Ähnlich wie die geistigen Getränke, aber noch in weit stärkerem Maße die Gehirntätigkeit in besonderer, vielfach krankhafter Weise beeinflussend wirken andere narkotische Pflanzenstoffe, denen wir nunmehr unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. Bei der ungeheuer wichtigen Rolle, die die hierher gehörenden Drogen spielen, sind die sie erzeugenden Pflanzen von der größten kulturgeschichtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung. Denn, wie wir bereits zu Beginn des vorigen Abschnitts sahen, sind die narkotischen Gifte dem Menschen vielfach unersetzliche Genußmittel, die er sich schon auf niedriger Kulturstufe unbedingt zu verschaffen sucht. Kein Volk der Erde ist so armselig und primitiv, daß es nicht im Besitze irgend eines Mittels wäre, dessen Genuß den Geist in einen Rauschzustand zu versetzen vermag. Und zwar ist die Erlangung eines solchen Rauschmittels den Naturvölkern vielfach wichtiger als der Besitz von Nahrung spendenden Pflanzen. So bauen manche von Viehzucht lebende Negerstämme Tabak an, pflanzen aber daneben keinerlei Getreide.
Unter diesen „Sorgenlösern“, die den Menschengeist in künstliche Ekstase, d. h. in einen Zustand des Entrücktseins in andere Welten versetzen, spielt der Haschisch eine sehr wichtige Rolle. Sind doch nicht weniger als etwa 250 Millionen Menschen in Asien und Afrika Haschischesser oder Haschischraucher. Mit Vorliebe wird er in Konfekt genossen, wie ja die Orientalen meist das Süße lieben. Dieser Haschisch besteht aus einer ein ätherisches Öl, Harze und verschiedene Glykoside enthaltenden Ausscheidung der in Ostindien heimischen und von dort sehr früh schon in Persien eingeführten Hanfpflanze (Cannabis indica). Schon bei uns riecht diese mit dem Hopfen aufs engste verwandte, in weiblichen und männlichen Exemplaren auftretende Krautart aromatisch und betäubend. In noch viel höherem Maße ist dies in warmen Gegenden, speziell im heißen Indien der Fall, wo sie allein ein gelblichgrünes, aromatisch riechendes Gummiharz aus den Stengeln und namentlich den Blütenständen ausscheidet. Dieses wird gesammelt, indem Arbeiter, in der Regel nackt, nur ausnahmsweise mit einem Lederanzuge bekleidet, durch die Hanffelder streifen. Dabei klebt ihnen die vom Hanf ausgeschiedene harzige Masse an. Diese wird dann mit stumpfen Messern abgeschabt und zu einem dem Opium ähnlichen Teig zusammengeknetet. Wie dieses wird es in besonderen kleinen Pfeifen geraucht oder als grünliches Extrakt mit allerlei meist parfümierten Kuchen, sogenannten Fröhlichkeitskuchen, und in Form von Konfekt genossen. Die Wirkung des Haschisch ist derjenigen des Tabaks ähnlich, nur viel stärker, indem er rasch betäubt und Delirien erzeugt.
Bild 46. a blühender Sproß des weiblichen Hanfs (Cannabis indica); b, c einzelne Blüte, vergrößert; d Samen von außen; e Durchschnitt durch denselben; f Harzdrüse, sehr stark vergrößert. (Nach Hegi.)
Besonders reich an diesem narkotischen, harzigen Gifte sind die weiblichen Blütenstände, die deshalb auch getrocknet als solche geraucht oder zur Extraktion von Haschisch verwendet werden. Von der Anwendung des getrockneten Krautes, namentlich der weiblichen Blütenstände als den am narkotischen Stoffe reichsten Teilen, zum Rauchen wie Tabak, um eine beglückende Betäubung an sich hervorzurufen, rührt der Name der Droge her; denn haschîsch heißt persisch das Kraut. In Indien unterscheidet man zwei Sorten desselben: bhang oder siddhi, die zur Blütezeit entnommenen, zerkleinerten Blätter, die mit Wasser oder Milch, Zucker nebst schwarzem Pfeffer und anderem Gewürz zu einer grünen Flüssigkeit zerrieben werden, und gânjâ, die getrockneten, jungen, weiblichen Blütentriebe, die, dem Tabak beigemischt, in der Wasserpfeife geraucht werden. Letzterer gilt als viel kräftiger und wird deshalb auch viel teuerer bezahlt. Während von ersterem etwa 30 g für den daran Gewöhnten genommen werden müssen, genügen von letzterem viel kleinere Mengen, um eine ausgiebige Wirkung zu erzielen. In anderen Ländern bindet man die wirksamen Bestandteile an Butter, mischt diese mit Gewürzen und formt aus der Masse Pillen, die als beliebtes hadschi eingenommen werden.
Nächst Indien ist Persien das Hauptland der Erzeugung und des Verbrauches von Haschisch. Hier ist, wie in Indien, die Kultur des Hanfes als Rauschmittel uralt, und die altpersische Sprache bezeichnet die Trunkenheit mit einem Worte (banga), das im Sanskrit Hanf bedeutet. Von Persien drang die Hanfkultur früh schon westwärts vor und gelangte schon um die Mitte des 2. vorgeschichtlichen Jahrtausends nach Südrußland zu den Viehzucht treibenden Skythen. Der im Jahre 484 v. Chr. geborene griechische Geschichtschreiber Herodot nennt uns den Hanf als Betäubungsmittel dieses Volkes. Nach ihm streuten die Skythen, um sich zu betäuben, Hanfkörner auf glühend gemachte Steine, die auf den Boden von kleinen Schwitzbadhütten gebracht worden waren, und atmeten den so entstehenden Qualm ein. Dadurch wurden sie in einen solchen Rausch versetzt, daß sie aus lauter Behagen laut brüllten. Auch bei den Thrakern war sein Gebrauch damals schon üblich; außerdem benutzten sie die Fasern des Hanfstengels, um Stoff daraus zu weben. Beides war den Griechen, die die Pflanze noch nicht kannten, neu. Ebenso bauten die Kelten bereits den Hanf an, um sich seiner sowohl als narkotisches Genußmittel, als auch als Gespinstpflanze zu bedienen. Als der König Hieron II. von Syrakus, der von 269–215 v. Chr. regierte, ein ungeheures Prachtschiff baute, zu dessen Herstellung er aus allen Ländern am Mittelmeer das Beste in seiner Art kommen ließ, wurden Hanf zu Tauen und Pech von den Kelten des unteren Rhonetales im südlichen Gallien bezogen. Also muß die Hanfkultur damals schon bei ihnen in hoher Blüte gestanden haben. Von den römischen Schriftstellern ist der ums Jahr 100 v. Chr. lebende Satiriker Lucilius der erste, der den Hanf als Gespinstpflanze erwähnt und Plinius der ältere (23–79 n. Chr.) berichtet in seiner Naturgeschichte, daß der Hanf um die Ortschaft Reate im Sabinerlande Baumeshöhe erreiche.
Die alten Juden und Ägypter kannten den Hanf noch nicht. Erst die Araber, die sich seiner vorzugsweise als Berauschungsmittel bedienten, brachten dessen Kultur im Nilland, wie in Nordafrika in Blüte. Aber noch am Ende des 18. Jahrhunderts wurde diese Pflanze nur zur Gewinnung von Haschisch gepflanzt, der heute einen sehr großen Teil seiner Anhänger in Afrika zählt. Als neuartige Gespinstpflanze erwähnt den Hanf zum erstenmal in Palästina die jüdische Gesetzessammlung des Mischna.
In geringen Dosen genossen bewirkt der Haschisch ein nicht endenwollendes Lachen, zugleich wird die Phantasie mächtig angeregt und entzückende Bilder ziehen am geistigen Auge vorüber. Die Ideenverkettung wird durch ihn beschleunigt, die Sinneseindrücke werden lebhafter und die Sexualsphäre wird erregt. Etwas größere Dosen rufen ein traumhaftes Glückseligkeitsgefühl hervor, es entsteht ein Gefühl der Körperlosigkeit, der für den Berauschten das Vorhandensein von Raum und Zeit ausschließt. Noch größere Dosen lösen berückende farbige Visionen aus, bewirken aber auch Delirien und Tobsuchtsanfälle. Der Genuß dieses Mittels ist am größten bevor dessen Gebrauch zur Gewohnheit wird. Sobald aber letzteres der Fall wird, stellen sich hochgradige Schädigungen des Nervensystems und aller Körperorgane ein, die eine zunehmende Melancholie mit fortschreitender Verblödung des Geistes und körperlichem Verfall bewirken, bis schließlich der Tod durch Schlaganfall oder Lähmung eintritt. Dieser durch Haschischgenuß hervorgerufene Zustand einer Ekstase spielt bei manchen religiösen Sekten des Morgenlandes eine große Rolle. Am bekanntesten unter ihnen ist die heute nur noch in einigen hundert Familien im Libanongebirge hausende Sekte der Assassinen, die von einem schiitischen Muhammedaner, Hassan aus Chorasan, im Jahre 1090 gegründet wurde, indem er zunächst eine Anzahl persischer Jünglinge um sich sammelte, die er durch Haschischgenuß ihm völlig ergeben und zu willenlosen Werkzeugen seiner fanatischen Ideen machte. Zur Zeit der Kreuzzüge waren die Assassinen als Meuchelmörder von den Christen sehr gefürchtet. Die Burg Kahf im Libanon war die Residenz ihres Häuptlings, des Scheich ul dschebel, d. h. Oberhaupt des Gebirges, von den Europäern nur der „Alte vom Berge“ genannt. In Syrien von den Machthabern namentlich im 12. und 13. Jahrhundert mißbraucht, sanken sie nach und nach zu gewöhnlichen Meuchelmördern herab, die für Geld jedem dienten, so daß seither bei den Romanen assassin so viel als Meuchelmörder bedeutet.
Bei uns sind alkoholhaltige Getränke die häufigsten, aber auch die ärmlichsten Erreger der künstlichen Ekstase. Dazu dient im Orient, dem der Alkohol nach dem Gebote des Propheten Muhammed in jeder Form versagt blieb, außer dem Haschisch auch das Opium. Es ist dies bekanntlich der eingetrocknete Milchsaft des Schlafmohns (Papaver somniferum), der ein Abkömmling des in den Mittelmeerländern, besonders Kleinasien, heimischen Papaver setigerum ist, der sich durch borstig behaarte Kelchblätter und Stengel von der kultivierten Art unterscheidet. Dieser wilden Urform stand, nach der Beschaffenheit der uns erhalten gebliebenen Samenkörner zu urteilen, noch der Mohn sehr nahe, den die neolithischen Pfahlbauern der Schweiz in ihren wenig sorgsam mit der Hacke bearbeiteten kleinen Feldern an den Seeufern pflanzten. Wie andere vorgeschichtliche Völker werden sie sich der Samen vorzugsweise als Ölspender, daneben aber auch noch als Heilmittel zur Betäubung von Schmerzen bedient haben, wie dies heute noch bei der Bauernbevölkerung auf dem Lande geschieht.
Bei den alten Griechen waren die jene Samenkörner bergenden Fruchtkapseln des Mohns die sinnbildlichen Attribute des Schlafgottes Morpheus. Also müssen sie schon früh die betäubende Wirkung dieser Samen und überhaupt der ganzen Pflanze gekannt haben. Doch bauten auch die Griechen der ältesten Zeit den Mohn nicht zur Opiumgewinnung, sondern zur Ernte seiner ölreichen Samen, wie heute noch die mitteleuropäische Bauernbevölkerung, an. Daneben mögen gelegentlich die schmerzlindernden Eigenschaften der verschiedenen Produkte der Pflanze benutzt worden sein; aber das waren große Ausnahmen. Der Mohn war ihnen eine Ölpflanze. Zu diesem Zwecke muß er schon wenigstens im 9. vorchristlichen Jahrhundert von Kleinasien her in Griechenland eingeführt worden sein; denn der im 8. vorchristlichen Jahrhundert in Böotien lebende Dichter Hesiod nennt uns in seiner Theogonie eine Ortschaft Mēkṓne, d. h. Mohnstadt, wohl von der dort besonders intensiv betriebenen Mohnkultur herrührend. Diese unweit von Korinth gelegene Ortschaft wurde dann später infolge ihrer ausgedehnten Gurkenkultur in Sikyon, d. h. Gurkenstadt umgetauft, als welche sie uns in geschichtlicher Zeit entgegentritt.
Es ist bemerkenswert, daß noch Hippokrates von Kos, der von 460–364 v. Chr. lebende größte griechische Arzt, das Opium nicht kannte, wenn er auch den Milchsaft opós der Blätter und Früchte als Linderungsmittel bei Schmerzen anwandte. Auch der Schüler des großen Aristoteles, Theophrastos (390–286 v. Chr.), kannte so wenig als die Hippokratiker das Opium, und wo er von mēkóneion spricht, meint er damit den betäubenden Milchsaft einer Wolfsmilchart (Euphorbia peplus). Erst im 3. vorchristlichen Jahrhundert scheint in Griechenland die Verwendung des durch Ritzen der unreifen Fruchtkapsel des Mohns gewonnenen Milchsafts als Arzneimittel aufgekommen zu sein. Wenigstens sind Diokles von Karystos und Herakleides von Tarent die ersten griechischen Ärzte, von denen berichtet wird, daß sie diese Droge zur Schmerzlinderung anwandten.
Das von der griechischen Bezeichnung dafür, nämlich opós Milchsaft, abgeleitete ópion übernahmen dann die Römer mit der Droge, deren Kenntnis ihnen die bei ihnen ihre Tätigkeit ausübenden griechischen Ärzte vermittelten. Zu Beginn der römischen Kaiserzeit wurde außer in Kleinasien besonders auch in Ägypten, später auch in Spanien und Nordafrika Opium gewonnen, wie wir von den damaligen Schriftstellern vernehmen. Zu Beginn des Mittelalters kam dann das Opium im Abendlande fast ganz außer Gebrauch, während es die arabischen Ärzte noch teilweise anwandten. Dafür wurden Abkochungen der Mohnkapseln, die für weniger gefährlich galten, benutzt. Erst im späteren Mittelalter kam das Opium im Abendlande wieder zur Benutzung, worüber das Nähere im Abschnitt über die Heilpflanzen mitgeteilt werden soll.
Für jetzt genüge die Feststellung der Tatsache, daß, wie schon im Altertum, so noch heute Kleinasien das beste Opium erzeugt. Dort wird die Kultur des Schlafmohns und die Gewinnung des Opiums aus dessen unreifen Fruchtkapseln in folgender Weise betrieben. Die einjährige Pflanze mit den hübschen, weiß bis violett gefärbten Blüten wird nach den Herbstregen in drei Perioden vom September bis März ausgesät, um so den Wechselfällen des Klimas zu begegnen und die Arbeitskräfte während einer längeren Periode auszunützen. Auf dem gut gedüngten Boden wächst die Pflanze rasch heran, erreicht die Höhe von 1 m und erzeugt durch reiche Verästelung 5–30 Blüten. Etwa 6–7 Tage nach dem Abfallen der Blumenblätter bekommen die jungen, grünen Fruchtkapseln einen bläulichweißen Anflug und sind zur Opiumernte recht. Nun muß die Arbeit in 8–10 Tagen vollendet werden, da sie später keinen Milchsaft mehr austreten lassen. Die Opiumgewinnung geschieht in der Weise, daß die grünen Fruchtkapseln in den Nachmittagsstunden mit einem Messer, dessen Klinge bis auf die Spitze mit Bindfaden umwickelt ist, mit mehreren wagrechten Schnitten angeritzt werden. Der dabei aus den Wunden austretende weiße Milchsaft gerinnt rasch an der Luft und nimmt eine gelbrötliche und zuletzt bräunliche Farbe an. Am folgenden Morgen wird er mit dem Messer vorsichtig abgelöst und auf ein Mohnblatt abgestrichen. Ist eine größere Masse beisammen, so knetet man daraus Kuchen von etwa 600 g Gewicht, die man in Mohnblätter einschlägt und im Schatten gut trocknen läßt, damit sie nicht später auf dem Transport faulen. Damit die Opiumbrote nicht zusammenkleben, werden sie durch dazwischen gestreute trockene Rumex- oder Sauerampferfrüchte getrennt. So werden sie in kleine Säcke und diese ihrerseits wieder in Körbe gepackt, die nach Smyrna oder Konstantinopel ausgeführt werden. Durchschnittlich produziert Kleinasien jährlich 400000 kg Opium. Doch unterliegen Erzeugung, Ausfuhr und Preis desselben starken Schwankungen, da der Ertrag der Fruchtkapseln an Milchsaft nach den Jahrgängen sehr ungleich ist. Je reifer die Frucht wird, eine um so geringere Saftmenge liefert sie. Doch hindert das Anschneiden der Milchsaftröhren in den Kapseln, die nach dem Abfallen der Blumenblätter prall gefüllt sind, die Früchte nicht am völligen Reifwerden; sie fallen nur etwas kleiner aus. Die Samen werden dann nach deren Reife geerntet und aus ihnen das Mohnöl als gutes Speisefett gewonnen.
Nach der Frühjahrsernte wird auf demselben Felde nach abermaliger reichlicher Düngung eine zweite Mohnkultur angelegt und im Herbste geerntet, und zwar erzeugt die Herbsternte den größten Teil des Ertrages. Nach Flückiger liefert eine Mohnkapsel in Kleinasien in ein bis drei Schnitten ungefähr 0,02 g Opium. Dabei ist es von Wichtigkeit, die Schnitte nicht zu tief zu machen und die Kapselwandung nicht zu durchschneiden, da sich sonst ein Teil des Milchsaftes ins Innere der Kapsel ergießt und für die Opiumgewinnung verloren geht. Auch würden derart geschädigte Kapseln keine Samen mehr reifen lassen. Zwischen dem Einschneiden, wozu in Persien und Indien besondere Messer mit bis zu fünf Klingen benutzt werden, und dem Sammeln des gebräunten Milchsaftes dürfen nicht mehr als 24 Stunden verstreichen. Die getrockneten Opiumkuchen sehen im Bruche zimtbraun aus, riechen stark narkotisch und schmecken bitter. Vielfach werden sie mit Mohnkapselpulver, Mehl, Aprikosen- und Feigenzusätzen, auch mit verschiedenen Gummiarten verfälscht. Außerdem wird auch besseres mit schlechterem Opium gemischt, um den medizinisch geforderten Morphingehalt von 10–20 Prozent aus dem gewöhnlich mehr davon enthaltenden Opium zu gewinnen.
Auch in Persien wird viel Opium erzeugt, das zum größten Teile im Lande selbst verbraucht wird, und zwar in Kuchen und Konfekt gegessen, nicht wie in China geraucht wird. Von der jährlichen Gesamtproduktion von Opium im Betrage von 23 Millionen kg erzeugt China 14 Millionen kg und Britisch-Ostindien 5,5 Millionen kg. Das Opium und seine Verwendung als Mittel zur Betäubung von Schmerzen und, unabhängig davon, zur Erlangung eines Zustandes von Entrücktsein, gelangte im frühen Mittelalter von Kleinasien nach Osten, wo es die haschischrauchenden Perser und Araber als afiun freudig aufnahmen und im 8. Jahrhundert weiter zu den Hindus gelangen ließen, die diese Droge als wertvolle Bereicherung ihres Arzneischatzes gern entgegennahmen. Durch die Inder, die dann bald auch die Mohnkultur selbst bei sich einführten, gelangte das Opium nach Hinterindien und in die malaiische Inselwelt und von da im Laufe des 10. Jahrhunderts als o-pién oder o-fu-yung nach China, wo es später eine außerordentliche Bedeutung erlangen sollte. Die frühesten Nachrichten über die Versendung indischen Opiums nach China verdanken wir dem Portugiesen Odoardo Barbosa, der bald nach Auffinden des Seeweges nach Ostindien nach Kalikut an der Malabarküste fuhr, um dort die Produkte Indiens an der Quelle einzuhandeln. Im Jahre 1516 berichtete er über die Erlebnisse seiner Reise und bemerkt, daß er außer kleinasiatischem zweierlei Arten indischen Opiums auf dem Markte von Kalikut vorfand. In demselben Jahre 1516 nennt der portugiesische Apotheker Pires Opium aus Cambaia und solches aus Cous, der heutigen Landschaft Kus Bahar im nordöstlichen Bengalen.
Die Sitte, Opium zu rauchen, erhielten die Chinesen aus Formosa, und die Bewohner dieser Insel sollen ihr Opium aus Java bezogen haben. Schon im 11. Jahrhundert soll in China selbst Mohn zur Gewinnung von Opium angebaut worden sein, aber er wurde ausschließlich für medizinische Zwecke verwendet. Im Pen-tsao-kung-mu, einem zwischen 1552 und 1578 verfaßten chinesischen Kräuterbuche, wird die Gewinnung des Opiums und seine Verwendung, aber nur eine solche als Medikament, beschrieben. In den Jahren 1589 und 1615 wird das Opium in chinesischen Arzneitarifen angeführt. Erst gegen das Ende des 17. Jahrhunderts kam das Opiumrauchen in weiteren Kreisen der Bevölkerung in China auf, wogegen 1729 von der Regierung aus ein strenges Verbot erlassen wurde. Trotzdem erlosch diese Unsitte nicht, sondern blühte im geheimen weiter und wurde bald wieder offenkundig betrieben. Die chinesische Regierung, welche die unheilvolle, entnervende Wirkung dieser Leidenschaft sehr wohl erkannte und ihr nach Möglichkeit entgegentrat, verbot in den Jahren 1799 und 1800 das Opiumrauchen abermals im ganzen Reiche aufs strengste und untersagte im Jahre 1820 auch die Einfuhr des Stoffes. Diese Maßregel traf aber in erster Linie die ostindische Handelskompagnie, die Opium in großen Mengen nach China importierte. Um nun den für sie äußerst gewinnbringenden Handel nicht zu verlieren, organisierte sie einen lebhaften Schmuggel dorthin. Die fortgesetzten Reibereien zwischen China, das den Opium nicht zulassen, und England, das um jeden Preis sein einträgliches Geschäft fortsetzen wollte, führten endlich im Jahre 1841 den berüchtigten Opiumkrieg herbei, durch dessen für England siegreiche Beendigung im Jahre 1842 durch den Vertrag von Nan-king China zwar nicht offiziell der Einfuhr des Opiums geöffnet wurde, doch aller von Indien gelieferter Opium in den chinesischen Vertragshäfen zur Einfuhr zugelassen werden mußte.
Infolge zunehmender Feindseligkeiten, die der üppiger als je emporblühende Opiumschmuggel nach China hervorrief, kam es im Jahre 1856 zu weiteren Feindseligkeiten und zu einer Intervention, wonach China 1860 die Einfuhr von Opium in sein Reich völlig freigeben mußte. Seither machten die Engländer mit ihrer Opiumausfuhr von Indien nach China famose Geschäfte, obschon China selbst eine Menge davon erzeugte, so daß allein die Provinzen Sze-tschwan und Yün-nan die Produktion Indiens darin übertreffen sollen. Zu den 14 Millionen kg, die im Lande selbst geerntet werden, liefert Ostindien noch über 5 Millionen kg, dazu noch Persien und Kleinasien, dessen Produkte als kinni, d. h. goldener Kot, besonders geschätzt werden, eine unbestimmte Menge. Das Hauptgebiet der indischen Opiumgewinnung ist Bengalen in Nordindien am Mittellaufe des Ganges um die Städte Bihar und Benares, wo über eine Million Bauern sich mit Mohnbau beschäftigen. Schon unter den muhammedanischen Herrschern Indiens war der Anbau von Mohn zur Gewinnung von Opium ein Monopol derselben, das diesen viel eintrug. Durch den Sieg des englischen Generals Clives bei Plassey im Jahre 1757 kamen die Besitzungen des Großmoguls und damit das Opiummonopol in die Hände der Engländer. Mit dem Jahre 1773 begann dann der indisch-chinesische Opiumhandel der englisch-ostindischen Kompagnie, den vorher die Portugiesen von Goa und die Holländer von Java aus betrieben hatten. Da nun in Indien die Opiumgewinnung heute noch ein Monopol der englischen Regierung ist, sind im ganzen Gebiete englische Beamte angestellt, die sämtliche Vorgänge von der Pflanzung des Mohns bis zur Ablieferung des fertigen Rohprodukts aufs strengste überwachen. Die indischen Bauern sammeln den Milchsaft in irdenen Gefäßen, um ihn an die Faktoreien der Regierung abzuliefern, wo er genau geprüft, durchknetet und zu Kugeln von etwa 15 cm Durchmesser und 1,5 kg Gewicht geformt wird. Diese werden auf Hürden getrocknet und, von einer dicken Hülle von Mohnblumenblättern umgeben, in Kisten verpackt.
Das Opiummonopol soll der Regierung des britischen Indien früher einen Reinertrag von 160 Millionen Mark jährlich gebracht haben. Doch hat diese sich unter dem Druck der öffentlichen Meinung dazu verstehen müssen, ihre Ausfuhr nach China in letzter Zeit immer mehr einzuschränken. Die chinesische Regierung hat nämlich im Jahre 1906 für das ganze Reich ein Gesetz erlassen, wonach von 1916 an kein Opium mehr geraucht oder sonstwie genossen werden darf; nur Männer über 60 Jahren, von denen man annimmt, daß sie dieser Gewohnheit nicht mehr entsagen können, dürfen seinem Genusse bis zu ihrem Tode in gewohnter Weise frönen.
Hier in China hat nämlich der Opiumgenuß allmählich ganz entsetzliche Dimensionen angenommen, so daß dieser kaiserliche Erlaß höchst notwendig war, sollte nicht die ganze Bevölkerung zugrunde gerichtet werden. So berichtet Dr. Thwing, Sekretär des Kongresses, der durch die Initiative des ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Theodor Roosevelt, gegen das Laster des Opiumgenusses am 1. Februar 1910 in Shang-hai eröffnet wurde, daß für fünf Provinzen Chinas genauere statistische Angaben vorliegen, wonach in ihnen auf eine Bevölkerung von 58 Millionen Einwohner zwischen 20 und 80 Prozent Opium rauchen und daß das dafür ausgegebene Geld 800 Millionen Mark jährlich überschreitet. Und der englische Pfarrer Gregg berichtet, daß in China jährlich eine halbe Million Menschen infolge Opiumvergiftung zugrunde gehen. In manchen Provinzen dieses gewaltigen Reiches, wie beispielsweise in Yün-nan, huldigt sozusagen jeder Erwachsene, vom Mandarinen und Gelehrten bis hinab zum einfachsten Handwerker und Bauer abends nach getaner Arbeit diesem Genusse. Alle Landleute pflanzen für ihren Bedarf einen kleinen Acker voll Schlafmohn neben ihrem Hause und bereiten sich den Opium selbst. Sie formen davon Kügelchen, die sie in einen Pfeifenkopf mit winziger Höhlung bringen, dann in liegender Stellung mit Hilfe einer glühenden Kohle zur Verdampfung bringen und den Dampf rasch einatmen. So werden die Opiumdämpfe durch die Lungen ins Blut gebracht.
Dem energischen Vorgehen der chinesischen Regierung gegen dieses volkszerrüttende Laster des Opiumrauchens, dem dank dem durch den Opiumkrieg von 1841 China auferlegten Zwang heute noch über 120 Millionen frönen, steht die 1842 festgelegte Klausel des Vertrages von Nang-king mit England entgegen, wonach die ganze von Indien gelieferte Opiumproduktion in den chinesischen Häfen zugelassen werden muß. Nun haben die chinesischen Staatsmänner sich sowohl mit der englisch-indischen Behörde in Kalkutta, als auch mit der englischen Kolonie in Hong-kong, die zumeist das von Indien nach China gelieferte Opium unter die Bewohner des Landes bringt, in Verbindung gesetzt, um eine starke Verminderung der noch immer jährlich gelieferten 46000 Kisten mit diesem Gift gegen Konzessionen auf anderen Gebieten zu erzielen. Hoffentlich gelingt es den chinesischen Staatsmännern bald, den der Engländer unwürdigen Vertrag ganz aufzuheben und damit zu einem schon längst von ihnen erstrebten absoluten Einfuhrverbot zu gelangen.
In neuester Zeit hat die chinesische Regierung in jeder Stadt eine bedeutende Zahl von Opiumkneipen geschlossen, in größeren 1000 bis 7000 solcher. Man hat berechnet, daß auf diese Weise im ganzen Reich gegen 2 Millionen Häusern das Recht des Opiumvertriebes genommen wurde. Ferner ist der Anbau des Mohns in sämtlichen Provinzen Chinas verboten worden. Dies hat für viel kleine Landbesitzer, für die die Opiumkultur die Haupteinnahme bildete, eine schwere Krise herbeigeführt und zahllose Existenzen sind dadurch ruiniert worden. Doch sollen die ausgedehnten, bisher zur Mohnproduktion benutzten Ländereien für den Getreidebau verwendet und damit der angerichtete ökonomische Schaden wieder gut gemacht werden. Endlich ist allen Persönlichkeiten, die irgend welche öffentliche Stellung bekleiden, der Opiumgenuß absolut verboten worden. Dieser Befehl betrifft in jeder Provinz mehr als tausend Funktionäre, die mit ihrer Enthaltsamkeit vorbildlich auf den Rest der Bevölkerung wirken sollen.
Alle diese von jedem rechtlich denkenden Menschen nur zu billigenden Maßnahmen werden von der Regierung mit der größten Strenge durchgeführt, vor allem in der Provinz Pe-tschi-li, in der die Hauptstadt Pe-king liegt. Die erzielten Resultate reden schon heute eine deutliche Sprache; und ist erst einmal der Einfuhr indischen Opiums der Riegel geschoben, so dürften die Tage des Opiummißbrauchs im Reiche der Mitte bald gezählt sein.
Bei den ganz unleugbaren schädlichen Wirkungen des gewohnheitsmäßigen Opiumgenusses auf den menschlichen Organismus wirkt es geradezu lächerlich, wenn jüngst eine von der englischen Regierung in Belang in Bengalen eingesetzte, aus englischen, von der Regierung selbst besoldeten Ärzten bestehende Kommission durch eingehende Studien zu dem Resultat gekommen sein will, daß dieser gewohnheitsmäßige Genuß vielmehr nur gute, die Leistungsfähigkeit der Betreffenden effektiv erhöhende Wirkungen ausübe. Was macht nicht alles dieses christlich sich gebärdende Krämervolk, das ja sonst unbestreitbar große Verdienste um die Kolonisation ausgedehnter Länder der Erde sich erworben hat, um ein gutes Geschäft zu machen und die außerordentlich hohen Gehälter seiner höheren Beamten in Indien bezahlen zu können! Wenn es nur recht verdienen kann, ist es skrupellos bis zum Exzeß. Auf denselben Dampfern bringt es die Missionare und ganze Schiffsladungen von in England hergestellten Götzenbildern nach Indien, und zwingt andererseits Hunderttausende von Eingeborenen in Bengalen das China so verhaßte, schädliche Opium zu erzeugen. Wenn auch Millionen der gelben Zopfträger schmählich daran zugrunde gehen, das läßt die fühllosen Krämerseelen kalt. Wenn nur ein gutes Geschäft für sie dabei abfällt.
Außer in China wird zurzeit wohl in Persien am meisten Opium geraucht. Kaum sind es vierzig Jahre her, daß dieses Laster in jenem Lande Eingang fand, und schon wird es in allen Städten in Menge geraucht, nicht nur im geheimen in den Häusern, sondern öffentlich auf den Basaren und Straßen. Ebenso sehr wie die Männer sind die Frauen dem Opiumgenuß ergeben, dem sie daheim frönen, während ihre kleinen Kinder neben ihnen liegen oder in ihrer Nähe sitzen und spielen. Oft sind schon halbwüchsige Jungen an dieses Gift gewöhnt. Nun hat seit Beginn des Jahres 1910 auch hier die neue Bakhtiari-Regierung den Kampf gegen das Opium aufgenommen, indem Beamte unter militärischer Eskorte ohne vorherige Warnung in die Karawansereien, Kaufläden, Kaffeehäuser usw. eindrangen und die Herausgabe des Opiums erzwangen. Dieses Gift wird nun in allen Ortschaften in besonderen Zentralniederlagen zu einem höheren Preise an solche verkauft, die bis jetzt nicht ohne solches Stimulans sein können und den hohen Preis desselben nicht scheuen. Nach einigen Monaten soll der Preis dafür noch mehr erhöht werden, bis schließlich die Leute gezwungen sind, es als Genußmittel ganz aufzugeben. Allerdings umgehen viele Perser das Rauchverbot einfach dadurch, daß sie das Opium essen, da es so in kleineren Dosen dieselbe Wirkung wie das Opiumrauchen in größeren Dosen ausübt.
Aber auch wir Europäer haben unsere, immer weitere Kreise der Gebildeten erfassende Opiumseuche. Statt dieses Gift zu rauchen, wie die Chinesen, treiben es die diesem Laster frönenden Europäer noch viel raffinierter, indem sie sich seit der Einführung der sogenannten Pravazspritze in die Medizin in den 1870er Jahren das wirksamste Alkaloid dieser Droge, das nach dem griechischen Schlafgotte Morpheus genannte Morphin, in wässeriger Lösung unter die Haut spritzen, von wo es rasch in den Kreislauf gelangt und seine den Betreffenden bald unentbehrliche Giftwirkung ausübt. Dieses Morphin war die erste Pflanzenbase, wissenschaftlich Alkaloid genannt, die vom deutschen Apotheker Sertürner in Hameln (Hannover) 1805 aus dem Opium gewonnen wurde. Zur fabrikmäßigen Morphingewinnung wird bei uns hauptsächlich das über Smyrna verschiffte kleinasiatische Produkt als das morphinreichste und daneben, als ihm sehr nahe kommend, das in Makedonien, wo ebenfalls ausgedehnte Mohnkulturen angelegt sind, gewonnene Opium verarbeitet.
So unschätzbare Dienste dieses in wässeriger Lösung eingespritzte Morphin in der Hand des gewissenhaften Arztes der leidenden Menschheit leistet, so schlimm wird sein gewohnheitsmäßiger Gebrauch bei den an den Genuß dieses Betäubungsmittel Gewöhnten. Mit allen anderen gewohnheitsmäßig genossenen Giften wie Alkohol, Nikotin, Haschisch, Kokain usw. teilt es die verhängnisvolle Eigenschaft, daß der betreffende Organismus sich mit der Zeit daran gewöhnt, weshalb die Dosis zur Erreichung der gewollten Wirkung immer mehr gesteigert werden muß. Dadurch wird der Organismus des Morphin- wie des Opiumsüchtigen immer mehr vergiftet und die Gesundheit vollständig untergraben. Durch dieses Narkotikum wird man scheinbar der irdischen Schwere enthoben, man glaubt zu schweben. Während die Glieder wie gelähmt erscheinen, wird die Denktätigkeit subjektiv erleichtert und angeregt. Traumartig ziehen die wunderbarsten Bilder vor der Seele vorbei; besonders stellen sich buntwechselnde Architekturvisionen ein, bis man schließlich mit schwerem Kopf in elender Verfassung aus der Exstase aufwacht. Dieses Gefühl des Katzenjammers wird am raschesten durch die Einverleibung einer neuen Dose beseitigt. So gelangt man unwillkürlich in einen unmäßigen Gebrauch des Giftes, das schließlich den Charakter verdirbt und die Gesundheit vollkommen untergräbt. Die Folgen des Lasters sind völlige Zerrüttung der Verdauung und dadurch bedingte starke Abmagerung, Gliederzittern, Schlaflosigkeit und schließlich Verblödung des Geistes.
Ein Abgehen vom Opium- beziehungsweise Morphingebrauch ist ganz außerordentlich schwierig und nur vermittelst Anstaltsbehandlung mit Erfolg durchzuführen, da bei den an das Gift Gewöhnten jegliche Energie gelähmt ist und die besten Vorsätze, dasselbe zu lassen, vollständig in die Brüche gehen. Zudem muß bei der Entwöhnung von diesem Gifte vor allem eine absolute Enthaltung von allen geistigen Getränken, die ebenfalls den Willen zur Durchführung der Morphinabstinenz lähmen, durchgeführt werden, sonst ist eine Heilung von diesem Laster auch bei der Anstaltsbehandlung nicht möglich, da die Betreffenden zu Hause sofort wieder rückfällig werden. Besonders ausgedehnt ist der Morphinismus in den Kreisen der Ärzte und Apotheker, denen das Mittel jederzeit zu Gebote steht und die deshalb leicht der Verführung zu dessen Gebrauch, der stets in Kürze einen Mißbrauch nach sich zieht, erliegen. Daneben sind es vor allem die Kreise der Intellektuellen in den großen Städten, die der Versuchung unterliegen und vielfach diesem für sie bald unentbehrlichen Laster frönen. Weist doch die Stadt Paris allein über 50000 Morphinisten auf. Da auch bei diesen die beruhigende, anregende und beglückende Wirkung des gewohnheitsmäßig unter die Haut eingespritzten Giftes nur anhält, wenn die Menge regelmäßig um etwas gesteigert wird, so gelangen diese Unglücklichen zu enormen Tagesdosen, die nicht daran Gewöhnten sicheren Tod bringen würden. Infolge ihres Lasters verlieren die Morphinisten alle ihre ethischen Gefühle bald vollständig, betrügen, lügen und stehlen, vorerst bloß, um sich das unentbehrliche, so heiß ersehnte Gift zu verschaffen, dann aber auch sonst aus dabei erworbener Perversität.
Außer dem Morphinismus zieht aber auch das ostasiatische Laster des Opiumrauchens mehr und mehr bei den Europäern ein. Überall, wohin die Chinesen aus ihrer übervölkerten Heimat auswanderten, brachten sie die Unsitte des Opiumrauchens mit, die heute nicht bloß in allen malaiischen Hafenplätzen, sondern auch in Kalifornien häufig angetroffen wird. Aus dem Westen der Union hat sie sich bald über die größeren Städte, besonders die Hafenstädte, verbreitet. Schon im Jahre 1889 zählte Neuyork 10000 Opiumraucher. Von dort drang das Opiumrauchen nach England und die englischen Kolonien vor, wo ihm besonders in den Hafenstädten gefrönt wird. Denn überall sind es in erster Linie die Matrosen, die sich auf ihren Reisen nach dem Osten diese Unsitte in den von Chinesen bevölkerten Städten angewöhnen und zu Hause nicht davon lassen können. In Frankreich gehören dazu vielfach auch Soldaten, die in Tonking dienten. So sind nicht bloß die Hafenstädte, besonders Marseille und Toulon, seit über 25 Jahren in zunehmendem Maße vom Laster des Opiumrauchens verseucht, sondern auch die größeren Städte wie Bordeaux, Lyon und vornehmlich Paris. In Marseille allein soll nach zuverlässiger Quelle täglich für über 1000 Franken Opium von Weißen geraucht werden. Auf diese von den Chinesen übernommene Unsitte hat der englische Romanschriftsteller Charles Dickens zuerst durch einen seiner Romane die Augen der Welt gelenkt.
Neben dem Opiumrauchen ist in ganz Asien und auch in England das Laster des Opiumessens, der sog. Opiophagie, sehr verbreitet, wobei man gewöhnlich die in den Apotheken vorrätig gehaltene Opiumtinktur genießt. Auch von ihr müssen schließlich horrende Mengen eingenommen werden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Während die einfache Dosis der Opiumtinktur für medizinische Zwecke 15 bis höchstens 20 Tropfen beträgt, gelangt ein Opiumesser mit der Zeit bis zu 8000 Tropfen täglich, was jeden nicht daran Gewöhnten natürlich sofort umbringen würde. So weit brachte es auch der begabte französische Schriftsteller Thomas de Quincey, der 1821 seine Memoiren als „Bekenntnisse eines Opiumessers“ herausgab. Höchst merkwürdig ist es, daß von solchen Opiophagen sehr starke Dosen des äußerst giftigen Sublimats nicht bloß ertragen, sondern auch dem Opium absichtlich zugesetzt werden, wenn dessen Wirkung zu versagen beginnt.
Während die Alte Welt Haschisch und Opium als Mittel einer künstlichen Ekstase benutzte, wandte man in Südamerika schon lange vor der Entdeckung durch die Spanier zu solchem Zwecke die Blätter einer der Leinpflanze sehr nahe verwandten Rotholzart, des Kokastrauches (Erythroxylon coca), an. Schon ums Jahr 1499 erfuhren die Spanier, daß die Indianer des Andengebiets, speziell in Peru, die Blätter dieser Pflanze, teils ohne Zusatz, teils mit dem aus gebrannten Muschelschalen gewonnenen Kalk oder der Asche des als wichtige Nährfrucht angepflanzten Chenopodium quinoa kauten und dadurch in bezug auf ihr Nervensystem angeregt und befähigt wurden, außerordentliche Strapazen bei den beschwerlichen Gängen über das Gebirge zu ertragen. Daß diese Sitte schon recht alt gewesen sein muß, erwiesen die Funde auf dem Gräberfelde von Ancon und anderer Orte in Peru, wo man sehr häufig den in Hockstellung in Säcke eingebundenen Mumien der alten Inkas als Totenbeigabe mitgegebene kleine Umhängetaschen mit Kokablättern findet. Auch berichten die spanischen Geschichtschreiber zur Zeit der Eroberung Perus durch Francisco Pizarro 1532–1533, daß die Inkas bei ihren heiligen Götterfesten sich damit berauschten und auch die Menschen, die sie dabei opferten, teilweise damit betäubten.
Der 1,5 m hoch werdende Kokastrauch wächst wild in hochgelegenen, milden, feuchten Bergwäldern in Peru, Ekuador und besonders Bolivia, wo auch heute die größten Kokagärten, cocales, sich finden. Sie erstrecken sich vorzugsweise an den östlichen Abhängen der Anden in einer Höhe von 1000–2000 m über dem Meer, und reichen heute vom nördlichen Chile über Bolivien bis zur Sierra nevada da Santa Martha in Kolumbien und geben einen jährlichen Ertrag von über 30 Millionen kg, was bei dem geringen Gewichte der getrockneten Blätter eine ungeheure Menge bedeutet. Die Blätter des Kokastrauches sind wechselständig, 5–8 cm lang, 3–4 cm breit, lanzettlich bis eiförmig, ganzrandig, kahl, lederartig, oberseits olivengrün, unterseits gelblich graugrün. Sie besitzen zuerst zarte grünliche, später hornartig und braun werdende Nebenblätter und einen besonders an der Unterseite stark hervortretenden Mittelnerv, zu dessen Seiten zwei zarte Längslinien als Druckmarken der bei der Knospenanlage umgeschlagenen Blattränder verlaufen. Sie riechen und schmecken wie Tee, besitzen aber einen bittern Nachgeschmack. Am höchsten wird die bolivianische Ware geschätzt, dann kommt die peruanische und an dritter Stelle erst diejenige von Ekuador.
Bei der großen Bedeutung, die der Kokastrauch neuerdings für die Medizin erlangt hat, wird er, um so mehr, als er sehr leicht auch in andern Gegenden wächst, in zunehmendem Maße in den verschiedensten Gebieten der Tropen, besonders in einigen Teilen des englischen Kolonialreiches in Indien und auf Ceylon, außerdem auch auf Java kultiviert. Seine Fortpflanzung geschieht am besten durch Samen, die kurz vor der Regenzeit, dem besten Zeitpunkt für die Aussaat, geerntet werden. Die Samen werden auf ein humusreiches, gut durchgearbeitetes Beet gesät, das reichlich bewässert und durch ein Schutzdach aus Matten vor den grellen Sonnenstrahlen beschützt wird. Wenn die Sämlinge 15 cm hoch sind, wird letzteres entfernt. Bei Eintritt der nächsten Regenzeit werden die dann etwa 30–50 cm hohen Pflänzchen auf fetten, etwas trockenen Boden, der häufig durch Hacken gelockert und von Unkraut gereinigt werden muß, in Reihen verpflanzt und Mais dazwischen gesät, um ihnen den nötigen Schatten zu spenden und den Boden feucht zu erhalten. 1½ Jahre nach dem Verpflanzen können zum erstenmal Blätter, die nur etwa zu zwei Dritteln entfernt werden dürfen, geerntet werden. Und zwar pflückt man nur reife Blätter, die man an ihrem Stich ins Gelbliche erkennt. Sie müssen bei trockenem Wetter gesammelt werden, da sie sehr dem Verderben durch Feuchtigkeit ausgesetzt sind. Kommen sie in den Regen, so ist die ganze Ernte verdorben. Alle 2–3 Monate wiederholen sich die Ernten bis zum 40. Jahre. Die geernteten Blätter werden auf einer wärmeaufsaugenden schwarzen Unterlage aus Wolltuch oder Schiefer, die zuvor gehörig von der Sonne durchwärmt wurde, getrocknet und dann in Säcke aus Wolltuch zu Ballen von etwa 25 kg Inhalt fest zusammengestopft, um das Eindringen von Feuchtigkeit zu verhindern. Da die Blätter durch chemische Umsetzungen beim Transport bis zu 50 Prozent ihres Gehaltes an Kokain verlieren, so müssen sie möglichst schnell verschickt und verarbeitet werden. Die Indianer halten die Kokablätter schon nach 5 Monaten für unschmackhaft und nach 7 Monaten für völlig wertlos. Deshalb wird ein großer Teil der Blätter gleich an Ort und Stelle auf Kokain, das höchstens bis zu 1 Prozent in ihnen enthalten ist, verarbeitet. 1 kg Blätter liefern dabei 2 g Kokain.
Die europäischen Ärzte wurden auf dieses das Nervensystem hochgradig anregende Genußmittel, das über 8 Millionen Eingeborener Südamerikas regelmäßig genießen, wobei der durchschnittliche Tagesbedarf an Blättern 60–80 g beträgt, erst aufmerksam gemacht, als die österreichische Weltumseglung der „Navarra“ ansehnliche Mengen dieser Blätter zur Prüfung der darin enthaltenen Stoffe nach Europa brachte. Das darin schon 1855 von Gädicke nachgewiesene, von ihm Erythroxylin und erst 1860 von Nieman Kokain bezeichnete Alkaloid wurde erst 1884 durch Freund und Koller als unempfindlich machendes Mittel in den Arzneischatz eingeführt. Seither datiert auch der Beginn des Mißbrauchs dieses als Arznei unschätzbaren Mittels. Wie es äußerlich, in wässeriger Lösung auf die Schleimhäute gebracht, dieselben sehr bald völlig unempfindlich macht und ein Abblassen derselben durch Zusammenziehung der Blutgefäße bewirkt, regt es innerlich schon in kleinen Mengen die seelischen und motorischen Zentren der Großhirnrinde an und beschleunigt die Herztätigkeit. Als Mittel zur geistigen und körperlichen Anregung, zur Erzeugung einer künstlichen Ekstase, wozu es von den Europäern wie das Morphin mit der Pravazspritze unter die Haut gebracht wird, um rasch in die Blutzirkulation aufgenommen zu werden, erzeugt es wie die andern, vorhin besprochenen Berauschungsmittel in kurzer Zeit die Sucht nach dem täglichen Gebrauch und zunehmender Steigerung der Dosen. Also ist es völlig ungeeignet etwa als Ersatz des Morphins, wie man es anfangs anwenden zu können glaubte. Zudem treten die schlimmen Folgen noch rascher als bei jenem ein. Die Persönlichkeit des chronischen Kokainisten wird vollständig vernichtet. Er ist zu keiner anhaltenden Arbeit mehr fähig, wird mehr und mehr gedankenschwach und vergeßlich, seine moralischen Gefühle schwinden, Wahnideen stellen sich ein, es tritt Schlaflosigkeit, Abmagerung und zunehmender Verfall des Körpers auf, bis schließlich der Tod an Entkräftung erfolgt. Häufig sind dabei Kokainpsychosen mit dem Gefühle, als ob es unter der Haut von Ungeziefer wimmle, in Verbindung mit erschreckenden Bildern. Da in den letzten Jahren ein zunehmender Mißbrauch mit diesem für Augen-, Nasen- und Kehlkopfheilkunde, wie auch für die in der chirurgischen Praxis äußerst wichtige Infiltrationsanästhesie der Haut bisher unentbehrlichen Alkaloid stattfindet, ist davor von ärztlicher Seite sehr zu warnen. Ebenso vor dem Einnehmen von Äther und Chloroform, die an Stelle des keinen genügenden Reiz mehr auf sie ausübenden Alkohols von manchen Lebemenschen männlichen und weiblichen Geschlechts in den großen Städten eingenommen werden.