„Ists möglich — ewiger, barmherziger Gott, ists möglich!“ schrie der Graf, indem er Louisens Brief fallen lies und die Hände verzweiflungsvoll über sein Haupt zusammenschlug.
Dulli, der in einem Winkel des Zimmers gestanden und einen mitleidenden Zuschauer von der Szene abgegeben hatte, da Florentin den Brief las, und von Minute zu Minute die Farbe des Gesichts änderte, trat jezt hervor und wollte trösten.
Florentin. (sich ruhig stellend) Nein, lieber Dulli, es hat nichts zu sagen; ich habe ihn längst erwartet diesen Streich des Schiksals.
Dulli. Desto besser, desto besser. — Aber — —
Florentin. Du willst sagen, ich sei sehr unglüklich — nicht wahr? — Du hast wohl recht! —
Dulli. Und, gnädiger Herr, Euer Karakter! Ihr seid so zart empfindend; jede Lust oder Unlust, die euch anweht, reizt Eure Nerven mehr, als her größte Schmerz, oder das größte Glük einen andern. Und das ist eben die Quelle Eures Leidens.
Florentin. (eine Thräne erstikkend) Freilich, freilich Philosoph. — Gieb Befehl, daß man alles zur Abreise anordne.
Dulli. (erschrokken) Im Ernst?
Florentin. Ich scherze nicht; Dulli, die Zeiten sind vorüber, da ich scherzen durfte. —
Dulli. Ihr wollt uns verlassen? doch mich nicht gnädiger Herr! Ich folge Euch nach, gnädiger Herr, beim heiligen Petrus, ich folge Euch nach.
Florentin. So lange du noch Hofnungen nährest hier in dein Vaterlande dein Seelenglük zu finden, so bleib hier, warum willst du es unter einem fremden Himmelsstrich suchen.
Dulli. Gnädiger Herr, ich würde, wenn ich Euch verlöre, nie wieder froh sein können.
Florentin. Meinst du? — doch, ich weis schon ein Etwas für dich, bei dem Du mein vergessen kannst.
Dulli. (befremdet) Wie?
Florentin. Daß du während meiner Abwesenheit über dies Schloß und meine Einkünfte verwaltest, ist das geringste, aber — — doch stille deine Neugier! — Geh und bereite alles zur Abreise nach Deutschland! —
Dulli. (sich traurig umwendend) Ich gehe.
Florentin. (weichmüthig) Dulli!
Dulli. Gnädiger Herr!
Florentin. Sei nicht so niedergeschlagen. Es steht in deiner Willkühr, ob du mich in mein Vaterland begleitest.
Dulli. Werdet Ihr da glüklicher sein?
Florentin. (frohglänzenden Auges) Ja, gewiß!
Dulli. So bin ichs auch dort.
Florentin. Lade meine Freunde sammt und sonders auf übermorgen zu einem Gastmahle und Ball ein.
Dulli. Ha, wie werden die Kanelleser bestürzt sein, wenn sie vom Valetschmaus hören!
Florentin. Geh!
Dulli gieng. Florentin hob zitternd den fatalen Brief auf und überlas ihn noch einmal.
„Geliebter!“
„Diese Zeilen sind — zittre nicht — sind die lezten, welche Louise dir schreibt. Ich liege zwar nicht auf dem Sterbebett; aber doch für dich bin ich hinfort so gut, als verstorben. — Begnüge dich mit den seligen Stunden, welche meine Liebe dir einst erschuf, geize nicht mehrern nach. — — Vielleicht verstehst du mich nicht; vielleicht glaubst du, ich habe aufgehört dich zu lieben; allein, wenn dieses wäre, so hätte ich mir ja nicht die Mühe genommen dir noch zu schreiben. Nein, Louise wird die Gemahlin des Erbprinzen von Z**, wird das Opfer des politischen Interesse.“
„Als wir uns vor einigen Jahren im Garten von Dosa sahn, damahls, mein Lieber, reiste ich an den Hof, dessen Erbprinzeßin ich nun bald sein werde. Holder, ein gewisser Aellmar, und ein alter Rath am Hofe meines Bruders ließen mirs wissen, daß du mich noch mit aller Liebe liebtest, daß ich dir in der Nähe vorüberreisen würde, daß ich dich an einem dritten Orte noch einmal sehn, noch einmal sprechen könnte, — ihnen also hast du unsere Zusammenkunft in Dosa zu danken.“
„Und nun, Florentin, tröste dich. Ein Mann wie du findet leicht mehrere Louisen, aber ich werde keinen Florentin wieder finden. Der Erbprinz besizt zwar der männlichen Schönheiten manche, aber sie sind doch nur kaum ein Schatten von den Deinigen. Und vielleicht — vielleicht sind wir so glüklich auch künftig noch unsrer geheimen Liebe Nahrung zu geben; vielleicht darf dich auch noch einmal die Erbprinzeßin umarmen. Leb wohl, sei heiter und vergiß — oder vergiß nicht die ehmalige
geliebte Louise.“
„Ja, ich will deiner vergessen, ehmahlige Louise!“ sagte der Graf: „denn du hast meiner vergessen. — Freilich wie konnt ich armer Thor es hoffen, daß eine Fürstin mir treue Liebe vergelten würde, und doch war diese Hofnung so reizvoll für mich! — Ach, auch diese Freude ist mir genommen; o, ich sehe eine Lebensperiode vor mir, die die schreklichste ist, welche je ein Sterblicher durchwandeln mußte. — Nun lebe wohl, Kanella, durch mich glüklich gewordnes Kanella, lebe wohl; der dir dein Leiden abnahm, wird elender als er zu dir gekommen, deine Gränzen verlassen!“
Nichts liessen die edlen Kanelleser unangewandt den bedauernswürdigen Grafen bei sich zu behalten. Vergebens boten sie ihm grössere Macht und höhern Rang an; umsonst flehten ihn weinend die schönsten Damen der Republik auf dem Balle im Florentinischen Pallast an, daß er zurükbliebe — nichts vermochte bei ihm etwas. Er suchte Ruhe, Ruhe, die er nicht im glänzenden, geräuschvollen Stande zu Kanella, aber vielleicht wohl in den väterlichen Gegenden, in der Mitte seiner theuern Verwandten, finden konnte. Hier glaubte er seiner Leiden vergessen, seines Herzens Wunden heilen, seinen sonstigen Frieden wieder gewinnen zu können.
„Ah, wär ich ein Kind geblieben, seufzte er: so wär ich glüklich geblieben. Nun wohlan, so laßt mich hinziehn in jene Thäler, wo ich den Morgen meines Lebens durchtändelte; laßt mich hinziehn zu jenen Hainen, zu jenen Thälern, wo ich unschuldsvoll am Mutterbusen der gütigen Natur hing und keinen Schmerz, keinen Seelenharm kannte. Laßt mich wiederum werden wie ein Kind, und meines Daseins Stunden in mir selber verleben. Ja, es ist wahr, und abermahls wahr: selten, ist der Mensch in der Gegenwart glüklich, am meisten in der Vergangenheit, und Zukunft, in der Rükerinnerung und Erwartung!“
Borghemo, Giovanni Borsellino, der alte Eo, die schwarzen Brüder von Kanella, da sie sahen, wie unabänderlich Florentins Entschluß sei, ergaben sich mit traurenden Herzen in seinen Willen — alle nahmen sie den wehmüthigsten Abschied. Duur, der sich so leicht an gleichgestimmte Seelen kettete, litte ungemein, da er einen seiner Freunde nach dem andern von ihm hinweg eilen sah. Nur Dulli wollte nicht von seinem Herrn ablassen; allein Florentin selber fesselte ihn an sein Vaterland.
Einige Tage vor der Abreise rief ihn der Graf zu sich. Dulli trat wohlgemuth ins Zimmer, aber erschrokken fuhr er drei Schritte zurük, da er an der Seite des Grafen seine halbvergeßne Ladda erblikte.
Sie sehen alle vergangne Szenen der Liebe wieder heim rufen in die Seele, sprachlos ihr entgegen wanken, Vorwürfe und Verzeihung im Blikke tragen — war das Werk einer Minute.
Florentin. Nun, Dulli? kennst du dies schöne Mädchen?
Dulli. (mit beklemmter Brust und Freudenthränen) Ach, Ladda!
Ladda. (indem das stürmische Steigen und Sinken ihres Busens die Gefühle des Herzens verräth) Mein lieber — lieber Dulli!
Dulli. Du hier?
Ladda. Ich suchte dich, und habe dich gefunden.
Dulli. Und hofftest von mir noch Liebe?
Ladda. (mit Seelenruhe im glänzenden Auge) Ich hoffe sie. — (Pause. Sie tritt ihm näher) Dulli! (sie ergreift seine Hand und drükt sie weinend an ihren Mund) Mein Dulli!
Dulli. (ihr an die Brust sinkend) Ach, ja, Ladda, meine Ladda, Dulli liebt dich noch! —
Mit unbeschreiblicher Wonne lagen sie beide lange einander in den Armen, küßten sie sich der Versöhnung süssen Kuß, und vergaßen sie des Grafen, der ein gerührter Zuschauer dieses schönen Schauspiels war. Selber ein Unglüklicher in seiner Liebe ward er der Schöpfer fremden Liebes-Wohls. —
Viel zu fest waren die Banden, mit welchen Dulli nun an Kanella gebunden lag, als daß er sie hätte zersprengen und seinem geliebten Herrn folgen können, der begleitet von den Ersten der Republik, Kanella verlies.