Für den Planspiegel genügt die Figur hier. Es sei ab ein ebener Spiegel, g der Augenpunkt, d das Gesehene. Es ist da g1 symmetrisch zu g, klar, dass der Weg gad da er gleich der Geraden g1ad kürzer ist als gbd, welcher gleich der gebrochenen Linie g1bd ist.
Man denke sich dann einen gekrümmten (Convex) Spiegel, bei dem ab die Peripherie, g das Auge, d das Gesehene sei. Und es sollen ga und ad unter gleichen Winkeln einfallen, gb und bd unter ungleichen. Dann ist nach vorigen Beweis ga + ad < gz + zd und dies < gz + zb + bd < gb + bd (2 Seiten zusammen länger als die dritte).
Dioptrik (Feldmessung).
Heron selbst berichtet in der Katoptrik, dass er ihr die Dioptrik, sein Hauptwerk über Feldmesskunst, vorausgeschickt habe; sie ist, in der Schmidtschen Ausgabe von H. Schöne mit der Metrik zusammen nach dem Codex Constp. herausgegeben. Zuerst wird die von Heron sehr wesentlich verbesserte Dioptra beschrieben und dann die grosse Anzahl mittelst ihrer vorgenommenen Vermessungsaufgaben. Die Dioptra hatte Hipparch nach einer Anregung die er der Bestimmung des Sonnendurchmessers im Psammites des Archimedes verdankte, eingeführt. Sie bestand, vgl. Hultsch, Winkelmessung durch die Hipparchische Dioptra Festschrift f. M. Cantor 1899 aus einem soliden Richtscheit, auf dessen Oberfläche senkrecht zu derselben ein kleines Plättchen verschiebbar war, dessen Ränder von einer kleinen Öffnung an einem Plättchen, das fest mit dem oberen Ende des Richtscheits verbunden war, abvisiert werden können. Hipparch hat mit diesem primitiven Instrument die scheinbaren Monddurchmesser bewunderungswürdig genau gemessen. Die Dioptra des Heron, s. Abbild., ist ein sehr vollkommenes Instrument, ihr fehlte wie man sieht zu unserm Theodoliten nichts als die Linsen, und zugleich diente sie als Kanalwage, als Nivellierinstrument, wozu die Plinthe KL abgehoben und das Nivellierlineal, s. Abbildung, aufgesetzt wurde. Ebenso sind die zum Gebrauch des Visierinstruments nötigen Schiebelatten mit allem Raffinement ausgeführt. W. Schmidt und H. Schöne haben die Einrichtung festgestellt, ersterer Eneström 1903, 7–12, Schöne, Jahrb. arch. Instit. 14, 1899, S. 91–103. Unter den Messungen erwähne ich den Bau der Mole und den Tunnelbau, sowie die allerdings von der Dioptra unabhängige Bestimmung der Entfernung von Rom und Alexandria. Die Methode für diese Messung ist noch heute giltig, es wird aus der Zeitdifferenz, die durch Eintreten der Mondfinsternis festgelegt ist, der Längenunterschied zwischen beiden Orten bestimmt und dadurch die Entfernung, wenn der Erdradius bekannt ist. Dabei hat Hoppe schon darauf hingewiesen, dass die Annahme des Erdumfanges von 252000 Stadien, also des Wertes von Eratosthenes und nicht die von 240000, welche Ptolemaios nach Poseidonios dem Rhodier gibt, zeigt, dass Heron älter ist als jener.
Tunnelbau.
Ich gebe hier den Tunnelbau wieder, Herodot hat III, 60 (W. Schmidt l. c.) schon den Tunnel von Samos des Eupalinos zu den Wunderwerken der Hellenischen Baukunst gerechnet. Die Tunnelbauten dienten den Wasserleitungen. Dioptra XV, »Einen Berg in gerader Linie zu durchgraben, wenn die Mündungen des Grabens im Berg gegeben sind. Man denke sich als des Berges Grundriss (ἑδρα nicht βασις, die Fläche, auf der der Berg ruht) die Linie ΑΒΓΔ s. Fig. S. 330, und als die Mündungen durch welche gegraben werden muss Β und Δ. Ich zog (weil er eine wirklich ausgeführte Arbeit beschreibt) von Β aus auf dem Boden die [Strecke] ΒΕ nach Belieben, und mit der Dioptra von Ε aus rechtwinklig ΕΖ, und dazu von dem beliebigen Ζ mit der Dioptra zu ΖΕ rechtwinklig ΖΗ. Ferner vom beliebigen Η zu ΖΗ rechtwinklig ΗΘ; schliesslich vom beliebigen Θ zu ΘΗ rechtwinklig ΘΚ, und zu ΘΚ rechtwinklig ΚΛ. Nun führte ich die Dioptra längs der Graden ΚΛ bis durch Einstellung des Visierlineals im rechten Winkel der Punkt Δ erschien, er möge erschienen sein als die Dioptra in Μ war. Nun denke man sich ΕΒ verlängert bis Ν und bis zu ihr hin ΔΝ als Lot.« — Da jetzt ΔΝ als ΕΖ + ΗΘ + ΜΚ und ΒΝ als ΒΕ + ΖΗ - (ΘΚ + ΜΔ) bestimmt sind, so ist auch ihr Verhältnis und damit die Richtung des Grabens bestimmt.
»Entsteht der Graben auf diese Weise, werden die Arbeiter einander begegnen.« (Was bei dem Tunnel auf Salamis nicht der Fall war.) Heron braucht rechtwinklige Coordinaten nicht nur hier, sondern vielfach z. B. No. 24 und No. 25, auch hier im Grunde altägyptischer Tradition folgend. Die Dioptra enthält jetzt auch die berühmte Heronische Dreiecksberechnung aus den 3 Seiten unverstümmelt und übereinstimmend mit der Metrik, von der Hultsch noch 1864 berichtete: Infinitum paene laborem mihi attulit gravissimum illud theorema, quo areae triangularis mensura ex tribus lateribus efficitur. Hultsch hielt sie für in die Dioptra eingeschoben, jetzt sieht man, dass sie ganz naturgemäss dort hingehört im Anschluss an Flächenteilungen; dem Feldmesser ist es durchaus bequem die Seiten zu messen und wenn er geübt ist, sie auch so abzustecken, dass die Differenzen konstant sind.
Mechanik.
Ich komme nun zu dem theoretischen Hauptwerk Herons »des Mechanikers«, die Mechanik. Lange Zeit galten die bei Pappos im 8. Buch als Heronisch angegebenen Fragmente aus dem sogen. βαρουλκος, dem Lastenzieher und der Mechanik für Teile zweier verschiedenen Schriften. Da wurde von Carra de Vaux 1893 in Leyden eine arabische Handschrift gefunden und im Journal Asiatique Ser. 9, 1 und 2 herausgegeben, welche bewies, dass die Fragmente bei Pappos zu einem Werke, der Mechanik, gehören. Da in kurzer Zeit noch drei andere zum selben Archetyp wie die Leydener gehörenden Handschriften gefunden wurden, und die Handschriften sich gegenseitig ergänzten, so nahm Schmidt die arabisch und deutsche Ausgabe der Mechanik von L. Nix als Band 2 in die neue Edition der Heronischen Werke auf. Die Übersetzung ist laut den Handschriften von Kosta ben Luka auf Befehl des Chalifen Abul Abbâs (862–866), Nachfolger Harun al Raschids, angefertigt, gehört also zu den frühen Aneignungen Hellenischen Wissens seitens der Araber. Das Leydener Manuskript ist durch den schon bei Apollonios erwähnten Golius dorthin gebracht worden.
Die Schrift zeigt, dass Heron keineswegs der blosse Praktiker war, sondern die theoretische Mechanik im Anschluss an Aristoteles und Archimedes vollständig beherrschte. Er hat das statische Moment scharf hervorgehoben, das Grundgesetz formuliert: was an Kraft gewonnen wird, geht an Zeit verloren. Er gibt die vollständige Theorie der 5 einfachen Maschinen; Wellrad, Rolle, Flaschenzug, Keil, Schraube, alle auf den Hebel zurückgeführt, (für die Rolle mit einem Fehler in bezug auf feste und lose Rolle), er streift auch die schiefe Ebene. Das dritte Buch ist wieder vorzugsweise praktisch, es handelt von den Mitteln zur Bewegung von Lasten auf Ebenen, und finden wir auf S. 267 den Vorläufer unserer Drahtseilbahnen: die Bergseilbahn zum Transport von Steinblöcken, und daran schliessend die Fruchtpressen, über deren Zusammenhang bezw. Abweichung von den bei Vitruv beschriebenen Hoppe l. c. ausführlich gehandelt hat. Die Schrift enthält in den beiden ersten Büchern auch ein ganzes Teil mathematisch Interessantes, so bei Gelegenheit der Aufgabe zu einem gegebenen Körper einen ähnlichen zu konstruieren, die schon mitgeteilte Lösung der Würfelvervielfältigung auf S. 24, so auf S. 28 die Einführung des Ähnlichkeitspunktes, so auf S. 32 den Proportionalzirkel, auf S. 188 den geom. Beweis, dass die Medianen des Dreiecks sich im Verhältnis 2:1 schneiden und auf S. 196 die Bestimmung eines Punktes aus seinen baryzentrischen Koordinaten.
Die physikalischen Kenntnisse Herons sind in einer vortrefflich übersichtlichen Weise zusammengestellt von Franz Knauff, Progr. des Sophien G. zu Berlin Ostern 1900, für die Druckwerke konnte er schon W. Schmidts Arbeit verwerten.
Heron, reine Mathematik.
Ich komme nun zu den eigentlich mathematischen Schriften und beginne mit den Horoi, den Definitionen. Es scheinen überarbeitete Reste seines Euklidkommentars zu sein. Dass sich Heron mit den Elementen stark beschäftigte, geht aus Proklos unzweifelhaft hervor. Ich gebe hier den hübschen direkten Beweis des Satzes: Stimmen 2 Dreiecke in zwei Seiten überein und sind die dritten Seiten ungleich, so sind die ihnen gegenüberliegenden Winkel in derselben Weise ungleich. Die Dreiecke seien αβγ und δεζ und βγ > εζ. Man schneide auf εζ die Strecke βγ ab bis η und schlage um δ mit δζ einen Kreis der εδ in θ trifft und um ε mit εη. Dieser Kreis muss den ersten schneiden und zwar zwischen ζ und θ, da η ausserhalb liegt und εθ > εη. (Summe zweier Seiten.) Der Schnitt sei κ. Man ziehe δκ und εκ, so ist εδκ ≅ βαγ und Winkel εδκ > εδζ d. h. α > δ. Die Schlussformel lautet nicht q. e. d. sondern wiederholt die Behauptung. Hinweisen will ich auf den Ausdruck εν ῥυσει. und auf das öfter gebrauchte Wort »fliessen«. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass Cavalieri seinen Ausdruck fliessen (fluere), aus Heron entnommen hat, der vielleicht auf Demokrit zurückgeht. Seltsam hat es mich berührt, als ich mein Beispiel für den Begriff Fläche aus den Elem. der Geom. von 1891 bei Heron fand in »Περι επιφανειας.« Hultsch S. 10 Z. 19 »η το ὑδωρ ποτηριω«, nur dass Heron wie es scheint abstinenter war. Der Satz lautet vollständig: der Begriff (Fläche) wird erfasst da wo sich Luft mit Erde oder einem andern festen Körper mischt, oder Luft mit Wasser, oder Wasser mit einem Trinkgefäss oder irgend einem andern Behälter.
Eine deutsche Übersetzung des planimetrischen Teils ist 1861 von Prof. Val. Mayring als Programm von Neuburg a. d. D(onau) verfasst, leider noch vor der Hultschen Sanierung des Textes.
Euklid-Kommentar (An-Nairizi).
In der lateinischen Übersetzung des Kommentars An-Nairîzî (Al-Neirizi) zu den 10 ersten Büchern von Gherardus Cremonensis aus dem 12. Jh. welche M. Curtze 1896 in Krakau auffand, ist der Kommentar des Heron wie es scheint fast vollständig erhalten, und demnach hat Heron nur die acht ersten Bücher kommentiert, und besonders ausführlich das erste und zweite Buch. Auch der Kommentar zeigt, dass Heron ein tüchtiger Geometer ist, unter den vielen Sätzen, die Heron hinzufügt, ist wohl der interessanteste der ohne Ähnlichkeitslehre mit drei Hilfslinien gegebene Beweis des Satzes, dass die drei Hilfslinien, welche der Euklidische Beweis des Pythagoras erfordert, sich in einem Punkte schneiden.
Metrik.
Beweis der Heronischen Formel.
Das Hauptwerk Herons für reine Mathematik sind die »Metrika«. In einem schon lange bekannten Codex in Konstantinopel aus dem XII. Jh., fand R. Schöne neben der Dioptra auch eine vollständige Handschrift der Metrika, die sein Sohn H. Schöne als Band III des Schmidtschen Werkes 1903 herausgab. Das Werk zerfällt in 3 Bücher, Buch I Flächenmessung, Buch II Körpermessung, Buch III Teilung von Flächen und Körpern. Es zeigt, dass die von Hultsch herausgegebene Geometrie, Stereometrie, liber geoponicus, stark überarbeitete Teile dieses Werks sind. Das Buch »Geoponicus« (über Erdarbeit) erinnert sehr stark an den Papyrus Aames und spricht am stärksten für das Wurzeln Herons in ägyptischer Tradition. Buch I findet sich auf S. 20 ff der Beweis der Heronischen Formel wie in der Dioptra: s = √s(s - a)(s - b)(s - c) und zwar sehr elegant und zunächst an dem sog. Heronischen Dreieck 13, 14, 15 exemplifiziert, das aus den beiden ganzzahligen (Pythagoräischen) rechtwinkligen Dreiecken 15, 12, 9 und 13, 12, 5 zusammengesetzt ist; und dann an dem nicht rationalen Dreieck 8, 10, 12. Es wird gefordert sich dann den Inhalt zu verschaffen, ausser der Höhe. Das gegebene Dreieck sei ΑΒΓ und jede der (Strecken) ΑΒ, ΒΓ, ΓΑ sei gegeben: den Inhalt zu finden. Es soll in das Dreieck der Kreis ΔΕΖ eingeschrieben sein, dessen Zentrum Η ist, und in die Verbindungslinie ΑΗ, ΒΗ, ΓΗ, gezogen werden ... Es ist also das Rechteck aus dem Umfang des Dreiecks ΑΒΓ und ΕΗ, dem Radius des Kreises ΔΕΖ, das Doppelte des Dreiecks. ΓΒ werde ausgezogen und ΒΘ dem ΑΔ gleichgesetzt. Es ist also ΓΘ die Hälfte des Umfangs des Dreiecks ... Folglich ist das Rechteck aus ΓΘ und ΕΗ gleich dem Dreieck ΑΒΓ. Das Produkt aus ΓΘ und ΕΗ ist die Wurzel (Pleura d. h. Seite) des Quadrats von ΓΘ und ΕΗ Quadrat; also ist das mit sich selbst multiplierte Dreieck ΑΒΓ gleich Γθ2 mal ΕΗ2. Es soll einerseits zu ΓΗ rechtwinklig ΗΛ, andrerseits zu ΓΒ rechtwinklig ΒΛ gezogen worden sein, und Γ mit Λ verbunden. Da nun ein Rechter jeder der Winkel ΓΗΑ und ΓΒΛ so ist ΓΗΒΛ ein Viereck im Kreise [Satz vom Peripherienzirkel auf dem Halbkreis]. Es sind folglich ΓΗΒ (+) ΓΛΒ zweien Rechten gleich. Es ist aber auch ΓΗΒ + ΑΗΔ gleich 2 Rechten ... Also ist ΑΗΔ gleich ΓΛΒ. ... Also ist das Dreieck ΑΗΔ ähnlich dem Dreieck ΓΒΛ, folglich ΒΓ zu ΒΛ wie ΑΔ zu ΔΗ d. h. wie ΒΘ zu ΕΗ und umgekehrt ΓΒ : ΒΘ wie ΒΛ : ΕΗ wie ΒΚ : ΕΚ ... Und durch Zusammensetzung ΓΘ : ΒΘ wie ΒΕ : ΕΚ so dass auch ΓΘ2 : ΓΘ . ΘΒ = ΒΕ . ΓΕ : ΓΕ . ΕΚ = ΒΕ . ΓΕ : ΕΗ2. Denn im rechtwinkligen Dreieck wurde vom rechten das Lot ΕΗ gezogen. Daher wird ΓΘ2 . ΕΗ2, dessen Wurzel der Inhalt des Dreiecks ΑΒΓ war, gleich ΓΘ . ΘΒ . ΕΒ . ΓΕ sein [d. h. also J2 = s(s - a)(s - b)(s - c)].
Die Form des Beweises ist von der Euklids und Archimedes nicht verschieden. Der Beweis selbst sollte von allen Lehrern gekannt sein.
Der Inhalt des Dreiecks 8; 10; 12 ist √1575, Heron bestimmt sie zu 391/2 1/8 1/16 d. h. 3911/16 und das Quadrat weicht von 1575 um noch nicht 0,1 ab.
Es folgt die Ausmessung des Trapezes, das von Heron vielfach zu Aufgaben verwertet wird und neuerdings wieder als Quelle hübscher Elementaraufgaben erkannt ist. Es werden dann die regelmässigen Polygone bis zum 12Eck inklusive einzeln ausgemessen, im Grunde mit den Cotangenten von 180/n, die aber geometrisch und nicht trigonometrisch abgeleitet werden, was einerseits wieder an den Skd der Ägypter erinnert, andererseits für das Alter Herons spricht.
Heron geht dann zur Kreismessung und erwähnt, dass Archimedes in einer (bis dato) verlorenen Schrift: περι πλινθιδων και κυλινδρων zwischen die Grenzen 211875 : 67441 und 197888 : 62351 eingeschlossen habe, d. h. π bis etwa 1/14000 bestimmt hat. Es folgen dann Formeln für die Kreissegmente, Näherungsformeln für Bogen und Flächen. Paul Tannery hat sie mit Hilfe der Integralrechnung, Mem. de Bordeaux 2 V. S. 347, geprüft und sie teilweise von erstaunlicher Genauigkeit gefunden. Er behandelt auch, als Vorläufer von Diophant (s. u.) Quadratische Gleichungen rein arithmetisch, er scheut sich nicht Kreisfläche und Peripherie zu addieren und hat bereits für die 4 Potenz den terminus technicus δυναμοδυναμις d. h. biquadratisch. Zylinder- und Kegelmantel berechnet er wie wir, durch Aufrollen, und für die Kugelfläche hält er sich an Archimedes. Wenn man die Metrik liest, hat man den Eindruck, dass Archimedes zur Zeit des Heron in voller, alles andre überragenden Bedeutung gewesen sei und wird geneigt, Heron nicht mehr als zwei Menschenalter nach ihm anzusetzen.
Das 2. Buch ist der Körpermessung gewidmet, hier kommen die bei Archimedes erwähnten Zitate aus dem »εφοδικον« vor, leider ohne die Beweise.
Den Schluss dieses zweiten Buches habe ich einleitend bei Ägypten auf S. XV angeführt. Der 3. Teil enthält Flächen- und Körperteilungen, es sind Aufgaben die uns meist noch heute als Schüleraufgaben geläufig sind. Ich erwähne die Aufgabe 18: Einen Kreis annähernd in drei gleiche Teile zu teilen. Es wird die Seite des regulären Dreiecks eingetragen, durch das Zentrum die Parallele gezogen, so ist das Segment ΓΔΖΒ ~ 1/3. »Da das Stück, um welches das Segment ΔΓΒ grösser ist als dieses, (nämlich das Drittel, und nicht wie Schöne versehentlich übersetzt, als sie), unerheblich ist im Verhältnis zum ganzen Kreis«. Der Schlusssatz bestätigt, dass Archimedes im 2. Buch περι σφαιρας και κυλινδρου die Kugel im gegebenen Verhältnis geteilt hat.
Wenn ich bei Heron langer verweilt habe, als Ihnen vielleicht wünschenswert erscheint, so tat ich es einerseits weil Heron häufig unterschätzt wurde und andrerseits weil er für die Geschichte der Kultur als Techniker sich würdig Euklid dem reinen Geometer an die Seite stellt, und unter anderen einer der Riesen der Renaissance Leonardo da Vinci die deutlichsten Spuren seines Wirkens zeigt.
Theodosios, Sphärik.
Ich erwähne kurz einige historisch wichtige Namen. Ich nenne Theodosios, möglicherweise aus einem Tripolis, wahrscheinlich aus Bithynien, den Cantor als Zeitgenossen des Geminos ansetzt, während Tannery in seiner Untersuchung über antike Astronomie ihn als Zeitgenossen des Hipparch und als Bithynier ansieht. Seine Sphärik in 3 Büchern ist eine reine Geometrie auf der Kugel, und hat erst im 18. und 19. Jahrh. Nachfolger gefunden, sie hat den Inhalt von Euklids Phänomenen aufgenommen. E. Nizze hat sie 1826 in Stralsund ins Deutsche übertragen mit Erläuterungen und Zusätzen. Sie ist interessant insbesondere auch für die Geometrie des Riemannschen endlichen Raumes. Nizze hat die Sphärik dann 1852 in Berlin griechisch und lateinisch ediert, nachdem A. Nokk darüber ein Programm 1847 in Bruchsal geschrieben. Das griechische Originalwerk ist zuerst 1558 von Joh. Pena mit lateinischer Übersetzung ediert. Schon im 11. Jahrh. wurde durch Platon von Tivoli (nächst Gherard von Cremona der fleissigste Übersetzer) eine arabische Bearbeitung der Sphairika, der Kugelschnitte durch Ebenen, ins Lateinische übersetzt, und 1558 von Maurolycus desgleichen. Aus den vielen Zusätzen des oder der Araber erwähne ich: wenn die gerade Linie aus dem Pole eines Kugelkreises nach dessen Umfange gleich ist der Seite des in diesen Kreis eingeschriebenen Quadrats, so ist der Kreis selbst ein grösster Kreis. Es ist dies die Umkehr des von Theodosios I, 16 gegebenen Satzes. — Eine tüchtige, kritische und sachliche Arbeit über die Sphärik ist das Programm von A. Nokk. Die Arbeit des Theodosios lässt sich noch heute ganz vortrefflich für den Unterricht in der Prima eines Real- oder humanistischen Gymnasiums verwerten. Nokk zeigt wie sich die Kenntnis der Geometrie auf der Kugel kontinuierlich von Autolykos über Euklid zu Theodosios und von da zu Ptolemaios entwickelt. Da neben und vielleicht auch vor der Feldmessung die Astronomie die Quelle der Mathematik ist, so war die Geometrie auf der Kugel schon früh eine Notwendigkeit. Und mit Nokk und Nizze muss man Theodosios, wenn auch als keinen Geometer ersten Ranges, so doch als einen sehr tüchtigen Geometer zweiten Ranges ansehen, dessen Schrift nach Inhalt und Form auf die Zeit des Hipparch oder die nächstfolgende Generation hinweist.
Geminos.
In gleiche Zeit mit Theodosios setzt Cantor Geminus oder Geminos (Γεμινος). Mit ihm beginnt Loria das »silberne Zeitalter« der griechischen Geometrie, das Zeitalter der »Commentatoren«. Von dem grossen Werk Gino Lorias »Le science esatte nell' antica Grecia« standen mir leider nur die drei letzten Bände von 1902 zur Verfügung, und auch diese nur italienisch, da bedauerlicherweise eine deutsche Übersetzung von dem Werke dieses als Mathematiker wie als Historiker der Mathematik gleich hervorragenden Gelehrten noch nicht erschienen ist. Proklos erwähnt den Geminos 18mal, (den Platon 39mal). Besonders wichtig ist 38 das grössere Zitat und 112, 24; 113, 26.
Demnach hat Geminos ähnlich wie in unseren Tagen Papperitz eine Einteilung der mathematischen Disziplinen gegeben, ebenso eine Einteilung der Kurven.
Poseidonios.
Stoa.
Zenon.
Chrysippos.
Stoiker.
Epikuräer.
Das Citat 112 vindiziert dem Geminos den Nachweis der Verschiebbarkeit des Kreises, der Geraden, und der Schraubenlinie auf dem geraden Kreiszylinder und den Satz: wenn von einem Punkt aus an zwei in sich verschiebbare (ὁμοιομερεις) Linien zwei Geraden unter gleichen Winkeln gezogen werden, so sind sie gleich lang. Ich vermute aber, dass diese Betrachtungen aus dem Werke des Apollonios über die Schraubenlinie auf dem Zylinder herrühren. In derselben Schrift hat Geminos auch nach Proklos, Friedl. 113, Z. 4 und 5 die Erzeugung der Spirischen Linien (Schneckenlinien und Wulstschnitte) und der Konchoïden und Kissoïden gelehrt. Besonderen Wert lege ich auf die Stelle S. 176 f., dort erwähnt Proklos, dass Poseidónios, gemeint kann nur der Rhodier sein, die Euklidische Definition: Parallelen sind Asymptoten, dahin umgeändert, dass es Abstandslinien sind, und Geminos hat diese Auffassung akzeptiert. Dies scheint mir für die Datierung des Geminus entscheidend, Poseidónios war der Lehrer des Cicero, um 75 und vermutlich auch des Geminus, so kann dieser nicht gut vor 70 angesetzt werden, was Cantor auch tut. Die Persönlichkeit des Poseidónios, der, obwohl aus Apamea in Syrien nach seinem Wirkungsort meist der Rhodier genannt wird, tritt im Laufe des letzten Dezenniums immer mehr hervor; auch die Philosophie der Mathematik bei Geminus stammt vermutlich ihrem gedanklichen Inhalt nach von ihm vergl. Proklos 80, 20 f., 143, 8 f., 199 und 200. Und dass er auch mit Unterscheidungen und Einteilungen sich beschäftigte, zeigt Proklos S. 170. Aus 200 und besonders aus dem Exkurs zur Konstruktion der Symmetrieaxe geht hervor, dass sich Poseidónios sehr eingehend gerade mit den Elementen der Geometrie beschäftigt hat. Dass Poseidónios als Stoiker sich besonders gegen Epikur richtet ist erklärlich. Die Stoa ist für das Verständnis des römischen Lebens der letzten Zeit der Republik und des Kaiserreichs von grösster Bedeutung, da sie aber für die Geschichte der Naturerkenntnis nur von geringem Wert ist, so will ich mich auf ganz kurze Notizen beschränken. Der Gründer war Zēnon der in der bekannten »bunten Halle« Stoa Poikile lehrte, etwa um 340–325. In engem Anschluss an die Cyniker, an Antisthenes und an seinen Lehrer Krates hielt auch Zēnon Bedürfnislosigkeit für die erste Bedingung zur Glückseligkeit, aber er enthielt sich alles Cynismus. Auch er stellte die Forderung auf, der Natur zu gehorchen, aber diese Natur ist ihm das von der Vernunft gegebene Gesetz. Als das einzige Gut gilt den Stoikern die Tugend und als diese die Herrschaft der Vernunft über die Erregung der Seele. Nie darf der Weise sich hinreissen lassen Lust oder Schmerz zu empfinden, sein Ideal ist etwa der Zustand einer völligen Apathie. Fühlt die Vernunft, dass sie der Affekte nicht Herr werden kann, so hat sie das Mittel durch Selbstmord die Niederlage zu vermeiden. So soll Zenon selbst in hohem Alter durch Selbstmord geendet haben. Der Gegensatz zu Platon und Aristoteles in der älteren Stoischen Schule liegt hauptsächlich in der Ausbildung des Egoismus, zu der die Lehre notwendig führen musste; eine enthusiastische Hingabe an den Staat, an die Gottheit, an die reine Erkenntnis verstiess gegen die Forderung der Affektlosigkeit. Das geistige Haupt der älteren Stoa Chrysippos aus Soloi in Kilikien, der etwa um 240 blühte, hat die Lehren des Zenon, die er schon wesentlich in ihrer praktischen Seite mässigte, streng wissenschaftlich verteidigt. Von seiner ausserordentlichen schriftstellerischen Tätigkeit, durch die er der Stoa erst ihre Verbreitung gegeben nicht nur nach Rom, sondern auch nach Alexandrien, wo er selbst einen Eratosthenes gewann, sind uns nur wenige Bruchstücke durch Plutarch erhalten. Die Hauptquellen über die Stoiker sind Diogenes Laertios und Cicero (De Officiis, Timaeus und vor allem de finibus). Ihre Hauptbedeutung liegt in ihrer Ethik, die sie als praktische Wissenschaft systematisch erfassten. Die Lehre des Chrysipp von den Affekten war von der des Spinoza in der Ethik nicht wesentlich verschieden. Wenn Chrysipp, das Haupt der älteren Stoa, sich stark polemisch gegen den Idealismus wandte, so suchten die Häupter der mittleren Stoa, Panaitios und Poseidónios um so mehr zu vermitteln, sie sind die Begründer des besonders von Cicero, aber auch sonst von der späteren römischen Zeit vertretenen Eklekticismus der ein mixtum compositum so ziemlich aller Schulen, vielleicht mit Ausnahme der Skeptiker (vergl. oben die Sophisten) war. Panaitios aus Rhodos der mit den vornehmsten Römern seiner Zeit insbesondere mit Lälius und dem jüngeren Scipio befreundet war, trägt durch sein Werk περι του καθηκοντος »über das Geziemende« die moralische Schuld an Ciceros Officien. Panaitios und Poseidónios, der bei ihm gehört hat, erhoben schon die Forderung »die Waffen nieder«, indem sie in dem (Römischen) Weltreich eine moralische Forderung erblickten. Übrigens sehen wir aus Proklos, dass Poseidónios scharf genug gegen die Epikuräer geschrieben hat. Über Epikur und die Epikuräer will ich mich kurz fassen, sie waren besser als ihr Ruf, wenn sie es auch nicht liebten sich über die schwierigen Probleme der Erkenntnistheorie die Köpfe zu zerbrechen. Wenn sie auch im Prinzip an die Lustlehre des Aristippos anknüpften, so war das Ideal der Lust des Epikur und seiner Genossenschaft nicht die rohe Sinnenlust, sondern jene althellenische Tugend der Σωφροσυνη, der temperantia, des Masshaltens. Freilich müssen sie sich in praxi von dieser temperantia ziemlich entfernt haben, ich verweise auf Horaz Epist. I, s. u. besonders I, IV an den Dichter Tibull:
Me pinguem et nitidum bene curata cute vises,
Cum videre voles Epicuri de grege porcum.
»Wenn du fettglänzend mich mit wohlgepflegetem Bäuchlein
Sehen wirst, willst du beschaun ein Schwein Epicurischer Herde.«
Stoiker.
Die Stoiker knüpfen in ihrer Physik ganz direkt an Heraklit und sein Urfeuer an; die neuere Stoa, deren Hauptvertreter Epiktet, Seneca und der treffliche Kaiser Marc Aurel waren, knüpften auch in ihrer Ethik an Heraklit und seine Lehre von der Vergänglichkeit der Dinge und an seinen Pantheismus an, für die praktische Moral und die Weisheitslehre im engeren Sinne gehen sie auf Chrysipp zurück und verwerfen den Eklekticismus des Panaitios und Poseidónios, welche die Lehren der Stoa stark mit platonisch-aristotelischen Gedanken durchsetzt hatten. Poseidónios muss übrigens dem stoischen Ideal des Weisen, der vermöge der Hegemonie der Vernunft alles weiss, fast vollständig entsprochen haben, er wusste so ziemlich alles, was seinerzeit zu wissen war. Dass er nicht nur als Philosoph der Mathematik bedeutend war, sondern auch als Astronom wissen wir aus Ptolemaios, der durch seinen Einfluss beim geozentrischen System stehen blieb, er berechnete die Entfernung der Erde von der Sonne richtiger als Newton. Dass er auch als Meteorologe bedeutend war, wissen wir durch eine Anzahl bei späteren Schriftstellern mitgeteilter Fragmente. Da ich für Poseidónios nicht über Studien der Originale verfüge, so verweise ich auf W. Chapelle, die »Schrift von der Welt« περι κοσμου, Neue Jahrb. für das klass. Altertum etc. B. XV, 1905 p. 529 ff. und zitiere daraus:
Poseidonios.
»Von der umfassenden Schriftstellerei des Poseidonios ist uns kein Werk erhalten. Aber seine Nachwirkung in der griechischen und römischen, auch der altchristlichen Literatur ist einzig in ihrer Art, seine überragende Bedeutung in ihrem Einfluss auf die Folgezeit nur der des Aristoteles vergleichbar.«
Jüngere Stoa, Marc Aurel.
Wie die Stoiker an Heraklit und sein Feuer für ihre Physik, oder wie es Aristoteles richtiger nennt, für ihre Physiologie anknüpfen, so tun sie das auch in ihrer Metaphysik. Der Logos des Heraklit ist die Weltvernunft, das dem Feuer als Träger des Geschehens, der Veränderung, gegenüberstehende gemeinsame ewige Gesetz, das besonders auf ethischem Gebiet das Werden bestimmt, und eben dieselbe Rolle hat der Logos bei den Stoikern. Ist Heraklit kurz, aphoristisch dunkel, so verweilen die Stoiker sehr ausführlich bei dem Logosbegriff, der dann später, wenn auch stark modifiziert, eine so grosse Rolle bei Philon (s. u.), den Neuplatonikern und den christlichen Gnostikern spielt. Freilich wird, gemäss eines stark materialistischen Zuges der Stoa, auch der Logos materialisiert, verkörperlicht, und die weltgestaltende Kraft wird zum Logos spermatikos, zum Weltsamen, aus dem das Welt-Lebewesen (Zoon) hervorwächst. Ganz an Giordano Bruno erinnert die Stelle bei Marc Aurel, dem philosophischen Kaiser: Der Kosmos ist vorzustellen, wie ein Lebewesen, das im ununterbrochenen Zusammenhang ein Sein und eine Seele hat. —
Um auf Geminos zurückzukommen, so ist von ihm noch ein astronomisches Lehrbuch εισαγωγή εις τα φαινόμενα erhalten, ich werte es höher wie Cantor, schon deswegen, weil darin eine sehr klare Schilderung des Sonnensystems des Hipparch erhalten ist.
Menelaos.
Ptolemaios.
In die Zeit des Trajan, also vielleicht noch vor Geminos, fällt Menelaos, Mathematiker und Astronom; auch er, wie Heron, aus Alexandria, aber durch Ptolemaios steht fest, dass er auch in Rom im Jahre 98 observiert hat. Denn Ptolemaios hat zwei seiner Fixsternbeobachtungen aufgenommen, während es sehr wahrscheinlich ist, dass er sehr viele und gewissenhafte Beobachtungen von Fixsternen ausgeführt hat, welche Ptolemaios für seinen Katalog zurechtgemacht hat, vgl. A. A. Björnbo, Eneström 1901, S. 196. Proklos teilt uns S. 345 den einfachen Beweis des Satzes mit: der grösseren Seite liegt der grössere Winkel gegenüber, s. Heron, welchen: Μενελαος ὁ Αλεξανδρευς ανευρεν και παρεδωκεν. Menelaos muss also auch über die Stoicheia der Geometrie geschrieben haben. Wenn αβγ und δεζ die Dreiecke sind und αβ = δε, αγ = δζ und βγ > εζ, so trage man εζ auf βγ auf bis η und Winkel δεζ an βη und mache βθ gleich δε, so ist (nach bc, α) βθη ≅ δεζ, und θη gleich δζ gleich αγ, somit im Dreieck θακ Seite θκ > ακ also θακ > αθκ, somit da αβθ gleichschenklig ∢ βαγ > als ∢ βθη also auch als εδζ.
Das Werk des Menelaos über die Geraden im Kreise, d. h. über Sehnenberechnung oder doppelte Sinustafeln, in 6 Büchern, ist als selbständiges Werk verloren gegangen, weil es vermutlich Aufnahme in die Tafel des Ptolemaios gefunden hat. Dagegen sind seine 3 Bücher Sphärik in arabischer und hebräischer Übersetzung erhalten, sie stellen die älteste uns erhaltene sphärische Trigonometrie dar. Die Sphärik enthielt die meisten elementaren Sätze über das sphärische Dreieck, und darunter auch den noch heute nach Menelaos genannten Satz über die Transversale im planen und sphärischen Dreieck, wonach die Produkte der Wechselabschnitte bezw. deren Sinus einander gleich sind. Chasles hat es als wahrscheinlich hingestellt, dass der Satz (für das plane Dreieck) schon in den Porismaten des Euklid gestanden habe. Ptolemaios hat aus diesem Satz die sphärische Trigonometrie mühelos abgeleitet.
Almagest.
Der Zeit nach müssten wir an Menelaos den Arithmetiker Nikomachos anschliessen, aber sachlich fügt sich an ihn der weitaus bekannteste und lange Zeit für den bedeutendsten gehaltene Astronom Klaudios Ptolemaios an. Nach einer aus Arabischer Quelle stammenden Nachricht des zuverlässigen Gherard von Cremona stammt auch er aus Alexandrien. Sein Hauptwerk ist die μεγαλη συνταξις, die grosse Zusammenstellung, die Kodifikation der antiken Astronomie, inkl. der Babylonischen, das wie heute etwa die Theoria motus von Gauss das wesentliche Rüstzeug des Astronomen bildete, von den Arabern schon unter Harun al Raschid und dann gut unter Al-Mamûn von Haggag (siehe Euklid) übersetzt, und gewöhnlich mit latinisierter arabischer Bezeichnung Almagest genannt. Mehr und mehr wird es klar, dass das Werk, so bedeutsam es für die Kulturgeschichte ist, doch im grossen und ganzen tatsächlich nur eine grosse Zusammenstellung gewesen ist. Das Ptolemäische Weltsystem hat sich eigentlich bis Kepler gehalten. Denn Kopernikus sah sich noch wegen der Annahme der Kreisbahnen gezwungen vielfach auf Ptolemaios zurückzugreifen. Freilich ist das was Ptolemaios selbst ersonnen hat, gewiss nicht sehr viel gewesen. Die Exzentrische Sonnenbahn rührt von Hipparch, der Epizykel von Apollonios her, der damit Stillstand und Rückläufigkeit der Planeten (s. o.) befriedigend erklärte. Ptolemaios kombinierte zur Planetenbewegungstheorie die Epizykel des Apollonios mit dem Exzenter des Hipparch und liess die Planeten sich gleichförmig bewegen auf einem Kreise, der in einem Deferenzkreise rollte, dessen Zentrum sich in einem zur Erde exzentrischen Kreise bewegte. Der Almagest ist im höchsten Grade wertvoll, einerseits durch die systematische Durchführung der mathematischen Theorie für die Himmelsbewegungen, andrerseits durch die Nachrichten über die Arbeiten des Hipparch, durch die vollständige ebene Trigonometrie und die fast vollständige Sphärische Trigonometrie des rechtwinkligen Dreiecks, — es fehlt nur die Formel des Djabir (Geber) 11. Jahrh.: cos α = cos a sin γ und cot α cot γ = cos b. Die Ableitung des Additionstheorems für den (doppelten) Sinus, das Verhältnis der Sehne zum Radius, gründete er auf den nach ihm benannten Satz vom Kreisviereck für den Spezialfall, dass die eine Seite der Durchmesser ist. Von meinem subjektiven Standpunkt aus genügt mir schon die Tatsache, dass der Satz (Halma 113) nach Ptolemaios heisst, um dessen Autorschaft zu verwerfen. Er wird vermutlich in des Hipparchs Geraden im Kreise gestanden haben. Auch als Beobachter ist die Wertung des Ptolemaios in jüngster Zeit stark herabgegangen, vgl. den zit. Aufsatz von Björnbo über die fehlerhafte Beobachtung der Präzession und die tadelnswerte Korrektion der älteren Beobachtungen. Doch ist seine Entdeckung der Präzession des Mondes, der Evektion, nicht bestritten. Für sein Geographisches Werk war er jedenfalls auch dem Poseidonios verschuldet, dagegen ist seine Katoptrik das bedeutendste was das Altertum auf diesem Gebiet aufzuweisen hat.
Parallelentheorie.
Durch Proklos p. 191 wissen wir, dass Ptolemaios ein Werk über Parallelentheorie geschrieben hat, es ist, wenn nicht das erste, so doch eins der ersten aus der Bibliothek, welche die 5. Forderung ins Leben gerufen hat. Der Beweis des Parallelenaxioms, den Proklos Friedl. S. 365–66 gibt, ist von Proklos fehlerhaft kritisiert. Er ist nur in der Form mangelhaft, man muss bedenken, dass Ptolemaios wie Poseidónios die Parallelen als Abstandslinien auffasst, womit der zweite Kongruenzsatz (a, b, c) die Gleichheit des Wechselwinkel ohne weiteres gibt. Sein Beweis S. 362 des vom Parallelenaxiom unabhängigen Satzes: »wenn ein Paar innerer Winkel zwei Rechte beträgt, so sind die Linien parallel« ist leider noch immer in den deutschen Lehrbüchern üblich, während von Euklid I, 27 so schlagend einfach mit I, 16 bewiesen wird.
Nikomachos von Gerasa.
Wir kehren jetzt zur Zeit des Menelaos zurück und wenden uns zu Nikomachos von Gerasa, vermutlich nahe bei der im alten Testament erwähnten Stadt Bozra. Wir sehen hier recht deutlich, wie genau die Entwicklung der Mathematik mit den allgemeinen die Zeit beherrschenden Geistesströmungen zusammenhängt.
Um die Zeit des Beginns der christlichen Ära waren die tiefer angelegten Naturen der Nüchternheit der Stoischen und Epikureischen Lehren satt, die sich im Skeptizismus bis zum unvernünftigen Extrem überschlagen hatten. Schon Aristoteles hat verglichen mit Platon, den ich meiner Auffassung des Grenzbegriffs gemäss, als die Vollendung des Pythagoreismus definieren könnte, einen rationalistischen Einschlag, auf den sich die Entwicklung der Naturwissenschaften und der angewandten Mathematik aufbaute, und in den genannten Philosophischen Schulen trat das ideale Element im Geistesleben der Menschheit immer mehr in den Hintergrund, bis es von den Skeptikern geradezu geleugnet wurde. Gegen diese Verflachung des Seelenlebens erhub sich nun in mächtiger Reaktion der neubelebte Idealismus. Während die trostlosen realen, die wirtschaftlichen und sozialen Zustände — man denke nur an den zum Ding im römischen Recht gewordenen Sklaven — die grossen Massen des römischen, von Prätoren und Prätorianern ausgesogenen Weltreichs für die Essäischen Lehren empfänglich machte und sich das Juden-Christentum infolge seines Sozialismus rapide unter ihnen verbreitete, suchten die Gebildeten in der Rückkehr zum Idealismus der alten Schulen, der Pythagoräer und des Platons, die Befriedigung, welche sie im wirklichen Leben und in der Philosophie, die sich den faktischen Zuständen angepasst hatte, nicht fanden.
Mit dem Pythagoreismus lebt zugleich das Interesse für Zahlentheorie, für Arithmetik und für Zahlenmystik, Zahlentheologie — Θεολογουμενα της αριθμητικης. — genannt, wieder auf, und findet in Nikomachos seinen wichtigsten Vertreter.
Nikomachos, Introductio.
Die Theologoumenen sind in dem fälschlich Nikomachos zugeschriebenen Sammelwerke nur fragmentarisch erhalten, das 1543 in Paris gedruckt ist. Weil das Werk von äusserster Seltenheit, ich glaube nur in einem Exemplar vorhanden, und doch von höchster Bedeutung für den Pythagoreismus und die Philosophie oder richtiger Theologie der Neupythagoräer ist, hat Fr. Ast, der verdienstliche Platoforscher, es 1817 zugleich mit dem Hauptwerk des Nikomachos, der Einführung in die Arithmetik, εισαγωγη αριθμητικη. 1817 herausgegeben, die 1538 in Paris vom selben Verlag ediert war und ebenfalls sehr selten geworden. Gestützt auf einen neuen Codex aus Zeitz hat dann 1866 R. Hoche die Eisagoge ediert, höchst bedauerlicher- und schwer begreiflicherweise ohne deutsche oder lateinische Übersetzung.
Das Verdienst, die jetzigen Mathematiker auf Nikomachos hingewiesen zu haben, hat sich G. F. H. Nesselmann in seiner trefflichen »Algebra der Griechen« Berl. 1842 erworben, der ihm 34 Seiten des knapp gehaltenen Buches widmete. Er hat mit Recht hervorgehoben, dass die »Einführung in die Arithmetik« eine neue Epoche der Mathematik bezeichnet, es ist eine wirkliche »Arithmetisierung der griechischen Mathematik« welche nach Nesselmann vom 2. Jahrh. n. Chr. bis zum 14. [Maximus Planudes] gedauert hat. Wie bedeutend das Werk des Nikomachos den Zeitgenossen erschien, erhellt daraus, dass es schon im 2. Jahrh. ins Lateinische von Apulejus aus Madaura übersetzt ist, eine Schrift die fast spurlos verloren gegangen ist, vermutlich weil sie durch die Bearbeitung des Boëtius aus dem 6. Jahrh. verdrängt ist. Apulejus ist für uns insofern von Wert, als er uns die reizende Erzählung von Amor und Psyche, ein Märchen auf orientalisch-mythologischer Grundlage erhalten hat. Ob Boëtius wirklich nach dem Original oder nach der Bearbeitung des Apulejus gearbeitet, scheint mir trotz der an den Patrizier Symmachos, seinen Erzieher, gerichteten Einleitung zweifelhaft. Boëtius hat auch die Musikalische Theorie der Pythagoräer ebenfalls nach Nikomachos der die Tonleiter bis zur zweiten Oktave ausgedehnt hatte, gegeben; vergl. G. Friedleins Ausgabe der Arithmetik, der »Institutio musica« nebst der sogen. Geometrie des Boëtius, dessen Abacus (Rechentisch) mit den »Apices«, den »Staubziffern« der Westaraber so viel Staub aufgewirbelt hat.
Die vom Mathematischen Standpunkt aus minderwertige Arbeit des Boëtius ist schulgeschichtlich von höchster Bedeutung, denn sie ist es gewesen, welche dem arithmetischen Unterricht der Klosterschulen zugrunde lag.
Schon M. Cantor hat sich der Ansicht des Isidorus von Sevilla, der 600 Bischof von Hispalis war und 636 gestorben ist, angeschlossen, dass wir in der Isagoge im wesentlichen das Wissen der Pythagoräer und zwar der Alt- und Neupythagoräer kodifiziert und systematisiert vor uns haben, und in diesem Sinne wird Nikomachos richtig als der Euklid der Arithmetik gekennzeichnet. Der Vergleich mit Philolaos und dem oben zit. Werk des Theon von Smyrna zeigt, dass es der Gedankenkreis der Pythagoräer ist, der uns hier übermittelt wird, wenn auch das Material durch einen an Archimedes und den anderen Grossen gebildeten Mathematiker vermehrt ist.
Nikomachos, Einleitung der Introductio.
Die Einleitung ist sowohl von Nesselmann, als von Cantor und Loria übergangen und doch ist sie vielleicht das interessanteste. Ich werde sie an anderer Stelle ganz geben, hier hebe ich aus ihr hervor: Cap. IV, Hoche p. 9; die Arithmetik, ist dies [die Mutter der anderen Wissenschaften] nicht allein, weil wir sagten, dass sie in dem Intellekt des göttlichen Künstlers den übrigen vorangegangen sei, wie ein die Welt ordnender und vorbildlicher Plan, auf den gestützt der Werkmeister das Ganze etwa wie auf eine Vorlage und ein erstgeprägtes Vorbild das aus Materie Geschaffene in schöne Ordnung brachte und bewirkte, dass es den richtigen Zweck erreichte, sondern auch weil sie von Natur den anderen vorangeht, insofern sie die andern aufhebt, aber nicht von ihnen aufgehoben wird. (Archytas.)
Also eine in Zahlen gegebene Praestabilierte Harmonie. — Ferner: Nikomachos unterscheidet Grössen und Mengen, Cap. II. Grössen sind in einer Vorstellung zusammengefasst (ἡνωμένα) und kontinuierlich (αλληλουχουμενα ein Synonym für συνεχη), Mengen sind diskret (διηρημενα) und in Nebeneinanderstellung (παραθεσει.) wie ein Haufen. Dann fährt er fort: da die Menge, (Anzahl) und die Grösse ihrer Natur nach notwendigerweise unendlich ist, (die Menge von einer bestimmten Wurzel [der Eins] ausgehend, lässt sich ins Unendliche fortsetzen, die Grösse von einer bestimmten Ganzheit aus geteilt, hat keinen letzten Teil und erstreckt sich dadurch ins Unendliche) die Wissenschaften aber durchaus Wissen vom Endlichen und niemals vom Unendlichen sind, so ist wohl klar, dass es von der Grösse und der Menge schlechthin keine Wissenschaft geben würde (denn unbestimmt sind beide, die Menge in bezug auf Vermehrung, die Grösse in bezug auf Verminderung) sondern nur in bezug auf etwas von beiden Abgegrenztes, und zwar von der Menge als begrenzter Vielheit und von der Grösse als begrenzter Grösse.
Hier sieht man, wie klar das Kontinuitätsproblem erfasst ist.
Noch bemerke ich, dass der so berühmte Ausdruck: Quadrivium, für die 4 Wissenschaften Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie (σφαιρικη ist nicht, wie Nesselmann sagt, Trigonometrie, sondern Astronomie), der von Boëtius aus das Ideal höherer Bildung bezeichnete, eine wörtliche Übersetzung von Kap. IV, Hoche 9 των τεσσαρων μεθοδων ist. [Archytas, Harmonik.]
Es schliesst sich an die Einleitung die Definition der Zahl an, welche wiederum zeigt, dass die Dreiteilung des Zahlbegriffs alt pythagoreisch (platonisch) ist. Die Zahl ist entweder Anzahl (Kardinalzahl, πληθος ὡρισμενον) oder Ordnungszahl (μοναδων συστημα) oder Masszahl (relative Zahl, ποσοτητος χυμα εκ μοναδων συγκειμενον der aus Einheiten zusammengesetzte Strom der Wievielheit).
Nikomachos, Introd. Buch 1.
Das 1. Buch wiederholt nur von Philolaos, Euklid und Eratosthenes gegebenes, Kap. XIII wird das Sieb des Eratosthenes beschrieben. Das Diagramm im Codex von Zeitz ist nicht nur eine Primzahlen- sondern zugleich eine Faktorentabelle, Kap. XIX, Hoche p. 51, findet sich dann das erste Diagramm des kleinen Einmaleins in der uns geläufigen Form:
βάθος
μήκος
α
β
γ
δ
ε
ϛ
ζ
η
θ
ι
β
δ
ϛ
η
ι
ιβ
ιδ
ιϛ
ιη
κ
γ
ϛ
θ
ιβ
ιε
ιη
κα
κδ
κζ
λ
δ
η
ιβ
ιϛ
κ
κδ
κη
λβ
λϛ
μ
ε
ι
ιε
κ
κε
λ
λε
μ
με
ν
ϛ
ιβ
ιη
κδ
λ
λϛ
μβ
μη
νδ
ξ
ζ
ιδ
κα
κη
λε
μβ
μθ
νϛ
ξγ
ο
η
ιϛ
κδ
λβ
μ
μη
νϛ
ξδ
οβ
π
θ
ιη
κζ
λϛ
με
νδ
ξγ
οβ
πα
ϟ
ι
κ
λ
μ
ν
ξ
ο
π
ϟ
ρ
Nikomachos, Introd. Buch 2.
Weit bedeutender ist das zweite Buch, es enthält eine ganz achtbare Zahlentheorie auf altpythagoreischer Grundlage, wie sich Nikomachos, man vgl. A. Boeckhs Philolaos, durchaus auch in seiner Philosophie ganz eng an Philolaos anschliesst. Zunächst kommen Betrachtungen über gewisse, schon den Altpythagoräern geläufige Beziehungen zwischen Ketten von geometrischen Reihen desselben Exponenten, die im Kap. 4 aber nichts Geringeres enthalten als den Binomischen Satz, und zwar im Grunde nach demselben Bildungsgesetz, welches im sog. Pascalschen Dreieck angewandt wird.
Es folgt dann die Lehre von den figurierten Zahlen, von denen die Dreieckszahlen (n2) und die Viereckszahlen, die Quadrate, sowie die Tetraederzahlen (n3) und Würfelzahlen, Kuben, jedenfalls allbekannt waren. Aber die Lehre von den figurierten Zahlen (σχηματιζοντες) ist bei Nikomachos, der an Hypsikles einen Vorgänger hatte, sehr ausführlich behandelt, und sie spielte, man sehe das so wichtige Werk R. Baltzers, Elem. d. Math., von da ab bis in die Mitte des 19. Jahrh. eine grosse Rolle auch im Elementarunterricht. Die p-te Polygonalzahl ist von der Form n + (p - 2)(n2) und der Gnomon im Heronschen Sinne der von n auf (n + 1) überführt ist 1 + (p - 2)n; die Figur zeigt die 5-Ecke der Seiten 1, 2, 3, 4, 5.
Die n-te (p + 1)-Eckzahl ist gleich der n-ten p-Eckzahl vermehrt um die (n - 1)te Dreieckszahl. Es handelt sich, wie man sieht, um Summation arithmetischer Reihen erster Ordnung. Interessant ist der Satz Kap. 20: n3 = Σn(n - 1) + 2k - 1 wo k von 1 bis n geht. Nicht minder interessant ist Kap. 7, wo die Definitionen des Platon und Aristoteles über Punkt, Linie, Fläche, zwar vereinigt werden, aber die Platonische benutzt wird, um aus dem Ursprung der vorhergehenden die folgenden Zahlen zu definieren; die Flächenzahl ist Summe der (vorhergehenden) Linienzahlen, bezw. Reihe von ihnen, die Körperzahl wiederum von Flächenzahlen.
Proportionenlehre.
Mit Kapitel 21 beginnt dann die ganz ausführliche Lehre von den Proportionen, neu ist vielleicht die Lehre von der vollkommensten, der musikalischen a : a + b2 = 2aba + b : b z. B. 6/9 = 8/12 welche Pythagoras, wie Jamblichos sagt, aus Babylon nach Griechenland gebracht hat. Mit Unrecht tadelt Nesselmann die Definition des Verhältnis bei Nikomachos; sie heisst: Verhältnis (λογος, ratio) ist das gegenseitige Enthaltensein zweier bestimmter Grössen, denn σχεσις ist bei Nikomachos und allgemein der technische Ausdruck für die σχεσις κατα πηκλικοτητα für die Messung der einen durch die andere.
Aus dem Résumé Nesselmanns hebe ich No. 1 hervor: »Bei Nikomachos erscheint die Arithmetik zum ersten Mal frei von den Fesseln geometrischer Vorstellungen, mit denen sie bei Euklides noch behaftet ist.« (Aber kaum mehr bei Heron.)
Theon.
Auch Nikomachos teilt die altpythagoräische Ansicht, dass die unzerlegbare Eins keine Zahl sei. Diese Ansicht hat sich von Boëtius bis in die Rechenbücher des 18. Jahrh. gehalten, wenn Nikomachos sie auch nicht so klar ausgesprochen hat, wie der vielleicht etwas ältere Astronom Theon von Smyrna in seinem schon mehrfach erwähnten Werk »των κατα το μαθηματικον χρησιμων εις την του Πλατωνος αναγνωσιν; was man an Mathematischem wissen muss, um Platon zu verstehen. Erhalten sind grosse Fragmente der Arithmetik, der Musik, d. h. der theoretischen Lehre von den Intervallen und dem Kontrapunkt, sowie der Astronomie, 1892 von J. Dupuis Griechisch und Französisch ediert. In der Astronomie hängt er von dem Peripatetiker Adrastos ab, der u. a. einen Kommentar zum Timaios verfasst hat. Erwähnung verdient Theon nur, weil sich bei ihm die Kettenbruchentwicklung der √2 findet, die sich auch mit einer Nikomachischen Formel berührt, die selbst wieder seltsam an f(x + 2dx) = f(x) + 2f′(x)dx + f″(x)dx2 erinnert, die ihrerseits wieder den Keim zu einer elementaren, wenn auch nicht strengen Ableitung der Taylorschen Reihe birgt. Einen Weg der weder für Theon noch einen andern Pythagoräer gangbar war, der aber geistvoll ist, hat der Norweger T. Bergh, Schlöm-Cantor 31, S. 135 angegeben. Geht man von einem gleichschenklig rechtwinkligen Dreieck aus, dessen Katheten αn-1 und δn-1 sind und verlängert beide Katheten um δn-1 und verbindet die freien Endpunkte, so ist αn = αn-1 + δn-1 und dn = 2αn-1 + δn-1 und dies sind die Präkursionsformeln für die Näherungswerte des Kettenbruchs √2 = (1|2), wenn man α1 = δ1 = 1 setzen könnte wie Theon tut. Viel wahrscheinlicher ist es, dass wir es hier mit altem Gut der Pythagoräer zu tun haben, bezw. der Platoniker und dass sie nach Auflösung der Diophantischen Gleichung x2 + y2 = z2 sich an die Gleichung x2 - 2y2 = ±1 gemacht haben.
Jamblichos, Thymaridas.
Ich schliesse hier gleich Jamblichos geboren etwa 330 in Chalkis in Coelesyrien an, der als Philosoph der Stifter der sogen. Syrischen Abart des Neupythagoreismus oder Neuplatonismus ist, und der ein grosses Werk in 10 Büchern συναγωγή των πυθαγορείων δογμάτων, Sammlung der Pythagoräischen Lehren, geschrieben, deren erstes Buch der Roman: das Leben des Pythagoras, ist und deren 4. Buch die Erläuterungen zu Nikomachos Arithmetik wichtig ist, erstens für das Verständnis des Nikomachos und zweitens weil darin beiläufig das »Epanthema« d. h. Blüte des Thymaridas überliefert wird, möglicherweise eines Altpythagoräers, obwohl der Name »Blüte« indische Reminiscenzen weckt, wo poetische und phantastische Bezeichnungen gang und gäbe waren, und ferner das gänzliche Fehlen jeder geometrischen Einkleidung auf eine erheblich d. h. mindestens 3 bis 4 Jahrhunderte spätere Zeit weisen. Die Regel selbst ist von Nesselmann, trotz des schlechten Textes und der schlechten Übersetzung des Tenulius der 1668 den Kommentar ediert hat, völlig richtig gestellt »Sind x yI yII yIII yIV etc. eine Anzahl unbestimmter (Grössen), αοριστων und ist x + Σ yk = a d. h. bestimmt (ωρισμενος), und x + yk = bk, so ist x = Σ bk - akn - 1. Das von mir mehrfach als Gesetz für Datierungen angeführte Prinzip auf den ganzen gedanklichen Zusammenhang zu sehen, bestimmt mich auch den Thymaridas in die Zeit der Arithmetisierung der Mathematik zu setzen. Von eigener Mathematik des Jamblichos wären etwa die Sätze n2 = n + 2(1 + 2 + ... n - 1) zu erwähnen. Eine moderne, philologische Ausgabe des Kommentars ist 1894 von I. Pistelli gemacht worden, den als arithmetisches Werk Nesselmann sehr ausführlich S. 236–242 behandelt hat.
Plotin.
Auch die Philosophie des Jamblichos, obwohl ihn Proklos im Kommentar zum Timaios den Göttlichen nennt und obwohl der Kaiser Julianus Apostata für ihn schwärmte, ist nur eine phantastische und vielleicht absichtlich unklar gehaltene Ausführung der Lehren des Porphyrios oder vielmehr des Plotin, interessant wäre es allerdings, den babylonischen und besonders den indischen Einflüssen bei Jamblichos nachzugehen, z. B. für die Rolle, welche Opfer und Gebet in seiner Lehre spielen. Plotin den man vielleicht statt Neuplatoniker den neuen Platon nennen könnte, ist das geistige Haupt der Schule und durch seinen Einfluss auf Augustinus, den grossen kirchlichen Neuplatoniker, den Plotins Lehre vom Sünder zum Heiligen wandelte, kulturgeschichtlich von grösster Bedeutung, und ich bedaure aufrichtig m. H., dass ich für Plotin zur Zeit nicht über Quellenstudien verfüge. Plotin war aber auch mathematisch gebildet und gab in Rom mathematischen Unterricht, und Augustins ungeheurem Einfluss auf die Abendländische Kirche wenigstens von 400–1200 danken wir die Berücksichtigung der Arithmetik als Wissenschaft in den Kathedralschulen.
Plotin ist 202 oder 205 in Lykopolis in Ägypten (Siwet = Assiut) geboren, seine philosophische Bildung hat er in Alexandrien erhalten, dem Brennpunkt des wissenschaftlichen Lebens in der Schlussperiode der antiken Welt. Dort weilte er vom 18. bis 28. Lebensjahre als Schüler des Neuplatonikers Ammonios, Saccas, d. h. der Lastträger genannt. Dieser hat wie es scheint nichts geschrieben, aber wie bedeutend er war, zeigen seine Schüler, Longin, Origenes und Plotin, der von allen anderen Lehrern unbefriedigt, zehn Jahre in seiner Schule blieb.
Philon von Alexandria.
Mehr noch als dem Ammonios verdankte Plotin den Schriften Philons. Philon, etwa von 28 v. Chr. bis 50 n. Chr. war zwar äusserlich strenger Israelit, aber er hatte in die heiligen Schriften des Judentums eine Symbolik hineininterpretiert, welche seiner eigenen Philosophie oder richtiger Religion entsprach. Unter dem Einfluss stoischer (Heraklitischer) essäischer und christlicher Lehren, kann man die seine als eine Lehre von der Zweieinigkeit Gottes und des Logos, der zugleich Heiliger Geist und Gottes Sohn, bezeichnen. Die Symbolische Deutung der heiligen Schriften, welche sich im gewissen Sinne schon bei Platon und Aristoteles und ihren Schülern findet, die den Konflikt mit der Volksreligion vermeiden wollten, hat sich von Philon ab bis heute in der Theologie erhalten. Von Philon hat Plotin die Askese und die Ekstase, d. i. die Vereinigung mit Gott oder Erfassung (αφή) Gottes. Dieses Gottwerden der Menschen durch Kasteiung, Gebet und Busse, weist wiederum nach Indien, wo solche gottgewordene Menschen noch heute verehrt werden. Und auch in der Allgemeinheit und damit Leerheit des eigentlichen Gottesbegriffs wurzelt Plotin in Philon.
Plotin.
Um 243 nahm Plotin an dem Feldzug Gordian III. gegen die Parther teil, wozu ihn das Interesse an der persischen Religion, an dem was Zarathustra sprach, antrieb. In der Askese und Ekstase und auch in dem Dualismus zwischen Ormuz und Ahriman fanden sich enge Beziehungen zu seinen eigenen Gedanken. Nach dem unglücklichen Ausgang des Feldzugs ging er nach Rom, und er muss schon damals berühmt gewesen sein, da er in der Weltstadt zahlreichen Zulauf fand und den Kaiser Galienus selbst zu seinen Schülern zählte. In Rom lehrte er von 244–268, dann zog er sich schwer leidend auf ein Landgut bei Minturnae in Campanien zurück, wo sich seine Seele aus ihrem Körper befreite. Die Vorlesungsnotizen, welche Plotin etwa mit 60 Jahren niedergeschrieben, wurden in seinem Auftrag von seinem Lieblingsschüler Porphyrios redigiert und in 6 Enneaden d. h. in 6 Büchern zu 9 Abschnitten herausgegeben.
Der wesentliche Unterschied zwischen Plotin und Platon liegt in der Ideenlehre. Die Ideen, die bei Platon aus der Erfahrung der Einzelnen abstrahierte grundlegende Konzeptionen der gesamten Vernunft der Menschheit sind, welche als solche ewige Dauer und regulative Kraft besitzen, werden zu Ideen oder Gedanken a priori der von der Gottheit ausstrahlenden Vernunft, des Logos bei Philo, des Noūs (νοῦς) bei Plotin. Die Emanation stellt sich Plotin etwa vor, wie wir die Radiumemanationen.
Die Gottheit selbst bleibt unbewegt und ohne Teilnahme, an dem was sie ausstrahlt, sie ist das Eine schlechtweg, das το εν der Pythagoräer und steht so hoch über uns, dass wir eigentlich gar nichts von ihr aussagen können als jene Ausstrahlung. Bei den späteren Neuplatonikern, insbesondere bei Proklos ist der Begriff der Gottheit so leer geworden, dass er besser als mit der Eins mit der Null verglichen werden könnte. Der Noūs selbst aber zeigt schon eine Entzweiung, eine Trennung in Denkkraft und Gedanken. Abbild und Erzeugung des Noūs, der von Gott emanierenden Weltvernunft, ist die Psyche und sie, die Seele, erzeugt, mittelst des Substrats der Materie, der Hyle, die sie durchdringt wie etwa das Licht ein Medium, die Körperwelt, an deren Leiden oder richtiger Reizungen die wahrnehmende Empfindung eigentlich keinen Anteil hat. Da die Psyche Funktion der Vernunft und diese wieder Funktion Gottes ist, so ist es dem Menschen gegeben nach Ähnlichkeit mit Gott zu streben und darin liegt die Tugend. Ja durch Abtöten des Sinnlichen und völliges Versenken in die religiöse Betrachtung des Einen kann es gelingen zur Ekstase, d. h. zur Vereinigung mit Gott zu kommen und in diesem Zustand war Plotin nach Angabe des Porphyrios viermal. Die späteren Neuplatoniker, wie Apollonios von Thyana und Jamblichos, knüpften an diesen Zustand, der etwa dem entspricht, was die heutigen Mystiker »Trans« nennen an, um die Möglichkeit des Prophezeiens und der Wundertaten zu begründen.
Ich möchte noch hervorheben, dass die Quelle der Schopenhauerschen Ästhetik eigentlich bei Plotin liegt. Nach jenem liegt das Wesen der Kunst in der intuitiven Erfassung der im Objekt zur Erscheinung kommenden Idee, d. h. der bestimmten Abstufung des Willens an sich, losgelöst von jeder Beziehung auf das individuelle erkennende Subjekt, und der Wert der künstlerischen Betrachtung darin, dass »das Ixionsrad« des eigenen Wollens stille steht und wir vor dem Schönen und durch das Schöne zum reinen willenlosen Subjekte der Erkenntnis werden. Plotin sagt, Enneade V, 81: Nicht in der blossen Symmetrie, sondern in der Herrschaft des Hohen über das Niedere, der Ideen über den Stoff, der Seele über den Leib, der Vernunft und des Guten über die Seele, liegt das Wesen der Schönheit.
Porphyrios.
Porphyrios hat bei Plotin auch Mathematik gelernt, er wird von Proklos des öfteren erwähnt, ich führe S. 311 den Beweis von I 18 an: Der grösseren Seite liegt der grössere Winkel gegenüber, den ich unsern Schulen wieder gewinnen möchte: Wenn αβγ das Dreieck und αβ < αγ, so mache man αβ mit βε gleich βγ, dann ist αεγ gleichschenklig und Winkel ε = εγβ + γ und ε noch kleiner als β nach I, 16, dem Satz vom Aussenwinkel.
Diophant.
Den Schluss und zugleich den Gipfel der Hellenistischen Arithmetisierung der Mathematik bildet Diophantos von Alexandrien.
Seine αριθμητικά bedeuten den durch eine weite Kluft von allem anderen getrennten Höhepunkt dessen, was die Griechen auf arithmetischem Gebiet geleistet haben. Sein Werk ist so einzigartig, dass es keineswegs ausgeschlossen ist, dass Indische und Babylonische Einflüsse wirksam gewesen sind. Seine Lebenszeit ist wahrscheinlich das Ende des 4. Jahrhunderts nach Christi, wie Nesselmann l. c. festgestellt hat. Dass Pappos ihn nicht erwähnt, kann ich mir nur dadurch erklären, dass er nach Pappos geschrieben. Alles was wir von ihm wissen, steht im Epigramm 19 der von Maximus Planudes, einem byzantinischen Mönch, aus älteren Exzerpten gesammelten Anthologie:
Hier das Grabmal deckt Diophant, ein Wunder zu schauen,
Durch arithmetische Kunst lehrt sein Alter der Stein.
Knabe zu sein gewährte ein Gott ihm ein Sechstel des Lebens;
Noch ein Zwölftel dazu, spross auf der Wange der Bart.
Und ein Siebentel mehr, sieh Hymens Fackel entbrannte,
Fünf der Jahre darnach, teilt er ein Söhnlein ihm zu.
Ach unglückliches Kind! Halb hatte das Alter des Vaters
Es erreicht, da nahm's Hades der Schaurige auf.
Noch vier Jahre ertrug er den Schmerz, der Wissenschaft lebend,
Und nun künde das Ziel, welches er selber erreicht.
Also mit 33 Jahren verheiratet und mit 84 gestorben.
Fermatsche Satz.
So berühmt Diophant als Arithmetiker heute ist, so wenig wurde sein Werk von den Griechen der folgenden Zeit verstanden, nur ganz wenige und verstümmelte Handschriften seines Werkes sind erhalten, alle, auch die jüngst gefundenen vom selben Archetyp stammend. Ein einziger Grieche, der schon genannte Maximus Planudes, der in der ersten Hälfte des XIV. Jahrh. lebte, hat Scholien zu den beiden ersten Büchern geschrieben. Dagegen haben sich die Araber verhältnismässig früh des Diophant bemächtigt und kein geringerer als Abul Wafa, der die Mondvariation festgestellt hat, übersetzte die Schrift gegen Ende des 10. Jahrh. Das bisher noch nicht aufgefundene Werk findet sich vielleicht auch noch in Leyden. In Europa hat zuerst Regiomontan, decus Germaniae, wie ihn Petrus Ramus nennt, 1464 zu Venedig einen Diophant-Codex gesehen. Die erste zwar mangelhafte, aber vollständige Übersetzung ins Lateinische veröffentlichte 1575 Wilhelm Xylander oder Holzmann zu Augsburg, sie ist eine bibliographische Rarität. Die erste Textausgabe mit lateinischer Version und vielen Zusätzen und Erläuterungen rührt von Gaspard Bachet, sieur de Méziriac her, — Paris 1622, der durch seine »Problèmes plaisants et délectables« (1612) so bekannt ist. Eine zweite Ausgabe von Bachets Arbeit veranstaltete S. Fermat; die Ausgabe ist an sich sehr mangelhaft, aber sie enthält die berühmten Randbemerkungen seines Vaters Pierre Fermat, Frankreichs grössten Mathematikers, darunter den berühmten Fermatschen Satz: Die Gleichung xn + yn = zn ist wenn n > 2 nicht in ganzen (rationalen) Zahlen lösbar. Diese Anmerkungen haben die moderne Zahlentheorie, die Arithmetica sublimior wie Gauss sie nannte, geschaffen. Eine neue sehr sorgfältig redigierte Ausgabe ist von P. Tannery 1893 geschaffen. G. Wertheim hat 1890 eine tadellose deutsche Übersetzung der Arithmetik und der Schrift über Polygonalzahlen des Diophant und der Anmerkungen Fermats gegeben.
Von den 13 Büchern, welche Diophant selbst in dem Einleitungsschreiben an einen gewissen Dionysios erwähnt, sind uns in den Handschriften nur 6 erhalten, aber die allgemeine Ansicht geht dahin, dass das Verlorene sich im wesentlichen nur auf die Behandlung der gemischt quadratischen Gleichungen bezogen habe und wissenschaftlich der Verlust zu verschmerzen. Dagegen scheint der Verlust eines andern Werkes der »Porismata« (vergl. Euklid) schwerer zu wiegen, wenigstens nach dem Satz zu urteilen, den Diophant selbst zitiert: die Differenz zweier (rat.) Kubikzahlen (a und b) ist stets die Summe zweier (rat.) Kubikzahlen. Von Vieta gelöst: x = a(a3 - 2b3)a3 + b3; y = b(2a3 - b3)a3 + b3.
Das erste was wir aus den Arithmetica hervorheben, ist dass bis auf eine einzige vermutlich eingeschobene Aufgabe V, 13, Wertheim S. 209 niemals die Zahlen seiner Aufgaben durch Linien oder sonst geometrisch versinnlicht sind. Er spricht zwar oft von rechtwinkligen Dreiecken, aber er meint stets drei Zahlen a, b, c, welche der Gleichung a2 + b2 = c2 genügen. Zweitens gehen auf Diophant die nach ihm genannten Aufgaben der unbestimmten Analytik zurück, obwohl eine diophantische Gleichung in unserem Sinne bei ihm nicht vorkommt. Erst Bachet hat die Gleichung ax + by = c allgemein in ganzen Zahlen aufgelöst. Diophant begnügt sich mit rationalen Zahlen und was die Hauptsache, er gibt immer nur eine Lösung. Das was speziell an indischen Einfluss denken lässt, liegt erstens in der Systemlosigkeit und zweitens darin, dass eigentlich, wenn man vom ersten Buch absieht, der Lehre von den gewöhnlichen Gleichungen ersten Grades, nirgends allgemeine Methoden vorkommen, sondern jede Aufgabe durch eigene oft sehr merkwürdige Kunstgriffe gelöst wird. Oft ist die Aufgabe allgemein gefasst und wird durch willkürliche Annahmen eingeschränkt.
Ganz eigenartig ist auch die Bezeichnung bei Diophant; vergl. Nesselmann l. c. Kap. 7. Für die Unbekannte die bei ihm αριθμός »die Zahl« heisst, hat er ein Zeichen ϛ oder auch ϛο, das man früher für das Schlusssigma hielt. T. L. Heath, Diophantos of Alex. Cambr. 1885 hat mit guten Gründen behauptet, dass es die Abbreviatur von αριθμός ist. Das Quadrat der Unbekannten, unser x2 heisst wie gewöhnlich δύναμις, Zeichen δῡ; x3 desgleichen κύβος, Zeichen κῡ, x4 bei ihm wie durch die Metrika nachgewiesen bei Heron: δυναμοδύναμιν [Biquadrat] δδῡδ, x5 δυναμοκυβος δκῡ, x6 κυβοκυβος, κκῡ. Bestimmte Zahlen (ὡριζομενοι) heissen μοναδες, Zeichen μο, zum Unterschiede von den αοριστοι den zunächst unbestimmten, also wie bei Jamblichos, 1/x heisst αριθμοστον; 1/x 2 δυναμοστον u. s. f.
Kein Zeichen bedeutet die Addition, welche damals also noch als die Hauptoperation galt, sie heisst ὑπαρξις; die Subtraktion heisst λειψις, Zeichen ein umgekehrtes ψ also Symbol oder ⬆. Bei (x - a)(x - b) findet sich die Regel: Minus × Minus ist plus (λ.λ ist ὑπαρξις), doch schliesst Diophant negative Zahlen wie auch irrationale Zahlen prinzipiell aus. Cantor sagt mit Recht, dass sich bei Diophant schon eine hoch entwickelte Buchstabenrechnung findet. Immerhin ist ihr die Vieta'sche sehr überlegen.
Ich gebe nach Cantor die Gleichung 10x + 30 = 11x + 15.
ςςοι αρα ῑ μο λ ἱσοι εισιν ςςοις ῑᾱ μονασι ῑε (Unbekannte nun zehn und Einheiten 30 sind gleich Unbekannten 11 und Einheiten 15.) M. H. Cantor hat wiederum recht, wenn er sagt dies ist eine Stenographie aber noch keine Symbolik.
Die Gleichheit wird übrigens oft nur durch ἱ ausgedrückt.
Diophant, Beispiele.
Als Beispiel N. 1 gebe ich Ihnen I, 9 Werth. 15. Von zwei gegebenen Zahlen eine und dieselbe Zahl zu subtrahieren, so dass die erhaltenen Reste in einem gegebenen Verhältnis stehen.
Es muss jedoch dieses Verhältnis grösser sein als das in welchem die grössere der beiden gegebenen Zahlen zur kleineren steht.
Die Bedingung ist nötig damit x > 0 wird.
Es soll [z. B.] von 20 und 100 dieselbe Zahl abgezogen werden und so gewählt werden, dass der grössere Rest das 6fache des kleineren ist.
100 - x, 20 - x die Reste, 120 - 6x = 100 - x die Gleichung.
Wird die abzuziehende Grösse auf beiden Seiten addiert und sodann Gleiches vom Gleichen subtrahiert, so erhält man 5x = 20, x = 4.
Es folgt die Probe, man kann wohl sagen bedauerlicherweise.
Beispiel 2: I, 32, W. 37. Zwei so beschaffene Zahlen zu finden, dass ihre Summe 20 und die Differenz ihrer Quadrate 80, (auch diese Aufgabe ist allgemein gestellt und wird am Beispiel allgemein gelöst).
Wir setzen die Differenz beider Zahlen 2x, so wird die grössere x + 10, die kleinere 10 - x betragen. Nun ist noch zu bewirken, dass die Differenz ihrer Quadrate 80 ist, sie ist aber 40x, also die grössere 12, die kleinere 8.
II, 9. W. 52. Zweite Lösung der Aufgabe eine gegebene Quadratzahl (16), in zwei Quadrate zu zerlegen.
x sei die eine Seite, die andere gleich einem um die Seite des gegebenen Quadrats verminderten beliebigen Vielfachen von x, etwa 2x - 4, x = 165, y = 125.
Zu dieser Aufgabe bemerkt Fermat am Rand:
Dagegen ist es ganz unmöglich, einen Kubus in zwei Kuben, ein Biquadrat in 2 Biquadrate und allgemein irgend eine Potenz ausser dem Quadrat in zwei Potenzen von demselben Exponenten zu zerfällen. Hierfür habe ich einen wahrhaft wunderbaren Beweis entdeckt, aber der Rand ist zu klein ihn zu fassen. —
M. H. es gibt seit 200 Jahren wohl keinen wirklichen Mathematiker, der nicht versucht hatte, den Fermatschen Satz zu beweisen, aber es ist selbst Euler, Dirichlet und Kummer nicht gelungen. Kummer hat mit der ad hoc geschaffenen Theorie der idealen Primzahlen den Satz bewiesen, mit Ausnahme der sogn. Bernoullischen Zahlen. Aber dass Fermat sich getäuscht habe, ist beinahe ausgeschlossen.
III, 22. Vier Zahlen der Beschaffenheit zu finden, dass das Quadrat ihrer Summe ein Quadrat bleibt, wenn jede der vier Zahlen zu ihm addiert oder von ihm subtrahiert wird.
D. h. also s2 ± x; s2 ± y; s2 ± z; s2 ± u sollen Quadrate sein.
Ich gebe die Lösung dieser wahrlich nicht leichten Aufgabe, die sich zu stellen schon Mut erfordert, nach Wertheim 110 ff., sie hat wie der Zusatz Fermats beweist sein Interesse in hohem Grade erregt und ihn u. a. zu dem Satz geführt: eine Primzahl von der Form 4n + 1 ist nur einmal Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks, ihr Quadrat ist es zweimal, ihr Kubus dreimal, ihr Biquadrat viermal usw. in inf. Lösung: In jedem rechtwinkligen Dreieck bleibt das Quadrat über der Hypotenuse ein Quadrat, wenn man das doppelte Produkt beider Katheten zu demselben addiert oder subtrahiert. Daher suche ich zunächst vier rechtwinklige Dreiecke mit gleichen Hypotenusen; das ist aber dasselbe wie die Aufgabe: ein beliebiges Quadrat viermal in je 2 Quadrate zu teilen und wir haben schon (II, 10) gelernt, ein gegebenes Quadrat auf unzählig viele Arten in zwei Quadrate zu zerlegen.
Wir nehmen also zwei rechtwinklige Dreiecke, deren Seiten in den kleinsten Zahlen ausgedrückt sind, wie etwa 3, 4, 5 und 5, 12, 13. Multiplizieren wir jetzt alle Seiten eines jeden mit der Hypotenuse des andern, so wird das erstere die Seiten 39, 52, 65 haben und das zweite die Seiten 25, 60, 65, und wir erhalten zwei rechtwinklige Dreiecke mit gleichen Hypotenusen.
Ihrer Natur nach lässt sich ferner die Zahl 65 in je 2 Quadrate zweimal zerfällen, nämlich in 16 und 49 sowie in 64 und 1. Dies rührt daher, dass 65 durch Multiplikation von 13 und 5 entsteht von denen jede sich in 2 Quadrate zerlegen lässt. [: (a2 + b2)(c2 + d2) = (ac + bd)2 + (ad - bc)2 = (ad + bc)2 + (ac - bd)2, diese Formel aus der Theorie der quadratischen Formen, das ist die Quelle der Aufgabe]. Ich nehme nun die Seiten der Quadrate 49 und 16 nämlich 7 und 4 und bilde vermittelst dieser das rechtwinklige Dreieck, dasselbe hat die Seiten 33, 56, 65 [a2 - b2; 2ab; a2 + b2]. Ebenso nehme ich die Seiten der Quadrate 64 und 1 nämlich 8 und 1, das rechtwinklige Dreieck hat die Seiten 16, 63, 65. Nun habe ich vier rechtwinklige Dreiecke mit gleichen Hypotenusen.
Indem ich jetzt zu der ursprünglich gestellten Aufgabe schreite, setze ich die Summe der 4 gesuchten Zahlen gleich 65x, jede einzelne derselben aber gleich x2 mit einem Koefficienten, der das Vierfache der Fläche eines der 4 Dreiecke ist [2ab], also die erste Zahl gleich 4056 x2, die zweite gleich 3000 x2, die dritte gleich 3696 x2, die vierte gleich 2016 x2. Es ist dann die Summe der vier Zahlen 12768 x2 = 65 x, und daraus ergibt sich x = 6512678. Daher werden die vier Zahlen Brüche mit dem gemeinschaftlichen Nenner 163021824 sein und zwar hat die erste Zahl den Zähler 17136600, die zweite 12675000, die dritte 15615600, die vierte 8517600.
Diese Aufgabe gehört mit zu denen, welche es am begreiflichsten erscheinen lassen, dass ein Mathematiker solchen Ranges von einem Zeitalter des Verfalles nicht mehr begriffen wurde.
IV, 11. x3 + y3 = x + y. Diophant findet durch ein Verfahren, dass nur zu begreifen ist, wenn man annimmt, dass er die allgemeine Lösung x = ±1 - k2(1 + k)2 - k; y = ±1 + 2k(1 + k)2 - k kannte, x = 5/7; y = 8/7, er setzte k = 1/4 in der ersten (+) Lösung und nicht wie Wertheim S. 129 angibt k = 1/2; (auch k = -3/2 in der zweiten negativen Lösung ist richtig), merkwürdig ist, dass auch x = 3/7 und y = 8/7 eine richtige Lösung ist, da 4 - 4p + 2r = o ist. V 34, W. 233: Drei Quadratzahlen zu finden, so dass das Produkt derselben, wenn es um jede der Zahlen vermehrt wird, ein Quadrat bildet.
Wir setzen u2v2w2 = x2 und suchen dann drei Quadrate, von denen jedes, wenn es um 1 vermehrt wird, wieder ein Quadrat gibt. Das kann vermittels jedes rechtwinkligen Dreiecks geschehen. Ich wähle also drei rechtwinklige Dreiecke 3, 4, 5; 5, 12, 13; 8, 15, 17; so wird das eine Quadrat 916 x2, das zweite 25144 x2, das dritte 64225 x2 sein, und jedes derselben bleibt ein Quadrat, wenn es um eins vermehrt wird. Nun soll noch das Produkt der drei Zahlen gleich x2 sein. Das Produkt ist aber 14400518400 x6. Das soll gleich x2 sein. Wird alles durch x2 dividiert so folgt 14400518400 x4 = 1, also 120720 x2 = 1. Nun ist die Einheit eine Quadratzahl. Wenn daher auch 120720 x2 ein Quadrat wäre, so würde die Aufgabe gelöst sein. Dem ist aber nicht so.
Diophant führt die Aufgabe nicht durch, seine Lösung ist 254; 25681; 916. Die Aufgabe ist von Fermat wieder hergestellt. Diophant nimmt drei rechtwinklige Dreiecke a1 b1 c1; a2 b2 c2; a3 b3 c3 und setzt u = a1b1 x; v = a2b2 x; w = a3b3 x. Dann hat man nur noch zu sorgen, dass a1a2a3b1b2b3 oder auch a1 a2 a3 b1 b2 b3 gleich a1 b1 a2 b2 a3 b3 eine Quadratzahl ist, was keine Schwierigkeit macht.
VI 3. Ein rechtwinkliges Dreieck zu finden, so dass die Zahl, welche den Flächeninhalt ausdrückt, eine Quadratzahl wird, wenn sie um eine gegebene Zahl vermehrt wird.
Diese recht schwierige Aufgabe ist in Wertheim S. 256 und 257 allgemein und ihre Erweiterung durch Vieta (Zetetica V, 9) angegeben.
VI 26. Die letzte Aufgabe Diophants: Ein rechtwinkliges Dreieck von der Beschaffenheit zu finden, dass die eine seiner Katheten ein Kubus, die andere die Differenz zwischen einem Kubus und seiner Seite, und die Hypotenuse die Summe eines Kubus und seiner Seite sei.
Hypotenuse x3 + x, Kathete x3 - x, die andere ist dann 2x2 und soll gleich einen Kubus sein. Es sei 2x2 = x3, so ist x = 2, also ist 6, 8, 10 eine Lösung.
An die Weiterführung dieser Aufgabe durch Bachet hat Fermat eine Reihe wichtiger zahlentheoretischer Sätze geknüpft, wie z. B. x4 ± y4 ist niemals ein Quadrat, und n(n + 1)2 nur wenn n gleich 2 ist gleich p2, welche beide von Euler bewiesen sind. (Werth. S. 294.)
Die Schrift über die Polygonalzahlen, so interessant sie an sich ist, steht doch an Bedeutung der Arithmetik unvergleichlich nach, so dass ich auf sie nicht näher eingehe, wertvoller als sie sind Fermats Anmerkungen.
Die Beispiele aus der Arithmetik genügen, um zu zeigen, wie gross Diophant als Arithmetiker dasteht, dabei ist er, soweit unsre Kenntnis bis jetzt reicht, fast ohne Vorläufer, von dem einzigen Heron etwa abgesehen. Nikomachos verschwindet gegen Diophant vollständig, und sein Ruhm beruht nur darauf, dass sein Verständnis verglichen mit Diophant nur die geringe Bildung erforderte, welche sich in den Stürmen der Völkerwanderung mit ihren politischen und religiösen Umwälzungen erhalten konnte.
Pappos aus Alexandria.
Von dem letzten und grössten Arithmetiker der Hellenen gehen wir zu ihrem letzten grossen Geometer zurück, zu Pappos, auch er Alexandreus. Auch von seinen Lebensverhältnissen wissen wir so gut wie nichts, doch macht die Äusserung des Proklos ὁι περι Ἡρωνα και Παππον es wahrscheinlich, dass er als Lehrer in Alexandrien tätig war und das wird noch mehr als durch diese immerhin der Auslegung fähige Stelle, durch den Inhalt und Zweck seines Hauptwerkes gesichert, das ganz und gar in der Absicht geschrieben ist, Studierenden eine richtige und tüchtige Ausbildung für reine und angewandte Mathematik zu sichern. Auseinandersetzungen wie die über Analysis und Synthesis, Kritiken, wie die allerdings nicht ganz gerechtfertigte, über das Näherungsverfahren zur Lösung des Delischen Problems (III, Anfang), die Auswahl der Schriften, an die er seine eigenen Lemmata anknüpft, zeigen hohes pädagogisches Interesse und Erfahrung. Hultsch und Cantor setzen seine Lebenszeit auf das Ende des dritten Jahrhunderts, gestützt auf eine Notiz, auf welche der bekannte Philologe Usener hingewiesen hat, dass er unter Diokletian gelebt habe. Für diese Datierung spricht der ganze Inhalt seiner Werke, insbesondere zeigt das höchst lebhafte Interesse, das er für Sphärik und Astronomie, speziell für Klaudios Ptolemaios bekundet, dass er nicht mehr als etwa 100 Jahre nach diesem anzusetzen ist. Zur Syntaxis und zwar höchst wahrscheinlich zur ganzen und nicht nur zu den vier ersten Büchern hat er einen Kommentar (Scholion) geschrieben, von dem ein Teil, der sich auf das 5. und 6. Buch bezieht, in der an Schätzen reichen Laurentiana zu Florenz gefunden und eine Einleitung, welche die Dimensionen der Erde, Umfang und Inhalt behandelt und eine Definition der Astronomie gibt im Vaticanus 184. Hultsch macht es im hohen Grade wahrscheinlich, dass der Ptolemaios-Kommentar des von nur öfter erwähnten Theon von Alexandrien, etwa 100 Jahre später, wesentlich aus dem des Pappos geschöpft sei.
Pappos hat auch Kommentare zu den Daten und den Elementen des Euklid geschrieben, von denen Fragmente bei Eutokios und Proklos erhalten sind, und die auch von Marinos aus Neapolis (Sichem in Palästina), einem Schüler und Nachfolger des Proklos im Rektorat der Akademie, dem wir die Erhaltung von Euklids Daten verdanken, erwähnt werden. Ich nenne hier Friedl. S. 249–50 den Beweis der Gleichheit der Basiswinkel im gleichschenkligen Dreieck, weil der auf die Symmetrie des gleichschenkligen Dreiecks begründete Beweis meist Bolzano (Betrachtungen etc. p. 17 § 25) zugeschrieben wird, der Quellenangaben noch nicht für erforderlich hielt. Der Beweis bei Proklos zeigt allerdings, dass auch Pappos den leitenden Grundsatz des Euklid, die dritte Dimension in der Planimetrie zu vermeiden, nicht recht erfasst hat.
Pappos, Collectiones.
Erhalten ist uns, obwohl nirgends von den späteren hellenistischen oder römischen Autoren erwähnt, sein Hauptwerk die Synagoge (συναγωγή, nicht συναγωγαι) in 8 Büchern, von denen das erste und ein grosser Teil des zweiten verloren ist. Die Reste des zweiten Buches hat 1688 Wallis herausgegeben. Unter dem Titel: Pappi Alexandrini mathematicae collectiones hat Federico Commandino 1588 die Bücher 3–8 lateinisch herausgegeben, wie alle Arbeiten dieses Mannes für ihre Zeit ausgezeichnet. Die einzige Gesamtausgabe Griech. und Lat. hat Fr. Hultsch 1876–78 geschaffen, sie ist geradezu vorbildlich geworden, Cantor sagte in der Besprechung des letzten Bandes (Cantor-Schlömilch 1873): Hultsch hat uns mit einer klassischen Ausgabe eines klassischen Schriftstellers beschenkt. An dem index graecitatis, der 125 enggedruckte Seiten umfasst, hat er ein ganzes Jahr lang gearbeitet, nachdem er viele Jahre auf die Collation der Codices verwandt hat und im Vaticanus graecus 218 aus dem 12. Jahrh. den Archetyp sämtlicher anderen festgestellt hatte. Rudio nennt den Index geradezu ein Lehrbuch der griechischen mathematisch-technischen Sprache. Die Verdienste des am 6. April 1906 verstorbenen Philologen um die Geschichte der Mathematik hat F. Rudio, Eneström Ser. III, Bd. VIII meisterlich geschildert, und in diesem Nachruf findet sich auch eine Analyse der Synagoge (= Sammlung), welche an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt, und die einfach abzuschreiben vielleicht das zweckmässigste wäre. Trotz dessen halte ich es angezeigt, was ich 1903 gesagt, hier zu wiederholen. Die Sammlung des Pappos ist für uns die Hauptquelle der griechischen Geometrie, sie zeigt, dass Pappos einerseits im höchsten Grade literarisch gebildet war und vielleicht noch vor oder zur Zeit Caracallas anzusetzen wäre, andererseits aber selbst ein produktiver Geometer von hohem Range war, wie z. B. seine Quadrierung des von der sphärischen Spirale abgeschnittenen Stück der Halbkugel (Hultsch S. 682) und seine Lösung der Proprosition 43 des IV. Buches zeigen. Insbesondere ist schon so ziemlich die ganze Steinersche Geometrie, die Arbeiten Steiners über Isoperimetrie eingeschlossen, in nuce bei Pappos zu finden, vor allem der grundlegende Satz von der Constanz des anharmonischen Verhältnisses und die vollständige Theorie der Involution. Die im Altertum so viel umworbene Lehre von den Proportionen id est die Auflösung der Gleichung ersten Grades hat er unter einem einzigen einfachen Gesichtspunkt dargestellt. Er gibt den Inhalt fast aller bedeutenden mathematischen Werke bis auf seine Zeit mit grosser Gewissenhaftigkeit und unter Angabe der Namen und hat uns so, wie wir ja gesehen haben, in Stand gesetzt, eine ganze Anzahl verlorener Werke der Heroen entweder ganz oder teilweise zu rekonstruieren. Ich nenne nur die Porismata und die Topoi pros Epiphaneian des Euklid, das 8. Buch der Konika und das Taktionsproblem des Apollonios, die Schrift des Zenodoros über die Isoperimetrischen Figuren, die Archimedischen halbregulären Körper etc. Höchst wichtig ist auch, dass wir durch ihn in Stand gesetzt sind, die Arabischen Quellen auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen, wobei sich die ersten islamitischen Jahrhunderte als durchaus zuverlässig erwiesen haben, z. B. für die Mechanik des Heron, die Wahlsätze des Archimedes. Dabei begleitet er diese Schriften überall mit wertvollen eigenen Bereicherungen. Im VI. Buch sehen wir, wie tief die Griechen auch in die Theorie der krummen Flächen eingedrungen waren, bei der stereometrischen Erzeugung der Quadratrix, die an Archytas erinnert aber weit über ihn hinausgeht. Buch IV, Prop. 30 Hultsch p. 264 findet sich die Quadrierung der Spiralfläche, worauf ich schon in einem Frankfurter Vortrag hingewiesen habe.
Kugelspirale.
Wie man einsieht, dass in der Ebene eine Spirale erzeugt (γινομένη ist durch existere nicht sinngemäss wiedergegeben) wird wenn ein Punkt sich auf einem, einen Kreis beschreibenden Strahl bewegt und in der Stereometrie [z. B. auf den Cylinder- oder Kegelflächen ist unnötige Konjektur von H.] wenn ein Punkt sich auf einer die Oberfläche beschreibenden Kante bewegt, so lässt sich auch eine auf der Kugel sich ergebende Spirale begreifen, beschrieben auf folgende Weise.
Auf einer Kugel gehöre zum Pol Θ der grösste Kreis ΚΛΜ und von Θ aus soll der Viertelkreis eines Hauptkreises ΘΝΚ beschrieben worden sein und der Kreis ΘΝΚ, um den ruhenden [Punkt] Θ auf der Oberfläche [der Kugel] gedreht, möge in sich selbst wieder zurückversetzt worden sein und irgend ein Punkt auf demselben von Θ aus in Bewegung gesetzt, möge nach Κ gelangt sein; er beschreibt nun auf der Oberfläche eine gewisse Schneckenlinie wie es ΘΟΙΚ ist, und welchen Umfang eines grössten Kreises man auch von Θ aus beschreiben möge, so hat er zum Bogen ΚΔ das Verhältnis, welches ΘΔ [siehe Figur] zu ΘΟ hat. Ich behaupte nun, dass wenn ausserhalb [nämlich als Nebenfigur] der Quadrant ΔΒΓ eines Hauptkreises auf der Kugel gelegt wird um das Zentrum Δ und [die Sehne] ΓΔ gezogen wird, so geht daraus hervor [der Satz]: wie die Halbkugel [sich] zu [dem] zwischen der Spirale ΘΟΙΚ und dem Bogen ΚΝΘ abgeschnittenen [Stück der Kugel]fläche [verhält], so der Sektor ΑΒΓΔ zu dem Segment ΑΒΓ.
Pappos'sche Aufgabe.
Der Beweis, dass die Fläche (2π - 4)r2 ist, kann mit Integralrechnung ohne weiteres geführt werden, aber der Beweis des Pappos, obwohl an Archimedes gebildet, ist doch ein beredtes Zeugnis für seine Veranlagung. Das IV. Buch und die im VII. Buch gegebene »Guldinsche« Regel: das Volumen des Rotationskörpers ist gleich dem Produkt der Meridianfläche in den Weg ihres Schwerpunktes zeigt uns, dass die Griechen in der Theorie der krummen Oberfläche ungefähr so weit gekommen sind, wie wir durch Euler und Gauss; vermutlich infolge verlorener Werke insbesondere von Archimedes und Apollonios (περι κοχλιου). Ebenfalls im VII. Buch, dem bedeutsamsten für die Wertung des Pappos als Geometer, löst er die sogen. Castillonsche Aufgabe, ein Dreieck zu konstruieren, dessen Seiten durch je einen festen Punkt gehen und das einem gegebenen Kreise einbeschrieben ist, die später von Giordano da Ottajano auf ein beliebiges n-Eck erweitert wurde, in dem speziellen Falle, dass die drei Punkte auf einer Geraden liegen. Hier im VII. Buch kommt er bei Besprechung des Ortes zu drei und vier Geraden (Apollonios) auf die noch heute nach Pappos benannte Aufgabe: wenn eine Anzahl Geraden gegeben sind, den Ort des Punktes zu bestimmen der so beschaffen ist, dass die von ihm nach den Geraden unter gegebenen Winkeln gezogenen Strecken in zwei Gruppen eingeteilt werden können, so dass die Produkte der Gruppen ev. mit Wiederholung oder mit gegebenen Hilfsfaktoren, zu einander ein bestimmtes Verhältnis haben. Dabei ist die Bemerkung wesentlich, dass wenn die Zahl der Linien 6 übersteigt, eins oder beide Produkte keinen geometrischen Sinn haben, aber »οι βραχύ προ ημών«, die kurz vor ihm lebenden Mathematiker, interpretierten ihn. Die Aufgabe wird dann für beliebig viele Geraden von Pappos völlig als geometrisch klare aufgestellt. Und nun fügt er hinzu: weil er sich (der ungenauen Arbeiten) seiner Vorgänger schäme und selbst sehr viel Wertvolleres und Nützliches bewiesen habe, und um zu zeigen, dass wenn er dieses von sich »ausposaune« (φθεγξάμενος) er kein leerer Prahler sei, gibt er die »Guldinsche Regel«. Die Buchstabenrechnung im Rest des zweiten Buches ist schon bei Apollonios erwähnt; wir können den Eindruck der Synagoge des Pappos dahin zusammenfassen, dass wir jedenfalls in der Geometrie nicht wesentlich über die Griechen hinausgelangt sind, selbst die Konstruktionen mit einer Zirkelöffnung, die sogen. Mascheroni-Konstruktionen finden sich bei Pappos.
Niedergang der Hellenischen Kultur.
Mit Pappos und Diophant endet die Entwicklung der Hellenischen Mathematik jäh und in den folgenden Jahrhunderten sind es nur einige wenige Kommentatoren, deren ich schon im Laufe der Vorlesung wiederholt gedacht habe, welche noch ein Verständnis für die Leistungen der Vorfahren besassen und übermittelten. Da war aus dem 4. Jahrh. Theon von Alexandrien und seine Tochter Hypatia zu nennen, aus dem fünften Proklos, dessen produktive Befähigung nach dem Beweis des Parallelenaxioms und der wirren Kosmologie in keinem günstigen Lichte erscheint. Im 6. Jahrh. sammelte sich um den Baumeister der Sophienkirche in Konstantinopel Isidoros von Milet eine Schar eifriger Freunde der Mathematik, aus der Eutokios von Askalon, der Kommentator des Archimedes und Apollonios auch als Mathematiker hervorragt. Ebenfalls im 6. Jahrh. lebte Simplikios, der wichtigste Kommentator des Aristoteles, dessen wir bei den Lunulae Hippocratis gedachten. Er gehörte zu den Lehrern der Akademie Athen, welche mit dem Rektor Damaskios nach Persien zu Kosroë wanderten und Euklid zu den Persern und damit zu den Arabern brachten. Nicht unbedeutende Spuren einer Eukliderklärung des Simplikios hat uns Al-Neirizi aufbewahrt. Von da ab sank das Hellenentum rapide; hatten schon vom 4. Jahrhundert ab Christentum, Völkerwanderung, das im Gegensatz zu dem auf freie Individualität der Gebildeten gegründeten Hellenismus, mit einen starken Tropfen demokratischen Öles gesalbte Cäsarentum höchst ungünstig eingewirkt, so wurden von nun ab die Hellenen in Asien geistig von den Moslimen und in Europa geistig und körperlich von den Slaven aufgerieben. Aber meine Aufgabe ist es nicht den Untergang der Götter Griechenlands zu schildern.
Römer.
Ich müsste mich nun zu den Römern wenden, aber Rom hat eine Kultur im hellenischen Sinne nie besessen. Ihre Verdienste um die praktischen Wissenschaften, um das bürgerliche Recht und das Verwaltungsrecht, sind gewiss nicht zu unterschätzen. Ist doch das Napoleonische Préfet und Souspréfet noch heute nichts anderes als der römische Prätor und Proprätor. Als Wegebauer haben die Römer ihresgleichen nicht gehabt, und gross stehen sie in Kriegs-Kunst und -Wissenschaft da. Aber auf geistigem Gebiet besteht ihr Verdienst darin den konzentrierten griechischen Geistesextrakt so verwässert zu haben, dass Germanen und Kelten ihn in dieser Form vertragen und assimilieren konnten, und so in jener grossen Epoche, die wir Renaissance nennen, für das wirkliche Hellenentum empfänglich wurden.
Das einzige Gebiet der Mathematik, auf dem die Römer eine gewisse, wenn auch stark von Ägypten beeinflusste Selbständigkeit zeigten, war die Feldmesskunst, aber die römischen Agrimensoren oder wie sie nach ihrem ziemlich rohen Massinstrument hiessen, die Gromatiker hat M. Cantor in seinen Agrimensoren und daraus in seinen Vorlesungen erschöpfend behandelt.
Schluss.
Ich ziehe es vor, hier am Schluss noch einmal auszusprechen, dass über die Hellenen hinaus nur der eine Galilei einen wahrhaft weittragenden neuen Gedanken in die mathematische und philosophische Erkenntnis der Natur hineingetragen hat, als er durch schärfere Erfassung des Kontinuitätsproblems zur Geschwindigkeit die Beschleunigung, zur Statik die Dynamik hinzufügte.
Zur Stütze meiner Ansicht zitiere ich aus dem Briefe R. Baltzers an F. Hultsch (Hultsch Pap. p. 1231–32) die Stelle: »Sie werden staunen über diese Leistung der Griechen: ich bin auch nicht wenig erstaunt, als ich diese Wahrnehmung machte, um so mehr als dies wirkliche »analytische« Geometrie ist. Aber die Griechen dürfen dieselbe doch nicht gehabt haben, sonst hätte Descartes die Erfindung der analytischen Geometrie nicht machen können!«
(Heute nach Auffindung des Ephodion kann man diesen Satz noch einmal hinschreiben, und statt »analytische Geometrie« Differentialrechnung setzen und für »Descartes« Newton oder wen man sonst will.)
Und damit m. H. glaube ich meine Aufgabe gelöst zu haben.