XXI. Die Baumwolle.

Die Baumwolle ist nicht nur die wichtigste aller spinnbaren Fasern, sondern eine der wichtigsten Waren des Welthandels überhaupt, weshalb die Engländer für sie die Bezeichnung king cotton, d. h. König Baumwolle, aufgebracht haben. Wenn auch die wichtigen Nahrungsspender des Menschen, Weizen, Reis und Mais, in der Weltwirtschaft eine noch größere Rolle spielen — nimmt doch allein die Weizenkultur der Welt eine etwa fünfmal so große Fläche als diejenige der Baumwollstaude ein, und übertrifft auch der Wert des auf der Erde produzierten Weizens denjenigen der Baumwolle um das Vierfache —, so ist doch die Kultur dieser Gespinstpflanze, in deren Fruchtfasern sich etwa ⅘ der Menschheit, d. h. etwa 1200 Millionen, kleiden, von ganz außerordentlicher Bedeutung. Die jetzige jährliche Weltproduktion an Baumwolle entspricht nach O. Warburg in Berlin einem Wert von wenigstens 4½ Milliarden Mark, wozu noch für die Saat mindestens eine halbe Million Mark hinzukommt. Über 15 Millionen Menschen sind mit der Erzeugung von Baumwolle beschäftigt. Der Transport von 12 Millionen Ballen von den Plantagen über das Meer und von den Hafenplätzen in die Spinnereien kommt wenigstens auf 360 Millionen Mark und entspricht 2400 Dampfschifftransporten zu je 5000 Ballen. Rechnet man noch die Landtransporte der übrigen 8 Millionen Ballen hinzu, so ergibt es sich, daß schon der Transport der Baumwolle einem Wert von wenigstens einer halben Milliarde Mark jährlich entspricht. In den die Baumwolle verarbeitenden Spinnereien und Webereien, sowie den Nebenbetrieben stecken über 10 Millionen Mark, die verzinst werden müssen; dabei finden mehr als 4 Millionen Menschen Beschäftigung, deren Arbeitslohn über 3 Milliarden Mark jährlich beträgt. Rechnen wir nun die Gewinne all dieser Fabrikanlagen und der dabei beteiligten Menschen, sowie die Erträge der Bleichereien, Druckereien, Färbereien, dann der Betriebe zur Weiterverarbeitung der fertigen Stoffe, ferner der Schneider und Konfektionsarbeiter beiderlei Geschlechts, wie auch der Groß- und Kleinhändler, die alle von der Baumwolle leben und durch ihre Arbeit den Wert derselben erhöhen, hinzu, so gelangen wir zum Schluß, daß die von der Baumwolle jährlich geschaffenen Werte 10 Milliarden Mark weit übersteigen.

Diese für die Weltwirtschaft so ungemein wichtige Nutzpflanze, von der reichlich 25 Millionen Menschen in ihrer ganzen Existenz abhängen, ist ein zu den Malvengewächsen gehörender Strauch, der in manchen Arten sogar baumartig auftritt und dann eine Höhe bis zu 5 m erreicht. Unter den äußerst mannigfaltigen Formen, in denen diese Pflanze gezogen wird, unterscheidet man fünf schärfer charakterisierte Arten, von denen drei der Neuen und zwei der Alten Welt angehören.

Bei zweien derselben, nämlich der Baumwollstaude von Peru — eigentlich ist sie aber in Brasilien heimisch und wurde von den Stämmen der Inkas von dorther in Kulturpflege erhalten — (Gossypium peruvianum) und Barbados — der bekannten Insel der Kleinen Antillen — (Gossypium barbadense) läßt sich die meist als Stapel bezeichnete Baumwolle leicht von den Samen, denen sie die von der Pflanze angestrebte Flugfähigkeit erteilen soll, ablösen und ist bei ihnen ein Überzug von kurzen Haaren nicht vorhanden. Dabei sind die Samen der ersteren nierenförmig und hängen dicht und fest zusammen, während sie bei der letzteren, die hauptsächlich in den Küstengegenden gedeiht, birnförmig gestaltet sind und lose nebeneinander liegen. Daher wird erstere von den Engländern als Kidney, d. h. Nierenbaumwolle und letztere als Sea Island, d. h. Meerinselbaumwolle, bezeichnet.

In die zweite Gruppe mit schwierig sich von den Samen ablösender Baumwolle, die zudem einen Überzug von kurzen Haaren trägt, gehört als dritte, ebenfalls in wärmeren Gebieten Amerikas heimische Art die großblätterige, in höheren Lagen gebaute und deshalb englisch als Upland bezeichnete rauhe Baumwolle (Gossypium hirsutum). Letztere, die Upland, blüht reinweiß, während die andern vorhin genannten gelb blühen. Aber auch sie zeigt am Nachmittage gelbe Streifen, ist am nächsten Morgen fleischfarben geworden, verwelkt dann und fällt nachmittags ab. Ebenfalls gelbe Blüten wie die drei erstgenannten besitzt die in Indien heimische kleinblätterige krautige Baumwolle (Gossypium herbaceum), die durch die Araber nach Ägypten kam und heute in allen Baumwolle liefernden Ländern gebaut wird. Rotblühend dagegen ist die in Afrika heimische und vielfach noch im Innern dieses Kontinents wildwachsend gefundene, aber auch in Asien und Amerika kultivierte baumartige Baumwolle (Gossypium arboreum), deren wie bei den andern Arten gelappte Blätter in den Buchten Zwischenzipfel tragen. Mit ihr nahe verwandt ist jene Abart, welche einzig in der Gattung gelbe Wolle hervorbringt, die sogenannte Nangkingbaumwollstaude, die in China zu Hause ist und dort viel gebaut wird. Sie trägt ihren Namen Gossypium religiosum mit Unrecht; denn die in Indien in der Nähe der brahmanischen Tempel gezogene und als heilig geltende Art, aus deren Wolle die heilige Brahmanenschnur verfertigt wird, ist nicht diese, sondern die aus Afrika stammende baumartige Art (G. arboreum) mit purpurnen oder gelben Blüten, welche von Oberguinea bis Oberägypten und Abessinien wildwachsend angetroffen wird.

Alle diese Baumwollarten, von denen Sir George Watt in seiner im Jahre 1907 erschienenen Monographie mit den wichtigeren Kulturvarietäten nicht weniger als 42 Formen unterscheidet, sind im Laufe der Zeit auf das mannigfaltigste gekreuzt worden, so daß es überaus schwierig ist, nachträglich an den einzelnen Arten zu bestimmen, welchen Stammes ihre verschiedenen Ahnen gewesen sein mögen. Alle Arten sind ursprünglich ausdauernde Gewächse, auch die krautartige (G. herbaceum), die allein außerhalb des Tropengürtels meist zu einer einjährigen Pflanze wird. Sie zeigen einen ausgebreiteten Wuchs, indem der behaarte Stamm reich verästelt ist. Daran sitzen die langgestielten breiten, meist gelappten Blätter mit spitzen Blattzipfeln und großen, an ebenfalls langen Stielen in den Achseln der Blätter entstehenden Blüten, die blaß- bis dunkelgelb, oft am Grunde rotgefärbt oder mit purpurnem Mal versehen, einzig bei der baumförmigen Art dunkelrot und bei der Upland weiß sind. Die sehr zahlreichen Staubfäden sind zu einer Röhre verwachsen, welche außen die kleinen herzförmigen Staubbeutel trägt. Der von den Staubgefäßen fast ganz eingeschlossene Griffel ist an der Spitze keulig verdickt und trägt ebenso viele Narben als die Kapsel Fächer aufweist. Die Frucht wächst zu einer walnußgroßen Kapsel heran, die sich bei der Reife in drei bis fünf Klappen öffnet, um die hervorquellenden, von ihrer Wolle umhüllten schwärzlichen Samen dem Winde preiszugeben, der sie zur Verbreitung der Art verschleppen soll. Die wilden Baumwollarten haben meist eine gelbe bis bräunlichrote Wolle, während die Kultursorten durch Auslese von seiten des Menschen gewöhnlich eine blendend weiße Wolle besitzen. Von diesen zeigen aber manche Sorten Rückschläge ins Rötliche, so besonders die baumartige, in den Tempelgärten Indiens gezogene.

Bild 67. Eine blühende Baumwollpflanze (Gossypium barbadense).

Tafel 103.

(Phot. F. O. Koch.)

Baumwollpflanzung in Togo.


GRÖSSERES BILD

Tafel 104.

Japanische Baumwollspinnerin.

(Copyright by Underwood & Underwood.)

Mexikaner, aus den Fasern der Magueypflanze (Agave) Seile drehend.

An Ergiebigkeit der Baumwollfasern ist die westindische (Gossypium barbadense) in Form der Sea Island weitaus die beste und sollte, wo immer angängig, angepflanzt werden. Sie bringt um ein Viertel bis ein Drittel mehr und langstapeligere Wolle hervor als die krautige indische. Nächst dieser dürfte die Uplandspielart für den Anbau an zweiter Stelle in Frage kommen. Nur in kühleren Gegenden ist die indische krautartige Baumwolle die gegebene, weil sie klimahärter als die westindische ist. Je nach den Sorten liefern 500 bis 800 Fruchtkapseln etwa 1 kg Fasern, die aus fast reinem Zellstoff (Zellulose) bestehen und nur in der innern Höhlung einen schwachen Belag einer eingetrockneten Eiweißsubstanz als dem einstigen Plasma der Zelle aufweisen. Jede Faser entspricht einer langgestreckten Zelle, die bei der krautigen Baumwolle 2,0–2,8 cm, bei der peruanischen 3,4–3,6 cm, bei der von Barbados (Sea Island) in Ägypten 3,8 bis 4,0, auf dem amerikanischen Festlande in Florida 4,0–4,6, auf den dem Festlande vorgelagerten Inseln, z. B. Galveston, bis 5,2 cm Länge besitzt. Da die Faser an den letzteren Orten gleichzeitig einen seidenartigen Glanz gewinnt, so ist ersichtlich, daß das Klima, insbesondere die Luftfeuchtigkeit, in hervorragender Weise zur Erzeugung einer guten Baumwollfaser maßgebend ist. Je länger und feiner sie ist, um so leichter läßt sie sich verspinnen und um so wertvoller ist sie für die Verarbeitung.

In ganz Südasien sowie in China ist die Kultur der Baumwollstaude eine uralte. Dasselbe gilt teilweise auch von Ägypten; doch wurde früher daselbst nur die baumförmige oder eine Varietät derselben kultiviert. Erst seit dem Anbau der Barbadosbaumwolle (Sea Island), der seit einigen Dezennien dort eingeführt wurde, hat die ägyptische Baumwolle einen hervorragenden Platz im Welthandel gewonnen, obwohl sie ja, wie wir oben sahen, die in Nordamerika selbst gezogene an Güte nicht erreicht. Auch in Peru stand bereits bei der Entdeckung und Eroberung dieses Landes durch die Spanier im Jahre 1532 die Baumwollkultur auf einer hohen Stufe. Diese Nutzpflanze wurde von den Indianern im staatlich wohlorganisierten Reiche der Inka-Ketschua in großem Maße angepflanzt und zur Herstellung von buntgefärbten, mit zahlreichen eckig stilisierten Zeichnungen und Mustern, wie auch Stickereien und Passementerien versehenen Baumwollstoffen und anderen Erzeugnissen, namentlich auch Hängematten, verwendet.

Von der Baumwollernte der ganzen Welt, die sich auf 3300 Millionen kg im Werte von etwa 2700 Millionen Mark beläuft, liefern die Südstaaten Nordamerikas nicht weniger als 62,5 Prozent. Ihnen folgen Ostindien mit 15 Prozent, China mit fast 8 Prozent und Ägypten mit 7,3 Prozent. Auch in Buchara, Persien, Brasilien und Japan wird ziemlich viel Baumwolle gewonnen. Afrika außer Ägypten liefert nur 2,1 Prozent der Welternte, und zwar sind daran die deutschen Kolonien, besonders Deutsch-Ostafrika und Togo, mit bloß 3007 Ballen zu 250 kg im Werte von 700000 Mark beteiligt. Das ist allerdings ein fast verschwindender Bruchteil der Gesamtsumme von etwa 400 Millionen Mark, die Deutschland jährlich für Baumwolle ausgibt. Bedenkt man aber, daß die Baumwollproduktion der deutschen Kolonien Afrikas in den letzten fünf Jahren eine vierzigfache Steigerung erfuhr, so steht zu erwarten, daß sich Deutschland hierin allmählich vom amerikanischen Markte emanzipieren und den eigenen Bedarf aus seinen Kolonien decken könne. Europa, das einst im Mittelalter, so weit die arabische Herrschaft reichte, Baumwolle kultivierte, pflanzt solche in geringem Maße noch in Ostrumelien auf der Balkanhalbinsel und in Griechenland, während Süditalien und Südspanien den Anbau derselben fast ganz aufgegeben haben.

Die weitaus erste Stelle in der Baumwollindustrie nimmt England ein, das etwa 20 kg Baumwolle auf den Kopf der Bevölkerung verbraucht, dann folgt Nordamerika mit ca. 14 kg und an dritter Stelle Deutschland mit etwa 8 kg auf den Kopf. Letzteres besitzt zur Zeit mit 9½ Millionen die größte Zahl von Baumwollspindeln auf dem europäischen Kontinent und verarbeitet jährlich etwa 1800000 Ballen = 800 Millionen kg im Werte von 400 Millionen Mark. Die wichtigsten Baumwollhäfen Europas sind Liverpool mit 3½ Millionen Ballen, dann Bremen mit 2 Millionen, Havre mit 820000, Manchester mit 500000, Genua mit 465000, Barcelona mit 282000, dann erst Hamburg mit 205000 Ballen jährlicher Einfuhr. Man sieht daraus, daß sich der europäische Kontinent in bezug auf den Baumwollhandel fast ganz von England befreit hat. England bezieht jetzt beinahe nur so viel, als es für den eigenen Verbrauch und denjenigen seiner Kolonien bedarf; dafür hat Bremen einen großen Teil des festländischen Handels an sich zu ziehen vermocht.

Man kann Baumwolle in allen Gegenden zwischen dem 36° nördlicher und 36° südlicher Breite ziehen, in denen eine verhältnismäßig hohe Sommertemperatur herrscht und keine heftigen Herbstregen eintreten; denn die Ernte der Wolle wird durch die letzteren nicht bloß geschädigt, sondern geradezu vernichtet. Es ist dies eine Tatsache, die sofort einleuchtet, wenn man bedenkt, daß die Kapseln in aufgesprungenem Zustande geerntet werden müssen. Am besten gedeiht die Baumwolle in Niederungen oder im Flachlande mit gleichmäßig warmem, nicht zu trockenem Klima. Viel Sonne am Tag und reichlicher Taufall während der Nacht sagen der Baumwollstaude am besten zu. Lange anhaltender Regen, namentlich bei kühler Temperatur, ist ihr in jedem Stadium der Entwicklung schädlich; vor der Blüte wirkt eine anhaltende Dürre ebenfalls schädlich. Das mit ihr zu bepflanzende Feld soll eine vor Winden gesicherte, sonnige Lage haben. Was die Beschaffenheit des Bodens anbelangt, so darf er nicht zu schwer, sondern muß durchlässig und sandig sein, also sind Lehmboden sowie eine dicke Humusschicht ihr nachteilig. Dagegen verlangt sie einen möglichst hohen Gehalt an Kieselsäure und muß regelmäßig mit Stallmist und der Asche der verbrannten Stauden oder Baumwollsamenmehl gedüngt werden.

Die Fortpflanzung der meist mehrjährigen Sorten, die 3–5 Jahre hindurch tragen, geschieht durch Samen. Der Anbau geschieht in dem uns nächsten Baumwollande, Ägypten, wo durch Kreuzung der ursprünglich allein vorhandenen Sudanbaumwolle von Dongola mit der langfaserigen, feinen Sea Island-Baumwolle von Nordamerika und stetige Auslese der besten Sorten ebenfalls eine sehr gute Qualität in den letzten 100 Jahren gezüchtet wurde, in folgender Weise. Die dort die Baumwollkultur betreibenden Fellachen oder Bauern pflügen zunächst die Felder mit ihrem von zwei Ochsen gezogenen altmodischen Hakenpflug und bewässern sie ausgiebig. So vorbereitet werden in sie im März mit einem spitzen Pflanzstock in Abständen von einem halben Meter 5–7 cm tiefe Löcher gemacht, in die je 7–10 Samen der zu pflanzenden Baumwollart zu liegen kommen, welche dann mit der Hand locker mit Erde bedeckt werden. Man legt nur deshalb so viel Samen in ein Loch, damit durch die vereinte Kraft der zahlreichen Sämlinge die durch die Sonnenhitze rasch verhärtende Kruste des Bodens leichter durchbrochen werden könne.

Nach anderthalb Wochen wird die eben keimende Saat leicht überflutet und hernach entfernt man die überflüssigen Pflänzchen bis auf die zwei kräftigsten in jedem Loche. Von da an werden die Baumwollfelder alle 2–3 Wochen berieselt, in der Zwischenzeit wird der Boden mit der Hacke gelockert und vom Unkraut befreit, später auch mit künstlichen Düngemitteln versehen. Dabei wird nach Möglichkeit auf die Raupen zweier der Baumwollkultur besonders schädlicher Kleinschmetterlinge, die streckenweise bisweilen die ganze Ernte vernichten, Jagd gemacht, auch die übrigen Schädlinge tierischer und pflanzlicher Herkunft nach Möglichkeit zu vernichten gesucht.

100–120 Tage nach der Aussaat beginnt die Blütezeit der Stauden, während welcher die Baumwollfelder einen sehr hübschen Anblick gewähren. Zweieinhalb bis drei Monate danach reifen die Kapseln. Die Ernte findet Ende September oder Anfang Oktober, also fünf Monate nach der Aussaat, statt, wobei alt und jung mithilft. Mit großer Geschwindigkeit wird, ohne daß dabei die Pflanze beschädigt werden darf, die aus den aufgeplatzten Fruchtkapseln herausschauende Baumwolle mit Stehenlassen der holzigen Kapselwände herausgenommen und in den vorne sackartig aufgerafften hemdartigen Rock gelegt.

Gewöhnlich stehen 10–15 Pflücker unter einem Aufseher und erhalten je zwei Reihen Baumwollstauden zum Ablesen der Wolle zugewiesen. Sind ihre Taschen bald voll, so eilen sie auf ein gegebenes Kommando zu dem an der Zufahrtstraße gelegenen Sammelplatz, um ihre Gürtel zu lösen und die Baumwolle in auf die Erde ausgebreitete Säcke zu schütten. Während sie dann zum Weiterpflücken wiederum dem Felde zustreben, suchen Männer die schlechte Baumwolle sowie alle Verunreinigungen aus dem Haufen heraus und füllen zuletzt die gute Baumwolle in große Säcke, wo sie von einem in diese hineingestiegenen Manne mit den nackten Füßen zusammengepreßt wird. Schließlich werden die Säcke zugenäht und auf Wagen ins Lagerhaus geschafft.

Die Stauden läßt man dann vom Vieh abweiden und benutzt die übrigbleibenden Strünke in dem an Feuerungsmaterial so armen Lande als Feuerungsmaterial für die zahlreichen Dampfpumpen. In holzreichen Ländern dagegen werden sie später in den Boden gepflügt oder auch verbrannt und so als Dünger verwendet. Nur ausnahmsweise werden in Ägypten die Stauden bis auf eine Höhe von etwa 60 cm über dem Erdboden zurückgeschnitten, um von ihnen noch im nächsten Jahre eine etwas kleinere Ernte zu erhalten.

Ganz ähnlich wie im Niltal ist auch in den Südstaaten Nordamerikas und überall anderwärts die Baumwollkultur. Nur die Baumwollernte wird hier in anderer Weise vorgenommen. Es hat nämlich jeder Arbeiter einen Sack mit einem Tragband um die Schulter gehängt. Dieser reicht bis zur Erde, damit ihn der Arbeiter nicht zu tragen, sondern nur zu heben braucht, wenn er zur nächsten Staude will. Wenn der Sack voll ist, wird er auf den nächsten Weg gestellt, wo ihn der die Runde machende Wagen, der auch die leeren Säcke verteilt, aufnimmt. Beschmutzte, beschädigte oder fehlerhafte Baumwolle wird in eine besondere Tasche getan. Im Wirtschaftsgebäude muß die Baumwolle auf einem hölzernen Trockenboden getrocknet werden. Dann werden zunächst die zwei Drittel des Gewichts ausmachenden Samen durch besondere Maschinen von den Fasern getrennt — egreniert, wie der technische Ausdruck lautet. Von der Sorgfalt, mit der dieses Egrenieren vorgenommen wird, hängt ja die Reinheit der Baumwolle ab. Dies geschieht in einfachster Weise durch Auszupfen mit der Hand. Doch haben selbst die Neger eine Vorrichtung erfunden, vermittelst der das Entfernen der Samen rascher von statten geht. In europäischen Betrieben geschieht das Entkernen mit den Entkernungs- oder Ginmaschinen, die an den Mittelpunkten der Baumwollerzeugung, den Ginstationen, aufgestellt sind. Hernach wird die Baumwolle durch hydraulische Pressen in 450 kg schwere Ballen gepreßt, die dann in Säcke von Hanf oder Jute eingenäht und mit Bandeisen verschnürt in den Handel kommen. Der weitaus größte Teil derselben wird dann in Fabriken zu den verschiedensten Garnen und Stoffen verarbeitet und nur ein kleiner Teil dient, entfettet, zur Herstellung von Verbandwatte, Schießbaumwolle, Kollodium und Chardonnetseide, welch letztere zu einem neuen aussichtsreichen Industriezweige Veranlassung gegeben hat.

So lange die Baumwolle lediglich durch Handbetrieb zu Garnen und Geweben verarbeitet wurde, wie dies in Indien und im Orient, dann auch im Abendlande gegen das Ende des 18. Jahrhunderts der Fall war, waren die daraus hergestellten Kleider und anderen Gebrauchsgegenstände naturgemäß teuer und konnten nicht in allgemeinen Gebrauch gelangen. Erst als in England in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Spinnmaschinen und mechanischen Webstühle in Gebrauch kamen, wurde das Fabrikat billiger, so daß Baumwollstoffe auch in minder bemittelten Kreisen in allgemeinen Gebrauch kommen konnten. Nur sogenannte Nangkinfabrikate (von Gossypium religiosum) kommen noch aus Ostindien zu uns. Sonst wird der ganze Bedarf in Europa selbst erzeugt, und zwar ersetzen die 45 Millionen Spindeln Englands die Handarbeit von 230 Millionen Menschen und spinnen zusammen jährlich einen Faden, der 130mal die Entfernung der Sonne von der Erde durchspannen würde.

Ehe die Verarbeitung der Baumwolle zu Garn beginnt, wird sie zunächst mit größeren Mengen derselben Sorte gut gemischt, um Garne von möglichst gleichmäßiger Güte zu erzielen, dann bei 30° C. getrocknet, in einer Wolf genannten Maschine gelockert, gründlich gereinigt und, nachdem sie von der Schlag- oder Wattenmaschine in breite, zusammenhängende, flache Streifen (Watte) gebracht worden, von der Kratzmaschine in zarte, lockere Bänder verwandelt. Hierauf werden diese durch die Streckwalze gestreckt und geglättet, dann in der Vorspinnmaschine verfeinert und erst zu dicken, lockeren und durch weiteres Verspinnen zu feineren Fäden gedreht. Endlich werden sie auf der Spinnmaschine zu Garn versponnen, das so fein sein kann, daß ½ kg desselben 1672 km lang ist, d. h. von Leipzig bis Konstantinopel reichen würde. Nach der Feinheit des verwendeten Garns unterscheidet man Kattun (nach der arabischen Bezeichnung für Baumwolle), Indienne (so genannt, weil ursprünglich aus Ostindien stammend mit allerlei bedruckten Figuren), Kalikos (ebenfalls ein bedruckter Baumwollstoff, so genannt, weil er zuerst aus Kalikut bezogen wurde), Nangking (ein gelbliches oder rötliches Baumwollenzeug, nach dem früheren Bezugsort in China so genannt), Perkal (dichtes, leinwandartiges Baumwollgewebe, die gröberen gleichen den Kalikos, die feinsten dagegen sind dichter als Musselin), Musselin (feinstes, durchscheinendes Baumwollgewebe — glatt, gestreift, durchbrochen usw. — aus wenig gedrehtem Garn und deshalb mit zartem Flaum, nach der Stadt Mossul am Tigris so genannt, doch ist der ostindische noch immer besonders fein und zart), Jakonett (französisches, glattes Musselin, nach einem französischen Fabrikanten so geheißen), Gingan (das ursprünglich ostindische, glatte oder gestreifte Gewebe in Baumwolle mit Bast, auch in reiner Baumwolle oder Leinen nachahmt, vom javanischen ginggan vergehend, verbleichend), Tüll (netzartiges Zwirnzeug nach dem ersten Fabrikationsort desselben, der französischen Stadt Tulle, so genannt), Barchent (geköpertes Baumwollgewebe, ursprünglich mit leinener Kette, auf einer Seite rauh und wollig), Pikee (vom französischen piqué gesteppt, mit doppelter Kette gewebtes Baumwollgewebe mit erhöhtem Muster), Manchester (nach dem ersten Fabrikationsort so bezeichneter Baumwollensamt) usw.

Früher warf man die beim Egrenieren zurückgebliebenen Samen der Baumwollpflanze, soweit man sie nicht als Saatgut verwendete, als nutzlos weg. Bald aber fand man, daß sie zu 20–30 Prozent ein sehr wertvolles Öl enthalten, das man nun sorgfältig aus ihnen preßt. Ja, man würde heute die Pflanze lediglich als Ölpflanze kultivieren, wenn sie nicht auch noch die wertvolle Faser lieferte. Der noch die Hälfte des Gewichtes Eiweiß enthaltende Preßrückstand dient als wertvolles Viehfutter.

Über die Anfänge der Baumwollkultur ist wenig Sicheres bekannt. In der Alten Welt hat sie augenscheinlich in Indien ihren Ursprung genommen, wo zuerst die niedrige krautige Baumwolle vom Menschen in Pflege genommen wurde. Zu ihr kam dann später ebenfalls in Indien die baumförmige Art hinzu, von der in der Folge die heilige dreiteilige Brahmanenschnur, das Sinnbild der göttlichen Dreiheit, angefertigt wurde. Die indische Baumwolle, im Sanskrit kârpâsi genannt, wird zuerst in den zwischen 600 und 500 v. Chr. entstandenen jüngsten vedischen Schriften, den Sutras, und zwar schon in Verbindung mit Gewändern erwähnt. Sicher wurde sie schon damals in Indien in beträchtlichen Mengen zu Geweben verarbeitet. Von dort aus hat sich ihre Kultur über Hinterindien nach China verbreitet, wo zuerst der Kaiser Wu-ti um 600 v. Chr. sich in wertvolle, jedenfalls aus den Kulturländern im Süden importierte Baumwollkleider hüllte. In der Folge wurde nach Einführung der Baumwollstaude die Baumwolle im Reiche der Mitte das am meisten benutzte Zeugmaterial, wenngleich auch noch viel Hanf und besonders Ramie oder chinesische Nessel zur Herstellung von Geweben verwendet wird. Indessen läßt sich eine eigentliche Kultur der Baumwolle in China nicht vor dem 11. Jahrhundert n. Chr. nachweisen, und manche Gelehrte nehmen an, daß sie sogar erst im 13. Jahrhundert durch die das Reich erobernden Tataren eingeführt wurde.

Die erste Kunde von der in Indien als Faserstoff zur Herstellung von leichten Gewändern benutzten Baumwolle verdanken wir dem Vater der Geschichtschreibung, dem Griechen Herodot (484–424 v. Chr.), der von 460–456 Ägypten, Syrien und Babylonien bereiste und in seinem in ionischem Dialekte verfaßten Werke über die Geschichte des Orients und Griechenlands nach der auf seiner asiatischen Reise in Erfahrung gebrachten Kunde berichtet: „In Indien gibt es wilde Bäume, welche als Frucht eine Wolle (eírion) tragen, die an Schönheit und Güte die Schafwolle übertrifft. Die Indier machen aus dieser Wolle ihre Kleider.“ Nach demselben Autor war das indische Hilfskorps des Xerxes bei seinem Zuge zur Eroberung Griechenlands im Jahre 492 in solch baumwollene Kleider gehüllt. Auch der Grieche Ktesias aus Knidos, der von 416–399 Arzt am persischen Hof in Susa war und eine wertvolle, leider nur in Auszügen erhaltene persische Geschichte schrieb, weiß von der Baumwolle als einer Gespinstpflanze Indiens zu berichten. Die Pflanze selbst und ihr Produkt lernten aber erst die Begleiter Alexanders des Großen auf ihrem Zuge nach Indien kennen. Die Leute am Indus trugen nämlich baumwollene Gewebe, und die Baumwolle trat den Makedoniern daselbst so häufig entgegen, daß sie dieselbe zum Ausstopfen von Kopfkissen und Pferdesätteln benutzten. Diese Begleiter Alexanders auf seinem Zuge nach Indien brachten eingehendere Mitteilungen darüber in die Mittelmeerländer, wo diese Gespinstpflanze bis dahin völlig unbekannt geblieben war; denn die alten Babylonier, Ägypter und Griechen hatten bis dahin außer der tierischen Wolle stets nur den Lein zur Herstellung von Stoffen verwendet. Der Aristotelesschüler Theophrast erwähnt in der zweiten Hälfte des 4. vorchristlichen Jahrhunderts, daß in Indien eine Gespinstpflanze kárpasos gedeihe, aus der hergestellte Stoffe die Begleiter Alexanders von dort mitbrachten. Dieser Begründer der Botanik schreibt in seiner Pflanzengeschichte: „Auf der Insel Tylos im Arabischen Meerbusen (heute Bachraim am Eingang des Persischen Golfes) sollen viele wolletragende Bäume (déndra erióphora) stehen, deren Blätter wie Weinblätter, nur kleiner sind. Statt der Früchte bringen sie geschlossene Behälter von Apfelgröße hervor. Werden diese reif, so nimmt man die darin befindliche Wolle und webt aus ihr sowohl geringe als auch sehr kostbare Gewänder. Solche Bäume wachsen auch in Indien und Arabien.“ Diesen Passus schrieb der ältere Plinius um die Mitte des ersten christlichen Jahrhunderts fast wörtlich ab mit der Bemerkung, daß diese Bäume gossypini (Einzahl gossypinus) heißen — woraus dann die Botaniker später die wissenschaftliche Bezeichnung gossypium schufen. Nach ihm soll es wie in Indien und Arabien auch in dem an Ägypten angrenzenden Negerlande wolletragende Bäume geben, „deren Kapseln etwa so groß wie Granatäpfel sind“. Auch der römische Dichter Vergil, der Verfasser der berühmten, Augustus und seinem Geschlechte gewidmeten Äneis (70–15 v. Chr.) sagt in seinem Georgica benannten Lehrgedicht über den Landbau: „Im Negerlande gibt es Bäume, die weiche, weiße Wolle tragen.“ Der griechische Schriftsteller Flavius Arrianus (geb. um 100 n. Chr. zu Nicomedia in Bithynien, ward 136 unter Hadrian Präfekt von Kappadokien und starb unter Marcus Aurelius ums Jahr 176) schreibt in seiner indischen Geschichte: „Die Kleidung der Indier wird, wie Nearchos (der Flottenführer Alexanders des Großen, der nach dessen Feldzug nach Indien im Jahre 325 v. Chr. die Flotte vom Indus aus durch das Erythräische Meer in den Persischen Meerbusen führte und wie er in seinem „Paraplus“ genannten Reisebericht darüber meldet, auf dieser Fahrt die Mündungen des Euphrat und Tigris fand) sagt, aus dem Lein gefertigt, der auf Bäumen wächst. Dieser Lein ist entweder reiner weiß als jeder andere Lein oder scheint wenigstens weißer, weil die Indier, die ihn tragen, schwarz sind.“

Durch die Perserherrschaft wurde der Anbau und die Verwendung von Baumwolle als Gespinstmaterial in Vorderasien allgemeiner. Von Persien, besonders aber aus Indien führte man in der hellenistischen und mehr noch zur römischen Kaiserzeit über die Hafenstädte am Roten Meer und Alexandrien ziemliche Mengen fertiger Baumwollstoffe in die reichen Städte am Mittelmeer, zumal dem üppigen Rom, aus, wie uns der zu Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. in letzterer Stadt lebende Sophist Flavius Philostratos der Ältere berichtet. Außer in Persien, Syrien und Ägypten wurde nach der Schilderung des griechischen Geschichtschreibers und Geographen Pausanias in seiner zwischen 160 und 180 n. Chr. geschriebenen Periegesis oder Reisebeschreibung von Griechenland, Kleinasien, Syrien, Ägypten und Italien einzig in Elis, im westlichen Peloponnes, Baumwolle gepflanzt. „Eleia ist das einzige griechische Land, in der die Baumwolle (býssos) gedeiht. Die eleische Baumwolle ist ebenso zart wie die hebräische, aber nicht so gelb.“ Und Plinius (23–79 n. Chr.) sagt in seiner Naturgeschichte: „Das baumwollene Zeug (býssinon), welches in der Umgegend von Elis und in Achaia gewonnen wird, ist bei den Damen so beliebt, daß es früher dem Gewicht nach mit Gold in gleichem Werte stand.“ Doch hat sich damals die Baumwollkultur nicht weiter im römischen Reiche verbreitet, und das ganze Altertum hindurch kam weitaus das meiste an fertigen Baumwollstoffen als kostbare Handelsware aus dem Orient, besonders aus Indien, nach Europa. Dies blieb auch so nach dem Untergange der römischen Weltherrschaft, als die eleische Baumwollindustrie zugrunde gegangen war.

In der Folge dehnten die Araber mit der Ausdehnung ihrer Herrschaft das Verbreitungsgebiet der Baumwolle weiter aus. Sie brachten die Kultur dieser Staude mit derjenigen des Zuckerrohrs im 8. Jahrhundert nach Nordafrika, im 9. nach Sizilien und im 10. nach Südspanien. In Andalusien beförderte besonders der Kalif Abdurrhaman II. (912–961) den Anbau dieser Gespinstpflanze. Obschon die Araber selbst viel, allerdings gewöhnliche Baumwollstoffe herstellten, bezogen sie die feinsten Baumwollstoffe immer noch aus Indien. Zwei Araber, die im 9. Jahrhundert Indien bereisten, erzählen, daß dort fast völlig durchsichtige Kleider hergestellt würden, so fein, daß ein ganzer Rock durch einen Fingerring hindurchgezogen werden könne. Tavernier berichtet, daß türkische Turbane aus 16 m feinstem, indischem Musselin zusammengewunden seien, doch nur vier Unzen (= 120 g) wögen. Die feinsten dieser Gewebe, zu Gantipuru und Datta in Indien gefertigt, sehe man nicht, wenn sie, auf eine Wiese ausgebreitet, vom Tau befeuchtet sind. Die Inder nennen sie „gewebten Wind.“

So gebräuchlich im frühen Mittelalter Baumwollstoffe bei den Muhammedanern waren, so überaus selten waren sie bei den Abendländern anzutreffen. In seiner Geschichte der Franken hebt der Geschichtschreiber Gregor von Tours hervor, es sei im Jahre 580 ein Fremder zu Tours erschienen, der über einem ärmellosen Rock einen Mantel aus Baumwolle trug; und im Jahre 807 erregten Zelte, die der Kalif von Bagdad Harun al Raschid (d. h. H. der Gerechte) Karl dem Großen geschenkt hatte, große Bewunderung bei den Franken, nicht nur ihrer Größe und Buntheit wegen, sondern vor allem weil sie aus Baumwollenzeug hergestellt waren. Welchen Wert man bis tief ins Mittelalter der Baumwolle gab, beweist der Umstand, daß man ihr im Mittellatein den Namen der Seide oder eine Nebenform desselben, nämlich bombix oder bombax gab. Erst im 12. Jahrhundert kam im Volke der deutsche Name Baumwolle auf, so daß daraus geschlossen werden darf, daß damals weitere Kreise mit ihr rechneten. So wird im Gedicht „Erec“ des Hartmann von Aue (lebte 1170 bis 1215, nahm an den Kreuzzügen von 1189 und 1197 teil und lernte wohl die Baumwollpflanze in Palästina oder Syrien kennen) ein Sattelkissen linde sam ein boumwol, d. h. weich wie Baumwolle bezeichnet, und im 13. Jahrhundert berichtet ein Autor lateinisch „von der bombaxwolle, welche jetzt beim Volke boumwolle heißt“. Eine zu Anfang des 14. Jahrhunderts vorkommende, aber nur vereinzelte Bezeichnung cottûn im Marienleben des Walther von Rheinau, in welcher solcher neben „flachs, wolle und sîden“ gefärbt als Gegenstand des Webens aufgezählt wird, geht auf das italienische cotone für Baumwolle (und zugleich Baumwollstaude) zurück, das aber selbst aus dem arabischen kutn für jene Gespinstpflanze und deren Produkt stammt. Ebendaher rühren auch das französische und englische coton und das spanische algodon (mit dem arabischen Artikel al — z. B. auch in Alkohol, Alchemie usw. zu erkennen — davor). Erst im 17. Jahrhundert wird jenes arabische Wort als Kattun mit der Verarbeitung der Baumwolle zu Geweben auch in Deutschland häufiger. Ein eigenartiges, aus Leinen und Baumwolle gemischtes Zeug wird mit einem ursprünglich Wollstoff bezeichnenden fremden Wort barchât, später barchant belegt; aus diesem wurde dann unser Barchent für geköpertes Baumwollgewebe mit oft leinener Kette.

Die Einführung der Baumwolle als Gespinstfaser neben dem altgebräuchlichen Lein hat dann in Europa wie in China die Kunst der Weberei beträchtlich gesteigert. Es konnten nun viel mannigfaltigere Stoffe hergestellt werden, wie Zwilich und Drilich (als Umdeutschung des lateinischen bilix und trilix, woraus später unsere Bezeichnungen Zwilch und Drilch entstanden) für zwei- oder dreifädig gewebtes Zeug, dann — seit dem 14. Jahrhundert — damasch für gemusterte Stoffe aus Seide, Baumwolle oder Leinen nach der Stadt Damaskus, wo solche zuerst von den Arabern hergestellt wurden. Mit der Herstellung des Damastes bürgerte sich auch in Europa jene Art von Weberei ein, welche es versteht, auch in gebleichtes Garn allerlei Muster zu weben, so daß sie nicht sowohl durch Farbe, als bloß durch verschiedene Fadenlage zeichnerisch hervorstechen.

Noch das ganze Mittelalter hindurch kamen arabische und indische Baumwollgewebe über Venedig und Genua, von wo sie durch Säumer über die Alpenpässe nach Norden gebracht wurden, nach Augsburg und Ulm, wo bedeutende Stapelplätze dafür waren. Später suchte man die Rohbaumwolle nach Europa zu bringen und hier zu verarbeiten. Und zwar war es das für die Herstellung aller Gewebe von den wollenen Tuchstoffen bis zum Leinengewebe hervorragend tüchtige Flandern, das diesen neuen Industriezweig zuerst einführte. So entstanden am Ende des 16. Jahrhunderts in Gent und Brügge die ersten von Christen hergestellten Gewebe mit fast reiner Baumwolle, die an Güte den arabischen und indischen bald gleichgekommen sein sollen.

Diese Kattune in Form von buntbedruckten Baumwollengeweben kamen dann zu Anfang der selbständigen Regierung Ludwigs XIV., die 1661 nach Mazarins Tode begann, in Frankreich in Mode. Zuerst wurden sie von den Schiffen der Compagnie des Indes von der Koromandelküste, wo Frankreich Kolonien besaß, nach Frankreich importiert, wo die heiteren Farben, die große dekorative Wirkung und der exotische Stempel dieser leichten Stoffe sie überall sehr beliebt machte. Man kleidete sich vielfach damit, ließ Morgenröcke und Möbelüberzüge daraus verfertigen, so daß die Ware trotz ihres hohen Preises reißenden Absatz fand. Da diese Stoffe selten waren, kamen einheimische Handwerker auf den Gedanken, aus dem Orient eingeführte weiße Baumwollengewebe in der Art der indischen Kattune zu bedrucken und machten damit sehr gute Geschäfte, da die Beliebtheit des Kattuns immer mehr stieg und zwischen 1670 und 1680 unter der vornehmen Welt geradezu eine Kattunmanie herrschte. Die Fabrikanten anderer Stoffe und ein Teil der Handwerker fühlten sich darob so beunruhigt, daß sie sich an den Minister Colbert wandten, der sich ihrer annahm und im Jahre 1681 die Fabrikation und den Verkauf dieser gefärbten Tücher strengstens verbot. Die Folge davon war die Entstehung großer Kattunfabriken in England und der Schweiz. Auch entstand ein wahrer Kampf zwischen den französischen Behörden und der kattunsüchtigen Frauenwelt, die sich an das Verbot nicht hielt. Von 1681–1716 versuchten mehr als 30 Erlasse die Pariserinnen zur Vernunft zu bringen; doch fruchtete alles nichts. Im Gegenteil, das Verbotene reizte, und trotz aller Beschlagnahme wurde Kattun nach Frankreich eingeführt. Dabei waren die Beamtenfrauen die ersten, die die verbotenen Stoffe trugen. Die seit 1748 als Geliebte Ludwigs XV. am Hofe lebende Madame Jeanne Antoinette Poisson, die zur Marquise von Pompadour erhoben wurde und bis zu ihrem Tode 1764 in Versailles einen großen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte ausübte, stattete in ihrem Schloß Bellevue eine ganze Zimmerflucht mit diesem Stoffe aus. Bald berieten selbst die Minister über ihre Maßnahmen gegen den Kattun in Räumen, die mit Kattun ausgeschlagen waren! Da gab am 9. November 1759 die Regierung endlich nach: die Herstellung und der Verkauf des Kattuns wurde in Frankreich gestattet. Derselbe behauptete von nun an noch längere Zeit seine Herrschaft. Noch der sonst fortschrittlich gesinnte Kaiser Josef II. von Deutschland, der von 1765–1790 regierte, verbot das Tragen von Kattun in seinen Ländern wegen dessen hohen Preises. Seine Untertanen sollten sich an die altgewohnte Linnenkleidung halten.

In England, wo man zuerst unter Heinrich VIII. (regierte von 1509–1547) in Lancashire und unter dessen Sohn Eduard VI. (1547 bis 1553) auch in Manchester und Cheshire Baumwolle zu verarbeiten begann, verstand man sehr lange keine festen Ketten aus Baumwolle zu machen, sondern verwandte dazu Leinengarne. Erst 1772 brachte man dieses Kunststück zustande und vermochte von nun an reine Baumwollengarne anzufertigen. Als dann der Schotte James Watt 1769 die Dampfmaschine verbessert hatte, und gleichzeitig die Spinnmaschine und der mechanische Webstuhl erfunden worden waren, begann dem vermehrten Bedarf an Baumwolle entsprechend eine größere Zufuhr des Rohmaterials nach England, das schon 1782 mehr als 33000 Ballen aus Syrien, Makedonien und Cayenne einführte. Die Länder, welche heute für Baumwollausfuhr in erster Linie in Betracht kommen, produzierten damals nur für ihren eigenen Bedarf. Ja Ägypten konsumierte selbst so viel, daß es noch Baumwolle aus Cypern und Kleinasien kaufen mußte. Nur die Südstaaten Nordamerikas, in welchen die Baumwollkultur ums Jahr 1770 eingeführt wurde, erzeugten damals schon in zunehmendem Maße Baumwolle, so im Jahre 1800 bereits 9 Millionen kg. Schon nach Beendigung der napoleonischen Kriege bezog England 85 Prozent seines Baumwollbedarfes aus Nordamerika. Die Produktion nahm dort immer mehr zu, so daß jenes Land 1860 4824000 Ballen zu 450 kg ausführte. Da brach 1861 der bis 1865 dauernde unheilvolle Bürgerkrieg aus, der die Kultur dieser Nutzpflanze hochgradig behinderte, so daß bald in der Baumwollindustrie, die von dort aus ihr Rohmaterial hauptsächlich bezog, ein förmlicher „Baumwollhunger“ ausbrach. Die Folge war, daß sehr hohe Preise für den Rohstoff bezahlt wurden. Dies bewog die verschiedensten tropischen und subtropischen Länder, diese wertvolle Nutzpflanze in Kultur zu nehmen. Indien, das vor dem nordamerikanischen Bürgerkriege nur 9–26 Prozent der in England verarbeiteten Baumwolle lieferte, lieferte nun während desselben 50 Prozent des Bedarfes, während Nordamerika von 46–84 Prozent der Einfuhr auf 7 Prozent sank. Aber nach dem Kriege eroberten die Vereinigten Staaten nicht bloß ihre alte Position zurück, sondern übertrafen noch ihre früheren Leistungen bedeutend. Während die dortige Ernte im Dezennium vor dem Kriege 1300 Millionen kg jährlich betrug, stieg sie im Dezennium nach dem Kriege auf 20000 Millionen kg.

Dieser ungeheure Baumwollverbrauch war erst möglich, als die Spinn- und Webemaschinen eingeführt waren. Den Anstoß dazu gab im Jahre 1767 der englische Zimmermann Hargraves durch seine nach seiner Tochter Jenny bezeichnete Spinnmaschine, auf der viel mehr und besseres Garn als mit der Hand hergestellt zu werden vermochte. 1796 erfand dann der Engländer Arkwright seine Wasserspinnmaschine, so genannt, weil sie zuerst durch Wasser getrieben wurde. Beide Systeme vereinigte dann Crampton in seiner Mêlemaschine. Und so kam ein Fortschritt nach dem andern, bis besonders in England die heutige Baumwollspinnerei und -weberei ausgebildet wurde. Heute noch steht dieses Land mit 45 Millionen Spindeln an der Spitze der gesamten Baumwollindustrie der Welt, ihm folgen die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit 16 Millionen Spindeln, dann kommen der Reihe nach Deutschland, Frankreich, Rußland, Ostindien, Österreich, Italien. Neuerdings macht Japan, wie allen Industrien, so auch hierin den Kulturstaaten starke Konkurrenz. Erst im Jahre 1875 wurde die Baumwollspinnmaschine dort heimisch, und schon 1894 arbeiteten 780000 Spindeln in jenem Lande.

Nach China kam die Baumwollstaude im 10. Jahrhundert, war aber noch im 11. Jahrhundert Gartengewächs. Erst vom 13. Jahrhundert an wurde sie im freien Felde angepflanzt, doch nie in der Ausdehnung, daß man auf die Einfuhr von Indien oder Burma hätte verzichten können. Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts brach eine große Hungersnot in Südchina aus; da verordnete der Kaiser, daß der größte Teil des zum Anbau von Baumwolle verwendeten Landes dem Getreidebau zurückgegeben werden solle.

Wie die Portugiesen bei den Kaffern und Mungo Park bei den Negern in Senegambien und Guinea, so fanden Kolumbus, Cortez, Pizarro und Almagro den Gebrauch der Baumwolle überall in Amerika gebräuchlich.

Während in der Alten Welt die Flachskultur, die wir außer bei den neolithischen Pfahlbauern zuerst in Vorderasien, speziell Babylonien und dann Ägypten antreffen, dann auch die schon früh aus Indien nach Persien gebrachte Hanfkultur, sowie in China die Seidenzucht neben der Wollverwertung dem Baumwollbau lange voranging, scheint sich in Amerika die Webekunst und Färberei direkt an der Gespinstfaser der westindischen Baumwollpflanze entwickelt zu haben. Nicht nur finden wir die verschiedensten Gewebe und Fabrikate aus Baumwolle als Grabbeigaben in den Gräbern der alten amerikanischen Kulturvölker von Peru bis Mexiko, sondern die Berichte der Spanier zur Zeit der Entdeckung Amerikas bezeugen, daß wie auf den Antillen, so auch in ganz Mittel- und dem warmen Südamerika die Kultur und Verarbeitung der Baumwolle überall eingeführt war. So benutzten die Azteken, die Bewohner Mexikos zur Zeit der Conquista, außer der Baumwolle auch die Faser der Agave als Gespinstmaterial, während sie den Flachs nur zur Gewinnung seiner fetten Samen anbauten. Wie sie pflanzten auch die übrigen amerikanischen Kulturvölker, die Mayas in Yucatan, die Chibchas in Kolumbien und die Ketschuas im alten Peru die Baumwolle, um daraus Gewebe anzufertigen, die als gesuchte Handelsartikel weithin transportiert wurden. Um sie zu färben und auf ihnen die zierlichsten Muster zu malen, benutzten sie bereits den Indigo, die Cochenille und das Brasilholz. Baumwollzeuge dienten überall in Amerika an Stelle des Geldes als beliebtestes Tauschmittel; sogar schon Papier, ja selbst Panzerhemden wurden daraus verfertigt. Ebenso waren die Segel ihrer aus mehreren walzenförmigen, an den Enden zugespitzten Binsenbündeln hergestellten floßartigen Fahrzeuge aus Baumwolle gewebt. Mit diesen sogenannten balsas wagten sie sich handeltreibend der Küste entlang bis hinauf zur Mündung des Rio San Juan am 4. Grad nördlicher Breite. Wunderbare Erzeugnisse speziell der altperuanischen Webekunst sind uns in den Gräbern des Totenfeldes von Ancon bei Lima erhalten geblieben. In ihnen waren die Toten in Hockstellung, von Decken und Tüchern umhüllt und mit einem reichen Inventar von Beigaben zum Leben im Geisterreich ausgestattet, in brunnenartigen Vertiefungen mit Seitennischen bestattet. Außer prächtig gemusterten und gefärbten Geweben aus Lamawolle, Baumwolle oder Pflanzenfaser, fanden sich auch mannigfaltige Kleidungsstücke, bei denen an den querlaufenden Fäden bunte Federchen in hübschen Mustern geknüpft waren, nebst den Webegeräten, vermittelst welcher sie hergestellt waren.

Leider hat sich diese hochstehende Kultur nicht weiter entwickeln können, sondern sie ging unter den rohen Händen der goldgierigen christlichen Konquistadoren bis auf kümmerliche Reste unter. Nur an ganz vereinzelten Stellen hat sich in abgelegenen Andentälern die alte, heimische Hausindustrie in der Verarbeitung der Baumwolle zu buntgemusterten Stoffen erhalten. Diese neuweltliche Baumwollkultur steht natürlich außer allem Zusammenhang mit der altweltlichen Ausbildung derselben. Beide haben sich vielmehr ganz selbständig aus den ihnen zu Gebote stehenden, eine natürliche Wolle als Ersatz der älteren Tierwolle darbietenden Pflanzen entwickelt.

Während die vorderasiatischen Gebiete unseren Vorfahren im Mittelalter schon die aufs kunstreichste hergestellten, hochgeschätzten Baumwollstoffe lieferten, die vielfach nach der Stadt Mossul am Tigris als Musseline bezeichnet wurden, waren diese über die Herkunft dieser Stoffe noch in vollständiger Unkenntnis befangen. Noch bis ins 17. Jahrhundert berichten uns die abendländischen Gelehrten in ihren Chroniken, daß der Baumwollstoff das Produkt der Wolle des tatarischen oder syrischen Pflanzenschafs, Barometz genannt, sei, dessen Früchte von der schönsten weißen Wolle bedeckte Lämmer enthalten. „Und daran wuchs“, schreibt Sir John Mandeville, ein englischer Ritter, der viele Länder bereiste, um deren Gebräuche und Wunder kennen zu lernen, „eine Art Früchte, als ob es Kürbisse wären; und wenn sie reif sind, kann man sie essen, und man findet darinnen ein kleines Tier mit Fleisch, Bein und Blut, als wie ein kleines Lamm, außen mit Wolle bedeckt; und man ißt beides, Frucht und Tier, und das ist ein großes Wunder. Und auch ich habe von dieser Frucht gegessen; aber obgleich es wunderbar ist, so weiß ich doch, daß Gott noch wunderbarer ist in seinen Werken.“

Andere wieder berichteten, dieser Barometz sei ein Lamm, das mit seinem Nabel auf dem Stamm der betreffenden Pflanze befestigt sei und sich von den ringsum wachsenden Gräsern ernähre; wenn aber das Futter aufgezehrt sei, so verwelke der Stamm und sterbe das Tier. So unglaublich schien unseren in größter Unwissenheit über alles, was jenseits der von ihnen bewohnten Länder geschah, dahinlebenden Vorfahren im Mittelalter die Möglichkeit des Vorkommens pflanzlicher Wolle, daß sie eben solche Märchen sich aufbinden ließen. Und dieses Märchen vom Schaf, das in Früchten auf Bäumen wachse, war noch lange nicht das Wunderbarste, das unsere biederen Ahnen damals glaubten und als verbürgte Wahrheit in ihren Chroniken aufzeichneten.

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