Florentin verlies den Herzog. Nach acht Tagen wurde er wieder zu ihm berufen, wo er von diesem zu seiner lebhaftesten Freude seinen Sieg erfuhr. —
Jezt unterhielten sich beide über die zwekmäßigsten Mittel, das Volk zu einem solchen wichtigen Schritt vorzubereiten; eine Unterhaltung, welche nicht fruchtlos ablief.
Die erste Folge derselben war, daß die vakante Stelle eines Predigers an der Hofkirche durch einen gelehrten, helldenkenden, beredsamen Mann besezt wurde, dem die Freiheit gegeben war von dem bisherigen Schlendrian abzuweichen, nur Christusmoral und nicht polemische noch dogmatische Säzze zu predigen.
Nach Verlauf eines Monats hatte er sein Amt angetreten, und von Neugier oder beßrer Ueberzeugung hingerissen, eilte ein grosser Theil der Residenzbewohner hin, die schönen Vorträge dieses Mannes anzuhören.
Plözlich stand die gesammte orthodoxe Geistlichkeit auf, den Landesherrn an die alten Konstituzionen, Symbole und Confessionen zu erinnern, der Geheimerathspräsident von Hello suchte mit seinem ganzen Ansehn für die Sache der Orthodoxie durchzudringen, aber alles vergebens. Der Fürst war Mann und blieb seinem Plane getreu.
Jezt hatte Florentin, ebenso viel Freunde, als Feinde; diese lästerten, jene vergötterten ihn. — Aber er hörte beide nicht, sondern ging seine Strasse unerschütterlich fort, und fand sich durch die Güte seiner That hinlänglich im Geheimen belohnt.
Weil er schon seit einiger Zeit der Prinzessin weniger nächtliche Visiten geben durfte, so blieb ihm auch Zeit genug übrig den einmal entworfenen Plan gänzlich, und sich selbst zum Danke, auszuführen. Da wir nur den Roman einiger merkwürdiger Personen erzählen; so überlassen wirs den Statistikern, das bald darauf erschienene Religionsedikt, wie auch das Edikt in Betracht der Denk- und Preß-Freiheit in den herzoglichen Landen, zu notifiziren, wir aber erwähnen noch, daß Serenissimus, mit seinem Vertrauten, oft die Häuser seiner begüterten Unterthanen, seine Fabriken besuchte, oft auch in die Hütten der Armuth trat, und theils erkannt, theils unerkannt half, und Wohlthaten und Freude verbreitete.
„Der Duur,“ sagte der Geheimerathspräsident von Hello zu seinem Fräulein Tochter Agathchen, indem er die goldne Tabattiere unwillig auf den Tisch hinwarf: „Der Duur macht unsern Durchlauchtigsten Herrn zu einem Atheisten, zu einem Fantasten, und jezt endlich ganz zu einem Romanprinzen. Es ist ein Leiden, wenn solch ein gepuztes, eingebildetes Fäntchen, wie der Graf, Fürst und Volk ins Verderben führt, und dann Leute von Verdienst und grauem Haar nicht gehört werden, wenn sie die Stimme der Warnung erheben. Pfui! — ändert sich die Lage der Sachen nicht bald, so.“ — — —
Nein, guter Hello, fürchte nicht des Fürsten und des Volks Verderben, wenn der Fürst fühlt daß er Mensch sei, und seinen Kindern sich, als Vater, zeigt!
Es ist ein schwerer Beruf Fürst zu sein, und das Glük von tausenden zu befördern. Nicht Assembleen, Redouten, kostbare Soupees und Dinees, Bälle und Festen versüssen die bangen, mühsamen Stunden und Geschäfte der Grossen genug, oft im fröhlichsten Gelächter ist ihr Herz ein Raub der Sorge, des Verdrusses. Wo sollen sie sich belohnen, und belohnen lassen? in der Mitte ihrer Unterthanen, auch der des niedern Standes.
Wie kann ein Vater, der seiner Stunden grösten Theil für das Wohl seiner Familie hinopfert, ausser derselben Erquikkung finden? Die Freude seiner Kinder, vom lallenden Säugling bis zum Erwachsenen, däucht ihm gewis angenehmer, als anderwärtige, rauschende Vergnügungen.
Freilich bringen oft ganze Städte unter Triumfbögen ihren Landesherrn Oden und Hymnen entgegen, die aber oft nur das Kompliment der Ehrerbietung sind, nicht der Zufriedenheit herzlicher Dankesergus.
Herzog Adolf wußte dies so gut, als wir, und achtete nicht des Helloschen Geschwäzzes. — Der Unterthan lernte ihn izt näher kennen, und ihn doppelt lieben; man vergoß Freudenthränen, wenn er so unverhoft erschien, und einsame friedliche Familien in ihren häuslichen Geschäften überraschte.
Oft stand er, dem Grafen zur Seite, in der Mitte kniender Dankbaren, welche er oft durch ein Kleines aus schreklichen Labyrinthen gerissen hatte; dann entschwand er ihnen, wie ein guter Engel, der Frieden vom Himmel in ihr Haus gebracht hatte; man zeichnete sich die glüklichen Tage auf um noch Kindern und Kindeskindern diese Ehre, welche ihren Voreltern wiederfahren war, heilig zu erhalten.
Von einer solchen Wanderung kam Florentin an einem Abend zu Hause, als ihm gleich beim Eintritt der alte Badner ein Billet entgegen brachte. Florentin erbrachs, erkannte die Federzüge der Unbekannten, und schauderte.
Graf!
Ihr habt dem Lande wohlgethan, daß Ihr die Fesseln zerbrachet, welche der Afterglaube für den freigebornen Geist der Menschen schmiedete, wir danken Euch dafür im Namen Holders, im Namen unsrer und im Namen der Einwohner dieses Herzogthums. — Aber wie stehts mit der Prinzessin? warum verseltnern sich eure Besuche bei ihr? warum erscheint sie nicht mehr so oft am Hofe öffentlich? — Ahndet Ihr nichts? — Sie sieht bleich, ihre Gesundheit ist nicht mehr die vorige; ihre Lebhaftigkeit ist verloren gegangen, und — — — Graf! Graf! was habt Ihr angerichtet? sehet Euch vor, wir rathen Euch, im Namen des wohlbekannten Ludwig Holder!
Der Graf stürzte entnervt auf ein Ruhebette, eine fürchterliche Ahndung umflog ihn. „Gott, Gott!“ rief er beklommen aus: „sie ist — sie ist“ — —
Badner trat mit der treuherzigsten Miene zu ihm, und stieß seine gewöhnlichen Töne: „Ho! ho! ho!“ hervor.
„Heda, Kerl!“ rief der Graf, und faßte den alten, erschroknen Mann vor die Brust? „Wer war der Ueberbringer dieses verdammten Blattes?“
Badner. (den Kopf schüttelnd und die Hände auseinander werfend) Ho!
Florentin. Sag mir, hast Du’s gelesen, weißt Du den Inhalt? gesteh’s nur!
Badner. (verneinend und auf das Siegel deutend.) Ho! ho!
Florentin. Kennst Du den Briefträger?
Badner. (schüttelnd) ho!
Florentin. Mensch, warum hieltest Du ihn nicht fest?
Badner. (zukt die Schultern) Ho! ho!
Florentin. (ärgerlich) las mich allein.
Er wars. Nun las er das Brieflein der Unbekannten noch einmal, und fand eben den schreklichen Sinn darin liegen, als zum erstenmal. Er suchte sich zu fassen; ging mit starken Schritten das Zimmer auf und ab; nahm die Flöte, welche ihm sonst so manchen Augenblik verschönerte, so manche Grille hinwegtönte — aber alles umsonst. Er warf die Flöte hin, bedekte mit beiden Händen sein Gesicht und murmelte einzelne abgebrochne Silben: „Gott! o Gott! — verdammt! — was soll nun werden?“
Florentin gehörte zu denen, welche der erste Moment der heranziehenden Gefahr entgeistert, die aber, wenn der erste Schrek vorübergangen ist, muthiger dastehn, und deren Kühnheit sodann oft an Verwegenheit gränzt.
Wir wollen ihn seinen Ueberlegungen allein lassen; Kleinigkeiten sind unfähig die Sicherheit großer Seelen zu zerstören, Florentin zittert wahrscheinlich also nicht vergebens.