Aber ein schreklicher Tumult erhob sich eines Morgens im herzoglichen Pallast; alles lief blas und verwirrt durcheinander hin; Piedro rasete von Zimmern zu Zimmern; der Kardinal und Moriz wurden eiligst herbeigeschaft; die Hofdamen weinten, und ermannten sich von Ohnmachten, um in neue zu fallen — alles lies die größte Bestürzung blikken. —
Rosaffa war ermordet.
Schwimmend in geronnenem Blute, einen Dolch in der Brust fand man sie entgeistert in ihrem Bette, als sie von ihren Zofen früh besucht wurde. Auf der Erde lag eine Pergamentrolle, darauf stand mit großen, lesbaren Zügen geschrieben:
„Sie trat das Recht öffentlicher Richter mit Füssen, drum ward sie von uns gerichtet. — Auf ihr ruhte das Verderben des Staats; auf ihr der unschuldige Tod manches Biedern, auf ihr das Elend der Verwiesnen und Verarmten — sie ward am Ende dem allgemeinen Wohl gefährlicher noch, darum ward sie hingerichtet vom
Gericht der Unbekannten.“
Niemand war entnervter bei dieser Szene, als der schwache Piedro, niemand ob dieses Zettels bestürzter, als der Prinz Moriz, und niemand verzweiflungsvoller, als — Duur. Mit Grausen standen sie alle da um Rosaffens Bett, anstarrend die Ueberreste einer so gewaltsam zernichteten Schönheit. Sie, deren Lächeln noch vor zwölf Stunden den ganzen Hof entzükken, deren finstre Stirn einen Fürsten zittern, ein Herzogthum schaudern machen konnte, — sie war jezt ein machtloses, zerstörtes, unnüzzes Prachtstük.
Königlich waren die Anstalten zu ihrem Begräbnis; drei Tage stand ihr Leichnam hindurch in einem kostbaren Sarge zur Schau — aber niemand, auch kaum ein neugieriges altes Weib, schlich sich herbei die Ermordete zu sehn. Meister der harmonischen Tonkunst führten am Tage ihrer Beerdigung öffentliche Trauermusiken auf, aber — kein Auge näßte sich. Kanellas Dichter besangen die Hingesunkene, und keiner las die schwarzberänderten Blätter.
Elendes Loos der im Leben vergötterten Bosheit! — der Seufzer eines Edeln über dem Grabe des Guten ist unendlich köstlicher, als die kunstgebildete Thräne eines Marmorbildes über des Sünders Gruft, welche die Flüche der Unglüklichen umrauschen!
Moriz, dessen Gedächtnis die ehmahlige Korrespondenz der Unbekannten mit ihm, und die fatale Begebenheit mit den maskirten Kerln, welche ihn auf der Straße so unsanft zugesprochen 8 ), noch nicht verloren gegangen war, befand sich jezt in keiner angenehmen Lage.
Freilich waren es bis zum entscheidenden Abend des ersten Septembers nur etwa noch acht Tage hin, — aber wie viel Querstriche konnten ihm nicht in dieser Zeit noch von den verwünschten Unbekannten durch seine Pläne gezogen werden? — Jezt fing er sich an vor Florentinen zu fürchten, denn um seinetwillen hatten die Unbekannten ihn ehmals an Herzog Adolfs Hof so übel mitgenommen, und seit Florentin in Kanella etwas merkwürdiger geworden, hub sich auch sogleich das alte Unwesen wieder an.
Morizens Gewissen pochte; es war sich keiner schönen Thaten bewußt, welche sonst die beste Arzenei in kritischen Augenblikken wider das Herzklopfen sind; überdies hatte Florentin die sämmtlichen Papiere von Sr. Hoheit in den Händen, worin das ganze Gewebe der schlummernden Verschwörung und des drohenden Aufruhrs gar deutlich angegeben stand, — und wie leicht konnte der Graf auf einen bösen Einfall gerathen! — Der einzige Trost für ihn waren die glüklich ablaufenden Werbungen, indem jezt schon nicht mehr, als funfzehn tausend Mann auf den Beinen standen, die theils in der Residenz, theils in der Nachbarschaft quartirt waren. Zur größten Sicherheit verstärkte er die Wachen um seinen Pallast.
Aber man denke sich sein Entsezzen, als Flimmer an Rosaffas Begräbnistage mit der Botschaft zu ihm hereintrat, daß er aus sicherm Munde erfahren habe, Sr. Eminenz der Kardinal Benedetto wisse nicht nur umständlich von Morizens Anschlägen, von der Bestimmung der angeworbnen Mannschaften, von der am Septemberabend bevorstehenden Landesrebellion, sondern habe auch schon, im Fall der Aufruhr nach Wunsch ablaufe, eine Bulle von Sr. päbstlichen Heiligkeit in Bereitschaft, vermöge welcher er sich zum Vormund des Piedro und Interimsregenten des Staats aufzuwerfen die Vollmacht habe.
Dem Prinzen wurd’ es bei dieser Post dunkel um die Augen; sein braunes Gesicht wurde blasgelb, und es fehlte wenig, daß er vor Schrekken umgesunken wäre.
Was blieb ihm bei solchen Umständen zu thun übrig? — Hiergegen fruchtet keine Verstärkung der Leibwache, und eine Bulle konnte leicht dreisig tausend Mann schlagen!
Flimmer fragte den Prinz etliche mal, aber gewann keine Antwort; erst nach einer halben Stunde kam dieser wieder zu sich selber. Einige Flüche machten ihm erstlich Luft, dann war seine sehr natürliche Frage: „Was soll ich thun?“
„Eben das ists, was ich schon längst gern von Euch erfahren möchte!“ entgegnete der Sekretair.
„Ich werde unsinnig!“
„„Freilich, es ist schmerzhaft solchen Streich leiden zu müssen — erfahren zu müssen, daß, wo man am sichersten mit seinem Schiffe zu seegeln wähnt, Klippen, Sandbänke und Untiefen den augenbliklichen Untergang drohn. Und doch ists besser noch zur rechten Zeit die gefährliche Situazion zu entdekken, als dem Schiffbruch unwissend mit vollen Seegeln entgegenzustürzen.““
„Da hast du Recht, aber das beruhigt mich nicht!“
„„Ihr habt ja einen so wakkern Piloten, gnädigster Herr, einen Duur, der Euch leichtlich retten könnte!““ sagte Flimmer und grinsete teuflisch dazu.
„Ah, verdammt! wer weis, ob nicht der Schurke selbst mein ganzes Verderben zubereitet hat!“
„„Aber Ihr selber, mein Prinz, Ihr selber habt mir ja oft die Unmöglichkeit dargethan, daß Duur so handeln könne.““
„Und du elender Bube, willst meiner auch noch spotten?“ —
„„Ihr versteht mich nicht.““
„Augenbliklich schikke einen Boten zum Grafen, daß er sogleich zu mir komme.“
Der Bote ging; der Bote kam und brachte statt des Grafen Entschuldigungen zurük.
Jezt faßte Morizens Argwohn Wurzel, und seine Wuth wurde fürchterlich. Flimmer stand rath- und thatlos da, und grübelte und spannte seinen Wiz auf die Folter, und erfolterte nichts.
„Was sinnst du da, Narr!“ redete ihn Moriz an, der auf ihm zuging und ihn so vertraulich an die Schulter anpakte, daß er gern hätte laut aufschreien mögen: „Was sinnst du? — Wenn die Noth am größten ist, wird doch Moriz nur allein Rath zu schaffen und zu helfen wissen. Sei ruhig, sei ruhig, armer Gauch! der Kardinal soll sich betrogen haben, entsezlich betrogen haben. Das sagt Moriz! Ich stehe wider den ganzen Sturm; mag er nur entgegenbrausen — ich will stehn. Siehe, wenn mein Kopf erkrankt, meine Autorität im Volke stirbt, meine funfzehn tausend die Flucht ergreifen, wenn alles verloren geht, alles: — so geht auch ein Kardinalsleben zur Neige. Verstehst du mich? — Es ruhen schrekliche Mittel in meiner Macht; ich kann einen Staat umstürzen, wenn auch nicht wieder aufbauen; ich kann mir Wege über Leichen bahnen, wo Lebende mir die Huldigung versagen; ich will über Trümmern wohnen, wo man mir den Besiz des Pallasts abschlägt. Folge mir in mein geheimstes Kabinet, vorher aber befiehl, daß binnen drei Stunden kein Mensch sich in der Nachbarschaft desselben gewahren lasse.“