Prinz Moriz. (auf einem Ottomann) Es ist alles umsonst; indes kann ich mich leicht darin ergeben. Duur, Duur wir begegnen uns noch einmal auf einem fürchterlichen Gange; doch der Kerl ist einer so langen Erinnrung nicht werth. — (er klingelt)
Ein Bedienter. (kommt herein)
Prinz Moriz. Geh zur Signora Biondine; sie darf mich heute zum Nachtessen bei sich erwarten.
Bedienter. (geht ab.)
Pr. Moriz. Prinzessinnen und Sängerinnen sind beim ausgelöschtem Lichte einander gleich. Louise und Biondine! freilich eine gräßliche Kluft zwischen beiden, aber Biondine gehört zu den weichherzigen Seelen, und das macht alle ihre Fehler gut.
Sekretair Flimmer. (tritt herein)
Pr. Moriz. Nun?
Flimmer. O vortreflich!
Pr. Moriz. Teufel, du lügst!
Flimmer. Haben Sie die Gnade mich zu hören. Ich besuchte während Ew. Hoheit sich hier am Hofe aufhielten, nach meiner alten Gewohnheit zum Zeitvertreib die Tabagien; man findet an solchen Oertern die schönste Gelegenheit Menschengesichter zu beobachten, physiognomische und politische Betrachtungen aufzustellen. Unter andern frappirte mich ein alter, schlichter Kerl, aus welchem niemand eigentlich klug werden konnte. Man wußte mir von ihm nicht mehr zu sagen, als daß er täglich in den Weinhäusern herumläge, spielte, söffe und unserm Hergott die Tage abstöhle. Dazu wollte man sich erinnern, das er ein verschmizter Gauch wäre, welcher schon manchen dummen Streich begangen hätte. Das trolligste bei der ganzen Sache ist, daß der alte Schelm stumm ist.
Pr. Moriz. So. Wie beißt der Tagedieb?
Flimmer. Badner. Ich bemerkte, daß er Geld zu verschwenden hatte, drum währte es nicht lange, so saßen wir neben einander und tranken Brüderschaft. Ich unterhielt mich öfters ganze Abende mit ihm; seine Bleifeder diente ihm statt der Zunge.
Pr. Moriz. Nun?
Flimmer. Dieser sonderbare Taugenichts ging vor einiger Zeit zum Grafen Duur in Dienste; seine Börse ist bankerot, vermuthlich gedenkt er sie durch die Freigebigkeit seines jezzigen Herrn wieder zu spikken. Allein seit einigen Tagen schien er mit seinem Schiksale nicht recht zufrieden zu sein; flugs machte ich mich an ihn, lokte ihn aus, und ich hatte den küzlichen Flek richtig getroffen. Ich ließ einige Worte von Ihnen fallen, von Ihrer Güte, Ihrer Mildthätigkeit. Der Kerl spizte die Ohren. Folgenden Tages ließ ich ihn merken, dass Ew. Hoheit ihn wohl in Dienst zu nehmen gedächten. Mein Badner war wie ausser sich vor Freude. Am dritten Tage sprach ich von einem Werke, wodurch er sich Ew. Hoheit sogar verbindlich machen könne. Er fragte um nähere Umstände; ich konnte ihm weiter nichts erwiedern, als daß Ew. Hoheit dem Grafen von Duur nicht wohl wollten, und daß, und so weiter. Und heut bring’ ich Ihnen den Erzgauner, willig zu jedem Bubenstük, her. Ein Wort von Ihnen selber kann ihn zum Vatermorde stark machen. Er steht und wartet in der Antichambre.
Prinz Moriz. (läßt sich eine Chatulle reichen.) Führ’ ihn her.
Der alte Badner. (tritt nach einer Weile mit dem Sekretair herein.)
Pr. Moriz. Höre Badner, Du willst des Grafen Dienst verlassen?
Badner. (schüchtern mit dem Kopf winkend) Ho.
Pr. Moriz. So kannst Du in den meinigen treten, wenn Du ein ehrlicher treuer Kerl bist. Ich bezahle meine Leute gut, aber sie müssen im Fall der Noth auch wohl ihr Leben für mich in die Schanze schlagen können. Bist du das auch gewillt?
Badner. (sich verbeugend) Ho!
Pr. Moriz. Schade alter Bursche, daß Dir das Maul vernagelt ist. (wirft ihm eine Börse voller Geld entgegen) Da, nimms zum Handgelde. Wie lange wirst Du noch beim Grafen bleiben?
Badner. (zieht eine Schreibtafel hervor und schreibt) Ein Monat noch.
Pr. Moriz. Ja, Bursche, das währt zu lange. Doch mein Sekretair wird Dir schon einige Winke gegeben haben, wie Du Dich zu verhalten hast.
Badner. (winkend) Ho, ho!
Pr. Moriz. Wird Dir auch wohl von den hundert Louisd’oren und von diesem Fläschchen gesagt haben, dessen Wasser Du — —
Badner. (mit treuherziger Miene) Ho, ho!
Pr. Moriz. Du darfst dies Wasser nur unter seinen Wein, oder in eine Suppe schütten. In ein, zwei, drei Wochen keucht das Junkerchen seinen zukkersüssen Geist von sich, und Du empfängst noch funfzig Louisd’ors von mir. Funfzig hältst Du jezt schon der Hand.
Badner. (schreibt) Ew. Hoheit erlauben mir aber bei Ihnen Dienste zu nehmen?
Pr. Moriz. Nicht anders; so bald der Graf das Wasser verschlukt hat, meldest du dich wieder. (er reicht ihm das Fläschgen) Leb wohl. Mache dein Probestük als Meister; mein Sekretair sage dir das übrige.
Flimmer und Badner. (entfernen sich)
Ein Bedienter. (bringt dem Prinzen einen Brief, worauf sich derselbe wieder wegbegiebt.)
Pr. Moriz. (bricht auf und liest:)
Prinz!
Da Ihr unsre Warnungen verachtet, unsern Rath verlacht, unsre Stimme tauben Ohren schallen lasset; so rufen wirs Euch zum leztenmale zu: seid auf Eurer Hut, entgehet der Rache beizeiten, ehe sie Euch unverhoft überfällt. — Giftmischer werden auf deutschem Boden nicht geduldet, schlaget Euch zu den Banditen in Welschland! — Entfernet Euch binnen vierzehn Tagen aus dem Herzogthum, eine Stunde, so Ihr über die gegebene Frist verzögert, bringt Euch unfehlbaren Tod von dem Gericht der Euch Unbekannten.
Donner und Wetter was sollen die Mummereien? — der dritte Brief schon den mir die unbekanten Spione zuschikken und kann nicht erkunden von wem und von wannen? — Ists der Herzog selber, der in dem richterlichen Tone zu mir spricht und mir sein Land zum Aufenthalt versagt, oder ists der vermaledeite Graf? — Unmöglich, wie wußten diese um all meine Geheimnisse? — Hier ist Verrätherei! (er springt vom Ottomann auf) Hollah! ho! Flimmer!
Flimmer. (kömmt.)
Prinz Moriz. (ihn hart anfahrend) Bösewicht, oder Dummkopf! sprich was bist Du von beiden?
Flimmer. (erstaunt) Ew. Hoheit verzeihn — —
Pr. Moriz. Schurke, ich bin verrathen durch Dich!
Flimmer. Verrathen? Wie so? auf welche Art? was denn?
Pr. Moriz. He, weißt Du nicht mehr zu sagen? Ich bin verrathen, die verfluchte Giftgeschichte — alles ist bekannt!
Flimmer. (erblassend) Unmöglich!
Pr. Moriz. Wohl möglich! wohl möglich! — He, Schurke, mache Dich allmählich zum Strik gefaßt!
Flimmer. Ich bin ausser mir. Ich bitte unterthänigst mir zu sagen, wie kann das verrathen sein? Badner ist nur jezt eben erst von mir gegangen; er vermaas sich noch hoch und theuer, daß er binnen heut und morgen dem Grafen das Gift beiringen, oder sein Leben einbüssen wolle. Eben, sag ich, ist er erst fortgegangen, und Ew. Hoheit wollen schon so genau wissen, daß wir verrathen sind?
Pr. Moriz. Nun da. (er hält ihm die Worte des Briefes dar.) Lies!
Flimmer. (ließt.) „Giftmischer werden auf deutschen Boden nicht geduldet — schlaget Euch zu den Banditen in Welschland.“ — Gnädigster Herr — dahinter stekt mehr, als gewöhnlicher Menschenwiz; das ist Hexerei, oder der Satan äfft uns!
Pr. Moriz. Bedenke Dich, ob Du nicht hie oder da ein unüberlegtes Wort hingeplaudert hast.
Flimmer. Ich darf Ew. Hoheit nicht an so viele tausend Streiche erinnern, welche ich ausführte, und wodurch mir Ihre Gnade erwarb. Kein einziger verrieth einen Dummkopf, einen Stümperer und dieser einzige, einer der allerleichtesten von der Welt, dieser elende Streich sollte durch mich selber verrathen worden sein? —
Pr. Moriz. Vielleicht hat Dich Dein Weinglas, oder Dein Freudenmädchen plauderhaft gemacht. Besinne Dich!
Flimmer. Ich selber weis ja erst seit gestern um die Vergiftung; wie konnte mich in dieser Zeit ein Mädchen auslokken, da ich den ganzen Tag in dem Zimmer Ew. Hoheit Briefe schrieb, und mir nur ein Stündchen für Badnern abmüssigte! und selbst Badnern lies ich nur halb den Plan Ew. Hoheit errathen.
Pr. Moriz. Donner und Wetter, ich könnte rasend darüber werden! Wer hat denn nun geschwazt? die Wände werden doch nicht horchen und es den fatalen Briefschreibern wiederposaunen? — Und werden die unbekannten Sittenrichter nicht auch dem Grafen die ganze Geschichte schreiben und ihn warnen? — Es ist alles umsonst!
Flimmer. Fürchten Sie nichts, gnädigster Herr, fürchten Sie nichts; im Nothfall sezz’ ich meinen Kopf zum Pfande, daß der stumme Badner demungeachtet seinem Herrn den Tofanatrunk beibringen wird.
Pr. Moriz. Ich fasse Dich beim Worte. Geh auf Dein Zimmer, man soll Dich nicht eher herauslassen, bis es mir gefällt.
Flimmer. (kriechend) Allein Ew. Hoheit — —
Pr. Moriz. Fort! fort! der Teufel soll auf jeden Verräther und auf die fürchterlichen Correspondenten fahren! fort, fort! — —
Florentin ahndete nichts von dieser Seite und blieb ruhig; allein seine ganze Heiterkeit war verschwunden; düster und ernsthaft ging er vor sich umher, verschlossen in seinen Zimmern lag er und sann er nach Rettung, aber vergebens.
„Zum Richtplaz! — zum Richtplaz! wohl denn, ich bin ein Mensch; der Tod ist einmal mein gewisses Ziel; — ich gehe!“
So sprach er oft bei sich, und fühlte in jeder Nerve kühne Entschlossenheit. Nur ein Gedanke war fähig ihn um diese schauerliche Ruhe des Geistes zu bringen, der Gedanke an seinen Onkel und seine gute Schwester. —
Zuweilen wieder dämmerte ihm der Hofnung liebliches Morgenroth durch die Finsternis; Holder lebte ja noch, und Holder könnte vielleicht helfen. Aber haben nicht Holder und die, welche in seinem Namen schrieben, ihre Pflicht erfüllt? warnten sie nicht oft genug, und, ach! nur zu spät? — Wer ist denn der Sonderling Holder, daß er retten dürfte? ein gemeiner Unterthan des Herzogs, der für seine Cur an dem kranken Fürsten theuer genug bezahlt worden ist! ein Flüchtling, ein Abentheurer, der in der Welt umherschwärmt, und nun es sich belieben läßt aus Italien wieder nach Deutschland zu wandern. — Allein sein Karakter ist doch so edel, so schön! wird er nicht alles für den verurtheilten Freund wagen? — wagen? und was denn? was liesse ein erbitterter Fürst wider sich wagen? O es ist alles umsonst, und Florentin in jedem Falle der baldige Gegenstand der Rache eines beleidigten, tief beleidigten Landesherrn.
Indeß verzagte der Unglükliche nicht ganz. Flucht hätte ihn vielleicht vor dem Zorn des Richters sichern können, aber fliehn wollte Graf Duur nicht. „Besser ein beklagter Unglüklicher sein, rief er seiner Seele zu, als ein glüklicher Bösewicht!“ —
Badner trat zu ihm herein und grüßte freundlich. Noch nie sah der Graf diesen Alten so vergnügt; es fiel ihm auf, und er fragte.
Badner lächelte und winkte bedeutend mit dem Kopf, zog dann ein Gläschen hervor, sezte es auf den Tisch vor seinem Herrn, zählte funfzig Louisdor’s daneben und schrieb in die Schreibtafel: „Das Gifttränklein für Sie, und die Funfzig für mich.“
Florentin starrte ihn verwundert an. Badner lächelte und schrieb weitet:
„So will es Prinz Moriz, aber Badner wills anders.“
Hierauf öfnete der Alte das Fenster, zerschmetterte das Glas an das Strassenpflaster, und strich das Geld triumfirend ein.
„Schikken Sie das Blutgeld an das Armenhaus, und bleiben Sie mir gut!“ schrieb er auf das Pergament.
Florentin drükte gerührt seines treuen Dieners Hand. „Ich danke dir,“ sagte er: „ich danke dir für deine Ergebenheit; bezahlen kann ich solche biedre That nicht. Indessen hättest du Morizens Befehl immerhin ausführen können, ich würde dir auch gedankt haben, und du hättest mir vielleicht gütlicher gethan.“ —
Badner schien sich verwundern.
„Nein, lieber Alter, verwundre dich nicht! Dein Herr ist unglüklich. In einem Monate hast Du vielleicht mehr erfahren!“