Eine der ältesten Handfertigkeiten des Menschen ist das Flechten, dem später das Spinnen und Weben folgte. Dazu benutzte er die verschiedensten ihm bekannten und zugänglichen Faserstoffe des Pflanzenreichs, so vor allem den geschmeidigen Bast mancher Bäume, besonders der Linde, und die zähen Stengel der Binsen, später auch die in der nördlichen Pflanzenregion heimische, wasserreichen Untergrund liebende Korbweide.
Als früheste kultivierte Faserpflanze tritt uns in Europa der schmalblätterige Lein (Linum angustifolium) entgegen, der in nicht zu feuchten Gegenden der Mittelmeerländer von den Kanaren bis Syrien und dem Kaukasus heimisch ist und auf sterilem Boden überall wildwachsend angetroffen wird. Im Gegensatz zu unserem Kulturlein ist er nicht einjährig, sondern ausdauernd und treibt statt einem mehrere Stengel mit schmäleren Blättern und kleineren, an der Spitze kaum gekerbten Samen. Als südliche, wärmeliebende Pflanze ist er nicht imstande, die jetzigen Winter der östlichen Schweiz, wo er zur jüngsten Steinzeit in Robenhausen und anderen Pfahlbauniederlassungen in ziemlicher Menge angepflanzt und verarbeitet wurde, zu ertragen. Es muß also das Klima hier vor 4000–5000 Jahren ein wärmeres als heute gewesen sein. Aus dem Süden gelangte diese Gespinstpflanze mit den sie begleitenden Unkräutern, wie dem kretischen Leinkraut (Silene cretica), das heute noch zahlreich in den Leinfeldern Italiens wuchert, zu ihnen und wurde von ihnen auf ihren Hackfeldern angebaut, um daraus Garn für die Anfertigung von Schnüren, Fischnetzen, Matten und zum Weben von meist groben Stoffen, die jedenfalls als Unterkleidung unter den für gewöhnlich getragenen Pelzen getragen wurden, herzustellen. Diese Stoffe, die sie auf äußerst primitiven hängenden Webstühlen mit Gewichten aus gebranntem Ton zum Strecken der Zettel herstellten, verstanden sie bereits mit verschiedenen einfachen geometrischen Figuren zu verzieren, rot, blau und gelb zu färben und sogar schon mit allerlei primitiven Stickereien zu schmücken.
Bild 58. Rekonstruktion des aufrechten Pfahlbauwebstuhls. Die unten durch eine Schnur zusammengehaltenen Zettel werden durch Gewichte aus gebranntem Ton gestreckt. Der Einschlagfaden wird vermittelst des Weberstabes eingetragen.
Bild 59. Grober Leinenstoff aus dem neolithischen Pfahlbau von Robenhausen.
Die nördlichste neolithische Station Deutschlands, wo er gefunden wurde, ist Schussenried im südlichen Württemberg. Es mag ja sein, daß der Flachsbau damals schon etwas weiter nach Norden zu in Süddeutschland verbreitet war, aber nach Norddeutschland oder gar dem nördlichen Europa kann er unmöglich vorgedrungen gewesen sein, da diese südliche Pflanze die Winter dieser Länder durchaus nicht auszuhalten vermöchte.
Aus der älteren Bronzezeit sind noch nirgends in Europa Funde von Flachs gemacht worden. Erst aus der jüngeren Bronzezeit sind in Dänemark Reste eines feinen Linnenstoffes zutage getreten, woraus freilich noch nicht geschlossen werden darf, daß der Flachs damals bereits dort gebaut wurde, da bei den regen Handelsbeziehungen jener Zeit für das Leinen die Möglichkeit des Importes vorliegt. Außerdem wissen wir, daß alle aus jener Zeit auf uns gekommenen Gewebereste aus Wolle bestehen, aus der verfertigte Kleider damals im Norden ausschließlich getragen wurden. Die ersten Beweise der Flachskultur auf norddeutschem Boden stammen aus der älteren Eisenzeit. Man fand nämlich in der Karhofhöhle eine Art grobgeschrotenes, aus Weizen und Hirse bereitetes Brot, dem, ähnlich wie beim Brot der schweizerischen Pfahlbauern, teilweise Leinsamen zugesetzt war. Welcher Art der Flachs angehörte, läßt sich allerdings in diesem Falle nicht entscheiden. Im slawischen Burgwall von Poppschütz bei Freistadt in Schlesien hat sich ebenfalls Flachssamen, der vermutlich zur Nahrung diente, gefunden, und zwar scheint hier nach Buschan, soweit ein Urteil aus den Samen allein möglich ist, eine Übergangsform zwischen dem mehrjährigen, schmalblätterigen Lein der Pfahlbauzeit und dem erst später nach Europa gekommenen, heute noch bei uns kultivierten Lein zu sein.
Bild 60. Idol (Götzenbild) aus gebranntem Ton vom neolithischen Pfahlbau von Laibach in Krain mit einem hemdartigen, mit gemusterten Vierecken verzierten Gewand. a Vorder-, b Seitenansicht.
Unser Kulturlein (Linum usitatissimum) hat seine Heimat im westlichen Persien und in Südkaukasien, wo die Stammpflanze auf trockenen Hügeln manchenorts noch wild angetroffen wird. Sie ist eine bis 60 cm hoch werdende einjährige Pflanze mit im Gegensatz zum schmalblätterigen Lein nur einem Stengel, breiteren Blättern und größeren, an der Spitze gekerbten Samen, die rascher reifen als diejenigen der schmalblätterigen wilden Art und den Vorzug haben, nicht ausgestreut zu werden wie dort, sondern in den Samenkapseln geerntet werden zu können, die bei dieser Art meist nicht mehr aufspringen. Diese Samen dienten den Leinbau treibenden Völkern der Vorzeit als willkommene fettreiche Nahrung und wurde von ihnen gerne gegessen und als Totenspeise auch den Verstorbenen mitgegeben. Der Kulturlein besitzt schöne blaue Blüten, die nur einen Tag, und zwar nur vormittags blühen. Ein solch blühendes Leinfeld bietet einen hübschen Anblick dar, der die sagenhafte Begebenheit einigermaßen glaubwürdig erscheinen läßt, die uns der fränkische Geschichtschreiber Paulus Diaconus in seiner älteren, d. h. voritalischen Geschichte der Langobarden erzählt, wonach die von den Langobarden besiegten Heruler auf ihrer Flucht ein blühendes Leinfeld für einen See gehalten hätten, in den sie sich hineinstürzten, als ob sie schwimmen wollten. So seien sie von den verfolgenden Siegern ereilt und niedergemacht worden. Nur in Amerika, wohin der Flachs bald nach der Entdeckung dieses neuen Weltteils gebracht wurde, zieht man außer der blau blühenden auch eine weiß blühende Abart. Jede Kapsel enthält zehn längliche, flach zusammengedrückte, hellbraune, glänzende Samen, die in ihren äußeren Zellenschichten ein im Wasser stark aufquellendes, schleimhaltiges Gewebe enthalten, weshalb man sie zermahlen und gekocht zu breiigen Umschlägen und ihren Schleim auch innerlich als einhüllendes Mittel verwendet.
Schon sehr früh, nämlich im 5. Jahrtausend v. Chr. muß der Lein in Babylonien gepflanzt worden sein; denn man hat Spuren von ihm bereits in altchaldäischen Gräbern der vorbabylonischen Zeit entdeckt. Wie er bei den Babyloniern hieß, ist bis jetzt nicht bekannt geworden. Sein Name dürfte aber ähnlich wie im Hebräischen pischta gelautet haben. Im Sanskrit hieß er nach dem um 500 v. Chr. verfaßten Ayur Veda Susrutas akasa, im Altägyptischen māhi, bei den Griechen línon und von diesen entlehnt bei den Römern linum. In Ägypten tritt er uns als Kulturpflanze schon zu Ende des 4. vorchristlichen Jahrtausends entgegen. In einem Ziegel der Stufenpyramide von Daschur, die bald nach 3000 v. Chr. gebaut wurde, fanden sich Bastfasern und Samenkapseln, die Unger als vom einjährigen Kulturlein stammend bestimmte. Aber erst ein Jahrtausend später, beim Beginn des mittleren Reiches, zur Zeit der 11. Dynastie (2160–2000 v. Chr.), hatte seine Kultur in Ägypten eine bedeutendere Entwicklung erlangt und findet man infolgedessen auch ziemlich häufig in Gräbern Leinsamen unter den Totenspeisen. So fand Mariette in einem 1881 geöffneten Grabe der 12. Dynastie (2000–1788 v. Chr.) in Theben vortrefflich erhaltene Kapseln von Leinsamen, die völlig der heute noch in Ägypten und Abessinien gepflanzten Art entsprechen.
Erst im mittleren Reich (2160–1788 v. Chr.) begann die in der Folge für die Ägypter so wichtige Leinentechnik in Aufnahme zu kommen, nachdem der Lein vorher lange vorzugsweise nur seiner nahrhaften, fetten Samen wegen kultiviert worden war, während die Menschen sich noch in Wollenstoff kleideten. Von da an wurde für den Ägypter das linnene Gewand der Gegenstand seines Stolzes und der Auszeichnung den „Barbaren“ gegenüber. Aber nicht bloß die Lebenden trugen es, und zwar in um so feinerer Qualität, je vornehmer sie waren, sondern auch die Toten wurden bei der Einbalsamierung in Leinwandbinden gewickelt, nachdem noch im alten Reiche zur Zeit der Erbauer der großen Pyramiden von Giseh, von der 3. bis 6. Dynastie (2980–2475 v. Chr.) letzteren, die überhaupt auch noch nicht mumifiziert wurden, ausschließlich grobe Wollengewänder in die Gruft mitgegeben worden waren. Vom mittleren Reiche (2160–1788 v. Chr.) an galt es den Ägyptern überhaupt als Greuel, einen Leichnam in Wollengewändern zu bestatten. Dazu mußten unbedingt Linnenstoffe verwendet werden. Auch ihre Priester durften, wie Herodot berichtet, nur reinlinnene Unterkleider tragen und höchstens außerhalb des Tempels einen wollenen Mantel überwerfen. Ägypten deckte damals nicht nur seinen ganzen Bedarf an Flachs, sondern es exportierte noch ziemlich viel seiner feinen, von den Griechen meist als býssos bezeichneten Leinengewebe, die im Auslande zur Herstellung von Prunkkleidern für die Vornehmen äußerst begehrt waren. Das ganze Altertum ist des Lobes voll über die unnachahmlich feinen ägyptischen Byssusgewänder, und dieses Lob begreifen wir vollständig, wenn wir die außerordentliche Feinheit der Mumienbänder der Reichen und die halb durchsichtige Gewandung nicht nur an den bildlichen Darstellungen an den Wänden der Totenkammern, sondern auch an den vornehmen Toten direkt in Berücksichtigung ziehen. Als Beispiel der Feinheit dieser Byssusstoffe berichten Herodot und Plinius, daß der ägyptische König Amasis (ägyptisch Amose) II. der 26. Dynastie, der von 570 bis 526 v. Chr. regierte, den Spartanern und dem Tempel der Athene zu Lindos auf der Insel Rhodos je ein linnenes Panzerhemd mit Tierbildern und mit Fäden aus Gold und Baumwolle durchwirkt von solcher Feinheit der Fäden geschenkt habe, daß jeder derselben aus 360 Einzelfäden bestand.
Bild 61. Aus Flachsschnüren geknüpftes, engmaschiges Netz aus dem neolithischen Pfahlbau von Robenhausen im Kanton Zürich. (⅔ natürl. Größe.)
Verschiedene altägyptische Wandmalereien zeigen uns die ganze Bearbeitung des Flachses, vom Raufen der Pflanze auf den Feldern, vom Rösten und Kämmen derselben bis zum kunstvollen Weben am Webstuhl. Zum Lockern der Fasern wurde der Flachs in der ältesten Zeit in Kesseln gekocht und sodann mit keulenförmigen Hölzern geschlagen. Später dagegen wurde er auf kaltem Wege „geröstet“ und vermittelst Holzkämmen, von denen das ägyptische Museum in Berlin zwei besitzt, gehechelt. Das Spinnen und Weben wurde von den Frauen und teilweise auch Männern als besonderes Gewerbe betrieben. Wie dieses Handwerk ausgeübt wurde, erkennen wir an verschiedenen Grabgemälden des mittleren Reiches. Spindeln aus Holz und Leder von einfacher und komplizierter Form sind uns vielfach in den Gräbern erhalten, und das Bild der Spindel gehört mit unter die Hieroglyphenzeichen. In einem Grabe von Beni Hassan ist u. a. ein Ägypter dargestellt, der mit der Spindel hantiert. Derselbe hockt vor einem aufrechtstehenden, oben gegabelten Stabe, an den der Flachsfaden geknüpft ist. Ein Näpfchen zum Befeuchten der Finger beim Drehen des Fadens steht am Fuße des Stabes. Eine andere Darstellung zeigt sechs unter der Kontrolle einer Aufseherin arbeitende Frauen, von denen drei Spinnerinnen einen Faden ziehen, eine vierte dagegen mehrere einfache Fäden zu einem stärkeren zusammendreht. Von den beiden Weberinnen besorgt die eine den Aufzug, die andere den Einschlag. Bei zwei anderen Spinnerinnen vertritt der schlanke Körper selbst den Stab, indem sie das fertige Stück Faden um sich selbst herumdrehen. Daß gewandte Frauen auch mit zwei Spindeln zugleich umzugehen verstanden, bezeugen dem mittleren Reich (2980–2475 v. Chr.) angehörende Wandgemälde. Von den beiden in Beni Hassan beim alten Theben dargestellten Weberinnen besorgt die eine die Kette des wagrecht am Boden aufgespannten Webstuhls, die andere den Einschlag, der mit einem gekrümmten Holze durchgezogen wird, wobei die Öffnung durch zwei zwischen die Fäden der Kette geschobene Holzstäbe bewirkt wird. Auf demselben Wandgemälde webt ein Mann in einen zwischen einem Rahmen ausgespannten Stoff ein schachbrettartiges Muster. Daß aber später viel bessere Webstühle benutzt wurden, zeigt ein Wandgemälde aus der Totenstadt Theben, in welchem ein Weber an einem ähnlich wie die Webstühle der Neuzeit gebauten Webstuhle sitzt und mit den Füßen den Apparat bedient, der das Weberschiffchen hin- und herfliegen läßt. Herodot (484–424 v. Chr.), der selbst in Ägypten war, führt als etwas Bemerkenswertes an, daß die ägyptischen Weber gegen die sonstige Gewohnheit den Einschlag nicht aufwärts, sondern niederwärts zu werfen pflegen.
Durch wohlerhaltene Reste können wir uns selbst davon überzeugen, daß die wegen ihrer Feinheit bei allen Mittelmeervölkern berühmten altägyptischen Gewebe tatsächlich an Zartheit und Genauigkeit unübertroffen waren. Dabei begnügte man sich nicht mit einfachen, glatten Zeugen, sondern stellte auch wellen-, bogen- oder zickzackförmig gestreifte, flechtwerk-, schachbrett- oder mäanderartig gemusterte und solche mit einem feinen Arabeskenwerk von zierlich geschlungenen Spirallinien her, zwischen welche sich Rosetten, Sterne, Lotosblüten, gebüschelte Papyrusstengel, Skarabäen, Uräusschlangen, die geflügelte Sonnenscheibe, Namensschilder und Hieroglypheninschriften als füllende Elemente einschmiegen. Die verschiedenen dabei zur Anwendung gelangenden Farben waren, wie uns Plinius berichtet, nicht aufgemalt, sondern die Zeuge wurden in verschiedene Kessel mit Farbstofflösungen getaucht und dennoch schließlich verschiedenfarbig und schöngemustert herausgezogen. In einem Grabe zu Beni Hassan sehen wir den Eigentümer die Länge der fertigen Leinwand ausmessen; dabei steht ein Schreiber, der die Zahl der fertig verpackten Ballen ausmißt.
Aus Leinwand huma wurde vor allem der über den Hüften mit einem Gürtel zusammengehaltene, bis an die Knie oder Knöchel reichende Leibrock sten, daneben vielfach auch das Überkleid hbos hergestellt. Herodot sagt von den Ägyptern: „Alle Ägypter tragen eine Gewandung aus Leinen, die immer frisch gewaschen ist, was ihnen die größte Angelegenheit ist. Die Gewandung der Priester ist nur von Leinen, die Sandalen nur von býblos (Papyrus); eine andere Kleidung und andere Beschuhung dürfen sie nicht tragen. Ihr Anzug sind leinene Röcke, an den Beinen mit Franzen besetzt. Darüber tragen sie weiße, wollene Oberkleider. Keiner jedoch geht mit wollenem Anzug in den Tempel, noch wird einer damit begraben, und das stimmt mit dem sogenannten arphyschen (einem ägyptischen) und mit dem pythagoräischen Geheimdienst überein.“ Ungeheuer war auch der Verbrauch an Leinwand für die Einhüllung der Mumien in die oft über 400 m langen Binden. Darüber sagt Herodot: „... Alsdann waschen sie die Toten und umwickeln den ganzen Leib mit Bändern, die aus Leinenzeug und býssos (feinste Leinwand) geschnitten sind; sie streichen auch (arabischen) Gummi darunter, dessen sich überhaupt die Ägypter statt des Leimes bedienen.“
Außer gewöhnlichen Stoffen zu Kleidern wurden auch namentlich für den Export kunstvoll gewirkte, mit Goldfäden durchzogene, bunte Gewänder in Weiß, Rot, Gelb, Grün, Blau und Schwarz, oft mit den schönsten Mustern angefertigt. Aber auch Halstücher und Mäntel, Teppiche, Decken, Panzer, Netze, Zelte, Taue und Segel wurden aus Flachs hergestellt. So berichtet derselbe Herodot, daß die Ägypter zu der gewaltigen Schiffbrücke, die der Perserkönig Xerxes, der seinem Vater Dareios Hystaspis 485 v. Chr. gefolgt war und mit einem Landheer von einer Million Mann und einer Flotte von 1200 Schiffen im Jahre 482 aufbrach, um Griechenland zu unterjochen, über den Hellespont bauen ließ, die Taue aus Byblos (Papyrus) und Flachs liefern mußten.
Von der Feinheit des in Ägypten erzeugten Flachses weiß auch noch Plinius zu berichten, der in seiner Naturgeschichte schreibt: „Der Flachs der Ägypter hat zwar die geringste Stärke, bringt ihnen aber einen großen Gewinn. Es gibt dort vier Sorten: den tanischen, pelusischen, butischen und tentyritischen; eine jede führt den Namen von der Landschaft, in der sie wächst.“
Schon zur Zeit des Auszugs der Juden aus Ägypten (um 1280 v. Chr.) muß es im Niltal ausgedehnte Flachskulturen gegeben haben, um den großen Bedarf an Linnengewändern für den eigenen Bedarf und den damals schon sehr ausgedehnten Export nach Syrien, Kleinasien und die Länder am Ägäischen Meere zu bestreiten. Deshalb muß eine Flachsmißernte damals in Ägypten einen großen Verlust in volkswirtschaftlicher Beziehung bedeutet haben; denn sonst hätte man eine solche Mißernte nicht unter die sieben Plagen gerechnet, die von Jahve, dem Gott der Juden, durch Mose über die Ägypter verhängt wurden, da der Pharao sie nicht aus seinem Lande ziehen ließ. „Und der Herr ließ Hagel regnen über Aegyptenland, so grausam wie desgleichen dort noch nie beobachtet worden war, seit Leute darin wohnen. Und der Hagel schlug in Aegyptenland alles, was auf dem Felde war, beides Menschen und Vieh, und schlug alles Kraut auf dem Felde und zerbrach alle Bäume auf dem Felde. Also ward geschlagen der Flachs und die Gerste; denn die Gerste hatte Schosse getrieben und der Flachs Knoten gewonnen. Aber Weizen und Roggen ward nicht geschlagen; denn es war spätes Getreide.“ 2. Mose 9, 23 u. f.
In Palästina wurde bereits Flachs angebaut als die Juden von diesem Lande Besitz nahmen. Wir erfahren dies aus dem Umstande, daß die Kundschafter, welche Josua aussandte, auf dem Dache eines Hauses unter Flachsstengeln verborgen gehalten wurden, die hier offenbar zum Rösten an der Sonne ausgebreitet lagen. Die Verwendung des Flachses muß bei den alten Juden eine recht vielfache gewesen sein; so finden wir ihn zu Schnüren, Saiten, Lampendochten, Gürteln, wie zu den verschiedenartigsten Kleidungsstücken verwendet. Feine linnene Gewänder waren ihren Priestern, wie denjenigen Ägyptens, denen sie diesen Brauch entlehnten, bei der Ausübung ihres Amtes als Tracht vorgeschrieben. Grobe Gewänder aus ungeröstetem Flachs bildeten hingegen die Bekleidung der ärmeren Volksklassen. Hier scheinen wie anderwärts besonders die Frauen sich mit der Bearbeitung des Flachses abgegeben zu haben. Auch in ganz Vorderasien, speziell Babylonien muß nach dem um 25 n. Chr. gestorbenen griechischen Geographen Strabon seit den ältesten Zeiten eine sehr rege Flachsindustrie bestanden haben. Er bezeichnet insbesondere die Stadt Borsippa (einst am Euphrat gelegener Stadtteil Babylons) als ein großes Industriezentrum für Leinen, das dort jedenfalls fabrikmäßig hergestellt wurde. Derselbe Autor sagt von den Babyloniern, daß sie einen leinenen, bis zu den Füßen gehenden Rock, und darüber einen wollenen tragen. Auch von den Indiern sagt er, sie tragen blumige Leinenkleider. Schon lange vor Strabon wußte Herodot (484–424 v. Chr.) von den Assyrern zu berichten: „Die Assyrier, welche stromabwärts Waren nach Babylon bringen, tragen einen leinenen Rock, der bis zu den Füßen reicht,“ und an einer andern Stelle: „Die Assyrier, welche im Heere des Xerxes (482 v. Chr.) dienten, trugen leinene Panzer.“
Solche leinene Panzer müssen in ganz Westasien bis Griechenland schon lange getragen worden sein; denn bereits in der Ilias werden sie als linothṓrēx bei einigen auf seiten der Troer kämpfenden kleinasiatischen Bundesgenossen erwähnt. Auch sonst ist der homerischen Welt Linnen bekannt, aber zunächst wohl nur als fremdländische Importware. So läßt in der Ilias Achilleus seinem ihn nach Troja begleitenden Erzieher Phoinix ein weiches Bett zurecht machen, dem als Decke Schaffelle und zarte Leinwand dienten, und in der Odyssee bereiten die Phäaken dem Odysseus ein Lager aus leinenen Decken. Aber der Gebrauch von linnener Gewandung war bei den ältesten Griechen durchaus nicht gebräuchlich. Mit dieser ägyptisch-vorderasiatischen Sitte scheinen sie erst durch die solche Ware auf ihren Schiffen feilbietenden phönikischen Kaufleute bekannt gemacht worden zu sein. Denn die bei ihnen übliche Bezeichnung chitṓn für das später unter dem eigentlichen Kleide aus Schafwolle getragene leinene ärmellose Unterkleid entstammt offenkundig dem phönikischen Worte kitonet für Leinwand.
Die ältesten Griechen trugen wie alle übrigen arischen Stämme ursprünglich nur wollene Gewandung, die bei ihnen die ältere Fellkleidung abgelöst hatte. Zuerst wurde nur das Hemd aus Wolle angefertigt und darüber trug man noch einen Fellüberwurf. Dann wurde auch letzterer durch einen Wollmantel ersetzt. Solchermaßen waren auch die Griechen der älteren Zeit gekleidet, bis sie durch die Vermittlung der Phönikier ein kurzes, ärmelloses, leinenes Untergewand unter ihrem wollenen Obergewand zu tragen begannen. Zuerst hatten die Ionier in Asien das lange herabfließende Kleid aus Leinwand von ihren reichen Nachbarn in Karien angenommen, und von ihnen ging dann diese Tracht zu den blutsverwandten, früh die morgenländische Zivilisation bei sich aufnehmenden Athenern über. Erst gegen die Zeit des peloponnesischen Krieges, der von 421–404 v. Chr. währte, kam, wie der zeitgenössische Geschichtschreiber Thukydides (470–402 v. Chr.) berichtet, auch bei den Athenern das altgriechische wollene Untergewand wieder zu Ehren. Er sagt: Nur unter den reicheren Bürgern hätten die älteren, am Hergebrachten hängenden Leute den ihnen liebgewordenen Luxus linnener Unterkleider nicht aufgeben wollen. Seitdem trugen nur die Frauen noch linnene Stoffe, deren feinere Sorten als Byssos aus dem Morgenlande eingeführt wurden.
Schon in den homerischen Epen werden, vermutlich noch ausschließlich auf dem Handelswege aus Phönikien oder Ägypten eingeführte, linnene Gewänder erwähnt. Die othónē wenigstens, ein feines linnenes Frauenkleid von weißer Farbe, war, wie der Name und der Zusammenhang der Stellen, in denen sie erscheint, lehrt, ein Erzeugnis westasiatischer, nicht griechischer Kunstfertigkeit. Die auch sonst mit semitisch-phrygischem Luxus umgebene Königin Helena, die eben ein Gewand gewebt hat, doppelt und purpurn, in welchem die Kämpfe der Troer und der Achäer zu schauen waren, eilt nach dem Dichter in die weiße othónē gehüllt aus dem Gemache. Auf dem runden Prunkschilde des Achilleus sah man tanzende Jünglinge in Chitone gekleidet, während die Jungfrauen mit der zarten othónē angetan waren. In dem Wunderschlosse der Phäaken sitzen die Mägde webend und die Spindel gleich den im Winde bewegten Blättern der Zitterpappel drehend; auch sie sind in die von Salböl triefende othónē gekleidet, die als dichtgewebt und mit Fransen, einer spezifisch westasiatisch-babylonischen Erfindung, versehen hervorgehoben wird. Ebenso ist das bereits erwähnte Lager, das die Phäaken dem Odysseus auf dem Schiffe bereiten und mit dem sie ihn ans Land tragen, statt wie sonst mit Pelzen und Wollstoffen mit zartem Linnen bedeckt. Auch die als weiß hervorgehobenen Segel der homerischen Schiffe müssen aus Leinwand bestanden haben; nur das Tauwerk und die Riemen, in denen die Ruder sich bewegten, waren aus Rindshaut hergestellt. In der Odyssee, dem jüngeren homerischen Gedicht, wird ein Schiffsseil aus býblos (Papyrus) erwähnt, das wie die linnenen Gewebe auf dem Wege des Tauschverkehrs aus Ägypten eingehandelt wurde.
Über den Anbau der Leinpflanze selbst auf griechischem Boden liegen aus älterer Zeit keine bestimmten Zeugnisse vor. Der im 8. vorchristlichen Jahrhundert lebende griechische Dichter Hesiod erwähnt nirgends in seinen Gedichten den Flachs. Dagegen erwähnt der um die Mitte des 7. vorchristlichen Jahrhunderts lebende griechische Lyriker Alkman aus Sardes in Lydien Leinsamen neben Mohn- und Sesamsamen als Genußmittel. Als solches erwähnt ihn auch der im 4. vorchristlichen Jahrhundert lebende Theophrast, der hinzufügt, der Flachs verlange zu seiner Kultur einen guten Boden. Die späteren Schriftsteller wie Vergil und Columella sagen von ihm, er sauge den Boden stark aus. Letzterer sagt in seiner Schrift über den Landbau: „Wo der Lein nicht reichlich wächst und gut bezahlt wird, sollte man ihn nicht säen, da er das Land sehr aussaugt. Jedenfalls verlangt er sehr fetten, etwas feuchten Boden und wird von Anfang Oktober bis Mitte Dezember gesät. Will man recht zarte Fäden erzielen, so sät man ihn auf recht mageren Boden. Man kann die Aussaat auch im Februar vornehmen.“ In bezug auf seinen Anbau in Griechenland, der während der römischen Zeit allgemein war, berichtet der Grieche Pausanias in seiner zwischen 160 und 180 n. Chr. verfaßten Reisebeschreibung von den Bewohnern der Landschaft Elis, in der das panhellenische Heiligtum von Olympia lag, daß sie je nach der Beschaffenheit des Bodens Hanf oder Lein pflanzten. Jedenfalls nahm der Lein zu keiner Zeit in der griechischen Bodenwirtschaft die hervorragende Stellung ein, wie in manchen Gegenden des asiatischen Kontinents, besonders in Persien und Babylonien, wo sich alle Vornehmen und die Priester ausschließlich in Linnengewänder kleideten. Und zwar waren diejenigen der letzteren, gleich denen aller vorderasiatischen Kulte, wie die der ägyptischen Priester weiß als Symbole der reinen Gottesdiener. Nach Philo warf der Hohepriester das bunte Gewand ab, sobald er das Allerheiligste betrat, und trat im weißen Linnenhemde vor die Gottheit. Diese asiatisch-ägyptische Kultussitte, der auch die Juden huldigten, ging dann später in Europa auf die ähnliche Satzungen befolgenden Pythagoräer, die Orphiker, die Priester des Isis und des Mithras zur römischen Kaiserzeit und auf alle gottesdienstliche Funktionen Ausübenden über und erhielt sich als weißes Chorhemd bis auf den heutigen Tag.
Von dem Lande der ältesten Flachskultur, Babylonien, drang diese Industrie sehr früh auch zu den Bewohnern von Kolchis in Transkaukasien vor, die später bei den Umwohnern einen besonderen Ruf für ihre ausgezeichneten Leinenstoffe erhielten. Diese müssen auch von besonderer Güte gewesen sein, denn Herodot sagt: „Einzig die Kolchier kommen den Ägyptern gleich, wie auch ihre ganze Lebensweise und die Sprache Ähnlichkeit mit derjenigen der letzteren hat. Die kolchische Leinwand wird von den Hellenen sardonische genannt, die jedoch, welche von Ägypten kommt, nennt man ägyptische.“ Solches sardonisches Leinen wurde wie ägyptisches viel nach Griechenland importiert und hier von den Vornehmen, die sich gern in solch feine, teure Ware kleideten, gekauft. Wie bei den übrigen Asiaten war solches Leinen meist bunt gefärbt und glänzend durchwirkt und wegen ihrer höchsten Feinheit halb durchsichtig, wie es von den Reichen gerade so geschätzt wurde wie an den vorderasiatischen Höfen. Eine spezielle, in Asien wohl seit alten Zeiten gebräuchliche Anwendung des Flachses war die zu linnenen Panzern, durch welche das Geschoß des Feindes, wie die Zähne und Krallen der bekämpften Raubtiere wenigstens einigermaßen abgehalten wurden. Von dem vom ägyptischen König Amasis II. (570–526 v. Chr.) den Spartanern und dem Tempel der Athene zu Lindos auf Rhodos geschenkten, auf das prächtigste mit Tierbildern und Goldfäden durchwirkten leinenen Panzerhemd, einem Meisterwerk der ägyptischen Kunstfertigkeit, war bereits die Rede. Solche schönbestickte Panzerhemden waren auch in ganz Vorderasien geschätzte Schmuckstücke der Anführer, während die gemeinen Soldaten unbestickte trugen. So waren nach Herodot die Assyrier und Perser vielfach mit solchen linnenen Panzerhemden bekleidet, und auch die Bemannung der phönikischen und kleinasiatischen Schiffe im Kriegszug des Xerxes (482–480 v. Chr.) trug die bei ihnen landesüblichen linnenen Panzer. Xenophon berichtet in seiner Anabasis, der Heimkehr der zehntausend Mann griechischer Truppen nach der unglücklichen Schlacht von Kunaxa im Jahre 401 v. Chr., daß sowohl die im armenischen Hochlande hausenden Chalyber, als auch die Mossynöken an der Südküste des Schwarzen Meeres bis über die Knie reichende kittelartige linnene Panzer trugen, die zum besseren Schutze gegen allfällige Verletzungen ihres Trägers gepolstert waren.
Durch das ganze griechische Altertum wird öfter der linnene Panzer erwähnt. So trug in der Ilias nicht nur der halbbarbarische Asiate Amphios, Sohn des Merops, einer der troischen Bundesgenossen, sondern auch ein Grieche, Ajax, der Führer der Bogen und Schleuder statt der Speere und Schilde führenden Lokrer, wie die Chalyber des Xenophon solche Linnenpanzer. In dem um die Mitte des 7. vorchristlichen Jahrhunderts von Delphi ergangenen, später berühmt gewordenen Orakelspruch werden die Bewohner von Argos mit dem sie charakterisierenden Beiwort die linnenbepanzerten belegt. In einem Gedicht des als Zeitgenosse der Sappho um 600 v. Chr. lebenden griechischen Lyrikers Alkaios aus Mytilene auf Lesbos wird unter anderen Kriegswaffen auch der Linnenpanzer genannt, und solche Panzer sah der Verfasser des griechischen Baedeker, Pausanias, noch um die Mitte des 2. christlichen Jahrhunderts als sehr alte Weihgeschenke öfter in den von ihm besichtigten Tempeln aufgehängt. Derselbe Autor berichtet, daß auch in den aus Söldnern sehr verschiedener Herkunft bestehenden karthagischen Heeren der Linnenpanzer einen wichtigen Bestandteil ihrer Bewaffnung ausmachte.
Es konnte nun nicht fehlen, daß verschiedene aus Linnen bestehende Handelsartikel, vornehmlich Tücher und Kleider, durch den regen Schiffsverkehr der Griechen frühzeitig auch nach Italien hinübergebracht wurden. Nach Diogenes von Laerte soll zur Zeit, als der von Samos gebürtige griechische Philosoph Pythagoras nach Kroton in Unteritalien übersiedelte — es war im Jahre 529 v. Chr. —, das Tragen des ionischen Linnenkleides daselbst noch ungebräuchlich gewesen sein, so daß sich Pythagoras wie alle übrigen Einwohner jener Stadt in weiße Wolle kleidete. Dagegen berichtet uns der römische Geschichtschreiber Livius, daß die Etrusker um Veji nach der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. sich linnener Panzerhemden bedienten, oder daß wenigstens ihr König, wenn er zu Pferd in die Schlacht zog, einen solchen trug. Denn als A. Cornelius Cossus den König Tolumnius von Veji in der Schlacht tötete, weihte er dessen thorax linteus dem Tempel des Jupiter feretrius auf dem Kapitol in Rom, wo ihn Kaiser Augustus noch sah und die Weihinschrift las, als er den genannten Tempel, der zu verfallen drohte, wieder herstellte. Und von einer anderen etruskischen Stadt, Tarquinii, meldet er, daß sie gegen das Ende des zweiten punischen Krieges, der von 218–201 v. Chr. dauerte, Leinwand zu Segeln an die damals neu zu erbauende römische Flotte beisteuerte. Derselbe Livius berichtet von den tapferen, das Hochland des Appennins bewohnenden und kulturell von den Etruskern stark beeinflußten Samniten, die in drei Kriegen (343–341, 326–304 und 298–290 v. Chr.) gegen die Römer kämpften, bis sie von ihnen 290 unterworfen wurden: „Als die Samniten den Entschluß gefaßt hatten, auf Tod und Leben gegen die Römer zu kämpfen, warben sie 40000 Mann, umzäunten mitten im Lager einen Platz von 200 Schritt Durchmesser, bedeckten ihn mit linnenen Tüchern und ein alter Priester las beim Opfer aus einem alten linnenen Buche vor.“ Es hatte also die weiße Leinwand an sich schon etwas Sakrales, und derselbe Autor bemerkt in seiner Geschichte Roms mehrmals, daß auch bei den Römern die ältesten Urkunden und Verträge auf Leinwand geschrieben seien und in Tempeln aufbewahrt würden.
Als dann die Römer die Erbschaft der Samniten und der Griechen übernahmen, wurden auch die orientalischen Linnenkleider, wenigstens bei den Vornehmen, die sich solchen Luxus leisten konnten, Sitte. Aber bis weit in die Kaiserzeit hinein waren solche nicht Erzeugnisse der heimischen Industrie, sondern fremde Importware, die um schweres Geld vom Morgenlande eingehandelt werden mußte. So führt der römische Redner und Schriftsteller Cicero (106–43 v. Chr.) in einer seiner berühmten Reden gegen Gajus Verres, der als Statthalter von Sizilien während der Jahre 73–71 nicht weniger als 40 Millionen Sesterzien (= 6 Millionen Mark) aus jener Provinz erpreßt hatte und darob im Jahre 70 angeklagt wurde, neben dem Purpur von Tyrus, Weihrauch, wohlriechenden Essenzen, feinen Weinen, geschnittenen Steinen und Perlen auch Linnenkleider als Gegenstände des verschwenderischen Luxus seiner Zeit an, so wie wir etwa sagen würden: Diamanten und Spitzen. Aber nicht nur sich selbst kleideten die vornehmen Römer in diese kostbaren Erzeugnisse der morgenländischen Industrie, sondern auch ihre Geliebten, jene gefällige Freundinnen, deren körperliche Reize durch die purpurfarbigen und goldgestickten, infolge ihrer Feinheit schleierartig durchsichtigen linnenen Gewänder von Tyrus, Kos und Amorgos, den berühmtesten Zentren ihrer Herstellung, mehr verraten als verhüllt wurden. Selbst die Dienerschaft trug kostbares Linnen, so besonders die jungen Sklaven, die bei den schwelgerischen Gastmählern servierten.
Mehr und mehr wurde die fremde Leinwand zumal im Rom der Kaiserzeit populär. Um das zuschauende Volk vor der Sonne zu schützen, ließen reiche Magistrate und Cäsaren Schutzdächer aus Leinwand über die Theater und Amphitheater wie auch über die Gerichtsstätte, das Forum, spannen. Beim Wechsel der Mode, über den schon früh, noch zur Zeit der Republik, geklagt wurde, erschienen stets wieder neue Kleiderformen, Tücher, Binden usw. aus Leinenstoff, so beispielsweise der supparus. Ursprünglich war dies die Bezeichnung eines kleinen Segels, dann eines Frauengewandes; denn, wie in Athen, bürgerten sich in Rom und in dessen westlichen und nördlichen Provinzen jeweilen zuerst linnene Frauengewänder vor solchen für die Männer ein. Dann wurde es vornehme Sitte, ein Stück feines Linnen als Schmucktuch in oder an der Hand zu tragen, ganz nach Art jener „Handtücher“ im ursprünglichen Sinne des Wortes, die auch die vornehmen Griechen zu Herodots Zeit im 5. vorchristlichen Jahrhundert getragen hatten. Dieses, nach dem damit abzutrocknenden Schweiße als sudarium bezeichnete feine, weiße Linnentüchlein wurde als manipulum (von manus Hand, also „Handtuch“) nicht nur die ganze römische Kaiserzeit hindurch als Zierde und Auszeichnung des vornehmen Standes getragen, sondern dann auch von den Byzantinern übernommen. Auf allen Darstellungen des höfischen Lebens jener Zeit, von denen diejenigen auf den berühmten Mosaiken der Kirche San Vitale in Ravenna mit der Darstellung des Kaisers Justinian und seiner Gemahlin Theodora die bekanntesten sind, tritt uns bei den vornehmen Männern des kaiserlichen Gefolges dieses viereckige, feine, weiße Linnentüchlein außen am Gewand angeheftet entgegen. Und während es bei uns in die erst später erfundenen Gewandtaschen wanderte, um als gemeines Taschentuch einem praktischen Zwecke zu dienen, hat es in der Hand der Dorfschönen besonders bei den Südslawen als Ziertuch immer noch den alten Adel gewahrt. Die konservativste aller menschlichen Einrichtungen, die Kirche, hat dieses alte „Handtuch“, das manipulum der spätrömischen Zeit, als ein Stück gestickten Brokats am Arme des katholischen Meßpriesters erhalten, während es in der griechischen Kirche zum Orarion umgebildet wurde.
In den luxuriösen Bädern des alten Rom dienten dichtgewebte Leinwandtücher zum Abtrocknen und als Tischdecken. Letztere waren unter dem Namen mantelia oder mantela dazu bestimmt, den aus kostbarem Holz — meist citrum, d. h. harzreichem, duftendem Holz verschiedener Koniferenarten, besonders einer auf dem Atlasgebirge in Afrika wachsenden Zypresse — bestehenden Tisch gegen Beschädigungen der beim Speisen aufgetragenen Schüsseln zu schützen. Solche nahmen die germanischen Barbaren bei ihren räuberischen Einfällen in römisches Gebiet an sich und benutzten sie als willkommene Umschlagtücher, deren lateinische Bezeichnung zum deutschen Mantel wurde.
Auch die in Theater und Amphitheater ausgespannten großen Tücher zum Spenden von Schatten waren aus Leinen verfertigt. Plinius (23–78 n. Chr.) erzählt uns darüber: „Der erste, der solche Tücher aus Leinwand ausspannte, war Lentulus Spinther bei den Apollinischen Spielen im Theater. Dann spannte der Diktator Cäsar über das ganze Forum, ferner über die Heilige Straße von seinem Hause bis an das Kapitol eine Leinwanddecke aus. Auch Marcellus, Schwestersohn des Augustus, hat das Forum mit einer Leinwanddecke überzogen. Neulich haben sogar himmelblaue, mit Sternen übersäte leinene Segeltücher im Amphitheater des Nero gehangen; die über den Höfen seines Hauses sind rot.“ Später wurde noch weit größerer Prunk mit diesen als vela bezeichneten Sonnentüchern getrieben.
Trotz allem Fortschreiten des Luxus, der große Mengen von Leinwand bedurfte, hat aber Italien südlich von Rom — und dieser Teil der Halbinsel war ja in den ersten Zeiten der römischen Weltherrschaft gerade der zunächst gebende und empfangende, derjenige, auf den gleichsam das Gesicht der Hauptstadt gerichtet war und über den der Weg in die wichtigsten Provinzen des römischen Reiches führte — auch in späterer Zeit nur verhältnismäßig sehr wenig Flachs angebaut. Der 149 v. Chr. gestorbene ältere Cato, der unversöhnliche Gegner des nach dem zweiten punischen Kriege (218–201 v. Chr.) wieder aufblühenden Karthago, erwähnt in seinem Buche über die Landwirtschaft nicht einmal den Flachs. Auch Columella, der römische Ackerbauschriftsteller des 1. Jahrhunderts n. Chr., legt dieser Kultur keinen Wert bei. Er erwähnt zwar den Flachs, aber er zählt ihn mit Bohnen, Linsen, Erbsen und anderen Arten von legumina, also Gemüsen, zur Gewinnung von Leinsamen zu Speisezwecken auf. Erst der im Jahre 79 n. Chr. beim Vesuvausbruche umgekommene ältere Plinius lenkt die Blicke seiner Landsleute auf die Asien und Ägypten seit langem bereichernde Leinkultur, für die sich auch Italien eignen würde. Aber in diesem Lande gab sich nur der ehemalig etrurische und keltische nördliche Teil eingehender mit dieser Kultur ab. So sagt Plinius in seiner Naturgeschichte: „Die Anwendung des Leins erstreckt sich über alle Länder und Meere, denn mit Hilfe leinener Segel schiffen wir von der sizilischen Meerenge in 6–9 Tagen nach Alexandrien, von Gades (Cadix in Spanien) in 7 Tagen nach Ostia (an der Tibermündung), aus Afrika dahin in 2 Tagen. Die Leinpflanze wächst aus einem ganz unbedeutendem Samen und muß, wenn sie dem Menschen dienen soll, erst bis zur Feinheit der Wolle verarbeitet werden. Damit weben die Ägypter, Gallier und Germanen leinene Segel.“
Berühmt durch seinen Flachsbau war schon im 1. Jahrhundert n. Chr. Spanien, aus dem überaus feines Linnen besonders nach Rom ausgeführt wurde. Hier muß diese Kultur schon alt gewesen sein; denn der Geschichtschreiber Livius berichtet, daß die Iberer in der Schlacht bei Cannae (216 v. Chr.), jenem glänzenden Siege Hannibals, in dessen Gefolgschaft sie gegen die Römer kämpften, nach Landessitte farbig gesäumte Linnenröcke trugen. Nach Strabon trieben besonders die Emporiten eine ausgedehnte Leinwandindustrie, und trugen die wilden, räuberischen Lusitanier im heutigen Portugal Linnenharnische. Plinius rühmt die feinen Siebe aus Flachsfäden als ursprünglich spanische Erfindung und nennt die ferne Stadt Zoelae am Strande des Atlantischen Ozeans im Lande der rohen Asturer als Flachs bauend. Besonders berühmt für ihr feines Leinen war Saetabis und Tarraco (die heutigen Städte Xativa und Tarragona), wo das Produkt die phönikische Bezeichnung carbasus trug, die ihrerseits wiederum mit dem indischen Namen karpasi für Baumwolle zusammenhängt.
Der ältere Plinius (23–79 n. Chr.) gibt uns eine ausführliche Schilderung der Leinkultur bei den alten Römern: „Der Lein (linum) wird vorzugsweise auf sandiges, einmal gepflügtes Land gesät und wächst ungemein schnell. Im Frühjahr gesät wird er schon im Sommer gerauft. Das Reifen derselben erkennt man am Schwellen des Samens und am Gelbwerden der Pflanze. Nun wird er ausgerissen, in Bündel gebunden, die man mit der Hand umspannen kann. Diese Bündel werden 6 Tage lang an die Sonne gehängt, wobei der Samen ausfällt. Dieser hat Heilkräfte, wurde auch sonst jenseits des Padus (Po) in eine ländliche süße Speise getan; jetzt wird er nicht mehr gegessen, wohl aber bei Opfern. Nach der Weizenernte werden die Flachsstengel in Wasser gelegt, das von der Sonne durchwärmt ist, und durch ein Gewicht unter die Oberfläche gedrückt. Ob sie gehörig gerottet (macerari) sind, sieht man daran, daß sich der Bast (membrana) leicht ablösen läßt. Dann werden sie an der Sonne getrocknet und hernach auf einem Stein mit einem besonderen hölzernen Hammer geklopft. Die der Rinde am nächsten liegenden Schichten sind von geringem Wert und werden besonders zu Lichtdochten verwendet. Gleichwohl werden auch sie durch die eisernen Haken gekämmt (gehechelt), bis sie ganz entrindet sind. Das innere Mark (medulla) wird noch mehrfach nach Glanz, Weiße und Weichheit unterschieden. Den Flachs zu hecheln und zu sortieren ist eine Kunst; denn aus 50 Pfund Flachsbündeln müssen 15 Pfund reiner Flachsfäden gemacht werden. Auch das gesponnene Garn und das fertige Gewebe wird noch durch Eintauchen in Wasser und Klopfen veredelt. Das kumanische Garn aus Kampanien eignet sich trefflich zu Fisch- und Vogelfang, ja zum Fangen der Wildschweine in Netzen. Die Fäden der Ebergarne sind aus 150 einfachen Leinfäden zusammengesetzt. Gezupfte Leinwand, vorzüglich aus Segeln der Schiffe, wird vielfach in der Heilkunst gebraucht. — Man färbt auch Leinwand. Dies soll zu Alexanders (des Großen) Zeit zuerst geschehen sein. Seine Flotte fuhr (326 v. Chr.) mit farbigen Flaggen den Indus hinab. In der Schlacht bei Actium (31 v. Chr.) trug das Admiralsschiff, auf welchem sich Kleopatra und Antonius befanden, purpurfarbige Segel.“
Ganz Gallien bis zum äußersten Norden wird von Plinius als Flachs bauend und Leinwand webend geschildert. Die Anfänge der flämischen Leinenindustrie reichen wenigstens bis zum 1. Jahrhundert n. Chr. zurück, und daß auch die Gegend um Reims feine Leinwand erzeugte, das lehrt uns die italienische Sprache in dem Worte renso für eine von dort bezogene besonders gute Qualität. Selbst bis zu den Germanen jenseits des Rheins, fährt Plinius fort, ist diese Kunstfertigkeit gedrungen. „Das germanische Weib kennt kein schöneres Kleid als das linnene; dort sitzen sie in unterirdischen Räumen (Grubenwohnungen) und spinnen und weben.“ Ungefähr dasselbe sagt der Geschichtschreiber Tacitus (54–117 n. Chr.) in seiner Germania: „Die Frauen kleiden sich wie die Männer, nur daß sie sich häufiger als diese in linnene Tücher hüllen, die sie mit roter Farbe verzieren.“ Die Männer trugen also noch die Wollkleidung, selbst Felle, während die Frauen auf ihren Hackfeldern Flachs zogen und sich mit daraus hergestellten Linnenkleidern schmückten.
All dieser Flachs war der einjährige, von Linum usitatissimum, der im Gegensatz zum minder wertvollen mehrjährigen der Pfahlbauern erst sehr spät aus Westasien nach Mitteleuropa gelangte. Durch seine einjährige Vegetationsdauer eignete er sich auch viel besser für die rauhen Gegenden Germaniens. Und zwar wurde diese Kulturpflanze wie im Griechischen línon, so im Lateinischen linum und von da bei allen Nordvölkern Lein bezeichnet. Nur in Westgermanien kam die mit dem Begriff Flechten zusammenhängende Bezeichnung Flachs für ihn auf.
Bei den Kelten und Germanen hat sich dann die vom Süden her durch die Römer vermittelte Sitte der linnenen Kleidung sehr rasch eingebürgert; ja, diese Völkerschaften beeinflußten sogar ihre vormaligen Lehrmeister in der Weise, daß sie ihnen neue Verwendungen des Linnens lehrten. So haben die Gallier zuerst mit Pferdehaaren oder Vogeldaunen gestopfte Leinwandsäcke als Polster und Kissen verwendet und sie in der Folge auch in Italien populär gemacht, wo man sich zum Sitzen und Liegen bis dahin bloßer Lagen von Decken und weichen Stoffen bedient hatte. Sie waren es ebenfalls, die durch alle Schichten der Bevölkerung zuerst das Hemd aus Leinen trugen, wofür sie den zuerst beim heiligen Hieronymus vorkommenden Namen camisia aufbrachten, woraus später das französische chemise für Hemd wurde. Vor ihnen hatten nur Frauen vornehmen Standes Leinwand unmittelbar am Körper getragen, und vom römischen Kaiser Alexander Severus, der von 222 an regierte und im Jahre 235 unweit Mainz von aufrührerischen Soldaten ermordet wurde, schreibt sein Biograph Lampridius, daß er weißes Linnen als Unterkleid liebte, weil es nichts Rauhes (wie die sonst getragene Wolle) habe. Einige Dezennien später schenkte Kaiser Aurelian seinem Volke weiße, mit Ärmeln versehene Tuniken, die in verschiedenen Provinzen angefertigt waren, darunter auch ungefärbte linnene aus Ägypten und Afrika.
Im Laufe der Völkerwanderung hat sich das linnene Kleid bei allen Germanenstämmen als gewöhnliche Volkstracht eingebürgert. Die Westgoten trugen über den Leinenhemden, die uns vom Berichterstatter Sidonius Apollinaris, der mit den Ältesten derselben im Namen des byzantinischen Kaisers verhandelte, als sehr schmutzig bezeichnet werden, Pelze, und die Franken neben den ledernen auch linnene Hosen. Von den Germanen kam dann der Flachsbau mit dem dem Lateinischen entnommenen Namen zu den Slawen. Wie die deutsche Hausfrau bis in die Neuzeit selbst gesponnenes Leinenzeug als ihren wertvollsten Schatz aufspeicherte, so bildete Leinwand in den Grenzgebieten der Germanen und Slawen das gewöhnliche Tauschmittel. Als solches wird sie aber auch in altnordischen Gesetzen genannt; in Skandinavien bildete sie neben dem einheimischen Wollstoff eine sehr gerne in Tausch genommene Wertsache. Endlich fand beim Weiterrücken der Kultur der Leinbau an der Ostsee und in Rußland eine neue Heimstätte, wo sie bis auf den heutigen Tag zunehmende Bedeutung erlangte.
Es kann nicht unsere Sache sein, die Bedeutung des Flachses durch das Mittelalter, wo jedermann wenigstens am Tage — nachts lag man nackt im Bett — Leinenhemden trug, bis zur Jetztzeit zu illustrieren. Es genüge nur daran zu erinnern, welche große Bedeutung Leinenzeug, zumal die Brabanter und Venezianer Spitzen, im 17. und teilweise noch im 18. Jahrhundert genoß, bis schließlich auch hierin der ältere Lein durch die jüngere Baumwolle, die ihren Siegeszug durch die ganze Welt antrat, verdrängt wurde.
Der Lein gedeiht am besten in feuchtem, kühlem Klima; bei Trockenheit bleibt er kurz im Stengel. Die beste Qualität wächst auf humosem Lehmboden unter dem Einfluß des Seeklimas, so in den Ostseeprovinzen Rußlands, in Belgien, Holland und vor allem Irland. Gepflanzt wird er gewöhnlich nach frisch umgebrochenem Rotklee oder nach Getreide. Weil er dem Boden viel Nährsalze entzieht, versagt er nach sich selber. Er wird möglichst frühzeitig gesät und braucht zur Vollendung seines Wachstums 90–120 Tage. Sobald das untere Drittel der Stengel gelblich geworden ist wird er gerauft, auf dem Felde getrocknet, dann die Samenkapseln an einem eisernen Kamm abgeriffelt. Zur Gewinnung des Rohflachses werden die Stengel zur Zerstörung des Pflanzenleims, der den Bast, das eigentliche Fasermaterial verbindet, gerottet, d. h. in weichem, möglichst kalkfreiem Wasser einer gelinden Fäulnis unterworfen, bis sich der Bast leicht vom inneren Holz abstreifen läßt, was in 10–14 Tagen der Fall ist. Dann werden die sortierten Stengel mit der Brake gebrochen, um den holzigen Kern des Flachsstengels in kleine Stückchen zu zerlegen, die dann durch Schwingen mit Hilfe eines hölzernen Messers entfernt werden. Zuletzt werden noch die bandartig zusammenhängenden Fasern gehechelt, d. h. durch Eisenkämme gezogen, welche alle Unreinlichkeiten, sowie die kurzen und verwirrten Fasern zurückhalten. Diese heißen Werg oder Hede (alt- und mittelhochdeutsch rîste) und dienen zum Polstern oder auch zur Herstellung grober Gespinste und Gewebe. Die glatten, gleichmäßigen Strähne aber liefern den eigentlichen Flachs, der früher in vielen Häusern zu Leinengarn gesponnen wurde, eine Manipulation, die gegenwärtig fast ausschließlich durch Maschinen besorgt wird. Die Spinnmaschine, welche in ihren Grundzügen von Ayres konstruiert wurde, ist neben dem vom Engländer Cartwright im Jahre 1787 konstruierten mechanischen Webstuhl eine der wunderbarsten und nützlichsten Erfindungen des menschlichen Geistes. Sie zieht nicht nur den Faden aus, sondern dreht und wickelt ihn zugleich auf die Spule.
Der ausgehechelte Flachs hat Fasern von 30–60, höchstens 70 cm Länge, die durch den Rest des Pflanzenleims zusammengehalten werden. Sie bestehen aus festen, fast bis zum Verschwinden des Hohlraums verdickten sogenannten Bastzellen. Der beste Flachs mit den längsten Fasern ist lichtblond oder silbergrau mit Seidenglanz. Die Gesamtproduktion Europas wird auf 700 Millionen kg geschätzt; davon entfallen 500 Millionen kg auf Rußland und etwa 100 Millionen kg auf Deutschland und Österreich. Auch Ägypten und Nordamerika erzeugen große Mengen desselben. Die Fabrikationsdistrikte für leinene Gewebe sind für Deutschland besonders in Schlesien und Westfalen (um Bielefeld) gelegen. Seit langem ist besonders das Brabanter Leinen in Form von Battist wegen seines überaus feinen Gewebes berühmt. Auch Irland liefert sehr gute Leinen, ebenso das nördliche Böhmen.
Sehr viel später als der Lein ist der Hanf (Cannabis sativa), ein naher Verwandter des Hopfens, in die Länder am Mittelmeer und nach Europa gelangt. Die alten Babylonier, Ägypter, Juden und Phönikier haben ihn noch nicht gekannt. Zuerst wird er in Indien zwischen 800 und 900 v. Chr. als angebaute Nutzpflanze unter dem Namen bhanga erwähnt, dann in dem um 500 v. Chr. verfaßten chinesischen Buche Schu-king. Seine Heimat ist Zentralasien, wo er in Turkestan bis zum Baikalsee, aber auch südlich vom Kaspischen Meer und in Südrußland stellenweise noch als Wildling gefunden wird. Dort irgendwo muß er von einem uns unbekannten Volksstamme zuerst als Nährpflanze zur Erlangung der ölreichen Samen, dann als Genußpflanze zur Gewinnung des Haschisch und zuletzt erst als Gespinstpflanze gezogen worden sein und sich langsam als Kulturpflanze allseitig ausgebreitet haben. Zu den mit ihren zahlreichen Herden nomadisierenden Skythen in Südrußland kam er als Genußmittel, indem diese sich nach dem Berichte des Vaters der Geschichte, Herodot (484–424 v. Chr.), in der Weise berauschten, daß sie in geschlossenen, kleinen Filzzelten (Jurten) Hanfsamen auf heiß gemachte Steine warfen und die sich dabei entwickelnden betäubenden Dämpfe einatmeten, bis sie, in Ekstase geratend, „vor Freude brüllend“ daraus herausrannten. Von den Thrakern berichtet derselbe Autor, daß sie aus den Fasern dieser Pflanze Kleider webten. Damals, im 5. vorchristlichen Jahrhundert war diese Pflanze den Griechen noch unbekannt. Erst später erhielten sie dieselbe aus dem Balkan unter dem Namen kánnabis, der dann unverändert von den Römern übernommen wurde. Und die Balkanstämme, die ihn den Griechen vermittelten, gaben ihn dann auch nordwärts in die Donaugegenden und nach Germanien ab. In Albanien als kanep, bei den Tschechen und Slawen als konop bezeichnet, gelangte er als hanaf zu den Germanenstämmen. Aus diesem althochdeutschem Worte ist dann mittelhochdeutsch hanef und neuhochdeutsch Hanf geworden. Nach einer sehr ansprechenden Vermutung Schraders liegt die einfachste Form des Namens im tscheremissischen (einer Sprache des Kaukasus) kene Hanf vor, während der zweite Bestandteil bis oder pis in der syrjänischen und wotjakischen (sibirischen Stämmen) Benennung der Nessel piš seine Entsprechung finden würde, so daß also cannabis eigentlich „Hanfnessel“ bedeuten würde.
Von Griechenland wanderte die Kenntnis und der Anbau des Hanfes erst in verhältnismäßig später Zeit nach Sizilien und Unteritalien und von da nach Mittel- und Norditalien. Der ums Jahr 200 n. Chr. in Alexandrien und Rom lebende Grieche Athenaios, der uns in seinen auf uns gekommenen 15 Büchern Deipnosophistai wichtige Nachrichten über Leben und Leistungen der alten Griechen hinterließ, berichtet von König Hieron II. von Syrakus (regierte von 269–215 v. Chr.), er habe ein ungeheures Prachtschiff bauen lassen, zu dem er von allen ihm bekannten Ländern je das Vorzüglichste in seiner Art kommen ließ. Pech und Hanf habe er vom Rhonefluß in Gallien bezogen. Dort muß also zu seiner Zeit der Hanf besonders gut gediehen sein. Zu den Kelten, die sich seiner Samen, wie wir aus anderer Quelle wissen, auch als Ölspender und Betäubungsmittel bedienten, was bei den Griechen und den von diesen damit beschenkten Römern durchaus nicht üblich war, wird er jedenfalls nicht durch griechische Vermittlung über die Kolonie Massalia, dem heutigen Marseille, sondern direkt von Osten her aus der Donaugegend gekommen sein.
Der ältere Cato (234–149 v. Chr.) nennt in seiner Schrift über den Landbau weder Flachs noch Hanf. Der erste römische Schriftsteller, der den Hanf erwähnt, indem er von einem hänfenen Strick spricht, ist der ums Jahr 100 v. Chr. lebende Satiriker Lucilius. Nach ihm erwähnt ihn der gelehrte Varro (116–27 v. Chr.) in seiner Schrift über den Landbau. Er schreibt darin: „Hanf, Lein, Simsen (juncus) und Spartgras (spartum) werden auf Feldern gezogen, um aus ihnen Stricke und Seile anzufertigen.“ Das seit dem zweiten punischen Kriege (218–201 v. Chr.) von Spanien her bei den Römern als Bastpflanze aufgekommene Spartgras (auch Esparto, von Stipa tenacissima), das bis auf den heutigen Tag viel von Südspanien und dem westlichen Nordafrika exportiert wird, schränkte den Anbau des Hanfes in Italien sehr ein. Doch wurde er in der Zeit der römischen Kaiser stellenweise angepflanzt und gedieh vortrefflich; denn der 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch als Befehlshaber der bei Misenum stationierten Heimatflotte umgekommene ältere Plinius berichtet in seiner Naturgeschichte, daß in dem durch seine Fruchtbarkeit berühmten Landstrich um Reate im Sabinerland der Hanf baumhoch werde. Sein Anbau fand damals wie heute besonders in den Niederungsdistrikten Italiens und Siziliens statt.
Nach dem nördlichen Europa verbreitete sich die Hanfkultur ziemlich spät und nur strichweise, soweit das Klima milde und der Boden humusreich und feucht ist. Die Pflanze wächst in größeren weiblichen und kleineren männlichen Individuen. Merkwürdigerweise aber bezeichnet der Deutsche die letzteren als Fimmel oder Femell (vom lateinischen femella Weibchen) und die ersteren als Mäschel (vom lateinischen masculus Männchen), wohl von der Vorstellung ausgehend, daß das Kürzere und Schwächere weiblich und das Größere, Stärkere männlich sein müsse. Der Hanf liebt wärmeres Klima als der Flachs und ist gegen Kälte und Spätfröste sehr empfindlich. Da er aber nur eine Vegetationsdauer von 90–105 Tagen hat, so läßt er sich in Europa noch in den Küstenländern der Ostsee kultivieren. Am besten gedeiht er auf tiefgründigem Humusboden. Man sät ihn, wenn keine Fröste mehr zu befürchten sind, zieht die kürzeren männlichen Hanfpflanzen aus, sobald deren Blätter gelb werden, ebenso nach weiteren 4–6 Wochen die höheren weiblichen, wenn diese gelb zu werden beginnen. Die Gewinnung der zum Verspinnen oder zur Seilfabrikation usw. bestimmten Fasern erfolgt im allgemeinen in der beim Flachs angegebenen Weise durch Rotten, Brechen, Schwingen und Hecheln. Die 1 bis 2 m langen Hanffasern sind weißlich oder grau und weit gröber als die Flachsfasern; die darin enthaltenen einzelnen Bastzellen sind 1,5 bis 2,5 cm lang und sehr hygroskopisch. Die Hanfproduktion Europas und Nordamerikas beziffert sich auf etwa 500 Millionen kg. Davon entfallen auf Rußland 150, Italien 50, Österreich-Ungarn 87, Frankreich, Deutschland und Vereinigte Staaten je 70 Millionen kg. In Rußland, wo der Hanf wie in Italien südlich vom unteren Po zum Teil im Lande selbst zu Stricken, Tauen und Segeltuch verarbeitet wird, gewinnt man als ein Hauptprodukt der Hanfkultur das aus dem Samen gepreßte Hanföl, das allgemein besonders während der langen und strengen griechischen Fasten als Speisefett dient. Natürlich wird solches zu gewinnen in Italien verschmäht, da es an seinem Olivenöl ein besseres Speisefett besitzt.
Von ausländischen Faserstoffen, die ähnlich wie Hanf verwendet werden, ist zunächst der bengalische Hanf zu nennen, der von einer bis 2 m hohen, von Vorderindien bis Australien verbreiteten Leguminose mit lanzettförmigen, seidenhaarigen Blättern und schönen, großen, gelben Blüten (Crotalaria juncea) gewonnen wird. Aus deren Stengeln bereitet man auf dieselbe Art wie bei unserem Hanf eine blaßgelbliche, seidenglänzende Bastfaser. Sie wird deshalb seit alter Zeit fast überall in Südasien, besonders in Indien, auf Java und Borneo kultiviert.
Der gleichfalls zur Herstellung von Tauen und Stricken und anderen Geflechten verwendete Manilahanf stammt von der auf den Philippinen heimischen Faserbanane (Musa textilis), die in großer Menge in den vulkanischen Gegenden dieser Inselgruppe kultiviert wird. Die wildwachsenden Pflanzen liefern zwar auch, aber nur sehr wenig Faserstoff. Man hat diese nützliche Faserpflanze auch in anderen tropischen Gegenden anzubauen versucht, aber nur mit geringem Erfolg. So stammt diese Bastfaser, die nach dem Exporthafen Manila so heißt, fast ausschließlich aus den Philippinen. Die Faserbanane hat im dritten Jahre eine Höhe von 6 m und einen Stammdurchmesser von 18 cm erreicht und wird dann vor der Blüte geerntet. Die gefällten Stämme läßt man einige Tage liegen, um sie saftärmer zu machen und schneidet dann die Fasern nach kurzer Röstung der Schäfte durch Handarbeit heraus, indem man sie durch Eisenkämme hindurchzieht. Dadurch werden die 1–2 m langen verholzten Fasern, die aus kurzen, feinen Bastzellen bestehen, rein gewonnen. Sie kommen in bräunlichen bis gelblichweißen Strängen von seidenartigem Glanz in den Handel und dienen zur Anfertigung von Seilerwaren und zu vielen Luxusartikeln, die besonders geschätzt sind, wenn die Faser mit Seide verwebt wurde, was bei den Manilataschentüchern u. dgl. der Fall ist. Wegen ihrer Leichtigkeit und Haltbarkeit im Wasser werden aus ihnen auch Schiffstaue hergestellt, doch sind sie schwerer zu verarbeiten als der Hanf. Da der Manilahanf sehr billig ist, wird er von den Schiffern meist nur als Ballast verladen. Die Insel Manila allein soll jährlich über 31 Millionen kg davon ausführen. Ungefähr 14 Millionen kg gehen nach den Vereinigten Staaten, besonders nach New York, etwa 6 Millionen kg nach England und gegen 2,5 Millionen kg werden in Manila selbst zu Schiffstauen von 1–15 cm Umfang und bis 200 m Länge verarbeitet. Gröbere und zugleich geringere Sorten stammen von anderen Musaarten, besonders von der überall in den Tropen angebauten gewöhnlichen Banane, dem Pisang.
Der Mauritiushanf stammt von einer mächtigen, hohen Staude aus der Familie der Amaryllideen (Fourcroya gigantea), die im tropischen Mittelamerika heimisch ist und seit 1750 auf der Insel Mauritius, in neuester Zeit auch in Ostindien zur Fasergewinnung kultiviert wird. Die bis 2,5 m langen Blätter werden vom dritten Jahre an geerntet und werden mit der Hand oder mit Maschinen verarbeitet.
Der Familie der Liliengewächse gehört der neuseeländische Flachs (Phormium tenax) an, eine ausdauernde Pflanze, aus deren kurzem, dickem Wurzelstock 1–2 m lange, 2–4 cm breite, graugrüne, lederartige Blätter hervorsprießen. Sie wächst auf Neuseeland, der Insel Norfolk und in verschiedenen Teilen Australiens wild, wird aber hier wegen ihrer Fasern auch kultiviert. Seit alter Zeit dienen die Fasern der Blätter zu Seilen, gröberen Bekleidungsstoffen und sonstigen Geflechten, während der bittere Wurzelstock wie die Sarsaparille gegen Skrofulose und Syphilis verwendet wird. Erst durch den englischen Entdeckungsreisenden Cook wurde diese Faserpflanze nach 1769 bekannt. Die durch Verfaulenlassen der Blätter gewonnene Rohfaser ist etwa 1 m lang, gelblich, stellenweise weißlich und wird erst in Europa, und zwar fast ausschließlich in England, gereinigt und zu Flechtereien wie Tauen und gröberen Webereien, namentlich Segeltuch, verarbeitet. Diese sind biegsamer und leichter als diejenigen aus gewöhnlichem Hanf und werden selbst bei langem Liegen in Wasser kaum verändert.
Ebenso verhält es sich mit dem Sanseveriahanf, der aus den langen, dickfleischigen, graugrünen, mit dunkleren Bändern quer gestreiften Blättern einer in mehreren Arten im tropischen Afrika heimischen Lilie der Gattung Sanseveria gewonnen wird. Am häufigsten wird in Westafrika Sanseveria guineensis, in Ostafrika dagegen S. cylindrica und ehrenbergi ausgebeutet. In ihrer Heimat wachsen sie in großen Beständen wild, meist auf steinigen Steppen im Schatten von Gebüsch; um jedoch die Gewinnung zu erleichtern, werden sie an verschiedenen Orten der Tropen kultiviert. Dabei sind sie höchst anspruchslos, werden außer durch Samen meist durch Wurzelschößlinge, die in großer Zahl um die Pflanze herum aufschießen, vermehrt und erreichen ein hohes Alter, so daß eine Anlage erst nach vielen Jahren erneuert zu werden braucht. Die Aufbereitung der Faser geschieht in mühsamer Weise wie bei den vorgenannten Arten von Hand, könnte aber, wenn Pflanzungen in größerem Maßstabe angelegt würden, weit einfacher durch Maschinenbetrieb gewonnen werden. Die Kultur im großen würde sich sehr lohnen, da die Sanseveria-Bastfasern von hervorragender Güte liefern. Von Deutsch-Ostafrika wurden bis jetzt davon nur 154000 kg exportiert.
Tafel 95.
Anpflanzung von Manilahanf (Musa textilis) in Mindanao auf den Philippinen.
Zum Trocknen aufgehängter Manilahanf auf San Ramon auf der Insel Mindanao. (Beide nach einer in der Sammlung des botan. Instituts der Universität Wien befindlichen Photogr. von Dr. Hans Hallier.)
Tafel 96.
(Phot. Vincenti, Daressalam.)
Sisalagavenplantage in Deutsch-Ostafrika. Die der Blätter beraubten Pflanzen haben Blütenschosse getrieben, womit ihre Daseinszeit zu Ende ist.
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GRÖSSERES BILD
In Mexiko, besonders auf der Halbinsel Yucatan, wird die in Mittelamerika heimische Sisalagave (Agave rigida) gebaut, so genannt nach der Hafenstadt Sisal in Yucatan, die lange Zeit der Hauptausfuhrort für den Sisalhanf war. Derselbe wird von den bis über 1 m langen, dicken, fleischigen Blättern der trockene Standorte wie ihre Verwandten liebenden Agave gewonnen. Diese gehört zu den Amaryllisgewächsen und entwickelt am Ende ihrer Vegetationszeit einen holzigen Schaft von 3–5 m Länge mit rispenförmigen Blüten. Nach dem Reifen der Früchte stirbt die Pflanze ab. Die Sisalagave wächst am besten in tropischen und subtropischen Gebieten mit nicht zu großer Feuchtigkeit und wird noch mit gutem Erfolg auf Boden angepflanzt, der für andere Kulturgewächse zu schlecht ist. Dort gedeiht sie ohne Pflege, nur muß anfänglich, solange die Pflanzen klein sind, das Unkraut niedergehalten werden. Die Fortpflanzung geschieht entweder durch Wurzelschößlinge, die vom dritten Jahre an als Triebe des Wurzelstocks reichlich aus dem Boden hervorbrechen und nur abgegraben und verpflanzt zu werden brauchen, oder durch zwiebelförmige Brutknospen, die sich ebenfalls in großer Zahl, bis zu 3000, an der Pflanze bilden, um abzufallen und ihre meist schon vorher gebildeten Wurzeln in die Erde zu versenken. Ist die Pflanze fünf Jahre alt, so können bis zu ihrem 15.-20. Jahre zwei- bis viermal jährlich die ausgewachsenen Blätter abgeschnitten werden. An diesen werden dann vermittelst einer Maschine die Fasern von den Fleischteilen des Blattes abgetrennt, gereinigt, getrocknet und gebleicht, um als Sisalhanf in den Handel zu gelangen. Dieser ist leicht, gelblich-weiß, glänzend, stärker und elastischer als Hanf, härter und weniger biegsam als Manilahanf, widersteht der Nässe, braucht also nicht geteert zu werden, und erlangt unter Wasser sogar eine erhöhte absolute Festigkeit. Er dient zur Herstellung von Tauen, Segeltuch, Packtüchern, Teppichen, Papier und als Indiafaser zum Polstern. Mexiko führt davon jährlich 500000 Ballen im Werte von 40 Millionen Mark aus. Seine Kultur ist neuerdings auch in den deutschen Kolonien, besonders Ostafrika, aber auch Neuguinea eingeführt worden. Diese führten schon 1907 für 2,2 Millionen Mark aus. Seitdem hat sich die Produktion noch wesentlich gehoben. Im Jahre 1908 wurden in Ostafrika allein die vorhandenen Sisalpflanzungen auf 10355 Hektar mit 24 Millionen Pflanzen geschätzt und kamen fast 3 Millionen kg Sisalhanf im Werte von über 2 Millionen Mark zur Ausfuhr.
Von einer verwandten Agave, der in Mexiko heimischen Agave heteracantha, die dort vom Volke lechuguilla genannt wird, stammt die im Lande selbst als ixtli, bei uns aber nach dem Hauptausfuhrhafen Tampico meist als Tampicofaser bezeichnete, zwar grobe und kurze, aber äußerst haltbare und starke Faser. Sie wird durch Abschaben der fleischigen Blätter, solange diese noch grün und saftig sind, gewonnen. Die Faserbündel werden dann ausgehoben, gewaschen, an der Sonne getrocknet, mit einem Holzkamme wie Frauenhaar gekämmt, in verschiedenen Längen zu Strähnen gebunden und in Ballen verpackt. Die Ausfuhr beträgt über 3 Millionen kg jährlich.
Im Gegensatz zu ihr steht die fast ausschließlich in Zentralamerika von verschiedenen Bromeliazeen aus der engsten Verwandtschaft der Ananas, besonders von Bromelia karatas gewonnene Pitafaser oder das Hondurasgras. Aus diesem sehr feinen und festen Faserstoff hat man früher den sogenannten Ananasbattisthergestellt, während man sich heute damit begnügt, ihn zu gröberem Flechtwerk zu verwenden. Die ihn liefernde waldbewohnende Faserpflanze wird nirgends eigentlich kultiviert. In Mexiko, wo sie auch vorkommt, besteht die ganze Pflege darin, daß im Walde das Unterholz abgebrannt wird, um den Schößlingen Platz zu machen, die nach ihrer Anpflanzung sich selbst überlassen bleiben. Die Besitzer stellen sich nur zur Ausbeutung ein und lichten vielleicht bei dieser Gelegenheit den Bestand aus, wenn er durch das Emporschießen von Schößlingen zu dicht geworden ist. Auch auf der Halbinsel Malakka und den Philippinen wird eine wilde Ananas, wie anderwärts die als Obst kultivierte eßbare Ananas zur Gewinnung von Fasermaterial benutzt.
Ein uralter, schon den alten Römern als spartum bekannter und von ihnen vielfach zu allerlei Flechtwerk verwendeter Faserstoff rührt vom sehr zähen Pfriemengras (Stipa tenacissima) her, das in den dürren, beinahe Wüstencharakter aufweisenden, außerordentlich regenarmen und lufttrockenen Steppen Algeriens, Marokkos und Südspaniens heimisch ist und von den dortigen Eingeborenen seit Urzeiten zu allerlei Flechtwerk benutzt wird. So werden heute noch wie im Altertum von der armen Bevölkerung daraus die als einziges Kleidungsstück dienenden Schürzen, wie auch die Sandalen, Tragtaschen und Stricke angefertigt, die von einer geradezu unverwüstlichen Dauerhaftigkeit sind. Die Römer lernten dieses außerordentlich feste Flechtmaterial von den Karthagern kennen, die es ausgiebig zu mancherlei Flechtwerk, auch zur Herstellung von Schiffstauen für ihre zahlreichen Handels- und Kriegsschiffe, verwendeten. Seit dem 2. punischen Kriege (218–201 v. Chr.) machten sie sich die im 1. punischen Kriege bei den Karthagern gemachten Erfahrungen mit diesen fast unzerstörbaren Tauen und Netzen zunutze. So berichtet der römische Geschichtschreiber Livius aus Padua (59 v. bis 17 n. Chr.) folgende Episode aus dem zweiten punischen Krieg, als Scipio gegen Hannibals Bruder Hasdrubal kämpfte, 210 v. Chr. Neu-Karthago und 206 das ganze von den Karthagern innegehabte Südostspanien eroberte: „Während die Römer in Italien gegen Hannibal kämpften, sandten sie eine Kriegsflotte nach Spanien; diese verwüstete die Gegend um Neu-Karthago und fand nicht weit von da zu Longuntica eine gewaltige Menge von getrocknetem Pfriemengras (spartum), das Hasdrubal dort für den Bedarf seiner Schiffe angehäuft hatte. Die Römer nahmen von dieser Beute, soviel sie brauchen konnten, und verbrannten das übrige.“ Der ältere Cato, der unversöhnliche Gegner des nach dem zweiten punischen Kriege wieder aufblühenden Karthago (234–149 v. Chr.) sagt in seinem Buche über Landwirtschaft, der Landmann müsse aus spartum geflochtene Seile und Körbe haben, und der Gelehrte Varro (116–27 v. Chr.) meint: „Der Landwirt muß Hanf, Lein, Binsen und spartum pflanzen, um daraus Schnüre, Stricke und Seile zu drehen.“ Der aus Spanien gebürtige römische Ackerbauschriftsteller Columella um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. schreibt: „Wenn die Klauen eines Ochsen an Entzündung leiden, so schützt man sie durch einen aus spartum geflochtenen Schuh (solea spartea)“, ferner: „Bei der Olivenernte braucht man außer vielen andern Dingen Seile von Hanf und von spartum.“
Das von den Spaniern esparto, von den muhammedanischen Nordafrikanern halfa genannte Pfriemengras mit sehr faserreichen, zähen Blättern gedeiht auf trockenem, kalkhaltigem Boden am besten; auf sehr sandigem Boden liefert es eine noch kräftigere, aber kürzere Faser. Es erhebt sich nicht über 1000 m, treibt im Binnenlande längere und weißere, aber dünnere und schwächere Fasern als an der Küste, wächst in Büscheln und pflanzt sich so leicht fort, daß auf dem Boden, von dem es einmal Besitz ergriffen hat, endlose Ernten eingeheimst werden können. Das ist die Ursache, weshalb diese Grasart trotz ihrer großen Wichtigkeit als Faserpflanze nirgends kultiviert wird. Man überläßt ihr einfach das Gelände, auf dem sie sich angesiedelt hat, und denkt nicht daran, ihr irgend welche Pflege angedeihen zu lassen. Die Blätter werden zur Zeit der Reife im Mai und Juni meist noch durch Ausreißen mit den Händen, indem man sie zum festeren Anpacken um einen Stock wickelt, geerntet, getrocknet und, in Bündel gebunden, in den Handel gebracht. Die wichtigste Bezugsquelle ist Algerien, das aus dem über 400 km langen und 170 km breiten, in den Departements Oran und Algier gelegenen sogenannten Halfameer jährlich über 100 Millionen kg im Werte von 10 Millionen Mark bezieht. Nach ihm kommt Spanien mit etwa 48 Millionen kg und hernach Tunis und Tripolis mit immer zunehmenden Massen. Die Hauptmenge gelangt zur Papierfabrikation nach England, ein großer Teil wird nach Frankreich, hauptsächlich Marseille, verschifft, um zu grobem Packtuch, Matten, Körben und Seilerartikeln Verwendung zu finden. Wie in Nordafrika, so gelangt dieses Rohmaterial auch in Spanien zu einer sehr vielseitigen Verarbeitung. Unter den hier daraus verfertigten Gegenständen sind namentlich die dünnen aber starken, in den Bergwerken verwendeten Seile, sowie die sehr dauerhaften Sandalen zu nennen, die nicht bloß im eigenen Lande überall von der ärmeren Bevölkerung getragen, sondern auch in Menge exportiert werden.
Kein eigentliches Gras, sondern ein grasartiges Nixenkraut (Najadazee) ist das in wenig tiefem Wasser an den Küsten von Europa, Kleinasien, Ostasien und Nordamerika in dichten Beständen, wiesenartig weite Flächen bedeckend, wachsende Seegras (Zostera marina). Nach heftigen Stürmen werden oft sehr große Massen von ihm, zum Teil mit den Wurzeln, ausgerissen, bei abstillender See ans Land geschwemmt und hier zu ganzen Haufen aufgetürmt oder zu Kugeln geformt. Wie so manche andere Meergewächse hat es lange fadenförmige Pollen (Blütenstaub), die im Meere umhertreiben, bis sie von den Narben angezogen und festgehalten werden. Getrocknet dient es an Stelle der teuren Pferdehaare zum Stopfen und Polstern von Matratzen, Betten, Möbeln usw., daneben wird es auch verbrannt und zur Gewinnung von Soda benutzt.
Als vegetabilisches Roßhaar, Baumhaar, Caragate oder Tillandsiafasern kommen die durch Rotten im Wasser ihrer Hautgewebe entkleideten silberweißen, fadenförmigen, 0,5–1 m langen Luftwurzeln der als Greisenbart bezeichneten Bromeliazee Tillandsia usneoides in Form von schwarzbraunen, dem Roßhaar ähnlichen Fasern von 1 mm Dicke in den Handel, um ebenfalls an Stelle von Roßhaar zum Stopfen von Matratzen und Polstern von Möbeln, wie auch zum Verpacken von Glaswaren benutzt zu werden. Dieses als Überpflanze auf Bäumen lebende Ananasgewächs kommt im ganzen warmen Amerika von Argentinien bis Carolina in den Vereinigten Staaten vor und bedeckt in den Wäldern oft in ungeheuren Mengen weithin die Baumäste, indem es seine dunkeln, roßhaarähnlichen Zweige wie Bartflechten um sie spinnt und die die Nahrung und das Wasser aus der Luft an sich reißenden Luftwurzeln tief herabhängen läßt. Letztere werden neuerdings in Menge gesammelt und kommen besonders aus den Südstaaten Nordamerikas als Louisianamoos in den Handel.
In Westindien und Brasilien wird von dem unserem Seidelbaste nahe verwandten Strauche Funifera utilis, der vielfach zur Fasergewinnung angepflanzt wird, der einem Spitzengewebe ähnliche rahmweiße, als Spitzenrinde bezeichnete Bast zum Flechten von Frauenhüten, Kragen und anderen Gegenständen verwendet, während derjenige des in Ostindien auf trockenen, felsigen Hügeln wachsenden Strauches Marsdenia tenacissima aus der Familie der Asklepiadazeen oder Seidenpflanzengewächse als Jiti oder Rajmahalhanf viel gebraucht wird. Er ist nicht so kräftig wie unser Hanf, übertrifft ihn aber an Elastizität bedeutend. Seine häufigste Verwendung ist die zu Fischnetzen, denn dieser Faserstoff besitzt eine sehr große Widerstandsfähigkeit gegen Feuchtigkeit.
Ein anderer, grober Faserstoff ist der als Dunchi bezeichnete Bast eines südasiatischen, bis 2,4 m hohen Strauches Sesbania aculeata aus der Familie der Leguminosen, der in Indien und China auf nassem Boden und ohne Sorgfalt, die er auch nicht beansprucht, kultiviert wird. Bisweilen kommt er auch unter dem in Bengalen üblichen Namen Jayanti in den Handel.
Der Bast des auf Tahiti roa genannten strauchartigen Nesselgewächses Urtica argentea liefert die blendend weißen, glänzenden, zu Seilerartikeln und Luxusgegenständen verarbeiteten Roafasern, während die ebenfalls überall in Ozeanien anzutreffenden Schraubenpalmen Pandanus utilis (ursprünglich in Madagaskar zu Hause) und odoratissimus (deren wohlriechende, schon in den ältesten indischen Sanskritgedichten unter dem Namen kekata erwähnten Blüten mit Öl ausgezogen ein in Indien sehr geschätztes Parfüm liefern) die sehr zähen, zur Anfertigung von Matten und Seilen verwendeten Pandanusfasern liefert.
Häufig wird in verschiedenen Gegenden Ostindiens die daselbst heimische einjährige Hanfrose Hibiscus cannabinus angepflanzt. Diese bis 2,4 m hohe strauchartige Eibischart mit stacheligem Stengel liefert in den tief gelappten, säuerlich, etwas herb und schleimig schmeckenden Blättern ein von den Eingeborenen häufig gegessenes Gemüse, aus den Samen wird Brenn- und Speiseöl gepreßt, während der braune, rauhe Bast der Stengel, der schon in der Sanskritliteratur als nalika erwähnt wird, als geschätztes Spinn- und Flechtmaterial dient. Es ist dies der als indischer oder Gambohanf, der auch als Jute von Madras in allerdings mangelhafter Zubereitung in den Handel gelangt. Er ist weich und geschmeidig, weiß mit einem Stich ins Graugelbe, und besteht aus wenig glänzenden, feinen und gröbern, 10 bis 90 cm langen, aber nicht sehr festen Fasern. Obschon mehr dem Flachs und den besseren Hanfsorten als der Jute ähnlich, wird er auch Bastardjute genannt und bisweilen der Jute beigemengt. Obgleich die Hanfrose das ganze Jahr hindurch wächst, wird sie doch nur in der kühlen Jahreszeit gesät. Drei Monate danach steht sie in Blüte und muß dann zur Gewinnung des Bastes geschnitten werden.
Ihm sehr ähnlich und nicht selten unter seinem Namen gehend ist der von einer nahe verwandten Eibischart, Hibiscus sabdariffa, gewonnene Rosellahanf, dessen Hauptproduktionsgebiet die Präsidentschaft Madras in Südindien ist. Deren Blätter dienen als Salat, während die fleischigen Blütenkelche von angenehm säuerlichem Geschmack in Ostindien zur Bereitung von Gelee und Torten, in Westindien, wohin die Nutzpflanze neuerdings gebracht wurde und ebenfalls ziemlich häufig angepflanzt wird, auch als Bestandteil von kühlenden Getränken benutzt wird.
Eine noch sehr viel wichtigere Pflanzenfaser Ostindiens als die ebengenannten ist die Jute, die ihren Namen von dem schon im Sanskrit als djuta erwähnten indischen djut d. h. Faser erhielt. Zuerst wurde dieser in Indien seit den ältesten Zeiten verwendete Faserstoff durch den Engländer Dr. Roxburgh bekannt, der im Jahre 1795 an die Direktion der ostindischen Handelsgesellschaft in London einen Ballen Faserstoff sandte, den er als „Jute“ der Eingeborenen bezeichnete. Aber erst im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts fand dieses neue Flechtmaterial in England Beachtung, nachdem man um 1830 in Dundee begonnen hatte, es in der Technik zu verwenden. Die Jute wird von einer mit unsern Linden verwandten einjährigen Pflanze (Corchorus capsularis) gewonnen, die im feuchtwarmen Klima Bengalens heimisch ist und dort in großer Menge zur Bastgewinnung angepflanzt wird. Für Bengalen und teilweise auch das benachbarte Assam spielt diese Gespinstpflanze fast dieselbe Rolle wie die Baumwolle in den Südstaaten der nordamerikanischen Union. Die Jutepflanze wird 1,5–4,6 m hoch und gelangt in zwei Spielarten mit hellgrünen oder rötlichen Stengeln und Blattrippen zum Anbau. An den 2–4 cm dicken Stengeln sitzen gezähnelte Blätter und weißlich-gelbe Blüten in Trauben geordnet, die runzelige, kirschengroße, kugelige bis zylindrische Kapseln liefern. Man gewinnt die sehr festen Fasern von den vier Monate nach der im März stattfindenden Saat geschnittenen Stengeln, indem man sie von den Seitentrieben, Blättern und Stengeln befreit und in langsam fließendem Wasser einer leichten Fäulnis unterwirft. Schon nach einigen Tagen kann dann der Bast von dem leicht brechenden Holz und der übrigen Rinde befreit werden. Die besten Sorten sind weißlichgelb bis silbergrau, von seidenähnlichem Glanz, beim Anfühlen glatt und weich. Die schlechten Sorten sind bräunlich, hart und holzig. Die Jutefasern werden dann vermittelst hydraulischer Pressen in Ballen von 180 kg zusammengepreßt, von denen Bengalen allein jährlich 5,6 Millionen Stücke ausführt. Über Bombay gingen 1890 1500 Millionen kg derselben im Werte von 160 Millionen Mark hauptsächlich nach England, um speziell in Dundee zu gröberen Stoffen wie Decken, Portieren, Sofaüberzügen, aber auch Hemden verarbeitet zu werden.
Vor wenig mehr als einem Jahrhundert trug die ärmere Bevölkerung Bengalens noch ausschließlich aus selbst verwebten Jutefasern hergestellte Kleider, die aber als etwas grob mit der Einführung billiger europäischer Baumwollwaren mehr und mehr an Beliebtheit einbüßten. Dafür stieg ihre Wertschätzung in Europa. Da nun infolgedessen der Jutebedarf hier immer mehr steigt und die Juteproduktion Bengalens trotz ihrer beständigen Steigerung nicht genügt, so ist man bemüht, die Kultur der Jutepflanze auch anderwärts, so in Deutsch-Ostafrika, einzuführen, wo das von der Pflanze verlangte, gleichmäßig warme, feuchte Klima vorhanden ist und bei rationellerem Anbau, als er in Nordindien gebräuchlich ist, sehr gute Resultate zu erwarten wären.
Bild 62. Die Jutepflanze (Corchorus capsularis).
Sehr nahe verwandt mit dieser Jutepflanze ist die in Südchina oder Hinterindien heimische Corchorus olitorius, ebenfalls eine einjährige, 1,5–3 m hohe Pflanze mit gelben Blüten, die sich frühzeitig als Gemüsepflanze in Indien verbreitete. Sie kam dann später durch die Perser nach Vorderasien und durch die Araber etwa zu Beginn der christlichen Zeitrechnung nach Syrien und Ägypten und wird jetzt noch im östlichen Mittelmeergebiet, wie auch in den Tropen der ganzen Welt als Gemüsepflanze gebaut, während die Kultur dieser Art als Faserpflanze auf Bengalen beschränkt blieb.
Bild 63. Die Ramiepflanze (Boehmeria tenacissima).
Ein ebenfalls sehr wichtiger südasiatischer Faserstoff ist die Ramie, im malaiischen Archipel so genannt. Unter diesem Namen lernten sie die Holländer in Java, wo sie schon lange in ziemlicher Menge produziert wird, kennen und vermittelten sie den übrigen Völkern Europas. In Indien heißt der Faserstoff rhea und in China tschu-ma. Die seidenglänzenden, geschmeidigen, auffallend starken Fasern wurden schon seit undenklichen Zeiten in Indien, Siam, Kambodscha, Cochinchina, Südchina, Japan und der ganzen südasiatischen Inselwelt zu allerlei Geweben, vom groben Segeltuch und Fischnetz bis zum eleganten, feinen als Kantonseide oder Seersucker in den Handel gelangenden Tuch, verarbeitet. Der erste Ballen davon kam 1810 nach England. Er wird von einer 1,9–2,3 m hohen, ausdauernden, nicht brennenden Nessel Ostasiens (Boehmeria tenacissima) gewonnen. Ein Wurzelstock der Pflanze treibt bis zu 15 Stengel aus mit ziemlich spärlichen, wolligen Blättern. Die Ernte erfolgt, sobald die Oberhaut der Stengel dunkelbraun geworden ist. Die Fortpflanzung geschieht durch Wurzelausläufer oder Stecklinge; die Pflege der in Reihen gestellten Pflanzen beschränkt sich auf Lockerung und Reinhaltung des Bodens von Unkraut. Sie wird hauptsächlich in China, Japan, den Philippinen, Indien und im Süden der Vereinigten Staaten angebaut. Das Rohmaterial für die besonders in Frankreich, dann auch in Deutschland (Emmendingen) und in der Schweiz etablierten europäischen Ramiespinnereien wird ausschließlich aus China bezogen.
Nicht minder häufig wird das von der nahe verwandten Boehmeria nivea gewonnene Chinagras in ganz Ostasien, Indien und den Sundainseln angepflanzt. Die durchschnittlich 1,5 m hohe Pflanze ist ebenfalls ausdauernd und wird durch Wurzelstöcke vermehrt; sie besitzt auf der Unterseite weißlich gefärbte Blätter. Unter günstigen Bedingungen in den Tropen sind die in Mehrzahl aus einem Wurzelstock hervorgehenden Stengel in 3–4 Monaten schnittreif und können daher zwei- bis dreimal im Jahre geerntet werden. Sie liefern einen gelblichen Bast, der gleicherweise einer leichten Verwesung unterworfen wird, bevor man ihn nach England, wohin er vorzugsweise gelangt, zu „Grasleinen“ verarbeitet, aus welchem man außerordentlich dauerhafte gröbere und feinere Gewebe herstellt. Chinas Ausfuhr davon beträgt durchschnittlich 11 Millionen kg jährlich, wovon Deutschland etwa 600000 kg im Wert von über 400000 Mark einführt.
Alle Nesseln enthalten sehr feste Bastzellen in ihren Stengeln, weshalb man sie früher, bevor man die besseren ausländischen Faserstoffe einführte, auch bei uns als Gespinstpflanzen schätzte und sogenanntes „Nesseltuch“ daraus herstellte. Einer der größten Gelehrten des Mittelalters, Albertus Magnus (eigentlich Graf von Bollstädt, 1193–1280), ist der erste, der die gemeine Brennessel (Urtica urens) als Gespinstpflanze erwähnt. Er nennt sie mit Flachs und Hanf zusammen, fügt aber hinzu, daß Nesselgewebe auf der Haut Jucken verursache, was flächsenes und hänfenes nicht tue. Neuerdings ist es nun einer Wiener Firma gelungen, auf einfache, billige Weise die Brennessel zu einer vorzüglichen Weberfaser zu verarbeiten. Aus 100 kg Nesseln werden 13 kg Fasern von sehr guter Qualität im Werte von 9 Kronen gewonnen. Da sie die Festigkeit der Bastfasern und die Geschmeidigkeit der Baumwolle besitzen, kann dieses billige inländische Material, das aus dem an sonst für Kulturpflanzen unbenützbaren Orten wachsenden Unkraut gewonnen wird, ganz gut mit der ausländischen Ramie konkurrieren.
Gleicherweise wurde einst aus dem 1–1,25 m hohen Stengel der wildwachsenden Malve (Malva officinalis) oder weißen Pappel (mittelhochdeutsch papele) eine Gespinstfaser gewonnen, die nach dem Zeugnisse von Papias und Isidor, dem Bischof von Sevilla (gestorben 636), auch zur Herstellung von Kleidern verwendet wurde. Deren Blüten geben eine weinrote Farbe, und wenn daher der um 800 v. Chr. lebende Franke Angilbert von der Tochter Karls des Großen Gisala berichtet, sie habe in einem malvenen Kleide geprangt, so kann damit sowohl der Stoff, als die Farbe gemeint sein. Immerhin ist es wahrscheinlich, daß der Stoff des Gewandes aus Malvenfasern bestand.
Bild 64. Stück einer aus Binsen geflochtenen Matte aus dem neolithischen Pfahlbau von Wangen am Bodensee. (⅔ natürl. Größe.)
Bild 65. Geflecht aus schmalen Riemen von Baumbast aus dem neolithischen Pfahlbau von Wangen am Bodensee. (⅔ natürl. Größe.)
In vorgeschichtlicher Zeit und im frühen Altertum trug man auch bei uns in Europa aus Baumbast verfertigte Kleider. So berichtet der ums Jahr 50 n. Chr. lebende römische Geograph Pomponius Mela, der uns eine Erdbeschreibung hinterließ, daß die Germanen teils Wollmäntel, teils solche aus Baumbast trugen. Und wenn diese Sitte auch nicht mehr aus späterer Zeit bezeugt ist, so hat doch die Sprache wenigstens unverstandene Erinnerungen an den alten Brauch bewahrt. Der Bast wurde vornehmlich von der Linde genommen, wie die noch spät vorkommende Doppelbedeutung des Wortes lint als Lindenbaum und Bast zugleich lehrt; und wenn altnordisch lind der Gürtel bedeutet, so ist dieser eben in den ältesten Zeiten aus Lindenbast hergestellt gewesen, wie gleicherweise eine noch späte Glosse (Erklärung eines dunkeln, veralteten Wortes) limbus bast auf alte Verwendung dieses Stoffes zu Kleiderbesatz und ein Zeitwort basten, d. h. schnüren, nähen, flicken, auf die Anwendung von Bastfaden in der Vorzeit deutet. Noch heute ist dieses Wort als basteln für sorgfältiges Verrichten von irgendwelcher feiner Handfertigkeit bei uns gebräuchlich. Zudem weisen auf die alte Technik des Bastflechtens, die uns schon bei den neolithischen Pfahlbauern der Schweiz in hoher Vollendung und in den mannigfaltigsten Produkten wie Mänteln, Matten, Körben usw. entgegentritt, zwei Wörter hin, die später gleichbedeutend mit weben wurden, aber ursprünglich nur das enge Zusammenfügen und Verschlingen der groben Baststränge gemeint haben können, nämlich dringen für das Drehen und feste Anlegen des Flechtmaterials, wie noch mehrere alte Belege verraten, später im Sinne zwischen Flechten, Wirken und Weben schwankend, und briden für Zwängen, Zusammenfassen, das im Mittelhochdeutschen aber sowohl für das Netzflechten, als für das Bortenwirken und Stoffweben gebraucht wurde.
Den Baumbast als Flechtmaterial hat später die Leinfaser, und diese dann zum größten Teil die Baumwolle verdrängt, welche heute das am meisten benutzte Gespinstmaterial ist und deshalb wegen ihrer ungeheuren Bedeutung für die heutige Menschheit in einem besonderen Abschnitt gewürdigt werden soll. Sie ist aber durchaus nicht die einzige technisch verwendete Pflanzenwolle. Eine solche liefern uns verschiedene Wollbäume, die in den tropischen Wäldern der ganzen Erde wachsen; sie kann aber wegen ihrer Sprödigkeit und der geringen Länge ihrer Fasern kaum versponnen werden und wird deshalb seit langem von den betreffenden Eingeborenen als Polstermaterial verwendet.
Die gebräuchlichste Pflanzenwolle außer der Baumwolle ist die Seidenbaumwolle, im Sudan Kapok genannt. Sie stammt vom Seidenwollbaum (Ceiba pentandra), der nicht nur in Afrika überall wächst, sondern auch in Brasilien, dann in ganz Südasien und Indonesien, vorkommt. Hier pflanzen ihn die Eingeborenen nicht, da sie ihren Bedarf an Seidenwolle von den wilden Beständen decken können. Dagegen wird der Kapokbaum außer in Ostafrika in besonders ausgedehntem Maße in Niederländisch-Indien, speziell Java, und neuerdings auch auf Neuguinea als Nebenkultur auf Kaffee- und Teeplantagen, als Stützbaum für Pfeffer und Vanille oder als Schattenbaum zur Einfassung von Straßen an Wegrändern in etwa 5 m Abstand von den Europäern angepflanzt. Er ist ein fast im ganzen Tropengürtel verbreiteter großer Baum aus der Familie der Bombazeen mit starkem, geradem Stamme und breiten, oberirdischen Brettwurzeln, aber sehr weichem, von den Eingeborenen zu Kähnen ausgehöhltem Holz, dessen Rinde bei jungen Bäumen mit starken Stacheln besetzt ist, handförmig geteilten Blättern und in Büscheln angeordneten, ziemlich großen, weißen Blüten. Die Frucht ist eine 15 cm lange und 6 cm dicke, länglichrunde, gurkenähnliche, holzige, fünffächerige, braune Kapsel, welche in fünf Klappen aufspringt. Darin sind die Samen in kugelige Bäusche von weißen, seidenglänzenden Fasern eingebettet, welche sich beim Öffnen der Frucht ausbreiten und zu deren Verbreitung durch den Wind beitragen. Und zwar geht diese seidige Wolle nicht wie die der Baumwolle von den Samen, sondern von der inneren Fruchtwand aus, sie ist also keine Samenwolle, sondern ein Gewebe der Fruchtkapsel.
Da der Kapokbaum keinerlei Pflege beansprucht und in jedem Boden, im Tieflande, wie in Höhenlagen bis 1000 m gedeiht, so ist seine Kultur eine sehr einfache. Er verträgt reichliche Niederschläge und entwickelt sich, wo ihm solche geboten werden, besonders üppig; aber er nimmt auch mit spärlicherem Regenfall vorlieb und übersteht auch längere Trockenzeiten verhältnismäßig gut. Er kann leicht durch Stecklinge, wie auch durch Samen vermehrt werden und wächst sehr rasch. Im 4. Jahre wird er zuerst tragbar, bringt aber selten vor dem 6. Lebensjahre größere Erträgnisse. Ein großer Kapokbaum bringt jährlich 1000–1500 Wollkapseln zur Reife, die 1–1,5 kg reine Pflanzenwolle ergeben. Wenn die Wollkapseln sich zu öffnen beginnen, werden sie geerntet, indem sie mit langen Bambusstangen, an denen sich oben ein Häkchen befindet, gepflückt werden. Man läßt sie dann auf einer reinen Unterlage in der Sonne nachreifen, so daß sie sich ganz öffnen. Dann wird die Seidenbaumwolle zugleich mit den Samen durch Frauen und Kinder aus der Fruchtkapsel herausgenommen. Nachdem diese im Verlauf eines oder einiger Tage an der Sonne völlig ausgetrocknet ist, wird sie entkernt, was früher von Hand geschah, neuerdings aber durch Maschinen, wie sie zur Entkernung von Baumwolle dienen, besorgt wird. Das wichtigste Erzeugungsgebiet für Kapok ist Niederländisch-Indien, und zwar speziell Java, das jährlich etwa 5 Millionen kg in den Handel bringt. Der Hauptmarkt Europas dafür ist Amsterdam, wo das Kilogramm nicht unter 1 Mark zu haben ist.
Dem Kapok ähnlich, nur braun statt weiß, ist die Wolle der verwandten Ochroma lagopus, ebenfalls eines großen Baumes mit gelappten Blättern und an den Enden der Zweige stehenden großen Blüten. Die ganz analog gebauten Früchte sind 20 cm lang und 5 cm dick. Die Wolle dieser beiden Bombazeenarten eignet sich wegen ihrer Glätte und Kürze nicht zum Spinnen, gibt aber ein ausgezeichnetes Polstermaterial für Möbel, Matratzen, Kissen u. dergl., wird aber auch, da äußerst leicht, zur Herstellung von Schwimmgürteln und Rettungsringen benutzt. Gepreßter Kapok trägt nämlich das 36fache seines Gewichtes. Neuerdings findet er auch in der Chirurgie statt Baumwolle Verwendung.
Die Samen vieler Pflanzen, z. B. des allbekannten Löwenzahns, sind mit einem Haarschopf versehen, um vom Winde möglichst weit weggetragen zu werden. Manche dieser Haarschöpfe bestehen aus langen, seidigen Haaren, die bisweilen als Pflanzenseide in den Handel kommen. In Westindien und Südamerika wird solche Seide von Asclepias curassavica gewonnen. Eine Strophantusart Senegals liefert eine rötlichgelbe, feine Seide. Die beste Pflanzenseide aber, die merkwürdigerweise am wenigsten zur Verwendung gelangt, wird in Indien aus den Samenhaaren von Beaumontia grandiflora gewonnen. Sie ist nicht nur rein weiß und prächtig glänzend, sondern auch beinahe so fest wie Baumwolle, während sich sonst die Pflanzenseide gerade durch ihre Brüchigkeit in Mißkredit setzt. Die einzelnen Samenhaare sind bis 5 cm lang und lassen sich leicht vom Samen abtrennen.
Während diese Seidenpflanze ungerechtfertigterweise so wenig beachtet wird, ist eine andere Seidenpflanze, die aus Nordamerika stammende Asclepias syriaca, eine unglückliche Liebe aller Produzenten, an die immer wieder fruchtlose Spinnversuche verwendet werden, obgleich die Unbrauchbarkeit der Faser zu Textilzwecken schon längst erwiesen ist. Die unselige Pflanze, die auch als Zierpflanze in unseren Gärten wächst, hat wohl ziemlich lange, schön glänzende Samenhaare in ihren Balgkapseln, aber deren Brüchigkeit ist so groß, daß die Faser für sich überhaupt nicht versponnen werden kann. Mit Baumwolle zusammen versponnen, fällt die trügerische Seide beim ersten Waschen aus dem Gewebe heraus. Nicht einmal zur Herstellung von Schießbaumwolle ist sie geeignet, da sie nicht schnell genug abbrennt und zudem noch viel zu viel Asche enthält.
Groben Pflanzenbast, den man für die Herstellung von Besen, Pinseln, Bürsten u. dgl. mehr verwendet, liefern eine ganze Anzahl von Palmen in der Piassavefaser. Es ist dies ein aus dem spanischen piaçaba verändertes Wort für die Fasern der südamerikanischen Piassavepalme (Attalea funifera), die zuerst in den Handel kamen; doch erhält man heute solche Piassave auch von anderen Palmenarten, wie von der westafrikanischen Weinpalme (Raphia vinifera), von der Palmyra- und der Kitulpalme auf Ceylon (Borassus flabellifer und Caryota urens) und von der madagassischen Palme Dictyosperma fibrosum. Sie besteht aus den oft mehr als 1 m langen, festen, bis bindfadendicken, rotbraunen oder dunkelfarbigen Strängen, welche in großer Zahl am Stamme dieser Palmen entspringen und entweder aufgerichtet sind oder mit ihren Enden herabhängen, wobei sie den betreffenden Palmstämmen ein überaus charakteristisches Aussehen verleihen. Diese höchst eigenartigen Gebilde sind nichts anderes, als die äußerst widerstandsfähigen Leitbündel (Blattadern) der Blattscheiden und Blattstiele, welche auch nach dem Absterben und der Verwesung der Blätter am Stamme erhalten bleiben.
Die südamerikanische Piassavepalme wird nirgends kultiviert, sondern die Faser wird ausschließlich von wildwachsenden Bäumen geerntet. Sie wächst in ganzen Hainen vorzugsweise auf sandigem Boden, ist stammlos, mit großen, dickstengeligen Blättern, an deren Basis die von den abgefallenen Blättern stehen gebliebenen, zerschlitzten, festen Leitbündel eine Hülle von groben Borsten bilden. Nach dem Ablösen wird die Masse zuerst einige Tage in Wasser aufgeweicht, bis das noch daran hängende weiche Gewebe abgefault ist; darauf werden die Fasern getrocknet, gereinigt, gehechelt, in bestimmte Länge geschnitten und nach der Qualität sortiert. Die Piassavepalmenbüsche liefern je 5–10 kg Fasern jährlich und bleiben bei schonender Behandlung bis 30 Jahre lang ertragsfähig. Die Piassave dient zur Herstellung von Besen, Bürsten und Seilerwaren. Zur Zeit der alten Kolonialherrschaft betrieb die portugiesische Regierung die Herstellung dieses Erzeugnisses des Landes Brasilien als Monopol, das für sie sehr einträglich war. Denn außer der Piassave erzeugt die Palme eine große Anzahl nußartiger Früchte, die dicht über dem Erdboden erscheinen und die Größe eines Truthuhneis erreichen. Diese sogenannte Coquilhonüsse finden zur Fabrikation von Knöpfen, Rosenkranzperlen, Zigarrenspitzen usw. Verwendung. Außerdem gewinnt man von ihnen ein wertvolles Schmieröl, das besonders für Uhren und ähnliche feine Mechanismen geeignet ist. Hauptexporthafen der Erzeugnisse der Piassavepalme ist Bahia nördlich von Rio de Janeiro, das jährlich etwa 140000 kg Fasern und 60000 kg Nüsse exportiert.
Den besonders von den Gärtnern als geschmeidiges und dennoch sehr starkes Material zum Binden ihrer Pfleglinge an Stützen verwendete Raphiabast gewinnt man von der an der ostafrikanischen Tropenküste und auf Madagaskar wachsenden Raphia ruffia. Es ist dies eine hohe Palme mit 10–15 m langen Blättern, deren Fiedern oft 2 m lang werden. Sie sind von mächtigen, mit den Epidermiszellen eng verwachsenen Bastrippen durchzogen, die sich mit der Epidermis (Oberhaut) in Streifen abziehen lassen. Man schneidet die jüngeren Blätter ab, wenn sie im Begriffe stehen sich zu entfalten, entfernt die Mittelrippen der Fiedern und zieht die Epidermis zuerst von der Unterseite, dann von der Oberseite ab. Die erhaltenen 7–9 mm breiten und 1–2 m langen sandfarbenen Streifen werden an der Sonne getrocknet. So erhält man einen hellgelben, zähen und geschmeidigen Bast von höchst bedeutender Zerreißungsfestigkeit, der zu allerlei Flechtwerk und in der Gärtnerei als Material zum Binden und Okulieren benutzt wird. Einzig gegen Feuchtigkeit ist er empfindlich. Den besten Raphiabast liefert Madagaskar. Er wird in solcher Menge von dieser Insel ausgeführt, daß man sich genötigt sah, die Ausfuhr durch ein Gesetz zu beschränken, um einer Ausrottung der Palme vorzubeugen. Die westafrikanischen Raphiaarten liefern zwar auch Raphiabast, doch zerfasert dieser leichter als der ostafrikanische.
Technisch noch wichtiger als die eben genannten Faserstoffe ist die im Handel als Coïr bezeichnete Kokosnußfaser, die aus den äußerst zähen und unverwüstlichen Leitbündeln besteht, welche in einer etwa zwei Finger dicken Schicht die sehr hartschalige eigentliche Kokosnuß mit drei Löchern an der Spitze umgiebt. Man gewinnt sie in allen Ländern, welche Kokospalmen ziehen, so vor allem an den Küsten Indiens und der indonesischen Inselwelt, als Nebenprodukt bei der Gewinnung der als Kopra bezeichneten getrockneten, fetthaltigen Kerne, indem man nach dem Öffnen der Nüsse die Faserschicht abschält und sie zur Isolierung der Fasern im Wasser einer leichten Fäulnis aussetzt, ein Prozeß, der zwischenhinein zur Beförderung der Ablösung derselben durch Klopfen mit hölzernen Hämmern unterbrochen wird. Merkwürdigerweise erhält man bei Anwendung von fließendem Wasser ein schöneres und helleres Material als in stehendem Wasser. Auch der Salzgehalt desselben hat einen Einfluß, indem die Fasern bei zunehmendem Salzgehalt dunkler rot werden. Tausend Kokosnüsse ergeben bis 60 kg feine, zu Stricken und Tauen und zur Herstellung von Matten, Läufern, Teppichen usw. verwendbare und bis 12 kg dicke, kürzere Fasern, aus denen man vorzugsweise Bürsten und Pinsel verfertigt. Dieser Coïr ist entschieden die für gröbere Geflechte wichtigste Pflanzenfaser, von der die Insel Ceylon allein etwa 70 Millionen kg jährlich ausführt. Obschon außerordentlich fest, ist er dennoch sehr leicht und gegen Wasser äußerst widerstandsfähig. Daraus verfertigte Taue und Stricke sehen zwar nicht so schön aus wie hänfene, nehmen auch keinen Teer an, aber sie schwimmen auf dem Wasser und sind fast unverwüstlich, weshalb sie sich namentlich zu Ankertauen sehr eignen. Für feinere Geflechte wird der Coïr an der Sonne oder durch schwefelige Säure gebleicht.
Die harte Steinschale der Kokosnuß, die nicht nur von den Eingeborenen zu allerlei Gefäßen und Schöpflöffeln, sondern wegen ihrer Festigkeit und Dauerhaftigkeit in der ganzen Kulturwelt eine ausgedehnte Verwendung für Drechsler- und ähnliche Arbeiten gefunden hat, verspricht in der Zukunft den Coïr noch an Bedeutung zu übertreffen. Auf der Suche nach einem Stoff, der besser und nachhaltiger als Wasser, das seine radioaktiven Eigenschaften außerordentlich schnell verliert, zur Aufspeicherung der Radiumemanation für ärztliche Zwecke dienen kann, hat vor zwei Jahren ein amerikanischer Gelehrter, Rutherford, gefunden, daß die aus der Kokosnuß hergestellte Kohle die gasförmige Ausstrahlung des Radiums, Thoriums oder Aktiniums ausgiebig aufzuschlucken und durch längere Zeit festzuhalten vermag. Auf diesem Ergebnis hat Dr. Shober in Philadelphia weitere Forschungen aufgebaut, die ergaben, daß Kokosnußkohle dreihundertmal so radioaktiv ist als das Wasser und diese Eigenschaft wenigstens zwei Wochen lang ganz beibehält. Die Herstellung der Radiumkokoskohle ist sehr einfach und wenig kostspielig, da bei deren Bestrahlung nichts von den kostbaren Radiumpräparaten verloren geht. Sie ist ein vollkommen neutraler Stoff, der bei der innerlichen Darreichung absolut harmlos und dennoch für manche Krankheitszustände sehr wirksam ist, so daß dieser Umstand, nunmehr auf einfache und billige Weise Radiumpräparate herzustellen, die Anwendung derselben in der Medizin ganz außerordentlich erleichtert.
Außer diesen erwähnten Bastarten dienen die getrockneten und zerschlitzten Blätter der verschiedensten Palmen- und Pandanusarten den Eingeborenen zu den mannigfaltigsten Flechtereien in Form von Matten, Körben usw. In ganz Südasien, Madagaskar und der Inselwelt des Stillen Ozeans finden wir besonders Pandanus odoratissimus teils wild, teils angebaut. Dieser palmenartige Strauch, dessen 3–5,5 m hoher Stamm stelzenartig auf zahlreichen Luftwurzeln ruht, hat seine 1 m langen, starren, schwertförmigen Blätter in schöner Schraubenlinie gestellt und trägt hängende, zapfenartige Blütenstände, die ihres Wohlgeruches wegen in den Wohnungen aufgehängt werden. Die mit einem Stein weichgeklopften Früchte geben einen aromatischen Saft und liefern auf vielen Inseln, gebacken, ein würziges Volksnahrungsmittel, das aber meist nur gegessen wird, wenn Mangel an Brotfrucht herrscht. Die Blütenknospen und der untere Teil der Blätter werden als Gemüse verspeist und aus den Fasern der Blätter werden Matten, Segel, Schürzen, Körbe u. dgl. mehr geflochten. Gleicherweise wird Pandanus utilis auf die mannigfaltigste Weise ausgenutzt; auch dessen mandelartige Fruchtkerne werden gegessen.
Wichtiger als sie ist für uns Europäer die südamerikanische strauchartige Panamapalme (Carludovica palmata), aus deren noch jungen, zusammengefalteten Blättern die nicht nur auf dem ganzen amerikanischen Festlande und in Westindien, sondern neuerdings auch bei uns so beliebten Panamahüte geflochten werden. Es ist dies eine bloß 2–3 m hoch werdende Palme, die in Kolumbien, Ekuador und Peru wild wächst und nicht kultiviert wird. Um ein möglichst weißes Material zu erzielen, werden die in den Wäldern gesammelten, unentfalteten Blätter zunächst kurz in heißes Wasser getaucht, dem der Saft einiger Zitronen beigemischt wurde, dann werden sie, nachdem sie aller Rippen und gröberen Fasern beraubt sind, zunächst im Schatten und dann in der Sonne getrocknet und mit dem Nagel des rechten Daumens in ganz schmale Streifen zerschlitzt, um zu Körbchen, Zigarrentaschen usw., besonders aber zu Hüten geflochten zu werden. Der überaus hohe Preis dieser sogenannten Panamahüte ergiebt sich nicht sowohl aus der Schwierigkeit, als aus der Langwierigkeit ihrer Herstellung. Bei täglich sechsstündiger Arbeitszeit braucht ein Arbeiter zum Flechten eines gewöhnlichen 4 Mark-Hutes 6–7 Tage. Ein Hut im Wert von 5 bis 12 Mark beansprucht bereits 14 Tage, ein feiner, etwa 100 Mark kostender sogar 6 Wochen Arbeitszeit. Am feinsten, leichtesten und schönsten gearbeitet sind diejenigen von Montecristi, die auch von allen die berühmtesten sind. Die gewöhnlichen derselben kosten 10–16, die halbfeinen 20–30 und die feinen 40–200 Mark, ja noch mehr. Von gleichfalls sehr guter Qualität sind die Hüte von Santa Elena, die zwar nicht so fein, aber durch regelmäßiges, festes Flechtwerk, fein geschlungenen Rand und rein weißes Material in hohem Maße ausgezeichnet sind. Da sie über Panama exportiert werden, nennt man sie so, obschon sie nicht dort hergestellt werden.
Weiter kommen für uns noch die Faserstoffe in Betracht, die der Papierfabrikation dienen. Wie die Mexikaner bei der Eroberung ihres Landes durch Fernando Cortez im Jahre 1519 außer Baumwolle die Fasern der Agave als Material für Kleidungsstoffe, Papier, Bindfaden und Stricken benutzten, so bedienten sich die Hindus zum Schreiben ihrer heiligen Bücher der Palmblätter und teilweise auch eines aus Birkenrinde verfertigten Papieres, während das uralte Kulturvolk der Chinesen anfänglich Tafeln aus Bambusrohr, später Seide und Papier aus der Rinde des Papiermaulbeerbaums und zuletzt aus Baumwollumpen angefertigtes Büttenpapier zum Schreiben gebrauchten. Der in China heimische, durch schöne, große Blätter ausgezeichnete Papiermaulbeerbaum (Broussonetia papyrifera) wird gegenwärtig in größtem Maßstabe auch in Japan, China und auf vielen Inseln des großen Ozeans nach Art der Weiden kultiviert, weil die Innenrinde der zweijährigen Zweige das Material zu den außerordentlich schönen, festen und haltbaren chinesischen und japanischen Papieren gewährt, deren Festigkeit gestattet, sie wie gewebte Zeuge zu Regenschirmen, Zimmerwänden, Taschentüchern usw., ja, mit Öl getränkt, sogar zu wasserdichten Kleidungsstücken und statt Fensterglas zu verwenden. Es ist dies ein Milchsaft führender Baum von 9–12,5 m Höhe mit süßlich schmeckenden, fleischigen Beeren, die überall in Ostasien gern gegessen werden.
Die alten Ägypter aber bedienten sich zur Herstellung ihres Papieres der Stengel der Papyrusstaude (Cyperus papyrus), die diesem Produkt überhaupt den Namen gab. Es ist dies eine ursprünglich im tropischen Afrika heimische Sumpfpflanze, deren dreikantige, fingerdicke Halme 5 m hoch werden und an ihrer Spitze eine Kugel von hunderten, strahlenförmig auseinanderschießenden, dünnen Zweigen mit den Blättern und Blütenrispchen tragen. Sie wächst in allen Flüssen des tropischen Afrika in ungeheuren Mengen und beteiligt sich an der Bildung der Pflanzenbarren, welche den Lauf der größeren Ströme zuweilen verstopfen und die so undurchdringlich sind, daß Reisende auf Dampfschiffen, die von ihnen eingeschlossen wurden, kaum mehr loskommen konnten und der Gefahr des Verhungerns ausgesetzt waren.
Einst wuchs der Papyrus im alten Ägypten in Menge wild und wurde bei dem zunehmenden Bedarfe seiner Stengel auch angebaut, besonders in den zahlreichen Kanälen, die das sonst dürre, weil regenarme Land durchzogen. Heute ist er aus diesem Lande gänzlich verschwunden und ist erst wieder in Nubien am Oberlaufe des Nils und seiner Zuflüsse zu treffen, wo er mit dem Ambatsch (Herminiera elaphroxylon), einem bis 7 m hohen Hülsenfrüchtler mit wundervollen Blüten, dessen Holz ungemein leicht und schwammig ist, so daß die Eingeborenen ihre floßartigen Fahrzeuge daraus verfertigen, und der Pistie (Pistia stratiotes), einer Wasserlinse von riesigen Ausmessungen, jene erwähnten undurchdringlichen Pflanzenbarren bildet.
Tafel 97.
Der Pineta genannte Pinienwald bei Ravenna.
Ein Papyrusdickicht am Flusse Anapo bei Syrakus auf Sizilien.
Tafel 98.
(Nach Phot. von W. Busse in „Karsten u. Schenck, Vegetationsbilder“.)
Ein Kapokbaum in Togo. Auf der Wiese junge Ölpalmen.
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GRÖSSERES BILD
Die alten Ägypter bauten aus den Stengeln des Papyrus ebenfalls floßartige Fahrzeuge. In einem solchen fuhr nach der altägyptischen Sage die Göttin Isis über die Lotosblumen, weshalb auch die Krokodile einem jeden Papyrusnachen mit heiliger Scheu ausweichen sollten. Wenn nun der jüdische Prophet Jesaias, der seit 740 v. Chr. in Jerusalem wirkte, ein „Wehe“ über das Volk, das in Fahrzeugen von Papyrusschilf fährt, ausruft, so ist das ein Beweis, daß diese altägyptische Sitte den Völkern des Altertums wohl bekannt war. Auch Stricke und Taue wurden damit hergestellt. So wird schon in der Odyssee ein Tau aus Papyrusbast (býblos) erwähnt, und der griechische Geschichtschreiber Herodot meldet uns, daß, als der persische König Xerxes, der seinem Vater Dareios 485 v. Chr. nachfolgte und vier Jahre darauf mit einem Heer von einer Million Mann und einer Flotte von 1200 Schiffen zur Unterjochung Griechenlands aufbrach und zur Übersiedelung seines Heeres nach Europa eine Schiffbrücke über den Hellespont schlagen ließ, zum Befestigen der Schiffe Leinen- und Papyrustaue verwendet wurden. Auch Körbe, Matten, Segel und andere Geflechte wurden in Ägypten aus Papyrus angefertigt, ebenso Sandalen, die zu benützen den ägyptischen Priestern ausschließlich erlaubt war. In einem Korbe aus Papyrus setzte jene Jüdin nach dem Berichte im Alten Testament ihr erstgeborenes Kind, das Mosesknäblein, in einem Papyrusdickicht am Nile aus, wo er von der ägyptischen Prinzessin aufgefunden und an Sohnes Statt angenommen wurde. In der Heilkunde brauchte man den Papyrusbast zum Anlegen von Bandagen und zum Trocknen und Erweitern von Fisteln.
Aus dem Mark der Pflanze stellte man Lampendochte her. Die Asche dieser Pflanze galt mit Wein eingenommen als Schlafmittel und sollte, in Wasser aufgeweicht, Schwielen heilen. Die fleischigen Grundachsen des Papyrus bildeten, wie wir früher sahen, ein wichtiges Volksnahrungsmittel. Mit den pinselartigen Blütendolden schmückte man die Tempel der Götter und flocht Kränze für deren heilige Bildsäulen, wie für die zu ehrenden Könige. Plutarch erzählt, daß, als der König Agesilaos von Sparta, einer der berühmtesten Feldherrn des Altertums, nach verschiedenen Siegen über die Perser und Thebaner 361 einen Zug nach Ägypten unternahm, er sich über einen ihm als Zeichen besonderer Verehrung überreichten Papyruskranz so gefreut habe, daß er sich beim Abschied vom Könige Ägyptens einen zweiten solchen erbat. Der um 200 n. Chr. in Alexandreia lebende Grieche Athenaios aus Naukratis in Ägypten verspottete allerdings diejenigen, die Rosen in einen Kranz von Papyrus einflechten; er fand dies ebenso lächerlich, als wenn jemand Rosen zu einem Kranze von Knoblauch verwenden wollte.
So zahlreich auch die Verwendung der Papyrusstaude im alten Ägypten war, so bestand doch späterhin ihre Hauptbedeutung darin, daß aus ihr das allgemein gebräuchliche Schreibmaterial gewonnen wurde. Heute noch lebt ihr Name in unserer Bezeichnung dafür: Papier fort. Dieses Schreibmaterial, dessen sich schon die Priester der ältesten ägyptischen Dynastien zum Aufschreiben ihrer Mitteilungen und Gebete in heiligen Schriftzeichen, den Hieroglyphen, bedienten, wurde in folgender Weise bereitet: Die schwammigen, dreikantigen Stengel wurden in meterlange Stücke geschnitten, der Länge nach gespalten und die einzelnen hautartigen Schichten von innen, wo die feinsten Fasern lagen, nach außen vermittelst einer Nadel in dünnen Streifen abgezogen, die zuerst ausgewaschen und dann mit Beigabe von etwas Klebstoff — meist Kleber — auf Bretter ausgebreitet wurden, und zwar schichtenweise zuerst neben- und dann übereinander. Hierauf wurde die Masse durch Schlagen mit Hämmern gepreßt, getrocknet und schließlich mit einer Muschel oder einem größeren Tierzahn geglättet. Selbst der beste, durch Benetzen und Ausbreiten an der Sonne gebleichte Papyrus war gelblich und gerippt, nicht glatt. Man erkannte an ihm deutlich die quer übereinander gelegten Fasern. Gewöhnlich wurde mit der aus Ölruß mit Wasser und arabischem Gummi hergestellten Tinte nur auf einer Seite geschrieben, da die Farbe durchschlug. Um den zerbrechlichen Stoff nicht zu knicken, wurde er gerollt und in einer Leinwandhülle aufbewahrt, die wohl auch mit Pech überzogen war, um den Inhalt vor Feuchtigkeit zu schützen.
Bild 66. Papyrusernte im alten Reich.
Darstellung aus dem Grabe des Ptah hotep (5. Dynastie. 2750–2625 v. Chr.)
(Nach Dümichen.)
Die Papierfabrikation ist in Ägypten eine uralte Kunst, die bereits im alten Reiche zu hoher Blüte gelangt war. Im Grabe des Ptah hotep aus der Zeit der 5. Dynastie (2750–2625 v. Chr.) finden wir eine interessante Darstellung der Papyrusernte. Am Nil, dessen Ufer mit einem prächtigen Flor von Lotosblüten mit Knospen und Blättern eingefaßt ist, durch den sich träge ein Krokodil bewegt, sehen wir wie die Papyrusstauden geschnitten und in dicken Bündeln auf den Rücken von Männern zur Bearbeitung fortgetragen werden. Aber erst aus römischer Zeit haben wir eine ausführliche Beschreibung der Papierbereitung daraus durch den älteren Plinius (23–79 n. Chr.), der verschiedene Sorten Papier (charta) beschreibt. „Das feinste Papier aus den innersten Schichten der Papyrusstengel“, sagt er, „hieß in alter Zeit das hieratische und wurde nur zu heiligen Schriften gebraucht. Aus Schmeichelei nannte man es später Augustuspapier. Eine zweite, etwas weniger feine Sorte heißt nach des Augustus Gemahlin Livia das livianische Papier und erst die dritte heißt das hieratische Papier. Die nächstfolgende, aus noch weiter außen befindlichen Schichten der Papyrusstengel bereitete Sorte heißt die amphitheatrische. Aus dieser stellt Fannius in Rom ein so vortreffliches Papier her, daß das Erzeugnis seiner Fabrik fürstliches Papier heißt. Eine geringere Qualität aus noch weiter außen befindlichen Schichten der Papyrusstengel heißt die saitische nach der Stadt Sais (in Unterägypten), wo eine schlechte Papyrussorte verarbeitet wird. Das taniotische Papier kommt von den Schichten, die der Rinde noch näher liegen, hat seinen Namen von einer Stadt und wird nicht nach der Güte, sondern nach dem Gewichte verkauft. Das emporetische Papier taugt nicht zum Schreiben, sondern bloß zum Einwickeln des guten Papiers und anderer Waren. Die Breite der Papierbogen (plagula) ist sehr verschieden. Die besten sind 13 Finger breit, die hieratischen 11, die fannianischen 10, die amphitheatrischen 9, die saitischen sind noch schmäler. Das emporetische Papier (Packpapier) ist nicht über 6 Finger breit. Außerdem kommt beim Papier die Feinheit, Dichtigkeit, Weiße und Glätte in Anschlag. Zwanzig Papierbogen heißen im Handel ein scapus. — Das augusteische Papier widerstand, wie es anfangs zubereitet wurde, wegen seiner allzugroßen Feinheit dem Schreibrohr nicht genügend, ließ auch die Schrift durchscheinen, so daß sie auf der Rückseite an Lesbarkeit litt; es war auch so durchsichtig, daß es nicht gut aussah. Diesen Fehlern hat Kaiser Claudius (Sohn des Drusus, Stiefsohn des Augustus, 9 v. Chr. in Lyon geboren, ward 41 n. Chr. nach Caligulas Ermordung von den Prätorianern zum Kaiser ausgerufen, überließ sich ganz der Leitung seiner schlimmen Gemahlin Messalina und der Freigelassenen Pallas und Narcissus, war schwelgerisch und träge, doch Freund der Wissenschaften, errichtete große Bauten, wurde 54 durch seine zweite Gemahlin Agrippina mit einem Pilzgericht vergiftet) dadurch abgeholfen, daß er die erste Lage auf dem Brette aus Schichten zweiter Güte legen ließ und diese mit quergelegten Schichten erster Güte decken ließ. Er vergrößerte auch die Breite der Bogen.“ Außer der sehr feinen, weißen charta claudia und der ähnlichen noch glatteren charta fannia unterschied man später noch die charta salutatrix als viel begehrtes Briefpapier, dann die charta macrocolla mit Blättern in Form langer Streifen und die charta nigra, ein schwarzes Papier, auf welches die Schrift farbig aufgetragen wurde.
So versorgte Ägypten im Altertum das ganze ausgedehnte Römerreich mit seinem Papier, das selbst den Weg nach Gallien und Britannien fand. Da nun aber der Papyrus nicht alle Jahre gleich gut gedieh, gab es öfter erhebliche Preisschwankungen und bisweilen sogar Papierteuerungen. So schreibt derselbe Plinius: „Es gibt Jahre, in denen der Papyrus mißrät. Unter Tiberius (geb. 42 v. Chr., Stiefsohn des Augustus, durch Heirat der Kaiserstochter Julia im Jahre 12 v. Chr. Schwiegersohn des Augustus, wurde 4 n. Chr. von Augustus adoptiert und regierte, nachdem er im Jahre 14 nach des Augustus Tod vom Senat als Kaiser anerkannt worden war, bis 37, da er am 16. März auf seinem Schloß auf Kapri bereits im Todeskampf durch Macro mit Kissen erstickt wurde) trat so großer Mangel an Papier ein, daß eigene Beamte vom Senat mit der Verteilung desselben beauftragt wurden, weil sonst die ganze Verwaltung in Verwirrung gekommen wäre.“
Welche Dimensionen der Anbau und Verbrauch der Papyrusstaude und die Papierfabrikation im alten Ägypten angenommen haben muß, kann man aus dem riesigen Nachlasse von Papyrusrollen und aus den Zeugnissen der Schriftsteller des Altertums entnehmen. Der Geschichtschreiber Diodor berichtet uns, daß schon Ramses II. der 19. Dynastie (1292–1225 v. Chr.) in Theben eine sehr umfangreiche Reichsbibliothek errichten ließ. Berühmt war im Altertum die von Ptolemaios Philadelphos (regierte 285–247 v. Chr.) außer dem Museion in Alexandrien errichtete Bibliothek, die es auf die erstaunliche Zahl von 400000 Papyrusrollen brachte und erst von den Arabern verbrannt wurde. Mit dieser alexandrinischen rivalisierte unter Eumenes II. (regierte 197–159 v. Chr.) und Attalos II. (folgte seinem Bruder 159 und starb als Verbündeter Roms 138 v. Chr.) diejenige von Pergamon in Kleinasien mit damals schon 200000 Bänden. Dies erregte die Eifersucht des ägyptischen Königs Ptolemaios VI. Philometor (der von 181–145 v. Chr. regierte) dermaßen, daß er ein Gesetz gegen die Ausfuhr des Papiers aus seinem Lande erließ. Dies nötigte dann Eumenes, das nötige Schreibmaterial aus besonders präparierten und mit einer Kreideschicht überzogenen Schaffellen herstellen zu lassen. Dieses gelangte als charta pergamena, d. h. pergamenisches Papier in den Handel, und daraus wurde dann später die Bezeichnung Pergament. Dieser äußerst dauerhafte Papierersatz spielte besonders im Mittelalter eine sehr wichtige Rolle und hat sich zum Aufdruck von Doktordiplomen bis auf den heutigen Tag im Gebrauch erhalten.
Die ägyptischen Papierfabriken, die unter Tiberius hoch besteuert wurden, waren sehr gut eingerichtet und arbeiteten schon nach dem Prinzip der Arbeitsteilung. Man unterschied da glutinatores (von gluteum Kleber), d. h. Leimer, malleatores (von malleum Hammer), d. h. Hämmerer usw. Während die Papyruspflanze bei den alten Ägyptern natit hieß, nannten sie die Griechen wahrscheinlich nach dem ägyptischen Wort papuro, d. h. königlich, pápyros. Für den Bast der Papyruspflanze diente die schon bei Homer und dann bei Herodot vorkommende Bezeichnung býblos, woraus dann býblon für Schriftrolle wurde. Aus dieser griechischen Bezeichnung machten die Römer, die die Schriftrollen aus Ägypten durch griechische Vermittlung erhielten, ihr biblium im Sinne von Buch, im Pluralis biblia lautend, und aus der Aufschrift biblia sacra, d. h. heilige Bücher, entstand dann unser Wort Bibel. Die einheimische alte Bezeichnung der Römer für das Schriftstück war liber, d. h. Bast, weil sie als ältestes Schreibmaterial „den Bast einiger Bäume“, wie sich Plinius ausdrückt, benutzten, später aber auch zum Privatgebrauch auf Leinwand und auf Wachs schrieben. Aus dem lateinischen liber im Sinne von Schriftstück ging dann die französische Bezeichnung livre für Buch hervor, während die deutsche Bezeichnung dafür von Buche herrührt, aus deren Holz die Stäbe genommen waren, in welche die alten Germanen die Runen einschnitten, die man zu allerlei Zauber und zur Erforschung der Zukunft benutzte. Die Buchenstäbe mit den verschiedenen Runen wurden dann gemischt und ein einzelner, der gelten sollte, daraus hervorgezogen. Das war dann der entscheidende Buchenstab, nach späterer Redeweise: der Buchstabe, und die Gesamtheit derselben das Buch.
Die blühende Papierindustrie Ägyptens wurde nun nicht, wie dies gewöhnlich behauptet wird, infolge der Eroberung durch die Araber vernichtet, sondern diese setzten sie zunächst fort und brachten die von ihnen aus Ägypten nach Syrien verpflanzte Papyrusstaude am Ende des 9. Jahrhunderts nach Sizilien, wo sie dieselbe in dem danach Papireto benannten Flüßchen bei Palermo ansiedelten, um sie ebenfalls zur Papierfabrikation zu verwenden. Dort wuchs sie reichlich bis zum Jahre 1591, in welchem auf Veranlassung des damaligen Vizekönigs die ganze Gegend wegen des vom Papireto ausgehenden Wechselfiebers trocken gelegt wurde und damit auch der Papyrushain verschwand. Noch jetzt heißt jene Örtlichkeit piano del papireto, d. h. Ebene des Papyrushains. Heute findet sich der Papyrus in größeren Beständen nur noch am Flüßchen Anapo bei Syrakus und im Süden und Osten jener Insel wild, häufig jedoch als Zierpflanze in den Gärten der Reichen kultiviert. Die Exemplare in den europäischen Gewächshäusern scheinen alle aus Sizilien zu stammen, wo die Stengel des Papyrus nur noch zum Kalfatern der Schiffe dienen.
Die Papyrusindustrie erlosch von selbst, als im Zeitalter der Kreuzzüge durch die Vermittlung der Araber das chinesische Büttenpapier nach Europa kam und man es hier selbst darzustellen vermochte. In China bediente man sich nämlich schon längere Zeit eines anderen Papieres als in Ägypten, indem schon im Jahre 123 v. Chr. der Ackerbauminister Tsai-lün aus dem Bast des Papiermaulbeerbaums, aus chinesischem Gras und sogar aus den Fasern des Bambusrohres Papier zu bereiten lehrte. Ums Jahr 610 n. Chr. kam diese Kunst nach Korea und Japan. Unter den chinesischen Kriegsgefangenen, die im Jahre 751 n. Chr. nach dem damals muhammedanischen Samarkand kamen, befanden sich auch solche, die sich auf die Papierfabrikation verstanden. Hier wurden sie zur Ausübung ihrer Kunst angehalten und fabrizierten Papier aus dem ihnen dazu zur Verfügung gestellten Material. Hier haben die Araber zum erstenmal leinene und baumwollene Lumpen, sogenannte Hadern, zur Papierfabrikation benutzt, indem sie dieselben nach einer Mazeration in Wasser in Mörsern zerstampften und zu Papier preßten. Später wurden dann an Stelle von Menschenhänden vom fließenden Wasser getriebene maschinelle Einrichtungen als sogenannte Papierstampfen von ihnen zu Hilfe genommen und in der Folge zu eigentlichen Papiermühlen ausgebaut.
Von Samarkand wanderte dieser von den Arabern aufgegriffene neue Fabrikationszweig über Buchara und Persien westwärts nach Bagdad, wo 794 ebenfalls die Papierbereitung eingeführt wurde. Die Bagdader Papierfabriken versorgten bald das ganze Morgenland mit ihren Erzeugnissen. Der Residenzstadt eiferte bald Damaskus nach, das im 10. Jahrhundert mit anderen kunstgewerblichen Gegenständen, wie namentlich den nach jener Stadt benannten Damastgeweben, feinsten Brokaten, Linnen- und Seidenstoffen, dann den weltberühmten Damaszener Stahlwaren, vorzügliches Papier auf den Markt brachte und in Menge sogar nach dem Abendlande vertrieb. Unter diesem Papier gab es die verschiedensten Sorten von Schreibpapier, starkes und schwaches, glattes und geripptes, weißes und farbiges, daneben Seiden- und Packpapier. Neben diesem ungleich billigeren Schreibstoff — der Vorbedingung für die Verbreitung von Bildung, Literatur und Wissenschaft — mußten natürlich Papyrus und Pergament völlig zurücktreten. Letzteres erhielt sich nur in Gegenden, wohin die trefflichen arabischen Papiere nicht so leicht gelangen konnten, noch länger im Ansehen. Über Ägypten verbreitete sich die arabische Papierfabrikation aus Lumpen der nordafrikanischen Küste entlang nach dem von den Mauren beherrschten Spanien, wo sie im Jahre 1154 in Jativa bei Valencia ihren ersten Sitz in Europa aufschlug. Wahrscheinlich von Italien her, das das arabische Papier nach den Ländern nördlich der Alpen verhandelte und es mit der Zeit selbst zu fabrizieren lernte, kam die Papiermacherkunst zu Ende des 13. Jahrhunderts nach Deutschland, wo sich 1290 in Ravensburg, 1312 in Kaufbeuren, 1319 in Nürnberg, 1320 in Augsburg und 1380 in Basel die ersten Papiermühlen in Mitteleuropa nachweisen lassen. Eine außerordentliche Begünstigung erfuhr die Papiermacherei durch die Erfindung der Buchdruckerkunst durch den Mainzer Johann Gensfleisch zum Gutenberg und die durch den Wittenberger Augustinermönch Martin Luther begründete Kirchenreformation in Verbindung mit dem durch die Renaissance aufgekommenen allgemeinen geistigen Aufschwung. Da war es kein Wunder, daß das schöne, geschmeidige und glatte Leinenpapier den brüchigen, rauhen Papyrus und selbst das äußerst dauerhafte Pergament, das sich als Schreibmaterial noch länger als jenes erhielt, bald ganz zum Schwinden brachte. Und mit ihnen verschwand auch das bis dahin mit dem Papyrus aus Ägypten als Schreibfeder in Bündeln in den Handel gebrachte ägyptische Rohr, das als kálamos bei den Griechen und durch deren Vermittlung als calamus bei den Römern Jahrhunderte hindurch im Gebrauch war. Dieses Schreibrohr wurde aus der größten Grasart der Mittelmeerländer, dem Pfeilrohr (Arundo donax), das bis 3,6 m Höhe und 2,5 cm Dicke erreicht und im Altertum besonders zu Pfeilen benutzt wurde, in der Weise hergestellt, daß man die knotigen Halme zuschnitt und an der Spitze spaltete. Dieses Rohr war das einst bei allen Kulturvölkern am Mittelmeer allein gebräuchliche Schreibgerät und wurde hauptsächlich im Delta Ägyptens, außerdem auch in Sumpfgegenden Kleinasiens gewonnen. Erst in der römischen Kaiserzeit kam daneben auch eine aus gerolltem Kupferblech hergestellte Nachahmung dieses Schreibrohrs auf, von dem man je ein Exemplar in Herkulaneum, Mainz und Ungarn fand. Doch war dies jedenfalls mehr eine Kuriosität, die gegenüber dem leichten und weicher schreibenden Rohr nicht aufkommen konnte. Erst um die Mitte des 7. Jahrhunderts wurde bei den christlichen Kulturvölkern die bis dahin allgemein üblich gewesene Schilfrohrfeder durch die bedeutend elastischere und deshalb eine leichtere und besonders auch zierlichere und kunstvollere Schrift erlaubende Gänsefeder ersetzt. Diese erhielt sich im Gebrauch bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, als die von dem Prager Aloys Senefelder 1796 aus einem Stück gehärtetem Stahl, nämlich einer Uhrfeder, zum Beschreiben seiner lithographischen Steine erfundene Stahlfeder von den Engländern fabrikmäßig hergestellt wurde. So entstand 1820 in Birmingham die erste Stahlfederfabrik, und seit 1826 stellte der Inhaber derselben, Josiah Mason, besondere Spezialmaschinen in den Dienst der neuen Industrie. Bei den muhammedanischen Völkern des Orients aber ist die altägyptische Rohrfeder, der calamus der Römer als kelâm (arabisch) bis auf den heutigen Tag als ausschließliches Schreibgerät in Ehren geblieben.
Bei dem im Lauf des 19. Jahrhunderts ins Ungeheure angewachsenen Papierverbrauch, der bei weitem nicht mehr aus Lumpen gedeckt zu werden vermochte, sah man sich gezwungen, zu den verschiedenartigsten Ersatzstoffen zu greifen, deren hauptsächlichste der Holzstoff des Holzes, besonders des weichen Nadelholzes, dann von Getreidestroh, Hülsenfrüchten, Heu, Binsen, Brennesseln, Disteln, Ginster und der verschiedensten Palmenblätter und Grasarten bilden, der in dem um die Mitte des 18. Jahrhunderts an Stelle der Papierstampfen aufgekommenen „Holländer“ mit Zuhilfenahme chemischer Mittel gelöst wird. Es ist dies eine ursprünglich deutsche Erfindung, die in Holland zuerst in Aufnahme kam und sich von da aus auch in Deutschland Eingang verschaffte.
Auf die Herstellung von Papier aus Holz haben die Wespen, die daraus ihre leichten und dennoch soliden Nester bauen, den Menschen geführt. Als ein Engländer, Dr. Hill, die Papierfabrikanten darüber jammern hörte, daß sie Mühe haben, genügend Lumpen zusammenzubringen, und deshalb das Papier so teuer sei, zeigte er einem solchen ein Wespennest und meinte: „Warum folgen Sie nicht dem Beispiel der Wespen, die bei der Errichtung ihres Nestbaus Holz zerfasern und daraus einen Brei machen, den sie in dünnen Lagen mit Speichel zu Papier leimen und trocknen lassen?“ Das führte zur Entdeckung des Holzpapiers. Am meisten wird dazu, weil am leichtesten zu beschaffen, das Nadelholz verwendet, das weit über die Hälfte der jährlich erzeugten 800 Millionen kg Papier liefert. Es wird hauptsächlich zu dem billigen Zeitungspapier verarbeitet, indem der zum Zerstören der Lignite und Harze mit Sulfitlauge gekochte Holzstoffbrei in der gegen das Ende des 18. Jahrhunderts erfundenen Zylindermaschine zu fortlaufendem, sogenanntem endlosem Papier ausgewalzt wird. Die Zeitungen Europas und Nordamerikas verbrauchen jährlich ganze Wälder von Fichten- und Tannenholz. Da nun eine Einschränkung des Zeitungswesens unmöglich ist und andererseits die Nadelholzwaldungen nicht entsprechend ihrer technischen Verarbeitung zu Papier und anderen Erzeugnissen wachsen, so verwendet man neuerdings als Ersatz dafür die verschiedensten Stroharten, die leicht zu behandeln und zu bleichen sind und durchschnittlich 45–46 Prozent, Reisstroh sogar 50 Prozent Holzstoff enthalten. Nun reicht leider auch die jährlich erzeugte Strohmenge bei weitem nicht aus, um einen erheblichen Teil des Holzes in der Papierfabrikation zu ersetzen, um so mehr, da Stroh noch zu anderen Zwecken, als Viehfutter, Streu, Verpackungsmaterial usw. in größeren Mengen verbraucht wird. Nur haben diese Surrogate des älteren Hadernpapiers leider die Eigenschaft, unter dem Einfluß von Luft und Licht rasch zu vergilben und brüchig zu werden; indessen gelang es der Technik, durch besondere Behandlung mit allerlei Chemikalien aus Holz- oder Strohschliff diejenigen Stoffe, welche das Gelb- und Brüchigwerden beschleunigen, zu entfernen, ohne damit die Fasern zu zerstören.
Von anderen Holzstofflieferanten, die als Papierrohstoffe neuerdings eine zunehmende Bedeutung erlangt haben, sind das im westlichen Mittelmeergebiet auf trockenen, salzfreien Steppen massenhaft wachsende Pfriemen- oder Spartgras (Stipa tenacissima) zu nennen, das besonders von englischen Papierfabriken zur Herstellung besserer Papiere verwendet wird. Diese bereits von uns gewürdigte Grasart mit äußerst zähen und biegsamen, 40–70 cm langen, graugrünen, nach der Breitseite zusammengerollten Blättern, hat ihre heutige spanische Bezeichnung esparto aus dem lateinischen spartum, während der andere dafür gebräuchliche arabische Ausdruck alfa oder halfa der zwischen den beiden Ketten des Atlas eingeschlossenen Steppenregion im mittleren Algerien den Namen gab. Hier werden über 200 Millionen kg Pfriemengras geerntet, von denen 75 Millionen kg nach England ausgeführt werden. Ebendorthin geht auch die Produktion von Spanien und Tripolis von zusammen über 80 Millionen kg, von denen 100 kg durchschnittlich 10 Mark wert sind.
Ein wichtiges Rohmaterial der indischen und chinesischen Papierfabrikation bilden die bis zu 55 Prozent Holzstoff enthaltenden Bambusfasern, die aber für die europäischen und amerikanischen Papierfabriken ebensowenig in Betracht kommen können, wie der Bast des Papiermaulbeerbaums. Ein Papierstoff aber, der vielleicht in einiger Zeit für die amerikanische Papierindustrie größere Bedeutung erlangen dürfte, sind die als Bagasse bezeichneten ausgepreßten Stengel des Zuckerrohrs, die sehr reich an Holzstoff sind und beim ausgedehnten Anbau von Zuckerrohr in großen Mengen bei der Zuckergewinnung abfallen und nur zum Teil als Heizmaterial Verwendung finden. So wird bereits in mehreren amerikanischen Fabriken zurzeit Bagassepapier hergestellt.
Von den Tropenpflanzen, unter denen man schon ihres schnellen, üppigen Wachstums wegen den Ersatz für das Holz als Papierrohstoff in erster Linie wird suchen müssen, kommen eine Reihe von Grasarten wie das Bhabur-, Munj- und Cogongras und solche Stauden und Sträucher in Betracht, die heute schon ihre Fasern zur Herstellung von Seilen, Matten usw. liefern, wie die vorhin besprochenen verschiedenen Bananen und Agaven, der Majaguastrauch u. a. m. Aus den Resten der Seilfabrikate und aus den Abfällen bei der Hanfbereitung werden heute schon größere Mengen sehr haltbarer Papiere hergestellt, die als Manilapapiere in den Handel gelangen.
Auch die Torffasern hat man zur Papierfabrikation herangezogen und stellt daraus, besonders in Amerika, ein gutes und billiges Packpapier her, das wenig empfindlich gegen Feuchtigkeit ist. Zur Fabrikation von Druckpapier jedoch eignen sich die Torffasern nicht, da es bis jetzt nicht hat gelingen wollen, geeignete Bleichverfahren für sie zu finden. Trotzdem erscheint es bei der großen Menge des verfügbaren Torfes sehr wohl möglich, daß dieser mit der Zeit einen größeren Teil des Holzes als Papierrohstoff ersetzen dürfte, um so mehr, da in den letzten Jahren die Ausbeutung der Torflager, nicht zuletzt der deutschen, im Vordergrunde des Interesses steht.
Als neuester Papierrohstoff sind die Weinreben zu nennen, mit denen man zur Zeit in den französischen Weinbaugebieten Versuche macht, die bisher zufriedenstellende Resultate sowohl hinsichtlich der Ausbeute als auch in bezug auf das Bleichen ergaben. Eine solche Verwertung der bisher sozusagen wertlosen Reben wäre den notleidenden französischen Weinbauern wohl zu gönnen; große Mengen Holz würde man aber dadurch nicht sparen. Und da zur Zeit die Papierindustrie noch nicht Miene macht, sich des einen oder des anderen der oben angeführten Rohstoffe in wirklich ausgedehntem Maße zu bedienen und dadurch den Holzverbrauch einzuschränken, so wird sie noch auf eine Reihe von Jahren hinaus die Wälder verwüsten, bis die Holzpreise unerschwinglich geworden sind und man — dann freilich viel zu spät — eingesehen hat, daß unser Papierbedarf auch ohne die Verarbeitung des zu anderen Zwecken so notwendigen Nutzholzes gedeckt werden kann.
Das unter dem Namen „chinesisches Seidenpapier“ in China selbst viel gebrauchte, auch in Deutschland zum Abdruck von Holzschnitten, Lithographien und dergleichen benützte feine Papier, das durch seinen Seidenglanz, seine geringe Dicke und Weichheit ausgezeichnet ist, wird aus den Fasern der jüngeren Triebe des Bambus (meist vom gemeinen Bambus, Bambusa arundinacea) gewonnen, deren gelbe, knotige, einer inneren Höhlung ermangelnde Wurzelausläufer uns als Spazierstöcke dienen. Es gibt 42 Arten dieser ausdauernder holziger Gräser, die sich besonders im tropischen Asien, namentlich im malaiischen Gebiete, finden und hier förmliche Waldungen bilden. Einige Arten steigen im Himalaja bis 3800 m Meereshöhe empor. In Amerika gedeihen beträchtlich weniger Bambusarten, von denen eine, die Chusquea aristata, in den Anden Perus bis 4700 m, d. h. an der Schneegrenze vorkommt. Auch in Asien gehen einzelne Arten weit über die Wendekreise hinaus, wie z. B. die auch bei uns als Zierpflanze im Freien aushaltende Phyllostachys bambusoides.
Von besonders wertvollen Vertretern dieser Pflanzengattung seien Bambusa arundinacea und B. tulda genannt, die in Ostindien und Hinterindien wesentlich an der Bildung der Dschungeldickichte teilnehmen und wegen ihrer hervorragenden Nützlichkeit für den Menschen auch weit über ihr Vaterland hinaus in den Tropen beider Hemisphären kultiviert werden. Ihre Stengel werden bis zu 25 m hoch und am Grunde 20–30 cm dick. Bambusa brandini erreicht eine Höhe von 38 m und Dendrocalamus giganteus sogar 40 m bei einem Stammumfang von 80 cm. Aus einem vielfach verästelten, mächtigen Wurzelstock wachsen sie stoßweise hervor, wobei an einem Bambushalm an drei aufeinander folgenden Tagen Zuwachslängen von 57, 3 und 48 cm gemessen wurden. Bei solchem raschen Wachstum kann ein Sproß von 20 m Höhe in wenigen Wochen ausgewachsen sein. Die jungen Triebe mächtiger Bambusen durchbrechen die Erde als teilweise mehr als armdicke, mit scheidenartigen Blättern dichtbedeckte Kegel. Indem sie Wasser zwischen ihren Blattscheiden hervorpressen, befeuchten und erweichen sie damit den Boden, was das rasche Hindurchstoßen erleichtert.
Die Bambusstengel bilden starre, tragkräftige und zugleich biegungsfeste Hohlzylinder, deren Holz außen herum reichlich mit Kieselsäure imprägniert ist und in denen die Festigkeit noch durch Einschaltung mehr oder weniger enggestellter Knoten gesteigert ist. Hier hat also die Natur eine Form des Trägers gewählt, die die geringste Materialaufwendung mit der größten Leistungsfähigkeit in sich vereinigt, ganz so wie sie der Mensch, durch theoretische Erwägungen geleitet, bei künstlich von ihm hergestellten Stützen, z. B. bei eisernen Hohlträgern, in Anwendung bringt. Erst in einer gewissen Höhe wachsen aus den allmählich verholzenden Halmen über den Knoten Seitenzweige hervor, die sich abermals quirlig verzweigen und die im Verhältnis zu ihrer Länge ziemlich breiten, deutlich gestielten Grasblätter tragen. Die schwankenden Enden der Seitenzweige und der sich nach oben verjüngenden Hauptachse tragen schwer an der Menge ihrer Blätter und neigen sich, in leichtem Bogen überhängend, herab, so daß das einzelne Bambusgebüsch einer vielstrahligen Fontäne gleicht und einen äußerst zierlichen Anblick gewährt. Übrigens gibt es auch einige schlaffe, kletternde Formen, die sich hoher Bäume als Stütze bedienen.
Merkwürdig sind die Blütenverhältnisse dieser Riesengräser. Bei einigen Arten erscheinen die Blüten alljährlich, während bei anderen nach einer zuweilen jahrzehntelangen vegetativen Periode — so hat man in Vorderindien beim gemeinen Bambus eine 32jährige Periode beobachtet — ein mit allgemeinem Laubfall verbundenes einmaliges Blühen erfolgt, wobei die Individuen nach der Fruchtreife absterben. Dann aber blüht dieselbe Art meist auf weite Strecken zugleich. Die massenhafte Produktion der mehlreichen Samen, die gekocht eine im Geschmack an den Reis erinnernde, sehr geschätzte Nahrung für den Menschen bilden, hat dann häufig eine außerordentlich starke Vermehrung der Mäuse und Ratten zur Folge, die später, nach Aufzehrung der Bambusfrüchte über die benachbarten Felder herfallen und diese plündern. Bei solchen Bambusarten vergehen dann eine Reihe von Jahren, bis aus den Keimpflanzen wieder stattliche Bestände herangewachsen sind. Noch andere Bambusarten zeigen hinsichtlich ihres Blühens ein mittleres Verhalten, indem jährlich einzelne Halme des Stockes ihr Laub abwerfen, zur Blüte gelangen und nach der Fruchtbildung absterben.
Die Nutzbarkeit der Bambusen ist eine so große, daß sie nur mit derjenigen der Kokospalme verglichen werden kann. Ohne sie könnte man sich die Kultur der Malaien und anderer in den Tropen lebender Volksstämme gar nicht vorstellen. Nicht nur dienen die Samen als willkommene Speise, die auch zu Brot verbacken wird — wiederholt ist, so 1812, durch das Blühen der Bambuse eine Hungersnot in Indien abgewehrt worden —, auch die jungen, noch weichen Schößlinge werden gekocht oder in Essig eingemacht gegessen. Sie kommen als Achia in den Handel. Vornehmlich die Chinesen verwenden sie zur Bereitung eines beliebten Konfektes, das oft dem Ingwer zugesetzt wird. Junge Blätter dienen als Viehfutter. Aus den bei aller Härte und Zähigkeit dennoch leichten Halmen werden Häuser errichtet, welche wegen ihrer Luftigkeit im Sommer auch von den Europäern bevorzugt werden. Die Pfosten, Dielen, Sparren, Türen, Fenster und die Dachbedeckung bestehen aus runden oder gespaltenen und flach ausgebreiteten Bambusstämmen, die mit Stücken des alsbald zu besprechenden geschmeidigen, sehr zähen Rotangs verbunden werden. Brücken, Flösse, Zäune, Palisaden, Leitern, Wasserleitungen, Dachrinnen, Masten für Schiffe und vieles andere werden aus den Stämmen gemacht. Fast die ganze Hauptstadt von Siam, Bangkok, schwimmt auf Bambusflössen und aus Bambus sind deren Häuser errichtet. Aus demselben Material bestehen die Betten, Stühle und Tische, die Eß- und Trinkgeräte, chirurgischen Instrumente, Haarkämme und was sonst an Hausrat vorhanden ist. Auch mancherlei Waffen sind aus ihm verfertigt, wie Blasrohre, Lanzen, Wurfspeere und Pfeile, die große Leichtigkeit mit unvergleichlicher Härte verbinden. Zugleich damit trug einst der chinesische Soldat einen mit einem Überzug von gefirnißten Maulbeerpapier versehenen Sonnenschirm aus Bambus. Ferner werden die hohlen Stengelteile des Bambus zu Musikinstrumenten der verschiedensten Art verarbeitet, liefern selbst Resonanzböden und Saiten. Mit Harz gefüllt dienen sie als Kerzen, deren Hülle zugleich mit der Füllung in Flammen aufgeht. Die einzelnen Glieder des Rohres werden zu Wassereimern und verschiedenen Behältern, ja sogar zu Kochtöpfen verarbeitet. In solchen, die zwar verkohlen, aber vermöge ihrer starken Imprägnation mit Kieselsäure nicht verbrennen, kocht der Javaner an einem von trockenem Bambus genährten Feuer die ihm zur Nahrung dienenden spargelartigen, nur viel dickeren jungen Bambustriebe. Aus dünnen, schmalen Bambusstreifen flicht er Taue und Stricke, Vorhänge, Matten, Körbe, Tragkörbe, Hüte, Reusen zum Fischfang, fertigt er Krausen und Schmuck aller Art. Zerklopfter Bambussplint liefert ihm Pinsel, Geschabsel des Rohres dient zum Polstern der Möbel und Matratzen; ein Span von kegelförmigem Querschnitt, dessen scharfe Kante von der kieselsäurereichen und infolgedessen ungemein harten äußeren Schicht gebildet wird, gibt ein sehr scharfes Messer. Dieselbe äußere Schicht dient als Wetzstein für eiserne Werkzeuge. Weil die ganze Oberfläche des Stammes verkieselt ist, widersteht er allen äußeren Angriffen und erhält sich sehr lange nicht bloß an der Luft, sondern auch im Boden. Deshalb ist der Bambus ein so gutes und dauerhaftes Baumaterial. Einen merkwürdigen Eindruck macht es, wenn ein solches aus Bambus errichtetes Dorf in Brand gerät. Dabei erhitzt sich nämlich die Luft in den abgeschlossenen Hohlräumen im Innern der Stengel und sprengt dieselben mit gewaltigem Knall auseinander. Man glaubt aus der Ferne starken Kanonendonner zu hören, aus welchem die Eingeborenen der Molukken deutlich den Ruf „bambu, bambu“ hören.
Daß ein so überaus wertvolles Produkt der Tropen auch für uns allerlei nützliche Gegenstände liefert, kann uns nicht verwundern. Wir Europäer schätzen die leichten Garten- und Balkonmöbel aus Bambus. Auf Jamaika wird der Bambus nur zur Erzeugung von Rohmaterial für die nordamerikanischen Papierfabriken angepflanzt. Die schlanken dünnen Ruten dienen als Pfefferrohr zu Pfeifenröhren, zu Angelruten, Stützen, um Pflanzen daran anzubinden, zu Spazierstöcken und Regenschirmstielen; meist wählt man dazu solche Gerten aus, an denen noch ein knopfförmiges Stück der Grundachse als Griff gelassen ist.
Tafel 99.
Zusammenstellung der von den verschiedenen Teilen der Kokospalme gewonnenen Produkte in einem Exportgeschäfte Ceylons.
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GRÖSSERES BILD
Tafel 100.
(Phot. Vincenti, Daressalam.)
Eine Bambusgruppe in Deutsch-Ostafrika.
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GRÖSSERES BILD
Tafel 101.
Ein Riesenbambus auf Ceylon mit jungen Sprossen.
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GRÖSSERES BILD
Tafel 102.
Rotangpalmen im Botan. Garten zu Buitenzorg auf Java.
(Nach einer in der Sammlung des Botan. Instituts der Universität Wien befindlichen Photogr. von Heermann.)
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GRÖSSERES BILD
Bei manchen Arten enthalten die Höhlungen der jüngeren, bei anderen der älteren Stengelglieder ein klares, teilweise süßes Wasser, das dem Reisenden einen angenehmen Trunk liefert. An den Knoten älterer Halme mancher Arten, wie beispielsweise des gemeinen Bambus, finden sich daneben eigentümliche Ausschwitzungen einer schmutzigweißen bis braunen, ja schwärzlichen Masse, die an der Luft verhärtet. Sie hat einen zuckerartigen Geschmack, weshalb man sie auch als Bambuszucker bezeichnet. Sie besteht zu 86 Prozent aus Kieselsäure und verwandelt sich beim Glühen, wobei die organische Masse zerstört wird, in reine Kieselerde in Form eines chalzedonähnlichen Körpers, der bald weiß und undurchsichtig, bald bläulich weiß, durchscheinend und farbenschillernd aussieht.
Bei der überaus großen Nützlichkeit des Bambus lag es für den Naturmenschen auf der Hand, dieser geheimnisvollen Ausschwitzung besondere Heilkräfte zuzuschreiben. Seit undenklichen Zeiten verwenden sie die Asiaten als kostbare Medizin und übermittelten sie als solche auch ihren Nachbarn. So kam sie zu den Persern, die sie in ihrer Sprache als tovakschira, d. h. Rindenmilch bezeichneten. Daraus bildeten die Araber, die sie auch schon sehr früh von jenen erhielten, das Wort Tabaschir, als welches es heute noch im ganzen Orient einen gesuchten Handelsartikel bildet. Schon die Ärzte der römischen Kaiserzeit wandten diese aus dem Orient mit dem Nimbus wunderbarer in ihr schlummernder Heilkräfte zu ihnen gelangende Droge, die ja an sich gerade so unlöslich wie reiner Kieselsand ist, gestützt auf orientalische Traditionen, viel an. Einen Weltruf gewann der Tabaschir aber erst durch die arabischen Ärzte im 10. und 11. Jahrhundert, so daß sein Ruhm selbst nach Europa drang. Im Morgenlande hat er bis zur Gegenwart seine Wertschätzung als hervorragendes Arzneimittel zu wahren gewußt. Aus den wertvollen Untersuchungen des Geographen Ritter und des Botanikers Ferdinand Kohn scheint nun mit Sicherheit hervorzugehen, daß diejenige Substanz, welche die alten Griechen mit sákcharon und nach ihnen die Römer mit saccharum bezeichneten, nicht Rohrzucker, sondern Tabaschir war. Nach Bopp bedeutet das Sanskrit-Stammwort sarkara nicht sowohl etwas Süßes, als etwas Festes, Zerdrückbares. Im alten Indien wurde das Tabaschir als sakkar mambu, d. h. süßer Bambusstein bezeichnet und erst die Araber haben dann die Bezeichnung sakkar als sukkar auf den später erfundenen, dem Tabaschir ähnlichen, kristallinischen Rohrzucker übertragen.
Ist der Bambus nach dem Prinzipe möglichster Biegungsfestigkeit gebaut, so repräsentiert der Rotang dasjenige maximaler Zugfestigkeit. Bei ihm bildet, ganz im Gegensatz zu den biegungsfesten Konstruktionen, das mechanisch leistungsfähigste Material die Achse und Hohlheit ist vollkommen ausgeschlossen. Es sind natürliche Taue von 150–200 m Länge, in denen auch innerlich die einzelnen mechanischen Elemente nicht parallel nebeneinander herlaufen, sondern durcheinander geflochten sind, wodurch die Zugfestigkeit bedeutend erhöht wird. Die Gebrauchsmöglichkeiten des Rotangs werden wie beim Bambus durch fast unbegrenzte Spaltbarkeit noch außerordentlich vermehrt. So ist er in seiner Heimat ebensosehr wie der Bambus mit den Lebensgewohnheiten der Bevölkerung derartig verwachsen, daß sie ihn in der Tat ebensowenig wie jenen würde entbehren können.
Der Rotang — richtiger rotan zu schreiben, wie das malaiische Wort lautet — hat wie der Bambus seine Heimat in Südasien und Indonesien, hauptsächlich im Verbreitungsgebiet der Malaien. Von den 200 Calamusarten des indischen Florengebiets finden sich die meisten auf der Halbinsel Malakka und den Sundainseln bis Neuguinea. Sie kommen noch in Nordaustralien vor, aber nur eine Art in Afrika. In der Neuen Welt fehlen sie ganz. Am Südfuß des Himalaja steigt eine Art (Calamus montanus) bis zu 2000 m Höhe. Sie stellen kletternde Palmen dar, die aber ihre bis 150 m und mehr langen, glatten, glänzenden, dünnen Stämme nicht um ihre Stützen herumwinden, wie es die Lianen tun, sondern mit eigentümlichen Haftapparaten in die Höhe streben. Häufig sind ihre Blattscheiden so stachelig, daß sie schon an den Stützen hängen bleiben; in anderen Fällen sind die Blattenden mit den oberen Fiedern zu bestachelten, peitschenförmigen Anhängen verlängert, die sich überall, wohin sie gelangen, festkrallen. Jedes höhere Blatt greift mit seiner leichtbeweglichen, vom Winde hin und hergeschaukelten, mit widerhakig gekrümmten Stacheln versehenen Geißel an höhere Baumzweige und auf diese Weise klettert der dünne Rotangstamm bis in die höchsten Baumwipfel, über denen die häufig außerordentlich zierlichen Blätter mit ihren Fangspitzen, die keine neuen Stützen mehr erfassen können, graziös im Winde hin und her schwanken. Da nun der im Boden hinkriechende Wurzelstock der Rotangpalmen zahlreiche Schößlinge treibt und außerdem jeder derselben reichlich haselnußgroße, umgekehrten Tannenzapfen gleichende Früchte von brauner, roter oder gelber Farbe hervorbringt, von denen ein großer Teil in nächster Nähe der Mutterpflanze keimt, so bildet der Rotang überall, wo er auftritt, undurchdringliche Dickichte von unzerreißbaren Tauen, starrend von Stacheln und Widerhaken, die jeden Eindringling an der Kleidung und am Körper unbarmherzig verwunden. Immer ist es ein sehr unangenehmes, schmerzhaftes Wagnis, in ein Rotangdickicht zu dringen, darin zu jagen oder zu sammeln.
In seiner Heimat dient er den Bewohnern als das hauptsächlichste Binde- und Flechtmaterial. Ohne weitere Bearbeitung liefert er vorzügliche Taue, die beim Hausbau das ausschließliche Bindemittel für alle Balken, Pfosten und Sparren aus Bambus oder Holz bilden. Infolge des Besitzes dieses vorzüglichen Bindematerials stellen die Malaien kaum je Stricke aus geflochtenen Pflanzenfasern her; höchstens etwa aus den geschmeidigeren Blattscheidenfasern der Zuckerpalme (Arenga saccharifera), die noch unverwüstlicher als selbst der Rotang sind. Mit Rotangtauen werden die auf Bambusflößen errichteten Häuser und Badeplätze an den Flußufern befestigt, die Hängebrücken und deren Geländer errichtet, die Palisaden befestigt. Durch Verflechten mehrerer dünner Rotangstämme werden Gurte, Körbe und ganze Wände geflochten; häufiger verwendet man nur die kieselsäurereichen, glänzenden äußeren Schichten als Flechtrohr, während man den weicheren inneren Kern, das Peddig- oder Markrohr, anderweitig verwendet oder wegwirft. Daraus stellen besonders die Chinesen Südostasiens die verschiedensten Möbel und Geräte her, mit denen sie einen schwunghaften Handel treiben. Die jungen Sprosse vieler Arten werden roh oder gekocht gegessen, das säuerliche Fruchtfleisch einiger Arten wie Tamarindenmus verzehrt.
Der Rotang wird niemals angebaut; da er in den sumpfigen Wäldern seiner Heimat in Menge wild wächst, vermag man daraus zur Genüge seinen Bedarf zu decken. Für den Export werden die 9–10jährigen, also völlig ausgereiften Stämme, die sich durch einen scharfen Schleim klebrig anfühlen, abgeschnitten und zur Entfernung der stacheligen Blätter zwischen enggestellten, geschärften Brettern oder Pflöcken hindurchgezogen. Dann schneidet man sie in 6–8 m lange Stücke, von denen 50–100 ein Bündel bilden, das in der Mitte noch einmal zusammengebogen wird. Der Hauptexporthafen dafür ist Singapur, daneben Batavia und Makassar. Er kommt zu uns als „spanisches Rohr“ oder „Stuhlrohr“, so genannt, weil besonders Rohrstühle aus ihm angefertigt werden. Früher benutzten die Korbmacher und Stuhlflechter nur die äußeren Schichten zum Flechten und warfen das Peddigrohr weg; neuerdings wird aber auch letzteres industriell verwertet. In den Fabriken wird das Flechtrohr auf maschinellem Wege vom Peddigrohr abgetrennt und außerdem auf chemischem Wege die Farbe des Rohrs verbessert. Wegen ihrer größeren Elastizität und Dauerhaftigkeit haben die früher verworfenen glanzlosen Peddigstreifen zum guten Teil die Korbweide verdrängt, die nur noch das Material zu groben Flechtwerken liefert. Man benutzt sie zum Überflechten von Gefäßen, zu Sieben, Körben, Matten, Modellbüsten für Schneider und Schneiderinnen und Luxusartikeln aller Art. Das Flechtrohr dient vorzugsweise zum Überziehen von Sitzen und Rücklehnen der sog. Joncmöbel, und die beim Glätten des Flechtrohrs und der Peddigstreifen sich ergebenden Abfälle dienen in der Putzmacherei und als Polster- und Scheuermaterial. Das Malakkarohr von Calamus scipionum, eine besonders starke Ware, die in 1–3 m langen Stäben in den Handel kommt, wird hauptsächlich zu Spazierstöcken verarbeitet, während das Sarawakrohr von Calamus adspersus vornehmlich Peitschenstöcke liefert. Calamus draco gibt die weißen und braunen Maniladrachenrohre, und aus den zur Zeit der Reife mit einem roten Harz bedeckten pflaumengroßen Früchten gewinnt man das dunkelrote, geruch- und geschmacklose Drachenblut, das neben dem schon im Altertume im Orient und in den Mittelmeerländern bekannten Drachenblut des Drachenbaumes von der Insel Sokotra am östlichen Zipfel von Afrika auch bei uns früher als Arzneimittel benutzt wurde, jetzt aber, in Alkohol oder ätherischem oder fettem Öl gelöst, nur noch zur Färbung der Tischlerpolitur und von rotem Firnis und Lack dient. Die beste Sorte gewinnt man dadurch, daß die Früchte in Säcken so lange geschüttelt werden, bis das Harz abspringt, eine geringere dagegen durch Auskochen der Früchte mit Wasser, wobei sich das Harz an der Oberfläche sammelt. Ersteres wird dann zu Stangen und letzteres zu Kuchen geformt und in Kisten von 50–60 kg von Singapur aus, das jährlich etwa 30000 kg ausführt, in den Handel gebracht.