Fünftes Kapitel. Gute Nacht, Florentin! — Auch ein Postscript an den Leser.

„Ei, ei,“ sagte der Onkel: „ei, ei, Du mußt einen bösen, bösen Traum erschlafen haben!“

„Freilich!“ entgegnete Florentin, und zweifelte, ob er nicht eben jezt träume?

„Nun, was hat Dir denn geträumt?“ hub Rikchen an zu fragen, allein sie erhielt von ihrem Bruder eine unbestimmte Antwort. Er fürchtete ein Wort zu sagen, denn der Eid schwebte ihm noch immer auf der Zunge, welchen er im Angesichte der schwarzen Brüder geschworen.

Nie hatte er ähnliche Qualen ausgestanden, und nie hatte er eine so reine himmlische Freude gefühlt, als in diesem Traume. Eine stille Sehnsucht war in seinem Herzen zurük geblieben nach den schwarzen Freunden; sich von siebenzig uneigennüzzigen Männern umarmt zu sehn, welche Wonne für Seelen, die den Werth der Freundschaft kennen! — Er konnte seine Sehnsucht nicht verbannen, sich nur noch einmal in ihrer Mitte zu sehn; der Gedanke, daß Hunderte ihr Leben für ihn lassen würden, hatte zu viel Beruhigendes für ihn. Wahrscheinlich trug hiezu seine jezzige, kritische Lage nicht wenig bei; was hatte er dann vom Herzoge zu befürchten, wenn die Durchspäher aller Geheimnisse sein Intresse zu dem ihrigen machten? —

„Und ists auch nur ein Traum, o so soll er mir dennoch heilig bleiben, ich habe nie in der wirklichen Welt seeliger geathmet.“

So dachte er oft in sich, aber niemanden verrieth er das schauerliche, schöne Meisterstük seiner Fantasie, welches den tiefsten Eindruk auf ihn gemacht hatte.

Noch einige Tage blieb er in der Mitte seiner Lieben; die ihm vom Herzoge gegebne Frist war ihm schneller verflossen, als das Hirngespinst von zween Stunden.

Eines Abends, da der Onkel schon und Rikchen längst in den Federn vergraben lagen, saßen Florentin und Holder noch spät auf. Sie unterhielten sich über manche intrikante Materien, über die Reise des leztern nach Italien, über das Verhältniß des erstern am Hofe, und endlich auch über die Unbekannten.

Plötzlich, wurden sie durch ein lautes Pochen gestört. In wenigen Minuten traten drei Offiziere von der Herzoglichen Garde herein, die sich mit drei Worten wegen ihres späten Besuches entschuldigten, und dem Grafen ein versiegeltes Papier im Namen Sr. Durchlaucht des Herzogs überreichten.

Duur las und wurde blaß.

Holder. Was ist dir, daß Du Dich entfärbst?

Duur. (gab ihm den Brief, ging zur Thüre und rief nach Badner.)

Holder. (lesend) Gott im Himmel!

Badner. (hereintretend) Ho, ho!

Duur. Laß sogleich meinen Wagen anspannen, meine Sachen einpakken, und alles binnen einer Viertelstunde zur Abreise fertig seyn.

Holder. Aber alles geschehe in der größten Stille; auch befiehl meinen Bedienten, daß sie Wein und Speisen hieher bringen.

Badner. (entfernte sich hochverwundert.)

Holder. Sezzen Sie sich, meine Herrn.

Duur. In einer Viertelstunde reise ich mit Ihnen, belieben Sie indessen einige Erfrischungen anzunehmen.

Ein Offizier. Wir danken Ihnen unterthänigst.

Ein Andrer. Sie verzeihn es uns, daß wir Sie, Herr Kammerherr, so schnell und so früh aus den Armen Ihrer Freunde entführen.

Holder. (kalt) In vier Wochen wird uns der Herr Graf wieder besuchen können.

Die Offiziere tranken, Holder und Duur schwazten mit ihnen von Neuigkeiten aus der Residenz. — Die Viertelstunde war bald verflogen und dem Grafen immer weher ums Herz. Badner trat endlich reisefertig herein und bedeutete daß alles zum Abmarsch bereit wäre.

„Nun denn, meine Herrn!“ sagte Duur zu den Offizieren und stand auf: „wenn es Ihnen gefällt: so lassen Sie uns aufbrechen!“ die Offiziere entfernten sich.

Bebend wandte er sich zu Holdern, der vergebens seine Bestürzung verbergen wollte.

Florentin. Nun Holder?

Holder. (gerührt) Mein Florentin.

Florentin. Weißt Du, wohin ich gehe?

Holder. Wohin, Bruder?

Florentin. Zum Tode.

Holder. (erstarrend) Bruder!

Florentin. Zum Tode!

Holder. Ists gewis?

Florentin. Unvermeidlich gewis. — Jezt ist dem Herzog alles offenbar, und ich bin seiner Rache Gegenstand.

Holder. Das ist schreklich!

Florentin. Kannst Du — kannst Du mich noch retten?

Holder. Ich — kann es nicht.

Florentin. Kannst Du mich noch retten.

Holder. Ich kann es nicht. Allein wir werden uns wiedersehn!

Florentin. Nach dem Tode?

Holder. Ja, in Deutschland über zweihundert Jahren! — verlangst Dus noch daß ich meinen Eid Dir halte? verlangst Du noch einmal ein Erdenleben zu leben?

Florentin. Wunderbarer! Schwärmer!

Holder. Bei Gott, ich schwärme nicht!

Florentin. So seis. — Leb wohl! (er umarmt ihn heftig.)

Holder. (mit gebrochener Stimme) Leb wohl!

Florentin. (indem er sich losreißt) Leb wohl! (er kehrt noch einmal um und mit langsamen Schritten auf Holdern zu gehend) Regent — Regent!

Holder. (unter Thränen) Was sprichst Du?

Florentin. (abgehend) Regent Julius! — lebe wohl!

Holder. (nachrufend) Vinzenz, lebe wohl!

Die Offiziere sassen schon auf ihren Pferden; der Graf stieg in den Wagen und so gings fort.

Als die Morgenröthe emporstieg langten sie in einem Städtchen an; hier blieben sie den Tag über, in der Nacht verfolgten sie ihre Reise.

Mit Anbruch des zweiten Tages kamen sie in die Residenz. Der Graf fuhr nach seiner Wohnung und die Offiziere verliessen ihn schon vor der Stadt.

An ihrer Stelle fand er einen andern in seinem Hause, welcher ihn bis zum Abend bewachte, und sodann in der Dunkelheit zum Herzoglichen Palais führte.

Bleich und entgeistert schwankte der Unglükliche seinen Todesgang hin. Man brachte ihn in ein schwarz ausgeschlagnes Kämmerlein, bis auf weitern Befehl des Herzogs.

In fürchterlicher Angst durchirrte der Graf das Zimmer, in welchem eine Wachskerze brannte. Tausend Gedanken durchkreuzten seine Seele, der eine schreklicher als der andre.

Eine Viertelstunde verging, die andre schlug, ohne daß sich jemand zeigte. Mit immer größerer Unruhe ging er auf und nieder, rang er die zitternden Hände, stellte er sich ans Fenster und zählte er mit Bangigkeit die Minuten.

Düstre Bilder drängten sich um seine Seele, und entwafneten seinen Geist. Nichts blieb ihm in der bangen Stunde übrig; jeder Strahl der Hofnung erstarb; jeder Trost wich zurük, und jedes Grausen, welches die Natur in ihrem Schooße trägt, lagerte sich vor ihm hin. Seine Knien schlotterten; Fieberfrost rann ihm durch das erstarrende Geblüt; er strekte die gefalteten Hände schweigend empor zum Himmel, aber seine Kräfte versagten ihm den Dienst weiter.

Schaudernd stand er in einem einsamen Winkel, und warf seine Augen im Geiste auf die nahen Pforten der Ewigkeit.

„O“ lallte er mit gebrochnen Tönen! „der Tod ist furchtbar, vergebens mahlt ihn die Fantasie schön; aber wir philosophischen Geschöpfe thürmen uns da Systeme und Hypothesen hin, die unter einem leisen Hauch der wahren Natur zusammenstürzen, all’ unsre Weisheit ist Spinngewebe der Einbildungskraft, aus leichten lokkern Federn zusammengesponnen.“

Es erfolgte eine lange, dumpfe Pause, in welcher er ernsthaft vor sich hinschritt. Dann stand er wieder still und starrte zum Himmel auf:

„Gott, heilges, gerechtes, allgemeines Wesen, mit welchem Antlizze werd’ ich vor dir erscheinen? Als ein Missethäter sterb’ ich; Menschen können mir nicht verzeihen; — Gnade gieb, o Erbarmer, wenn mir Gnade möglich ist!“

Indem der Graf noch betete, öfnete sich ein Seitenthüre. Die Prinzessin Louise, todtenbleich, in ein Reisegewand verhüllt, trat herein. Duur prallte zurük. Sie sprach kein Wort, sondern umhalste schluchzend den geliebten Verbrecher, küßte ihn unzählige male, und eilte schweigend wieder von ihm.

Kurz darauf vernahm Duur das dumpfe Donnern einer fortrollenden Kutsche — er hörte es, stieß einen tiefen Seufzer aus, Dunkelheit umfloß sein Auge, und ohnmächtig stürzte er — dem Herzog in die Arme.

Inzwischen träumten der alte, brave Onkel und seine, liebenswürdige Nichte nichts weniger, als dieses entsezliche Schiksal ihres Florentins. Holder trat am folgenden Morgen nach seiner Wegführung zu ihnen, und sagte mit erzwungnem Lächeln: „Florentin hat Euch, um Thränen zu ersparen, gestern Abend schon verlassen.“

„Gestern Abend ist er fortgefahren?“ entgegnete erstaunt der Alte: „drum wunderte ich mich noch über das späte Kutschieren. Hm, hm! der Blizjunge, kömmt er mir noch einmal so, so werde ich ihm baß den Text lesen. Warte! warte!“

„Und in der Nacht auch zu reisen!“ sagte Rikchen halb böse.

„Freilich, freilich!“ erwiederte der Onkel: „er wird sich verkälten wollen! — doch las ihn; im Grunde genommen dauert mich der gute Junge, er hats nicht böse gemeint. Na Florentinchen, wir vertragen uns wieder; ich sage Dir gute Nacht, Florentin!“ — — — —

*          *          *

Und nun, meine Leser und Leserinnen, hab’ ich Ihnen für diesmal genug vorgeplaudert; allein mich plagt doch eine kleine Neugier, zu wissen, wie Ihnen meine Erzählung behagt hat.

„Sonderbar!“

Sonderbar sagen Sie? wie denn so?

„Kein Plan, kein Ganzes! wir wissen aus so manchen nicht klug zu werden; zum Ueberflus führen Sie den Grafen von Duur noch an die Schlachtbank und lassen uns in einer quälenden Ungewisheit über seinen Tod.“

Ich sollte doch denken, meine Herrn und Damen, daß Sie mit dergleichen Autorfinten schon bekannter sein müssen, als Sie es sich zu sein stellen wollen.

„Unverzeihlich! indes werden wir Ihnen von ganzem Herzen verzeihn, wenn Sie uns noch dies und das beichten wollten!“

Und was denn zum Beispiel?

„Wie es dem süssen Florentin geht.“

„Und war für ein Bewandnis hat es denn mit den schwarzen Brüdern?“

„Wird Holder nicht noch Anstalten zur Rettung seines Freundes machen?“

„Apropos, was that denn Holder in Italien? nahm er etwa die Tonsur an?“

„Wohin ist denn die Prinzessin Louise zur Nachtzeit gefahren? hat sie ihr Bruder etwa in ein Kloster gebracht?“

„Noch eins, eh wir auseinander gehen: werden Sie uns nicht den weitern Verlauf der Sache erzählen?“

Alles das, meine Herrn und Damen, alles das im folgenden Bändchen wenn Sie wollen!

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