Siebentes Kapitel. Der Garten von Dosa.

Noch war an eben diesem interessanten Tage die Sonne nicht untergangen, als auch Florentin unruhiger war. — Badner hatte ihm nämlich einen Brief gebracht, der abentheuerlich genug klang und in folgenden Worten abgefaßt war:

Vinzenz,“

„Habt Dank von uns, daß Ihr unsre Hoffnungen nicht zu täuschen vermochtet; Heil Euch, Ihr seid der größten einer im Bunde! — Beharrt Euern Plan getreu. Verherrlicht Euch in der nahen erhabnen That; ein lieblicher Glanz wird von Euch auf unsern Bund zurükfallen. Wir sind Eurer wohl eingedenk; den Beweis davon findet Ihr im Städtlein Dosa, an der Kanellesischen Gränze. Dahin eilet straks nach Empfang dieser Zeilen, es wird Euch nicht gereuen. Euer Quartier sei das Wirthshaus zum goldnen Dorn. Eilet!“

Die schwarzen Brüder von
Deutschland.“

So wahr, als jeder meiner Leser, durch solchen Brief in Florentins izzigen Verhältnissen mit Kanella, in Verlegenheit gerathen wäre, eben so gerieth auch Florentin nach Lesung des Schreibens in eine der unangenehmsten. Was sollt’ er thun? — Kanella verlassen, zu eben der Zeit, da sich der Staat der lezten, entscheidenden Krisis genahet? Kanella verlassen und zwar in einem Zeitpunkt wo seine Gegenwart unausbleiblich nothwendig, wo noch einer der gefährlichsten Streiche in Rüksicht des Prinzen und des Kardinals zu vollführen war? —

Er schwankte.

„Was hab’ ich in Dosa mit den schwarzen Brüdern aus Deutschland zu schaffen?“ fragte seine Neugier oft, und die thätige Fantasie wußte tausenderlei Vielleichts zu entgegnen. Das lieblichste war Florentinen das angenehmste, und dieses lies nichts geringers muthmasen als Holdern in Dosa zu finden.

„Holder in Dosa!“ sprach er dann zu sich selber in halbem Entzükken: „Holder in Dosa! o, mein Gott, da ihn nach so langer Trennung wieder zu finden, wieder zu umarmen! — Was wird er mir alles zu sagen, ich ihm alles zu erzählen haben! — Da werd’ ich von dir hören, göttliche Louise, da von meinem Erstgebornen, meinem Karl! — da von Schwester Rikchen, vom guten Onkel. — Ach, Gott, ja! ich muß dahin, ich lasse die seligste Stunde meines Lebens so nicht entstreichen!“

Sogleich wurden einige Billette geschrieben, versiegelt und an die schwarzen Brüder in Kanellas verschikt, welche sich um Mitternacht in Florentins Garten, der an seinen Pallast stieß, zu versammeln eingeladen wurden. Gotthold und Dulli richteten alles zur schleunigen, geheimen Abreise ein; der Graf selber arbeitete bis um Mitternacht. Er siegelte zwei ansehnliche Pakete von Schriften und Briefen ein, beide an Sr. Durchlaucht, dem Herzog Piedro von Kanella addreßirt, höchst eigenhändig von demselben zu erbrechen.

Eine fürchterliche Mine sollte zum Wohl der Republik gesprengt, der Kardinal Benedetto und Prinz Moriz morgendes Tages von ihrer gefährlichen Höhe herabgestürzt und zur Revoluzion am ersten Septemberabend kraftlos gemacht werden.

Lange hatte der Graf hieran gearbeitet; denn nicht umsonst war er in die Geheimnisse dieser beiden Staatsmänner eingedrungen, hatte er einen schönen Theil seines Lebens in den ekeln Gesellschaften des Hofes vergehn lassen, hatte er die unsichre, gefahrvolle Protheusrolle gespielt und oft sein Leben daran gewagt.

Inzwischen hatten sich die schwarzen Brüder der höhern Ordnung im gräflichen Garten versammelt, wohin sie durch eine abgelegne Hinterpforte unvermerkt gelangen konnten. Es war finstre Nacht, der Himmel umwölkt, mond- und sternlos. Florentin, den Brief der schwarzen Deutschen in der Hand, trat jezt unter ihnen hin.

„Freunde,“ sprach er: „entschuldigt bin ich durch diesen Brief, worin ich von den deutschen Verwandten unsers heiligen Bundes gen Dosa beschieden worden, ich sage, entschuldigt bin ich durch ihn, daß ich Euch auf eine Stunde im nächtlichen Schlummer störte und hier versammelte.“

„„Ihr nach Dosa? — jezt nach Dosa? verlassen wollt Ihr uns jezt in der Noth?““ so schollen etliche Stimmen verworren aus der Menge hervor, indessen andre der Versammelten beim Laternenschein Florentins Brief lasen.

„Ja, ich muß Euch verlassen, muß dem Bunde gehorchen; ehe noch der Morgen graut bin ich ausser Kanellas Mauern. Dosa ist von hier nicht allzu entlegen; es wird die Reise von etlichen Tagen sein. Der erste September sieht mich wieder hier.“

„„Warum wollt Ihr jezt hinweg, da die Gefahr vor der Thür liegt?““ schollen die vorigen Stimmen, aber schon weniger laut zurük.

„Ihr habt meine Antwort gehört!“ entgegnete Duur mit ernsterm Ton: „Glaubt Ihr, daß ich aus Furcht zu entfliehn, oder mich von der nahen furchtbaren Szene zu entfernen gedenke? Ha, Brüder, kann man mich einer feigen Schurkerei bezüchtigen unter Euch? Sezt ich nicht oft schon Gesundheit und Leben öffentlichen und verborgnen Gefahren um Kanellas Wohl aus? — Ich kehre zurük, um am Abend des ersten Septembers an Eurer Spizze zu stehn, kehr zurük, und wär es auch zum Opfertode für Eure Freiheit.“ —

„„Ihr seid entschuldigt!““ riefen einige.

„Verlangt Ihr, daß ich durch einen Eid zeitliches und ewiges Wohl verpfände?“

„„Ihr seid gerechtfertigt! Ihr seid gerechtfertigt!““ riefen mehrere.

„Oder will jemand meinen Muth auf dieser Stätte in diesem Augenblick mit seiner Degenklinge messen?“

„„Still! still! still!““ riefen alle: „„kein Mistrauen unter uns!““

„Wohlan!“ erwiederte mit sanfterer Stimme der Graf: „so laßt mich ziehn, und beweiset nun auch Ihr während meiner Abwesenheit Muth und Geistesgröße. Habt Acht! kaum werde ich in Dosa angelangt sein, so stürzen zwei Männer von ihrer schwindlichen Höhe hernieder, die der Volksfreiheit die gefährlichsten waren. — Moriz und Benedetto, diese Riesen werden fallen!“

„„Wie ist es möglich!““

„Diese Männer wußten allein am Hofe um die große Verschwörung; sie wußten um alles durch mich. Sie selber mußten die Hände anlegen die Schlinge wieder aufzuknüpfen, welche sie despotisch um den Hals der Kanelleser geworfen hatten; sie selber mußten Waffen und Geldsummen liefern, damit wir den großen Plan mit Nachdruk ausführen könnten. Ohne ihre Hülfe würden wir nichts vermogt haben, darum verzettelt’ ich sie selber in das Komplot, und hielt ich sie fest darin durch falsche Vorspieglungen. Jezt aber ist es Zeit sie wieder von uns auszustoßen; sie gruben der Nazion eine Grube, darum stürz’ ich sie selber hinein. Ihre wichtigsten Papiere, und selbst Benedetto’s päbstliche Bulle, welche ihn zum Vormund Piedros und Kanellas Regenten erkohr, sind in meinen Händen, und morgen lieset sie der Herzog! — Morgen sind Moriz und Benedetto Staatsgefangne! —“

Ein frohes, verworrnes Gemurmel erhob sich; die Männer drängten sich näher um den Edeln.

„„Seit ich am Hofe öfter und geliebter erschien, werdet Ihr, Brüder, bemerkt haben, daß die Kanelleser zehnfach unglüklicher geworden, als sie es vorher waren. Ihr schienet vor mir zu zittern, und mich geheim als den Urheber dieser allgemeinen Noth anzuklagen. Ja, und ich wars. Ich wars, der die empörendsten Ungerechtigkeiten wider Kanella übte; ich wars, der die unseligen Werbungen im Lande veranstaltete; ich wars, der die ältesten Rechte der Städte mit Füssen trat — wars, der die elenden, bejammernswürdigen Bürger oder Sklaven von Kanella bis zur Verzweiflung trieb, in welcher sie sich izt befinden. Allein so weit mußt’ es im ganzen Lande gedeihen, verzweifeln mußten die Kanelleser, um fähig zu sein ihr Joch abzuschütteln, denn Gefühl für Größe und Freiheit schlief unter ihnen. Jezt ist eine allgemeine Revolte nothwendig; sie ist nicht mehr zu verhindern. Ihr indessen wacht jezt mit verdoppelter Scharfsichtigkeit über alles, was geschehn könnte; hütet das Arsenal, die Magazine; und was sonst von importanten Pläzzen, Gebäuden und Wachthäusern in der Gewalt der schwarzen Brüder ist, wohl; erhaltet Ordnung, und harret mit Kälte und Geistesgegenwart dem ersten Septemberabend entgegen! — Lebt wohl!““

Der Graf sprachs und wünschte ihnen eine gute Nacht — „Gute Nacht!“ riefen die Männer, und wer da konnte, drükte dem großen Fiorentino dankbar die Hand.

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