulque (sprich pulke). Überall im Lande gibt es sogenannte Pulquerias, d. h. Lokale, die ihn frisch aus den Lederschläuchen, in denen er vergor, ausschänken. Es sind meist nur offene Schuppen, die gleichzeitig als Tanzböden dienen, in denen das vom Pulque animierte Volk seine Feste feiert. Aus dem Pulque wird durch Destillation ein als tequila bezeichneter Branntwein gewonnen, während mit Wasser und Zucker vermischter Agavensaft nach kurzer Gärung den leichten, nur wenig berauschenden tepache liefert.

Durch Röstung des zuckerreichen Gewebes der treibenden Knospe und der jungen Blätter und nachherige Gärung erhält man den sehr alkoholreichen mescal. Schon die alten Mexikaner liebten den Pulque leidenschaftlich, aber dessen Genuß war vorsorglich nur bei hohen Festen oder bei harter Arbeit den Männern vom 30. Jahre an gestattet. Die jüngeren Leute und Frauen mußten sich mit dem aus Maismehl mit Zusatz von etwas Honig und teilweise Kakao bereiteten Bier begnügen. Außer dem beliebten Getränk lieferte ihnen die Agave in ihren äußerst zugfesten Fasern, welche die fleischigen Blätter durchziehen und auf höchst einfache Weise gewonnen wurden, Bindfaden und Stricke, wie auch das Rohmaterial für Kleidungsstoffe und Papier. Die saftigen Blätter wurden und werden heute noch als Gemüse gegessen, dienen teilweise auch zum Dachdecken, während die starken Dornen als Nägel oder zu Pfeilspitzen und die dürren Blütenschäfte als Lanzenstangen benutzt wurden. Wie einst, so wird auch die Wurzel heute noch arzneilich verwendet, und zwar besonders gegen die Syphilis, die schon in vorkolumbischer Zeit stark im Lande verbreitet war, wie wir auch aus mexikanischen und peruanischen Gesichtsurnen mit den typischen Erscheinungen der tertiären Lues entnehmen können. Die Begleiter des Kolumbus müssen diese Krankheit nach Europa gebracht haben, wo sie kaum vorhanden war, jedenfalls keine nennenswerten Erscheinungen bot. Kolumbus landete am 15. März 1493 in Südspanien nach der Entdeckung des neuen Weltteils, den er aber bis zu seinem Tode nicht als solchen erkannte, sondern für Indien ansah. Und seine Matrosen verbreiteten alsbald die Krankheit, die, von den laxen Sitten und der mangelhaften Reinlichkeit der damaligen Zeit begünstigt, in den Jahren 1494 und 1495 als neue Krankheit besonders in dem von Karl VIII. von Frankreich geführten Heere stark auftrat und durch die heimkehrende Soldateska eine gewaltige Ausdehnung durch ganz Europa fand, so daß sie von den höchsten bis zu den niedersten Schichten der Gesellschaft zahlreiche Opfer forderte.

Erst lange nach der Lustseuche, nämlich im Jahre 1561, kam auch die Agave durch die Spanier aus Mexiko nach Spanien und von da nach dem übrigen Südeuropa, wo sie sich überall, wie auch durch ganz Nordafrika, so leicht verbreitete, so daß sie heute eine Charakterpflanze der Mittelmeerländer geworden ist. Auch in Mittel- und Nordeuropa wird sie vielfach in großen Kübeln zur Zierde gezogen, muß aber in trockenen, frostfreien Räumen überwintert werden. Aber nicht nur in den Mittelmeerländern, über alle tropischen und subtropischen Gegenden hat sich die Agave verbreitet und wird vorzugsweise als Heckenpflanze und zur Befestigung von Flußsand angebaut. Überall ist sie mit einer anderen Amerikanerin, der Opuntie oder dem Feigenkaktus (Opuntia ficus indica) vergesellschaftet, die beide aus demselben Lande stammen und infolgedessen dieselben Lebensbedürfnisse aufweisen.

Die Opuntien sind wie alle Kakteen amerikanischen Ursprungs und wurden ihrer schmackhaften Früchte wegen schon von den Mexikanern angepflanzt. Mit den Agaven repräsentieren die Kakteen die Sukkulenten, d. h. mit den Nährstoffen auch Wasser, an Schleim gebunden, in ihren Geweben aufspeichernde Pflanzen, wie solche in den trockenen Gegenden der Alten Welt, speziell Südafrikas, die Euphorbiazeen darstellen, die teilweise den Kakteen sehr ähnliche Formen aufweisen.

Die eigentümlichen Gestalten der Kakteen und Agaven erregten bei den im Gefolge des Fernando Cortez im Jahre 1549 670 Mann stark mit 15 Geschützen zur Eroberung des Landes auf die trockene Hochebene von Mexiko hinaufsteigenden Spaniern um so mehr Aufsehen, als sie bis dahin noch keinerlei Art aus der Familie der Sukkulenten gesehen hatten. Schon im Berichte des Mönches Hernandez, der die Eroberung des alten Kulturlandes auf der Hochebene von Anahuac mit der 2282 m über Meer gelegenen Hauptstadt der Azteken, Tenochtitlan — dem heutigen Mexiko — schildert, werden die Opuntien noch mehr als die Agaven mit Ausdrücken des höchsten Erstaunens erwähnt. Auf jener Hochebene, wo diese Kaktusart ihre Heimat hat, unterschied jener Mönch schon neun verschiedene, kultivierte Opuntienarten, von denen die baumartige Feigendistel, auch indischer Feigenbaum genannt (Opuntia ficus indica) mit 50 cm langen und 30 cm breiten Gliedern wegen ihrer wohlschmeckenden Früchte wohl am häufigsten angepflanzt wurde. Sie war damals schon als willkommener Obstspender über ganz Mittel- und Südamerika verbreitet und gelangte in der Folge nach allen warmen Ländern der Erde.

Von den 150 Opuntienarten, die in allen Ländern Amerikas heimisch sind, wo überhaupt Kakteen gedeihen, und zwar meist in gebirgigen Gegenden mit heißem, trockenem Klima vorkommen, ist bald auch die gemeine Fackeldistel (Opuntia vulgaris) mit kürzeren Gliedern und zitronengelben Blüten von den Spaniern aus den südwestlichen Vereinigten Staaten nach den Ländern am Mittelmeer gebracht worden, wo sie jetzt neben der Agave ebenfalls als Charakterpflanze der Landschaft auftritt. Wie jene ist sie, sich selbst überlassen, überall verwildert und überzieht nun mit ihren stacheligen Stengelgliedern die unfruchtbarsten Felswände und Steingründe und bietet in ihren Früchten monatelang ein geschätztes Nahrungs- und Erfrischungsmittel für das Volk wie in ihrer Heimat. Weil sie im Geschmack ähnlich wie Feigen sind, haben sie den Opuntien, die sie erzeugen, die Bezeichnung Feigenkaktus oder indischer Feigenbaum eingetragen. Da sie über und über mit feinen Stacheln mit Widerhaken versehen sind, die sich ungemein leicht bei der leisesten Berührung in Finger und Lippen beziehungsweise Zunge einbohren, müssen sie zuvor sorgfältig geschält werden. Die Stengelglieder frißt das Vieh und die ganze Pflanze dient mit Vorliebe zu Einzäunungen. In ihrer Heimat, den trockensten Gegenden von Nordmexiko und Texas, sind sie als nahrhaftes Futter und Wasserspender für das Vieh ungemein wichtig, so daß sich die Verbindungswege durch die steinigen Wüsten danach richten, wo die meisten Exemplare dieser Pflanzenart wachsen.

Tafel 79.

(Copyright by F. O. Koch.)

Ein beinahe ausgewachsener Kokastrauch.

Indianer auf dem Hochlande von Anahuac in Mexiko bei der Gewinnung des Zuckersaftes einer am Blühen verhinderten Magueipflanze (Agave americana) zur Bereitung von Pulque.

Tafel 80.

(Copyright by Underwood & Underwood.)

Opiumrauchende Perser.

Fruchtbeladener Feigenkaktus (Opuntia ficus indica) auf dem Hochlande von Anahuac in Mexiko. (Nach Photogr. von Dr. H. Roß.)

In seinem lateinischen Buche über die Gärten Deutschlands vom Jahre 1561 erwähnt der Züricher Naturforscher Konrad Gesner zum erstenmal die Fackeldistel als Bürgerin Europas unter der Bezeichnung ficus indica, d. h. indische Feige. Sie muß damals in Spanien, Nordafrika und Süditalien schon ziemlich häufig gewesen sein und hat sich seither, wie die Agave, nördlich bis Bozen verbreitet. Seit etwa 50 Jahren ist sie besonders in Neusüdwales und Queensland, wohin sie ihrer Früchte wegen wie in die übrigen Länder der Tropen und Subtropen vom Menschen verbracht wurde, dermaßen verwildert, daß sie Tausende von Quadratkilometern Land für die Kulturen des Menschen entzogen und wertlos gemacht hat. Alle Verteidigungsmaßregeln gegen ihr Überwuchern blieben erfolglos.

Neuerdings ist es dem berühmten kalifornischen Pflanzenzüchter Luther Burbank in Santa Rosa, der in seinen kostspieligen Versuchen teilweise durch den in Schottland niedergelassenen einstigen nordamerikanischen Stahlkönig Carnegie finanziell unterstützt wurde, gelungen, eine völlig stachellose, großstengelige und überaus saftige Abart der Opuntie zu züchten, die äußerst leicht durch Ableger sich fortpflanzt — es genügt dazu, einfach ein Stückchen der fleischigen Stengel in den Boden zu stecken, wo es ohne weiteres anwächst — und sowohl durch die Stengelglieder, als auch durch die sehr wohlschmeckenden und nahrhaften feigengroßen Früchte ein geradezu unschätzbar wertvolles Geschenk für alle wasserarmen, wüstenhaften Gegenden, in denen sich der Mensch niederläßt und durch künstliche Berieselung mit Hilfe von durch Dämme gestautem Wasser sich Existenzbedingungen schafft, zu werden verspricht. Im Jahre 1909 ist dieses einzigartige Züchtungsprodukt des „Zauberers von Santa Rosa“ (wie Burbank von seinen Landsleuten mit Vorliebe genannt wird), das so reiche Ernten wie kaum eine andere Pflanze liefert, zum erstenmal in den Handel gelangt. Sein Anbau soll sich nach dem hauptsächlichen Mitarbeiter von Burbank, Dr. Doud, auch im südlichen Deutschland in wärmeren Lagen rentieren. Dabei soll die Pflanze eine Durchschnittsernte von 50000 bis 75000 kg auf den Acre (= 40,5 Ar) ergeben. Die Stengelglieder bilden ein wohlschmeckendes, nahrhaftes Gemüse für Menschen und Tiere, das gekocht und roh, auch als Salat, gegessen werden kann, und die ebenfalls stachellosen, rötlichen Früchte sollen von unvergleichlichem Wohlgeschmack sein.

Wir können die Besprechung dieser für die künftige Besiedelung von Wüstengegenden durch den Menschen eine geradezu unabsehbare Bedeutung aufweisende Opuntie nicht verlassen, ohne hier noch kurz zu erwähnen, daß die Opuntien zuerst unter dem mexikanischen Namen tuna in Spanien bekannt wurden und von da, wie De Candolle meint, von den durch Ferdinand V., den Katholischen, nach der Eroberung des letzten Restes maurischer Herrschaft, nämlich Granadas 1492, vertriebenen Arabern — tatsächlich aber erst später in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch die Spanier selbst — nach Nordafrika verbracht wurden, wo sie unter dem Namen „Feigen der Christen“ allgemeine Verbreitung fanden. Die Bezeichnung Opuntia tuna kommt heute einer baumartigen Verwandten der Opuntia ficus indica mit roten Blüten zu, die in Mexiko und in den Anden des nördlichen Südamerika wild wächst und neben der Opuntia pseudotuna mit roten Stengelgliedern und gelben Blüten und dem Nopalkaktus (Nopalea coccinellifera) in Mexiko, der, nebenbei bemerkt, im Wappen dieses Landes figuriert, früher als Weidepflanzen für die einst zur Gewinnung von Karmin, das heute auf chemischem Wege hergestellt wird, gezüchteten Cochenilleschildläuse diente. Dabei zog man besonders solche Arten vor, die keine Stacheln trugen, weil man sich in diesen Gebüschen beim Ablesen der den vormals sehr wichtigen Farbstoff liefernden Tiere ungehinderter bewegen konnte. Besonders blühte die Cochenillekultur zuletzt auf den Kanarischen Inseln, bis ihr durch die Entwicklung der Teerfarbenindustrie ein jähes Ende bereitet wurde. Auch die Früchte der birnförmigen, fleischigen Tunaopuntien sind eßbar und werden in der Heimat der Pflanzen von der Bevölkerung sehr gern verzehrt.

Zum Schluß sind hier der Vollständigkeit wegen noch zwei Arten berauschender Getränke kurz zu erwähnen, denen eine gewisse Bedeutung nicht abzusprechen ist. Das eine ist der in ganz Polynesien, besonders den Samoa-, Sandwich- und Freundschaftsinseln beliebte Kawa, der von der fleischigen Wurzel einer Pfefferart gewonnen wird. Es ist dies der Kawapfeffer (Piper methysticum), ein 2 m hoher Strauch mit langgestielten, eiförmigen Blättern und dicker, fleischiger Wurzel. Aus dieser letzteren wird der betäubende Trank in der Weise gewonnen, daß Frauen und Jungfrauen in Scheiben geschnittene Stücke derselben gehörig zerkauen und in Gefäße spucken, worin die Masse, mit Wasser übergossen, eine kurze Zeit liegen bleibt, bis das Stärkemehl mit Hilfe des diastatischen Speichelferments in Zucker und dieser durch die allgegenwärtigen Hefepilze in Alkohol übergeführt worden ist. Der wichtigste betäubende Stoff darin ist aber ein der Wurzel innewohnender Stoff, der in besonderer Weise auf das Zentralnervensystem einwirkt, indem der Trinker bei ausgiebigem Kawagenuß bei vollem Bewußtsein die Herrschaft über seine Glieder verliert. Der in Polynesien wild wachsende Kawapfeffer wird als geschätztes Genußmittel auch von den Eingeborenen angepflanzt. So hat die deutsche Insel Samoa im vergangenen Jahr nicht bloß ihren eigenen Bedarf gedeckt, sondern auch noch 16900 kg im Werte von 25400 Mark nach den Nachbarinseln auszuführen vermocht.

Wer in Samoa, der Perle der Südsee und wohl dem schönsten Stückchen des ganzen deutschen Kolonialbesitzes reist, der darf überall, wohin er kommt, bei der unbegrenzten Gastfreundschaft der Samoaner der besten Aufnahme gewiß sein. In jedem Dorf ist eine Taupo genannte Ehrenjungfrau vorhanden, der als Repräsentantin des Dorfes die Unterbringung und Bewirtung des Fremden obliegt. Mit untergeschlagenen Beinen läßt sich der Besucher auf den mit Matten belegten Boden der sauberen, offenen Hütte nieder. Die Dorfältesten folgen diesem Beispiel, und es beginnt die zeremonielle Bereitung des Nationalgetränkes. Die Taupo, manchmal zusammen mit anderen Mädchen, speit die durch längeres Kauen zerkleinerte Kawawurzel in eine flache, auf mehreren Füßen ruhende Holzschüssel, gießt aus einer hohlen Kokosnuß Wasser hinzu, läßt das Ganze etwas stehen, zieht zum Schluß den ausgelaugten Brei zur Entfernung der holzigen Bestandteile durch ein Bastsieb und die Bowle ist fertig. Lautes Klatschen des Hausherrn zeigt die Fertigstellung der Kawa an. Die Taupo reicht den Becher mit dem graugrünen, von den einen wie Pfefferminztee, von andern wie Seifenwasser schmeckend angegebenen Getränk dem Gaste, dessen Name verkündet wird und der ihn mit dem samoanischen Prosit „Manuia“ leert und der Taupo zurückgibt. Das Trinkgefäß macht dann die Runde bei allen Anwesenden, genau in der Reihenfolge ihrer Würde und ihres Alters. Während des Rundtranks werden zahlreiche Reden gehalten. Der Gast wird von den hervorragendsten Anwesenden begrüßt. Man dankt ihm in wohlgesetzter Rede für seinen Besuch und bittet um seine Freundschaft. Nach dem Bewillkommnungstrank werden die Speisen aufgetragen: Bananen, Yams, Taro, Fische, Muscheln, Kokosnüsse, Hühner und eventuell Schweine. Alles, auch das Obdach für die Nacht, soll der Gast mit dem Wirte teilen. In derselben Hütte schläft auch die Taupo; aber sie ist Tag und Nacht von zwei älteren Ehrendamen bewacht, die auf ihre Reinheit acht haben. Denn im Gegensatz zu den gewöhnlichen Mädchen Samoas, die sich in ihrem ledigen Stande alles erlauben dürfen, ohne an Ansehen zu verlieren, muß die Taupo unantastbar bleiben, um später die Frau irgend eines angesehenen Häuptlings zu werden. Wie zur Begrüßung des Gastes spielen die Taupo und die Kawa bei allen Festen, Versammlungen und sonstigen offiziellen Anlässen eine höchst wichtige Rolle im samoanischen Leben.

Das andere berauschende Getränk gehört der Geschichte an und spielte einst beim asiatischen Zweige der Indogermanen eine große Rolle. Es ist dies der Somatrank der alten Inder oder der Haoma der alten Perser. Von keinem berauschenden Getränke reichen die Urkunden so weit zurück, keins ist durch seinen Gebrauch in ein so mystisches Dunkel gehüllt und keins ist je höher gepriesen worden, als dieser heilige, nicht nur belebende und beseligende, sondern Menschen und Göttern Kraft und Gesundheit spendende Trank, mit dem auch Indra — in der ältesten Zeit, von der wir hier sprechen, der oberste Gott der Inder, der Schöpfer und Erhalter der Welt, der später zum Haupt der niederen Götter wurde — sich zum Kampfe gegen die Dämonen stärkte. Nach den geschichtlichen Überlieferungen und den Angaben des Sâma-Veda war dieser Somatrank eine Art Met, der aus einer in Gärung gebrachten Honiglösung mit Zusatz von Gersten- oder anderem Mehl und Milch oder Molken hergestellt wurde, wozu höchst sparsam als Würze der Saft einer mit großer Sorgfalt in mondhellen Nächten auf Bergeshöhen gesammelten Staude hinzugefügt wurde. Die blattlosen oder entblätterten Stengel der als Soma-lata bezeichneten Somapflanze wurden dann unter dem Gesange bestimmter Hymnen mit Steinen zerquetscht und ausgepreßt, um den so hochgeschätzten Saft dem Gemisch von Gerstenmehl und Milch in vergorener Honiglösung zu spenden. Sicheres über diese Pflanze wissen wir nur so viel, daß sie auf dem Gebirge wuchs und Milchsaft führte.

Wie hoch die arischen Inder der vorgeschichtlichen Zeit ihren heiligen Somatrank als Labung für Menschen und Götter priesen, mögen folgende Stellen aus dem Sâma-Veda dartun: „Wir jauchzen dir zu, du ausgepreßter Soma, dir, dem gerstengemischten Somatrank! Gar köstlich schmeckend und von Milch strotzend, gehst du erhebend honigsüßer Glanzstrahl. Du gehst, o Reiniger, unaufhaltsam strömend für Indra, o Soma, ringsum flutbesprengt. — Den schönen, gottersehnten Trank, in Flut gereinigt und von Männern gepreßt, würzen mit Milch die Kühe. — Wie Vögel sitzen um dich her beim milchgekochten Met, dem süßen, die Indra preisen. Ihm gebührt der milchgemachte Göttertrank. — Wir denken dein, Falbrossiger. (Damit ist Indra gemeint.) Im Opfer gedenke unseres Lobgesangs in des Soma Rausch. — Sprengt ringsum den Soma, das wichtigste Opfer, das wir mit Steinen gepreßt haben. Diesen haben wir, mit Gerste wie mit Milch ihn mischend, versüßt, o Indra, an diesem Feste. — Freue dich des kuhgemischten Trankes!“

Wie er im alten Indien bei keinem Opfer fehlte, so wurde bei den alten Persern kein Gebet gesprochen, ohne ihn genossen zu haben. Von ihm sollten sich die Götter ernähren. Der um 25 n. Chr. verstorbene griechische Geograph Strabon aus Amasia in Pontos berichtet, daß bei jedem Hause in Persien eine Haomapflanzung und in jedem Hause ein Holzmörser mit Keule zum Stampfen und Auspressen des Saftes ein unerläßliches, heiliges Gerät sei, welches gleich dem Feuer und dem Bündel von Myrtenzweigen vor Entweihung geschützt werden müsse. Wie in Indien so geschah auch in Persien die Bereitung des Haomatrankes unter Lobgesängen und liturgischen Gebeten. Der in Rom als Lehrer der Philosophie lebende griechische Schriftsteller Plutarchos (50–120 n. Chr.) beschreibt die Zubereitung des von ihm als Omomi (= Haomi) bezeichneten Getränkes. Nach ihm wurde dazu der Saft einer in Armenien und Medien wachsenden, dem Weinstocke ähnlichen Pflanze mit knotigen Stengeln, Blättern wie Jasmin, Blüten wie Levkoje, traubenförmigen Samen, duftend und von bitterem Geschmack genommen. Vielleicht ist der auf assyrischen Bildwerken, in denen der König mit erhobener Schale ein Trinkopfer darbringt, dargestellte, in seltsam verschlungener Figur den heiligen Baum, die Dattelpalme, umrankende Gewächs, das uns auch anderweitig auf Skulpturen, von geflügelten, adlerköpfigen Gottheiten adorierend umstanden, entgegentritt, nichts anderes als die Haoma der Alten. Und zwar glaubte man bis in die neueste Zeit zwei nahe miteinander verwandte, in Indien und Persien einheimische milchsaftführende Calotropisarten, die noch wildwachsend angetroffen werden, für die heilige Somapflanze ansehen zu dürfen. Kürzlich hat jedoch Joseph Bornmüller festgestellt, daß die indischen Parsen, die die altiranischen Religionsgebräuche bis in die Gegenwart bewahrten, zu ihren gottesdienstlichen Handlungen die auf felsigen Standorten wachsende sehr ästige, blattlose und äußerlich einem Schachtelhalme ähnliche Strauchart Ephedra vulgaris aus Persien beziehen. Man darf also diese als die heilige Haomapflanze der Perser ansehen, die von jeher als identisch mit der Somapflanze der Inder galt. Der aus ihr ausgepreßte Saft, der später zum Gotte Soma erhoben wurde, erhielt später bei den Ariern dieselbe Bedeutung wie der Wein im christlichen Abendmahle.

Übrigens wird noch heute der Saft gewisser Calotropisarten von manchen Stämmen des Sudans dem Hirsebrei zugesetzt, während andererseits manche Tatarenstämme ihren aus Pferde- und Kamelmilch bereiteten Getränken gern narkotische Säfte von Kräutern hinzufügen. Bei den alten Ariern wird eben jenes ältere Genußmittel mit der Zeit durch bessere, jüngere verdrängt worden sein, wodurch es bald in völlige Vergessenheit geriet, bis auf die streng an den Gebräuchen ihrer Vorfahren hängenden Parsen, von denen ja heute noch wie vor Tausenden von Jahren das Feuer als eine Gottheit verehrt wird.

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