„O!“ rief Borghemo am folgenden Tage in wilder Wuth, als er sich auf dem in seinem Billet Florentinen genannten Kampfplazze eingefunden und schon, seinen Gegner erwartend, einige Gänge auf und ab gemacht hatte: „O, Freundschaft, Redlichkeit, Freiheit — was seid ihr? Doch nur Ideale, todte, unnüzze Ideale, dem Gehirn der Dichter in schwärmerischen Stunden entsprungen, welche das schönste Thier in der Schöpfung bewundert, aber in sich zu realisiren weder Muth noch Kraft hat! — Daß ich so belogen werden konnte, so — so von einem Duur! — — Nein, erschien mir jezt ein Engel vom Himmel, ich würde seiner Larve und seinen Worten nicht mehr trauen. — Freundschaft! ist dies nicht heuer ein Modegedanke, worin sich verkrüppelte Seelen verstekken, wie häsliche Gestalten hinter ihren Puz? — O, verdammt, von solchem Abentheurer betrogen zu werden!“ — —
Borghemo schlug sich mitgeballter Faust vor die Stirn — ging einige Schritte vorwärts — blieb stehn, — sah nach der Uhr und lachte gräßlich auf: „Er kömmt noch nicht! pfui, des elenden Feiglings! er, — er eine Revoluzion bewirken? — ha, ha, ha, wahrscheinlich unter den Weibern des Hofes! er die despotische Regierungsform zerstören, die mit tausend Klingen verfochten werden dürfte, er, der sich vor der meinigen allein schon fürchtet? —“
So tobte er eine Viertelstunde hindurch, ohne zu bemerken, daß der Plaz, auf welchem er sich befand, der zwar ein schöner Spaziergang vor der Stadt war, aber doch nur selten besucht wurde, jezt, und zwar zu einer sehr ungewöhnlichen Stunde, denn es war früh nach Sonnenaufgang, ziemlich lebhaft geworden. Ueberall, wohin er um sich her sah, erblikte er zu seiner unaussprechlichsten Verwunderung bekannte und unbekannte Männer, höhern und niedern Ranges, einzeln und in Gruppen lustwandelnd.
Er blieb eine Weile, wie versteinert, stehn: ging dann zu dem nächsten, ihm bekannten Mann, um sich über diese Szene Licht zu verschaffen. Kaum daß er sich diesem näherte, so zogen sich auch alle übrige Personen, wie nach einem verabredeten Signal, um denselben zusammen. Borghemo’s Erstaunen wuchs immer mehr, und noch mehr, da ihm der bekannte Mann folgendes sagte:
„Edler Borghemo, Ihr erwartet den Grafen, aber vergebens, denn seine Zeit ist jezt zu köstlich, als sie mit Euch hier zu versplittern, und die Gesundheit seiner Gliedmaßen ihm für den Tag der Revoluzion zu theuer, als daß er sie hier Eurer Laune und Eurer aufbrausenden Hizze opfern sollte. Gesezt, daß er bei dem nahen Aufruhr sein Leben nicht einbüßt, so steht er euch gleich den folgenden Tag darauf zu Diensten. Dies ists, was er Euch durch mich sagen läßt.“
„„Aber ich begreife nicht — —““ stotterte Borghemo und warf seine Augen auf die ihn umgebenden Männer.
„Leicht möglich!“ antwortete man ihm: „Was die lieblosen Beschuldigungen betrift, welche Ihr ihm gestern in dem bewußten Billette machtet, so hört dies darauf zur Erwiederung: Duur verdient sie nicht. Daß er Eure Freundschaft der, gegen den unglüklichen Staat, hintenansezt, werdet Ihr ihm hoffentlich verzeihen; daß er, wie Ihr ihm vorwerfet, seine großen Versprechungen in Absicht der Befreiung Kanella’s vergessen, darüber werdet Ihr in Kurzem vom ganzen Staat die Antwort hören; und daß er schon viel gethan hat, und nicht wenig Anhänger besizt, — davon könnt Ihr Euch durch uns überzeugen lassen, indem jeder von diesen bereitwillig ist, sich statt seiner mit Euch um Leben und Tod zu schlagen, wenn Ihr anders noch nicht hinlänglich vergewissert seid, wie sehr Ihr dem Grafen Fiorentino Unrecht gethan habt.“
Der gute Borghemo war noch nicht ganz zu sich selber gekommen, und er stand nahe dabei, alles das, was er sah und hörte, für ein Gaukelspiel seiner Einbildungskraft zu halten.
„Fiorentino!“ sagte er: „du hast in der That bewiesen, welch’ ein ausserordentlicher Mann du bist; — ich will gehn und deine verborgnen Pläne im Stillen bewundern!“
„„Wohl!, Fiorentino vermuthete diesen Entschlus von euch,““ antwortete einer aus der Menge: „„kommt mit uns; wir haben Befehl Euch zu uns zu sammeln.““
Wie ein gedankenleerer Träumer folgte Borghemo — — den schwarzen Brüdern nach.
Sehnsuchtsvoller selbst als vom rachsüchtigen Borghemo wurde Duur an eben dem Morgen von Sr. Eminenz, dem Kardinal erwartet, welcher den Grafen und sein politisches, raffinirendes Genie nicht weniger zu schäzzen verstand, als der rauhe Moriz. Der Favorit ließ sich lange vergebens erwarten. Benedetto war sehr unruhig. Er ging von Zimmer zu Zimmer; bald hinaus auf den Altan; bald hinaus in den Garten. Es war dieser Tag für ihn von großer Wichtigkeit, denn er hatte bei sich beschlossen heut gegen Florentinen mit einem wichtigen Projekt hervorzurükken. — Er, der sonst nie zitterte, der sonst keines Menschen Gewalt befürchtete — zitterte jezt bei jedem Rauschen der Thüren seines Pallastes. Er wünschte Duurs baldige Erscheinung und doch machte ihm sein böses Gewissen diesen Mann furchtbar.
„Was hilfts?“ sagte endlich der heilige Mann zu sich trostvoll, indem er seine dürre Gestalt über ein Faulbett hinlagerte: „Es reife endlich, was reifen soll; längerer Verzug ist der Tod meiner Hofnungen. Ob nun der Graf meine Vorschläge acceptiren, meine Entwürfe gemeinsam mit mir ausführen wird — das entscheide dieser Tag. Seine Treue, sein Karakter ist seit drei Jahren und länger der Gegenstand meiner Beobachtungen gewesen, ich hab ihn ächt befunden, täuschen, konnt’ er mich nicht! — Und gesezt, daß er — — nein, unmöglich! Er ist durch Rosaffen zu fest an mein Interesse geknüpft, er liebt sie, und sie ist ja, was sie ist, durch mich geworden; sie ist mit meinen Plänen halbvertraut; ihr ekelt vor Piedro schon und sie kennet ja seine Untüchtigkeit zur fernern Regierung! —“
Indem Benedetto also kalkulirte, fand sich Duur ein. Mit welcher ungewöhnlichen Gnade er von dem feinen Mönch aufgenommen wurde, wie geschmeidig diese steife Eminenz war, wie huldreich lächelnd und vertraulich dessen sonst ernste, zurükschrekkende Mienen sich zeigten, ist beinahe unbeschreiblich.
Die Unterredung dieser beiden Hofleute wurde bald sehr intrikant; jeder horchte, jeder forschte, beide handelten aber aus verschiedenen Absichten.
„Ich läugn’ es nicht, Fiorentino, ich preis’ Euch glüklich!“ sagte Benedetto unter andern, als Replik auf vorhergehende Reden.
Florentin. Darum, daß mich die Gräfin Rosaffa wieder liebt?
Kardinal. Eben darum! Es ist noch etwas Niegeschehnes, daß Rosaffens Herz für irgend einen Mann wärmer geschlagen, als für den andern. Ihr seid der erste, und fürwahr seid auch der Einzige. — Sie ist schön, der Liebe des schönsten Mannes in Europa würdig; sie ist reich und vom Range. Und nun denkt Euch im Besiz eines solchen allbeseeligenden, entzükkenden Weibes — —
Florentin. (einfallend) Im Besiz?
Kardinal. Sie liebt Euch ja!
Florentin. Liebt mich? — Sei es, ich bezweifle die Wahrheit Eurer Worte nicht — aber Besiz? — Wer besizt sie? Wer? —Ist sie nicht Piedros?
Kardinal. (mit Besinnung) Es ist wahr! —Ich bedaure Euch und — die unglükselige Gräfin. — Was seztet Ihr wohl daran Rosaffen zu befreien? —
Florentin. (verwirrt) Eine verfängliche Frage, die ich kaum zu beantworten weis. — Doch — — Ihr wißt, ich liebe sie heftig.
Kardinal. (die Achsel zukkend) Piedro — — — —
Florentin. (mit einem Seufzer) O Gott!
Kardinal. (mitleidig, ernst und ausspähend) Piedro — —
Florentin. Ich bitt Euch, nennt mir diesen Namen nicht; raubt mir nicht die lezte elende Hofnung.
Kardinal. Euer Leiden thut mir weh. Könnt’ ich helfen — könnt’ ichs — doch aus Liebe für Euch, mein Bester, wag ich alles. (Er steht auf und geht umher, indem er sich nachdenkend stellt.)
Florentin. (seufzt ohngefähr so laut, daß es den Ohren Sr. Eminenz nicht unbemerkt bleiben kann.)
Kardinal. (rasch zurükkehrend) Fiorentino, Rosaffa sei die Eure!
Florentin. (aufsprengend mit Aeusserungen des Entzükkens) Wär es möglich?
Kardinal. Wie viel wagt Ihr daran?
Florentin. So viel die verzweifelnde Liebe wagen kann!
Kardinal. (lächelnd) Es soll nicht Tod und Leben gelten, sondern daß Ihr, nächst Rosaffen, mir Eure ganze Zuneigung schenket.
Florentin. O, die war die Eure, ehe ich Rosaffen liebte, und ist noch die Eure und zwar in solchem Grade, als Ihr es vielleicht selber nicht von mir erwartet. Ich könnte Euch gewisse Proben davon vor Eure Augen legen — ich sage Proben — — — doch davon zu seiner Zeit.
Kardinal. Ich bewunderte von jeher Eure Offenherzigkeit und zugleich Eure Verschwiegenheit. Wendet diese beiden Tugenden von nun an zu meinem Interesse an; denn an meiner Glükseligkeit liegt die Eurige durch Rosaffen unauflöslich gefesselt.
Florentin. (mit einem Blik voller Rührung) Benedetto!
Kardinal. (ihm die Hand und den Mund reichend) Seid mein! — Jezt bin der Eurige!
(sie küssen sich)
Kardinal. Und nun zuerst, Fiorentino sag mir, — bei unsrer Freundschaft beschwör ich dich — sag mir, zu welchem Entzwek läßt Moriz im ganzen Lande werben? Ich befürchte Nebenabsichten!
Florentin. (geheimnisvoll) Mit Recht!
Kardinal. Wär es möglich?
Florentin. Dem Herzoge und wahrscheinlich auch Euch ist ein fremder Zwek vorgespiegelt.
Kardinal. Mir hat man von einer bevorstehenden Revoluzion in Kanella gesagt, welche Verstärkung der Truppen nothwendig mache.
Florentin. Mir der Revoluzion hat es seine Richtigkeit; in der That muß sich das Volk in einigen Monaten empören, wovon man die untrüglichsten Spuren vorgefunden. — Allein Moriz trift keine Gegenanstalten, sondern — — doch Euch sind ja Morizens Kabinetsgeheimnisse so wohl, als mir bekannt.
Kardinal. (sich vertraulich an ihn schließend) Er will die Regentschaft von Kanella an sich reißen, wenn das Volk im Aufruhr Piedron minorenn am Verstande und der Regierung unfähig erklärt.
Florentin. Ihr habts getroffen.
Kardinal. (hämisch lachend) Ha, ha, ha, ha! (er geht zu einem Pulte und zieht verschiedene Papiere hervor, die er dem Grafen überreicht.) Seht hier! Piedros Untüchtigkeit zur Staatsverwaltung ist allgemein bekannt — der Aufruhr des Volks mag vor sich gehn; er ist nothwendig — aber Kanellas Heil liegt meinem Herzen zu nahe. Seht hier, und leset, wie lange ich deswegen schon mit dem Römischen Hofe korrespondirt habe.
Florentin. (durchfliegt mit froher Bestürzung die Blätter) Ich bin ausser mir!
Kardinal. (wohlgefällig lächelnd) Und seht nun hier das Finale — eine Bulle Sr. päbstlichen Heiligkeit, die mich zum Regenten Kanellas ernennt.
Florentin. (liests) Bei Gott, ja! — Wohlan, ich sprach vorhin mit Euch von gewissen Proben meiner Liebe, welche ich aufzuzeigen hätte. (Er zieht Papiere aus dem Busen) Seht hier — leset dies Bittschreiben von beinah hundert der vornehmsten Bürger Kanellas eigenhändig unterschrieben und an Ew. Eminenz gerichtet.
Kardinal. (wird beim Lesen aus Freuden halb ohnmächtig — er reißt das Fenster auf, lehnt sich lange hinaus, troknet sich die Thräne der freudigen Ueberraschung vom Auge und fällt dem Grafen um den Hals) So hat man mich denn in der That lieb? verlangt mich in der That an Kanellas Staatsruder? — o Fiorentino, Fiorentino! steh mir bei, ich bin zu schwach solche Last zu ertragen! Aber Moriz?
Florentin. Laßt ihn werben, er wirbt vor Euch.
Kardinal. Die guten Bürger sollen in weniger Zeit eines großen Theil ihre ungeheuern Abgaben überhoben werden. Ich wills dahin bringen; notifizirt ihnen das; sagt ihnen, daß es Benedetto nie anders, als wohl mit Kanella gemeint habe und meinen werde. Ich will mich den Kanellesern von der blendensten Seite zeigen.
Florentin. Um alles zu verderben?
Kardinal. Wie?
Florentin. Drängt vielmehr die Kanelleser bis zu des Elends äussersten Gipfel hinan, daß sie revoltiren müssen, desto eilender gelangt Ihr zum Ziele. Güte beruhigt die Leute und zerstört Eure Pläne.
Kardinal. Verzeiht, verzeiht! Ihr habt Recht, die Freude machte mich wirbeln. Und doch — o, wär es möglich, daß ich jezt ganz Kanella für mich einnehmen könnte!
Florentin. Kanella verehrt Euch wie seinen Vater, aber haßt den Prinz Moriz.
Kardinal. Ihr schmeichelt. Aber unterlaßt auch ja nicht, den vertrauten Umgang mit Moriz fortzusezzen. Es ist uns nothwendig!
Florentin. Sehr natürlich. Selbst die Morizischen Werbungen empören das Volk nicht wenig, in eingen Dörfern ist es schon zum Aufstande gekommen.
Kardinal. (applaudirend) Bravo! bravo! — Laßt uns alles zur Beförderung und Beschleunigung der Revolte beitragen. Ich werde Euch die dazu erforderlichen Geldsummen anzeigen.
Florentin. Ich hege keinen Zweifel am — glüklichen Ausgang dieser fürchterlichen, verworrenen Händel!
Kardinal. Und Euer ist Rosaffa, Euer das schönste Weib von ganz Kanella, sobald Piedro enttrohnt ist und Benedetto an seiner Statt herrscht.
Florentin. (im Ausbruch der Freude die dürre Kardinalshand küssend) Benedetto!
Kardinal. (gnädig lächelnd) Fiorentino!
Florentin. (auf die Knie niederstürzend vor ihm) Gebt mir — gebt mir Rosaffen!
Kardinal. (hebt den Grafen liebreich auf) Ihr seid ausser Euch!