„Noch einmahl sei Gott gelobet!“ rief der Freudenberauschte Graf: „so hab ich dich wieder!“
Holder. (mit bebender Stimme) Mein Florentin!
Florentin. (ihn heftig an sich pressend) Holder, Holder!
Holder. O Gott! — die Freude tödtet mich!
Florentin. Nun hab’ ich ausgerungen.
Holder. Ausgerungen?
Florentin. Nun will ich ausruhn von vielen Kämpfen, vielen Leiden! — Holder, was macht Onkelchen? — was dein Weibchen? — wo ist mein Sohn, mein Karl?
Holder. Sie schlafen.
Florentin. Sie schlafen? wir wollen sie erwekken, wollen ihnen den Schlummer von den Wimpern abküssen, sie aus einem Traum in den andern führen.
Holder. (lächelt schwermüthig) Wollen wir?
Florentin. Du siehst so blas, Holder, so kränklich! was fehlt dir?
Holder. Wenig — und viel! — doch davon ein andermahl.
Florentin. Auf — wo sind die Lieben?
Holder. Du scheinst sehr heiter zu sein.
Florentin. (verwundert) das bin ich, wiewohl ichs sonst nicht war. Aber, um Gotteswillen, wie geräthst du zu solchen Gedanken anjezt — anjezt!
Holder. Ich sah deine blühende Gesichtsfarbe, dein muntres Wesen. So warst du nicht vor Jahr und Tag, als ich dir den Weg zum rothen Walde vor Munchenwall beschreiben mußte.
Florentin. Die Zeiten sind vorüber!
Holder. Sind vorüber?
Florentin. Was zaudern wir? laß uns die Schläfer erwekken. — Dein kaltes, trübsinnathmendes Schweigen macht mich zittern — Holder, Holder, was ist geschehn? — ist einer von ihnen krank?
Holder. (ihm auf die Achseln klopfend) Keiner! — folge mir — doch eins noch; wen verlangst du zuerst zu sehn; den Onkel, mein Weib oder deinen Sohn Karl?
Florentin. (schwankend) Alle zugleich; führe mich zu allen. Und Karl — Karl ist hier im Schlosse?
Holder. Ja wohl!
Florentin. O, so führe mich zu meinem Sohn!
Holder, der so gern die fürchterlichste Schwermuth hinter seinem Lächeln und Scherzen verstekken wollte, ergrif die Hand des gerührten Vaters, welcher jezt zum erstenmahl die Frucht seiner Liebe umarmen sollte, und leitete ihn in ein bekanntes Kabinet, wo, halbnakt, blühend, schön und unschuldig ein Liebesgott auf weichen Pflaum hingestrekt schlummerte.
„Dies ist dein Sohn!“ sprach Holder und zeigte mit der Hand auf das schlafende Kind.
Der Graf stand frohbestürzt an Karlchens Bett; seine Augen wurden naß; seine Lippen bebten von einem Segensspruch über den schlummernden Sohn; bestürmt von den unaussprechlichen süssen Vaterfreuden sank er hin über den schönen Knaben, ihn mit tausend Küssen erwekkend.
„Karl! mein Karl!“ jauchzte Florentin mit väterlichem Hochgefühl.
Ein großes liebliches blaues Augenpaar schlug der Knabe auf, hochverwundert ob der fremden Erscheinung.
„Oheim Holder!“ rief er mit süsser, furchtsamer Stimme: „wer ist der Mann?“
„„Dein Vater!““ entgegnete Holder: „„dein von dir so lange erwarteter, lieber Vater ists!““
„Mein Vater bist du?“ sagte das Kind mit dem anmuthigen Lächeln eines Engels und wand sich so dicht mit Armen und Füssen um den wonnevollen Florentin, als hätte es in der That den traurigen Zustand zu fühlen gewußt, in welchem es sich bisher befand, da es weder seinen Vater noch seine Mutter kannte.
„„Ja, theures Karlchen — ja, mein Alles, mein Sohn, ja ich bin dein Vater!““ erwiderte der Graf, der nicht wußte, wie ihm geschah, als ihm der süsse Vaternamen zum erstenmahle von den Lippen des holdseligen Buben entgegen scholl: „„Ich bin dein Vater, der dich nun nie wieder verlässet.““
Liebst du mich denn?
„Ja, Karl ist dir recht gut?“
„„Wie sehr liebst du mich denn?““
Das Kind antwortete nicht, sondern drükte sich schmeichelnd an seinen Vater fest an.
Länger, als eine Stunde, tändelte Duur mit dem Kinde, indem er selbst vor Freuden zum Kinde ward. Bald wikkelte er die gelben Lokken des Knaben um seine Hand; bald küßt er ihm Stirn’, Augen, Mund und Wangen; bald suchte er Louisens Züge in Karlchens Mienen auf, bald die seinen.
O, Väter und Mütter, die Ihr diese Blätter leset, Ihr nur verstehet mich, Ihr nur wisset Florentins Tändeleien richtig zu beurtheilen, Ihr nur kennet die Sprache des zärtlichen Gefühls. Mahlet Euch die Szene mit all den weichen Farben aus, welche Eure Fantasie Euch beut — ich schweige. Schweige, damit nicht kalte Krittler mich langweilig finden, oder unnatürliche Eltern mich nicht einen empfindelnden Schwäzzer schelten mögen.
Wie gesagt, erst nach einer vollen Stunde fiel es dem Grafen bei auch die andern Geliebten zu sehen.
„Bringe mich zu ihnen!“ sagte er zur Holdern.
„„Sie schlafen!““ entgegnete dieser.
„Lass’ uns sie wach küssen.“
„„Wirst du es?““
„Ich werd’ es. Fort, fort, ich zittre vor Ungeduld meinen alten Onkel, meine Schwester zu, sehn!“
„„Komm!““ antwortete Holder, dessen Gesichtszüge sich plözlich verändert fanden, dessen Augen in Zähren schwammen, dessen Sprache stokte.
„Was ist dir?“ fragte der Graf.
„„Was soll mir sein?““ war die Gegenfrage.
Holder führte seinen Freund zum Schlosse hinaus, durchs Dorf.
„Wohin bringst du mich? führe mich zum Bette meines Onkels und meiner Schwester!“ sagte Duur ängstlich, indem er von schreklichen Ahndungen angeweht, sich dichter an Holdern schlos.
„„Ich führe dich dahin!““ antwortete dieser, indem er mit seinem Schwager so eben in den Dorfkirchhof trat, und den guten Duur vor einem verwitterten Leichensteine stehn lies, an welchem geschrieben war:
„Wandrer, stehe still!
Allhier
ruhen die Hüllen zweier guten, frommen
Seelen, die Gebeine
der
edeln, vielgeliebten
Friederike von Sorbenburg
und
des braven
Albertus Daniel von Duur.
Wandrer, der du Tugend liebest, weine, denn
diese sind deiner Thränen
werth!“
„Hilf mir Gott!“ schrie Duur erblassend und stürzte vom Schmerz entgeistert auf einen Grabhügel.
Holder. (vor sich niederstarrend, mit verschränkten Armen) Florentin!
Florentin. (nach einer langen Stille in tiefsten Jammer ausrufend) Auch sie sind dahin — o mein Gott, auch sie!
Holder. Du bist ein Mann, ich darf dich nicht trösten!
Florentin. (ihn nicht hörend) Auch sie!
Holder. Steh auf, Bruder; die Theuern haben längst ausgelitten.
Florentin. Längst schon?
Holder. Kaum wars ein Jahr nach deiner Wanderung aus Deutschland, da starb mein Weib in Kindesnöthen; der Onkel grämte sich um ihren Verlust zu Tode.
Florentin. Grausamer, warum erfuhr ich dies nicht schon lange?
Holder. Nenne mich gütig, nicht grausam; solch ein Unglük erfährt man jedesmahl nur zu früh; auch die schwarzen Brüder verhinderten, daß dir davon Nachricht ward, damit dich der Schmerz nicht großen Thaten entnervte.
Florentin. (jammernd) Schwester, Schwester, o meine Schwester, so seh’ ich dich nie wieder? O, mein alter, ehrwürdiger Oheim, so schläfst du ewig? erwachst nie wieder, deinen unglüklichen Florentin noch einmahl zu segnen?
Holder. (schmerzvoll) Florentin!
Florentin. Ha, Leben, schrekliches Leben, schreklicher Traum, wann werd’ ich von dir erwachen? —
Holder. Hörst du die Stimme deines Holder nicht mehr?
Florentin. Ich höre nichts — nichts mehr! für mich ist alles tod. Ich habe keine Schwester mehr, habe keinen Vater, keinen Badner, keine Geliebte — — alles ist dem unglüklichen Florentin geraubt. Ausruhen wollt’ ich, ach, und ich darfs nicht. Ich wähnte im Hafen des Friedens gelandet zu haben, wehe mir, und der Sturm des Schiksals schleudert mein zerbrechliches Schiff weit in den Ozean zurük.
Holder. Deine Seele leidet viel.
Florentin. Leidet unaussprechlich viel; ach, die ganze, fürchterliche Summe des menschlichen Elendes liegt auf sie allein hingebürdet.
Holder. Verzweifle nicht.
Florentin. Verliere deine Bluts- und Herzverwandten, verliere deine lezten Aussichten, den lezten tröstlichen Hofnungsschein, die allerlezte Zuflucht, verliere alles und fühle dieß alles — und sprich dann zu dir: verzweifle nicht! — Oh, prahlerischer Bund der Schwarzen, ich habe deine Wünsche gestillt, deine Entwürfe zur Wirklichkeit umgeschaffen — wo ist mein Lohn? wo sind die mir vorgespiegelten Freuden? — tritt her, gesammter, großer Bund, tritt her, in deiner ganzen Allmacht, und rufe meine Freuden aus dem Grabe hervor! —
Holder. Wird dein Klagen die Entschlafnen wekken?
Florentin. Wirds freilich nicht! Aber laß mich hier liegen auf dem kleinen Hügel, der die Asche meiner Ewiggeliebten verschließt — ich bin doch dieser Asche näher, fühle mich getrösteter. Bruder, o mein Bruder — ich bin ja ein Mensch!
Holder. Und bist ein Christ!
Florentin. (mit Bewegung) Ein Christ.
Holder. Und wirst wiedersehen die deiner Seele werth sind nach dieses Lebens entflohnem Traum.
Florentin. (nachlallend) Werde sie wiedersehn!
Holder. Drum auf, ermanne dich, Florentin, um ein Kleines, und du wirst Trost gefunden haben!
Florentin. (liegt in dumpfer Betäubung auf dem Grabe.)
Holder. Folge mir in unsre Wohnung; abgesondert von der Welt lebte ich dort lange schon das Leben eines Einsiedlers. Du bist jezt mein Gefährt. — Hörst du mich nicht?
Florentin. (schweigt)
Holder. Oeffne dein leidendes Herz für den Freund. Auf, folge mir nach.
Florentin. (antwortet nicht)
Holder. Vater, Vater, hörst du nicht die Stimme deines Kindes mehr? — Karl ruft! hörst du nicht, Florentin?
Florentin sprang bei diesen Worten auf. Er wandte die Augen gen Himmel und seufzte tief. Holder führte den leidenden Mann heim.