Zweites Kapitel. Die Dachspitze.

Ein herrlicher Mondscheinabend lokte Florentinen hinaus zu einer Wanderung durch die Straßen der Residenz. Dulli begleitete ihn. Der Graf, versenkt in seelige Träumereien von der geliebten Sorbenburg und seiner Louise, schlenderte hierhin, Dulli mit dem Bilde seiner Ladda, welche sich nicht mehr in Kanella befand, beschäftigt, schlenderte dorthin. Beide hingen ungestört ihren Gedanken nach. Es war eine traurige Stille in allen Gassen der Stadt; die meisten Familien saßen in ihren Zimmern verkerkert, um sich gemeinsam einander ihre Noth zu klagen; viele schlummerten schon, um sich von Träumen das vergüten zu lassen, dessen sie sich wachend beraubt sahen.

Unsre Nachtwandler hatten aber kaum eine kleine Viertelstunde mit ihren Streifereien hingebracht, als sie durch einen ziemlich laut gehaltnen Dialog aufmerksam gemacht und zum Stillstehn und Lauschen bewogen wurden.

Sie bemerkten einen jungen Menschen, welcher neben einem Mädchen im Mondscheine saß. Beide schienen für einander dasjenige Feuer zu fühlen, welches Jüngling und Mädchen von Anbeginn der Welt zu empfinden pflegten, — beide umschwebte die heilige Tugend mit ihrer Begleiterin, der Grazie Schüchternheit. — Florentinen wurd es bang und wohl beim Anschaun dieser Gruppe; „o Louise!“ dachte er: „einst waren wir auch so glüklich!“ — — „„Einst waren wir auch so glüklich, schwache, gesunkene Ladda!““ murmelte Dulli ärgerlich, und ballte die Faust zusammen und drehte das Gesicht hinweg.

Die Liebenden tändelten froh mit einander, und befürchteten keine Belauschung.

„Gianetta, schöne Gianetta!“ rief der Jüngling: „nimm herab deinen Hut vom Kopfe mit den stolzen, schattenden Federn. Am Tage steht er dir schön, aber Abends verdunkelt er dein holdes Gesicht. Nimm ihn herab, und laß den Mond auf dein Antliz schimmern!“

Gianetta lächelte, und lies sich den Hut nehmen. Der Jüngling sezte ihn sich selber auf und schmiegte sich kosend an das Mädchen, indem er mit einem Handkus Verzeihung erflehte. Gianetta drängte ihn sanft zurük. Der junge Mann erschrak.

„Du scheinst,“ sagte Gianetta nach einer Weile: „du scheinst sehr vergnügt zu sein diesen Abend? Bist du’s, Enriko?“

Enriko. Wie sollt’ ichs bei dir nicht?

Gianetta. Bist du’s wirklich?

Enriko. Zweifle nicht, Gianetta.

Gianetta. Was macht dein Vater?

Enriko. (stokkend) Er seufzt im Gefängnis.

Gianetta. Wie lange schläft deine herrliche Mutter den Todesschlaf schon?

Enriko. (niedergeschlagen) Seit fünf Wochen.

Gianetta. Junge, bist du vergnügt diesen Abend?

Enriko. (wehmüthig aufblikkend zu ihr) Gianetta!

Gianetta. (inniger) Bist du vergnügt bei mir?

Enriko. (ihre Hand von seinen Augen drükkend) O, Gianetta!

Gianetta. (kalt) Geh!

Enriko. (weich) Du liebst mich nicht? — (sie schweigen beide, — nach einer Pause) Sieh mich nur noch einmahl an, dann will ich gern gehn! (abermahliges Stillschweigen unter beiden) Liebst du mich nicht schönes Mädchen? — soll ich dich verlassen, Gianetta?

Gianetta. (ein Seufzer hebt ihren Busen. — Sie sieht den Bittenden an und spricht langsam, mit zitternder Stimme, zu ihm) Wohin willst du gehn?

Enriko. Von dir hinweg. Will die Nacht durch Stadt und Feld umherschweifen — ich muß mich zerstreuen — ich kann nicht schlafen.

Gianetta. (ihm die Hand drükkend) Ich bin dir gut.

Enriko. Ach, schöne Gianetta, wäre das wahr?

Gianetta. Gewis, lieber Enriko.

Enriko. (sich niederwerfend vor ihr und ihre Knien umschlingend) O, sags mir — sag’s mir noch einmahl, daß du mir gut bist!

Gianetta. (schmeichelnd den Arm um seinen Hals legend) Lieber Enriko.

Enriko. (sein glühendes Gesicht in ihr Gewand verbergend) Gott, mein Gott!

Gianetta. Empfindsamer Junge, bist du allenthalben so? Ich liebe diesen Ton und diesen Karakter — ich mögte dich darum küssen! — Steh doch auf.

Enriko. (sezt sich neben ihr nieder, schmiegt sich dicht an sie) Gianetta!

Gianetta. (ernsthaft) Wie gehts dem Sekretair Flimmer?

Enriko. O, des abscheulichen Bösewichts, ihm wirds nie wohlergehen!

Gianetta. Warum sagst du nicht: soll’s nie wohlergehn? das klingt doch männlicher, und giebt dir wenigstens den Schein, als würdest du dich wider ihn zum Rächer deiner unglüklichen Eltern aufwerfen.

Enriko. Ja, kann ich damit deine Huld erwerben, siehe, so erschlag ich ihm auf öffentlichem Marke, und den Moriz dazu und selbst den verdammten Piedro, wenn du willst.

Gianetta. (lächelnd) Fürchterlicher Herkules!

Enriko. Du spottest?

Gianetta. Ich bezweifle deine Tollkühnheit nicht — aber gewis, du würdest das Opfer für Kanellas Wohl werden, würdest — nein, eher billige ich in Aufruhr und Verschwörungen! —

Enriko. Wohlan denn, die Zahl meiner Freunde ist gros — Verschwörung und Rebellion! — Gianetta, wünsche nur den leisesten Wunsch und ich weihe mein Leben dir und der Freiheit. In einigen Monaten ist der Staat umgestürzt, oder — ich ruhe neben meiner Mutter!

Gianetta. (schwärmerisch) Und ruhst du neben deiner guten Mutter, Enriko, dann folg’ ich dir! Enriko dann siehst du mich droben wieder, wo wir nicht schmachten dürfen in Armuth, nicht zittern dürfen vor Piedros Einfällen!

Enriko. (mit aufgewandten freudeglänzenden Augen) Gianetta, du willst?

Gianetta. Sei vorsichtig!

Enriko. Die Hand der Vorsehung führe mich!

Gianetta. Der Tag, an welchen Kanellas Volk seine wieder eroberte Freiheit feiert, feiern wir unsre Vermählung! — (nimmt ihn in ihre Arme) Da, nimm bis dahin den lezten Kuß! Stirbst du, Enriko, — mein Enriko, so sterb’ ich mit dir! —

(beide umarmen sich — schweigen lange)

Enriko. (sich loswindend) Ade, Gianetta, ade! doch, gieb mit ein Zeichen, bei dessen Anblik ich stets dieses heiligen Abends eingedenk sei. Nenn’ es — sieh umher — wär es auch nur die Dachspizze deines väterlichen Hauses.

Gianetta. (scherzhaften Tones) Gern hätt ich dir mich selber genannt, — aber du sollst mich von nun an selten, oder gar nicht sehen! — Wohl — die Dachspizze!

Enriko. Ade, schöne Gianetta! —

Der Jüngling flog davon. Das Mädchen sah ihm lange nach, entfernte sich dann. Florentin und Dulli kehrten schweigend um und begaben sich nach Hause.

Der Graf war kaum einige Minuten in seinem Zimmer umhergegangen, als Dulli hereintrat.

Florentin. Woher, Dulli, so spät in der Nacht?

Dulli. (schlägt die Arme unter einander, seufzt und schweigt.)

Florentin. Gieb Antwort! — quält dich die Erinnerung an deine Ladda?

Dulli. Quält mich, und quält mich nicht, ich habe sie halb vergessen. —

Florentin. Was willst du?

Dulli. Fort von Euch, heim in meine Eremitage.

Florentin. (verwundert) Mensch!

Dulli. In allem Ernst Herr.

Florentin. Was hat dich auf den Einfall gebracht?

Dulli. (mit einem tiefen Seufzer) die Dachspizze.

Florentin. Wie? — bist du Zeuge von jenem Auftritt gewesen, dem ich vor einigen Augenblikken begegnete?

Dulli. Ich bins gewesen.

Florentin. Und willst darum Kanella verlassen?

Dulli. Ja und heim in meine Eremitage.

Florentin. Doch nicht aus Furcht vor Enrikos gedrohter Empörung?

Dulli. Aus Furcht vor der Nichterfüllung der Eurigen! — O, Herr, warum habt Ihr mich herausgelokt aus meiner Ruhe, wo ich längst schon Kanella, Tyrannen und Tyrannisirte vergessen hätte? — Warum habt Ihr mich lüstern gemacht nach Dingen, die eher ein berauschter Liebhaber, — eher der Knabe Enriko erfüllen wird, als Ihr? — Bei Gott und dem heiligen Petrus, Herr, Ihr solltet nur den Jammer nur das Herzeleid sehn, in welchem Kanella verstoßen liegt; — solltet nur das Winseln brodbettelnder Kinder, und das ohnmächtige Fluchen der Erwachsenen hören, die kein Brod geben können, und ich will des Todes sein, wenn Ihr nicht Augen und Ohren zupressen und Euch nach andern Gegenden umsehn würdet, wie ich.

Florentin. (kalt) Leicht möglich.

Dulli. Nein, unwidersprechlich wahr! — aber Ihr, gnädger Graf, nehmts mir nicht übel, wenn ichs dürr heraussage — Ihr seid schon leider verpestet von Piedros Hofluft und Eure prangenden Wünsche sind elendiglich eingetroknet am Strahl seiner Majestät. O, da, auf den glänzenden Assembleen und Redouten, und Bällen und Maskeraden, und wie die höllischen Freuden des Hofes mehr heißen, — da gehts lustig her! da hört man vorm Pauken- und Geigenschall das Aechzen der Hungrigen nicht, da sieht man die Blutthränen des Unterthanen nicht vor den Reihen der blanken Tänzer und der geschwungnen Weinbecher! Gott erbarms! — Ihr seid verpestet!

Florentin. (warm) So wahr ich lebe, Dulli, noch bin ichs nicht!

Dulli. (freudig) Seid Ihrs noch nicht? — wahrlich noch nicht? O dann, Herr, dann steht meinem Vaterlande bei; — Ihr könnts! Um Gotteswillen, hastet Euch. — Seht, sinds nicht schier vierzig Monate, daß wir hier leben? Habt Ihr Euch in vierzig Monaten noch nicht auf das Wie? besinnen können? — O es ist ja so leicht zu erfinden, wenn Ihr nur ein warmschlagendes Herz besizt! — Seht, nehmt einen Dolch und stoßt ihn in Piedros Wanst, erwürgt seinen Spürhund Benedetto, seinen Mordhund Moriz, wenn sie von griechischen Weinen benebelt sind, oder sie an der Tafel vom Mark des Unterthans schwelgen, oder sie am Busen ihrer Huren wollüsteln! — Es ist ja kinderleicht! — und dann lauf’ ich hin auf den Dominikusplaz, und schreie: Kanella du bist frei! und Tausende werden Freiheit mit mir rufen und Tausende mit mir ihre Kniee vor Euch beugen! — Nun, Herr?

Florentin. (ihm die Hand drükkend) Du bist ein vortreflicher Kerl! —

Dulli. Aber — —?

Florentin. (geht nachdenkend durchs Zimmer, kehrt schnell zurük) Ueberwarte noch drei Monate, und bist du dann nicht mit mir zufrieden, so nimm alles, was ich habe und zieh in deine Wüste damit!

Dulli. (bedenklich) Noch drei Monate — noch zwölf ganze Wochen, Gott weis es, wie viel hundert Tage dazu gehören! — — doch ich harre sie aus.

Florentin. Rufe morgen die alte Wahrsagerin zu mir — Es ist ein verwegnes Weib, sie soll Lärmen unter dem gemeinen Volk machen!

Dulli. (horchend) Ein altes Weib muß zu Euern Plänen — —

Florentin. Alte Weiber und Pamfletenschmierer gehören zu den wohlthätigsten Uebeln in dieser untermondischen Welt. — Geh!

Dulli ging mit hoher Verwunderung ab; der Graf aber mas noch lange das Zimmer mit seinen Schritten. Es kämpfte seine Seele einen schweren Kampf — und er siegte ob.

„So geh es denn, wie es wolle!“ dachte er bei sich, als zum Resultate seiner Ueberlegungen: „Gute, und schlaue Sanftheit sind vergebens angewandt, die Hyder auf Kanellas Thron zu zähmen — sie falle nun! — Befördre ich die Rebellion nicht, so werden es mehrere Enrikos und vielleicht unglüklicher, als ich, weil sie im Sturm der Leidenschaft handeln. Es sei; Kanella, ich reiße dir das Joch ab, freigeborne Menschheit, fühle dich frei und gros. — Bürgerblut wird vergossen werden, aber auch das Blut der Tyrannen!“ —

„Und du, allgegenwärtiges Wesen, du siehst jezt das Gewebe meiner Gedanken und Empfindungen, stehe du mir bei, und denen die dich anrufen? Gott, du siehst ja deiner Kinder Thränen, hörst ihr flehendes Wimmern — erbarme dich ihrer. Verstoße sie nicht aus dem Gebiet der Freude, laß sie nicht ewig schmachten in Verzweiflung. O, Gott, mein Gott — es ist für die schwache Menschheit ein fürchterlicher Gang, — verlaß uns nicht!“

So dachte, so betete Duur in stiller, mitternächtlicher Stunde. Seine Seele fühlte sich beruhigt; sein Auge glänzte von einer Thräne. Er spürte heilige Glut durch seine Adern fliegen; ihm wars, als riefe sein Schuzgeist ihm leise ins Ohr: „auf, es wird der guten Sache wohlgelingen!“ —

In solcher Stimmung sezte er sich nieder, um den Plan der Staatsumwälzung zu entwerfen.

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