Der schreklichste, ängstigendste Traum, welcher je ein Menschenkind plagte, quälte jezt den Grafen: Es war ein Gewebe von Wahrheit und Betrug, welches sich nicht von einander trennen ließ.
Bald verließ ihn im Schlafe der Traumgott auf etliche Augenblikke, bald reihten sich wieder andre fürchterliche Szenen vor ihm hin, wovon er Theils Zuschauer, theils Mitspieler war; doch blieb immer ein merkwürdiger Hauptfaden durch das Ganze geflochten, so daß alle untereinander verschiedne Stükke einen gewissen Zusammenhang hatten.
So, zum Beispiel, behielt Florentin immer den Namen Vinzenz; die schwarzen Herrn waren seine steten Gesellschafter, u. s. w.
„Was erzählen die Novellen?“ fragte einer von den Schwarzen den andern, welcher einzelne gedrukte Blätter auf den Tisch warf, und den Wirth in einer Bierschenke vorstellte.
„Mancherlei!“ gab der Wirth zur Antwort, und sezte Florentinem Wein vor.
Florentin ergrif ein Blatt und las mit Erstaunen:
„Seit der Hinrichtung des Kammerherrn von Duur, und seiner Verwandschaft, sind neue gräßliche Entdekkungen gemacht worden. Die Prinzessin L** hat nämlich aus Eifersucht und Nebenbuhlerei das unlängst verstorbne Fräulein von G** mit Gift umgebracht, indeß man vorgab, sie sei am Fieber eines natürlichen Todes gestorben. Die Sache ist unterdrükt, und niemand ausser dem Herzoge und dem Hofarzt hat anfänglich davon gewußt.“ — — —
„Gott im Himmel!“ rief Florentin aus! „in was für eine Welt hast du mich gesezt. Unerhörte, schwarze Thaten! die Unschuld wird gemordet, das Laster wird gekrönt, Recht und Unrecht macht jezt keinen Unterschied mehr; die Sünden der Großen werden gepriesen; die Tükke der Finsternis nicht gebranntmarkt.“ —
Unterdessen Florentin gelesen, und dies mit tiefem Unwillen gesprochen hatte, waren mehrere Schwarze hereingetreten; sie umringten ihn, und schlugen ein gellendes Gelächter auf.
„O entehrt euch nicht durch dieses Lachen,“ fuhr er fort und fühlte sein Gesicht glühen: „entehrt seid Ihr genug, daß Ihr zum geschändeten Orden der Menschheit gezählt worden seid. Allein bei dem lebendigen, furchtbaren Gott über und um uns sei’s geschworen, bei diesen meinen Thränen, bei der Asche meiner Schwester, bei der Asche meines guten Oheims sei’s feierlich geschworen, ich will die entadelte Menschheit rächen, will Bandit werden gekrönte Teufel zu morden, Aufrührer werden, die Kette zu sprengen, welche die Tyrannei um meine Brüder schlang, Mordbrenner werden, die vom Vermögen der Witwen und Waisen erbauten Palläste niederzustürzen, niederzustürzen auf den Schädel der Blutigel des Vaterlandes! — Oh! meine Schwester, mein Oheim, — oh!“ —
Jezt trat ein Mann, schwarzgekleidet wie die übrigen, in das Wirthshaus. Er trug einen Kasten auf dem Rükken und bat die Anwesenden, die Zeche für ihn zu zahlen, wofür er ihnen die Künste seiner Marionetten zeigen wolle.
„Wein her! Wein her!“ riefen alle aus einem Munde. Der Wirth brachte dem Puppenspieler den Wein; dieser war sofort geschäftig sein Theater zu arrangiren, worauf er den Vorhang öfnete.
„Schaut’s, Ihr Herrn, schauts! die Strassen der Stadt Magdeburg, wie sie brennen und auflodern in der Glut, welche die Kaiserlichen Feldherrn Tylli und Pappenheim angeschürt. Schaut’s welch ein fürchterliches Blutbad. — Nun werdet ihr sehn, wie ein fliehendes Weib mit ihrem Töchterlein auftritt.“
Weib. Hieher, Kindechen, hieher.
Mädchen. O, Mutter, wohin flüchten wir? siehst Du’s wie dort unsre Wohnung lichterloh brennt? Hu, wie da unten die Menschen durcheinander laufen — da, da sind die Feinde; wie die Spiesse, und Gewehre und Degen am Feuer blizzen!
Weib. Sei ruhig. Steh uns Gott bei.
Mädchen. Was haben wir beide aber dem Feind gethan, daß er uns umbringen will?
Weib. Nichts, gute Unschuld, nichts. — Aber siehst Du, die grossen Herrn dieser Welt verzürnen sich, und dann müssen die armen Unterthanen für sie bluten.
Mädchen. Ach, die bösen, grossen Herrn!
Weib. Aber über uns, über den Sternen wohnt ein Richter, vor dem auch die Herrn dieser Weit erscheinen müssen. In dessen Händen schwebt eine furchtbare Waagschaale, darin wiegt er die Thränen und Blutstropfen der Unterthanen, und wehe den vergötterten Kriegshelden dort!
Mädchen. Ich habe auch viel Thränen vergossen; die thue der Richter dort über den Sternen auch in die grosse Waagschaale!
Weib. (entfliehend) O, Wehe uns Unglüklichen!
Florentin stürzte jezt vom Weine berauscht wüthend gegen den Kasten und zertrümmerte ihn mit einigen Faustschlägen. „Nein!“ brüllte er: „wehe, wehe den blutdürstigen Fürsten!“