Sechstes Kapitel. Der Donner aus der Ferne.

„Ausgerungen hat die schöne Leidende; ihr Fus durchwandelt jezt seligere Regionen; ihr Auge kennt jezt keine Thränen mehr; sie ruht vielleicht jezt am Busen ihres Gustaf; ruht aus von überstandenen Leiden, indessen ich Verlassne trüben Bliks ihrem Flug nachstarre!“

So sagte Louise zu sich, als sie von dem Tode ihrer Freundin benachrichtigt worden war; und in der That hatte sie Recht zu klagen.

Sie fühlte, ihre Lage sei, in jeder Hinsicht, schreklich, sie war in ein Labyrinth verschlungen, aus welchem zu entkommen bis izt alle Möglichkeit verloren schien. Und nun war sie auch ihrer Rathgeberin, Trösterin, Mitweinenden — ihrer Vertrauten, ihrer Schwester beraubt.

„O unglükseelige Liebe!“ rief sie zu wiederholten Mahlen aus, indem sie ihre Blikke zu Boden schlug und ängstlich die Hände rang: „Ich mus mich dem unglüklichen Grafen entdekken, es koste was es wolle. Vielleicht findet er einen Ausweg, den mein Auge bisher nicht wahrnahm; vielleicht — o Florentin, wehe Dir und mir, wir sind Beide verloren!“

Augustens Tod war gleichsam das Signal, zu fürchterlichen Ungewittern, die sich izt über unsre beiden Liebenden zusammenzogen.

Louisens Freundin wurde feierlich begraben, und zwar so, wie sie es ausdrüklich auf ihrem Sterbelager gewollt hatte.

Einige Tage vor der Beerdigung stand ihr Leichnam in einem braungebeizten kostbaren Sarge öffentlich zur Schau, damit Freunde und Bekannte und Unbekannte noch einmahl die schöne, zur Verwesung eingesunkne Hülle einer noch schönern Seele sehen mögten. — Sie war in ein weisses Gewand gehüllt, hin und wieder mit jungen Rosen überstreut; ein Kranz von eben diesen Blumen, mit Vergismeinnichten durchwebt, umflos ihre Stirn. Alles was schauerliche Vorstellungen vom Tode und Grabe erregen konnte, war hier verbannt, keine schwarz überschlagne Wände, kein langer Trauerflor, kein Todtenkopf, waren hier zu erblikken.

Am Fusgestelle der Baare stand ein ovales, lebhaft umkränztes Bildnis errichtet, in welchem die Verstorbne vorgestellt wurde, wie sie von ihrem Genius geführt, den Hallen des Lichts entgegenschwebte. Die Erde lag mit falbem Grün bekleidet, leblos und vernebelt unter ihren Fersen; ihr Gesichte strahlte im Wiederschein der ätherischen Gegenden, und ein Seraf, mit den Zügen des schönen Gustafs, schwebte ihr entgegen, mit der glänzenden Palme.

Ehe der Sarg in die Gruft hinabgesenkt wurde, sezte man ihn nach alter Sitte zuvor in der Gegend des Altars in der Schloskirche nieder. Hier sprach der neue Hofprediger vom Wiedersehn in der Ewigkeit, und der Wohlthat des Todes für die Sterblichen so vieles und so schön, daß die Augen der Leidenden und Frohen, die bei dieser Szene versammelt waren, von Thränen stiller Sehnsucht und Hoffnung glänzten; eine angenehme Ruhe wohnte in jeder Brust, eine feierliche Stille herrschte überall, nur hin und wieder hörte man die leisen Seufzer der trauernden Verwandten.

Plözlich erscholl Klopstoks

Auferstehen wirst Du, auferstehen!

vom Chore herab; die Gemeinde stimmte mitempfindend in den herzerhebenden Gesang; liebliche Wehmuth und Hoffnung vermischten sich in jeder Seele.

Augustens Hülle wurde eingesenkt, unter den Gesängen unsrer besten deutschen Dichter über Wiedersehn in der Ewigkeit, Auferstehung, und Seeligkeit der Entschlummerten Gerechten. Bekannte und Unbekannte, Mädchen und Jünglinge eilten unterdessen zum Grabe, Blumen herunter zu streun, auch die Prinzessin Louise, mit einem Körbchen voll junger Rosen, stand unter ihnen, und warf sie der Asche ihrer Freundin nach.

Heiter kehrten sie alle zurük, und, halbgetröstet über den Verlust seiner geliebten Tochter, auch der Vater Augustens.

Man sprach noch lange von diesem Leichenbegängnis, und die einsichtsvollern unter den Residenzbewohnern führten es bei sich ein, worauf auch der gemeine Mann nicht länger anstand es nachzuahmen.

Florentin blieb einige Tage darauf stets in seinem Zimmer verschlossen; er war trostlos um Augustens Tod, als dessen Ursach er sich betrachtete, aber bald wurde er durch einen neuen Auftritt aus dieser Schwermuth gewekt.

Er erhielt nämlich Befehl vor der Prinzessin zu erscheinen.

Florentin ging zur bestimmten Stunde, wurde vorgelassen und fand Louisen auf ihrem Sofa blas, schwermüthig, und wie aus tiefen Gedanken aufgeschrekt, sizzen.

Er küßte zitternd ihre Hand und fragte um ihren Befehl. Sie schwieg eine Weile, bat ihn sich nieder zu lassen, ging darauf schweigend in dem Zimmer auf und nieder und warf unterweilen einen traurigen Blik auf ihn.

„Nicht wahr,“ sagte sie endlich, indem sie am Fenster stehn blieb, mit weggewandten Gesicht: „wir haben am Fräulein v. Gülden viel verloren?“

Florentin. (einen Seufzer unterdrükkend) Ja, bei Gott unendlich viel.

Prinzessin. Wer wird jezt ihren Plaz ausfüllen können?

Florentin. Ich wüßte kein Mädchen von so sanftem liebenswürdigen Karakter, von solcher Treue, solcher Verschwiegenheit.

Prinzessin. Sie haben Recht. Aber meinen Sie daß wir jezt einer solchen Vertrauten entbehren könnten? meinen Sie Graf?

Florentin. Eher vielleicht das Geheimnis unsrer Liebe einer Verrätherin offenbart würde, eher dächt’ ich — —

Prinzessin. Es wäre wenigstens zu wagen; denn bester Graf, in kurzem sind wir Beide verrathen.

Florentin. (erschrokken) Verrathen?

Prinzessin. Erschrekken Sie nicht; erwarten Sie alles mit gefaßter, männlichen Entschlossenheit, was Ihnen und mir auch begegnen mögte.

Florentin. (einen Schritt näher tretend) Um Gotteswillen. Theure, wozu diese Vorbereitung?

Prinzessin. Leider daß man Sie vorbereiten mus!

Florentin. Verrätherei unsrer Liebe? — o, hätten Sie mir gesagt, daß ich in der folgenden Minute des unfehlbaren Todes wäre, es hätte mich nicht erschüttert.

Prinzessin. Unsre Liebe wird verrathen werden, ich sage ja: wird; noch ist sie es nicht.

Florentin. Wird? o, gnädigste Prinzessin, sagen Sie mirs, durch wen? durch wen? — ich bitte Sie um Gottes, um ihrer zeitlichen Wohlfahrt, um alles Heiligen willen, durch wen?

Prinzessin. (die ihr Gesicht verhüllt.) Oh!

Florentin. Durch wen? ich flehe; nur um des verhaßten Namens erste Silbe flehe ich; und bei dem grossen, furchtbaren Gott, bei dem ewigen Geheimnis unsrer Liebe beschwöre ichs, ich bringe den Verräther um. — Sie wollen nicht? wollen sich unglüklich machen, und mich? —

Prinzessin. (weinend) Verlassen Sie mich.

Florentin. Nein, ich ruhe nicht, bevor ich den Verräther entdekt habe. Sie schweigen noch? o, Louise, gedenke jener seeligen Nächte, und bei diesen sei beschworen: wer will —

Prinzessin. (seine Hand fassend und ihn zärtlich anblikkend) Eben — eben jene seeligen Nächte — — o, las mich nicht fortfahren.

Florentin. (sie anstarrend.) Eben jene seeligen Nächte, Louise — —?

Prinzessin. (mit weiblicher Schaam an seine Brust sinkend) Oh, Florentin!

Florentin. Was ist das?

Prinzessin. Machten dich — dich zum Entehrer des herzoglichen Geblüts, Dich — — zum Vater! —

Florentin. (hinsinkend) Oh, Gott! Gott!

(eine lange, ängstliche Stille.)

Prinzessin. Nun, mein Florentin?

Florentin. (starrt düster vor sich hin)

Prinzessin. Quäle meine Seele nicht, Lieber. Wir sind unglüklich, nicht so? ohne Rettung, ohne Hofnung unglüklich? —

Florentin. (schweigt, wie oben.)

Prinzessin. Hätten wir uns nie gesehen, hätten wir uns gehasset, statt zu lieben, hätten wir nie, ach nie den giftigen Kelch der Wollust genossen! — — Florentin, sieh mich an. Sieh nicht so starr vor dir hin, presse nicht die Lippen so zusammen, — komm, heitre dich auf, lächle. Ich bin unglüklich, aber doch nicht allein. Du bist elend aber es doch nicht allein; zu jeder andern Stunde, ein fürchterlicher Trost, jezt aber namenlos süs.

Florentin. (giebt keine Antwort)

Prinzessin. Ein unglüklicheres Loos konnte nicht auf mich fallen, als gefallen ist. Wär’ ich die ärmste Dörferin dieses Herzogthums, ich wäre glüklicher; es würde sich ein mitleidiger Hirt finden, der mich Verstoßne aufnähme; wir würden uns lieben dürfen, ohne daß die ganze Welt auf unsre Liebe sähe; doch es ist geschehn.

Florentin. (sich ermannend) Es ist geschehn, theuerste Louise, es ist geschehn. Ich stehe fest. Ich seh’ es voraus, der Staat wird für diese Liebe mein Blut fodern, ich will es ihm nicht verweigern; nur Louisen mögt’ ich nicht leidend wissen.

Prinzessin. Sonderbarer, zittre nicht für die Schwester eines Herzogs. — Doch Du, Bester, Du —

Florentin. Ich bin jeder Gefahr gewärtig.

Prinzessin. (geht zu einem Schrank und zieht ein Kästchen hervor) Nimm dies und entflieh.

Florentin. Nimmermehr.

Prinzessin. Entflieh!

Florentin. Nimmermehr; wo Louise lebt, will auch ich leben, und soll ich sterben, so will ich unter ihren Augen meinen Geist aufgeben. — Ich fliehe nicht, Louise wäre denn mit mir: dann hin in die unfruchtbarsten Wüsteneien, in die schauerlichsten Winkel eines Waldes, hin in entlegne Welttheile, wo die Menschen noch Thiere sind, wo die Sonne nur halbjährlich hinblikt, oder wo sie ewig glühend sich um ihren Mittelpunkt wälzt, — allenthalben blühete dann ein Paradies für mich.

Prinzessin. (mit Stolz) Ich bin Fürstin. — (schmeichelnd) Entflieh!

Florentin. Ich kann nicht. Las mich, wenn es sein soll, sterben, nur entfliehen nicht. Ein leidender Verbrecher erregt wenigstens Mitleiden; der glükliche Flüchtling schleppt den Has der Welt mit sich in alle Zonen herum. Ich will bleiben.

Vergebens bat Louise ihren Liebling mit Thränen; er widerstand mit Hartnäkkigkeit. Lange dauerte der zärtliche Streit, bis die Prinzessin mit heimlichem Schaudern in Florentins Verlangen willigte. Er blieb in der Residenz, bis zur Entwikkelung der Geschichte, sein Schiksal möge sich dann entfalten, wie es wolle.

„O!“ — seufzt der unglükliche Graf, wie einst Hüon:

— — — Das allgemeine Loos

Der Menschheit, schwach zu sein — ist mein Verbrechen blos.

schwer büß’ ichs nun, doch klaglos, denn gereuen

Des liebenswürdigen Verbrechens soll michs nicht!

Ist Lieben Schuld, so mag der Himmel mir verzeihen.

Mein sterbend Herz erkennt nun keine andre Pflicht.

Sie schieden von einander. In einer fürchterlichen Angst hing Louise an seinem Halse; noch einmal, unter zahllosen Thränen, unter zahllosen Beschwörungen bat sie ihn, zu fliehn, er aber weigerte standhaft.

„Ich bleibe,“ sagte er, und drükte einen Kuß auf ihre Lippen: „ich bleibe. Und muß ich sterben, wohl so sterb’ ich gern. Mein Tod wird meine Feinde zum Mitleiden rühren, meine Flucht aber wäre ihr Triumf; alle wohlthätige Anstalten, welche ich zum Besten meines Vaterlandes traf, würden vielleicht dann ihren Werth verlieren, mein Tod kann aber noch eine Stüzze derselben sein.“

Ohne noch ein Wort zu verlieren, entfernte er sich.

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