Viertes Kapitel. Der große Florentin im Vaterlande.

Müd’ und Thatensatt eilte Duur in Gottholds Gesellschaft der Heimat entgegen. Sobald er die deutsche Gränze erreicht hatte, schrieb er sogleich an seinen Onkel folgenden Brief:

„Mein Onkelchen!“

„Ihr Neffe, Ihr Florentin kömmt, um bei Ihnen, so lange Gott es will, zu leben. Ich habe manches unterdessen erlitten, manche Thräne unterdessen geweint, — verfolgt vom Schiksal, fliehe ich in ihre väterlichen Arme zurük; da werd’ ich sicher ausruhn dürfen vom Sturm des Lebens. Nicht wahr, Sie haben sich eben so oft nach mir gesehnt, wie ich mich nach Ihnen — jezt werden unsre Wünsche erfüllt werden, wird uns beiden wohl sein. — Höchstens in vier Wochen treffe ich auf Ihrem Landgute ein, höchstens in vier Wochen küß’ ich Sie und meine Schwester und meinen Holder! O, ich zittre so bang, als würde ich die göttliche Stunde des Wiedersehns nicht erleben. — Wie viel werden wir da uns zu erzählen, wie viel uns da zu klagen haben! — Ich stelle mirs schon im Geiste vor, wie sie hervorstürzen werden aus dem Schlosse, wenn Sie die Hufen meines Pferdes schlagen hören; wie Rikchen weinend an meinem Halse hängen, Holder mich feurig umarmen wird. Ich fühle schon alle Freude voraus, die dann — ach, dann mir allein angehören werden! —“

„Hat sich vieles während unsrer Trennung auf dem Schlosse verändert? — lebt der alte Herr von Bastholm noch? Laden Sie ja ihn und den ganzen benachbarten Adel ein, daß nichts in unserm Feste mangle, was ihm Reiz gewähre. Leben Sie wohl indeß; leb’ auch du wohl, geliebtes Rikchen, die ich nun bald umarme; küsse deine Kinder — wenn du Mutter bist, denn ich weis ja noch gar nichts von Euern häuslichen Umständen, weil Ihr mir keine Nachricht gegeben habet, ihr bösen Leutchen! — und bleibt mir alle gewogen, Euerm Florentin.“

Dieser Brief hatte kaum das Duursche Landgut erreicht, als auch unser Graf schon mit seinem Gotthold daselbst anlangten.

Es war des Morgens. Die herbstliche Sonne hing hinter Nebeln verschleiert; die Felder standen, ihrer Halme und Goldähren entmäht, kahl und reizlos; die Natur schien sich allmählig, ihrer Arbeiten müde, zum Wiederschlafe zu bereiten — gelb und welk floß das Laub in kalten Morgenduft.

„Wir sind zur Stelle, Gotthold!“ rief der Graf, indem er den krummen Fahrweg zum Dorfe seines Onkels hinuntertrabte.

Gotthold. (freudig) Ja, ja! Sehn Sie nicht dort — dort wo hinter den Ulmen die graue Kuppel des Duurschen Schlosses hervorragt?

Florentin. Ich seh’s! Laß uns hier die Pferde ein Weilchen anhalten! — o Gott, mein Blut wallt ungewöhnlich, ich bin ausser mir!

Gotthold. Ach, da meine Eltern noch in dem Dörfchen hier lebten, da war ich wohl glüklich! Sehn Sie, gnädger Herr, hier rechts den Hügel hinter den beiden Scheunen? Sehn Sie die hohe Fichte darauf? — die hab ich als Knabe dahin gepflanzt, weil mir der Berg und die Aussicht von ihm hinab so wohl gefiel.

Florentin. Und bemerkst du nicht drunten den Bach? siehst du den Steig hinüber? Da baut ich meine Kähne, als Kind und lies ich meine papiernen Flotten aussegeln.

Gotthold. Ach, es waren schöne Zeiten.

Florentin. Waren schöne Zeiten, und sollten sie nicht wiederkehren? — O, gewiß! gewiß!

Gotthold. Aber es ist alles so still!

Florentin. Die Sonne ist kaum aufgegangen. Im Schlosse und Dorfe schläft noch jedes Auge.

Gotthold. Wenn man wüßte, wie nahe Sie wären, gnädiger Herr — —

Florentin. Ich kann unmöglich sogleich zu meinen Freunden fliegen — ich bin so verwirrt, so ängstlich, so froh — ein Heer von Empfindungen überwältigt mich. Ich will mich erhohlen. Reite voraus, Gotthold, erwekke die holden Schläfer aus ihren Morgenträumen, deren Inhalt vielleicht ich bin. Sag’ ihnen meine Ankunft! — tummle dich! — —

Der Knecht spornte sein Ros an und flog zum Dorfe hinab, den Steindamm zum Schloßhofe entlang.

Aber der Graf rükte nicht um einen Schritt von der Stelle. Er zitterte. Sein Blut stürmte ungestüm durch die Adern hin; der Purpur der Freude schimmerte ihm auf den Wangen; seine Augen befeuchteten sich in unwillkührlichen Thränen.

„Gott! mein Gott!“ sprach er mit leisem Ton, hoher Andacht, glühender Inbrunst: „gelobet sei dein Name, hochgelobet in Ewigkeit deine Güte! Ich war ein Kind, und du gabest mir Kinderfreuden zu schmekken; ich war Jüngling und du liessest mich schwelgen in deinen Seligkeiten auf Erden. Ich bin Mann worden und du hast mich nicht vergessen. Ja, mein Vater im Himmel, hast mich nicht vergessen, — du hast mich reinern Freuden aufgespart, deren Genuß mich nun erquikken soll. Vater, es danket dir dein Kind; mit Thränen dank’ ich dir und Seufzern, daß du mich nicht vergessen hast!“

Mehr konnt er nicht lallen. Die Sprache verlor sich, aber die Seele betete fort.

Einige Minuten verstrichen, ehe er zu sich selber kam; — er sahe die graue Schloßkuppel hinter den Ulmen und nun flog er der Erfüllung seiner Jahrlangen Schwärmereien und Erwartungen entgegen. Laut pfiff die Morgenluft durch seine Lokken, hoch hoben sich Staubgewölke um ihn her.

Er stand auf dem Schloshof — sprang ab vom Pferde, hinauf die Stiege zur offnen Pforte, wo Holder ihm in die Arme sank.

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