Vergebens war Holders tröstliches Zureden, vergebens Karlchens kindisches Milleiden — nichts heiterte den Grafen wieder auf; seine Seele war allen frohen Empfindungen verschlossen. — Er hatte zu viel verloren, zu viel Empfindsamkeit für seinen Verlust; er war zu sehr getäuscht in Erwartungen, welche ihn ehemals zu den gefährlichsten Wagstükken Muth und Flügel gaben — kein Wunder, wenn er mit jeder Woche düstrer wurde, da jede Kleinigkeit ihn an den traurigen Verlust erinnerte.
Nur Holder, dieser seltsame, ausserordentliche Mann blieb sich immer gleich; er beschäftigte sich seit des Grafen Ankunft mehr, als sonst, mit gewissen chemischen Operazionen, Briefwechseln, und dergleichen mehr. Florentin achtete nicht darauf. — Holder machte ein Testament in seinen und Florentins Namen, worin er den Herzog Adolf, als Landesherrn zum Erben der Sorbenburg und des ganzen Duurschen Vermögens, einige Legate ausgenommen, einsezte. Duur mußte das Testament eigenhändig unterschreiben, doch keine Frage gieng aus seinem Munde, wegen des sonderbaren Betragens seines Freundes — Holder lies Anstalten zu einer großen Reise machen; Florentin erkundigte sich um diese Zurüstungen nicht.
Eines Tages trat der räthselhafte Mann vor dem Grafen hin; mit vieler Mühe gelang es ihm denselben in ein Gespräch zu verwikkeln.
Holder. Erinnerst du dich noch der Stunde, Bruder, da ich dir jenes Gelübde that; du solltest mich über fünfhundert Jahren wiedersehn in Deutschland?
Florentin. Dunkel.
Holder. Die Welt scheint dir verhaßt zu seyn.
Florentin. So, daß ich einen Selbstmord begehn könnte.
Holder. Spare den Rest deines Lebens für ein andres Jahrhundert. Ich thue desgleichen.
Florentin. Ich verstehe dich nicht.
Holder. Du sollst die Erde noch einmahl nach fünfhundert Jahren sehen. Vielleicht blühen dann für uns mehr Freuden, vielleicht hat dann die Vergessenheit einen Schleier über unsre vergangnen Leiden gewebt. Hast du Muth genug in meiner Gesellschaft ein halbes Jahrtausend zu verschlafen?
Florentin. (ihn anstarrend) Mensch!
Holder. Vielleicht wähnst du, ich scherze, oder rase. Aber bei dem Ewigen, du irrst.
Florentin. Ist es möglich?
Holder. Wann ertapptest du mich je auf einer Lüge? Klage mich vor dem Richterstuhl Gottes an, wenn ich dich betrog. — Hast du Muth?
Florentin. Aber mein Sohn Karl — —
Holder. Wird, unbewußt was mit ihm vorgeht, mit uns schlafen.
Florentin. Ich begreife dich nicht. Wann wirst du dich mir endlich enträthseln?
Holder. Nach fünfhundert Jahren, wenn du willst, dann will ich dir noch in Deutschland erklären, was ich bin und wer ich war.
Florentin. O, es ist ein schöner Traum, die Bürger der Erde nach fünf Jahrhunderten noch einmahl zu erblikken — allein — — —
Holder. Wenn wir dann vielleicht in einer einsamen Hütte friedlich beisammen sizzen und die neuen Menschen erblikken und die Hand Gottes anstaunen, dann könnte ich dir vielleicht noch manchen Aufschlus über manches geben, dann ließe es sich so schön von unsern vergangnen Freuden und Leiden plaudern.
Florentin. Noch einmahl, Holder, du weißt mir mit jedem Augenblick unerklärlicher? — wie ist es möglich, daß Seel’ und Körper ein halbes Jahrtausend unverlezt und sich ihrer bewußtlos existiren? —
Holder. Hast du die Geheimnisse der Natur alle erforscht, vermöge welcher der Körper auf Jahrtausende unverweslich erhalten, und das Band zwischen denselben und der Seele gestählt werden kann? — O Bruder, Hamlet hat Recht, wenn er sagt, wohl liegen unter dem Monde noch gewisse Dinge vorhanden, von denen sich das menschliche Geschlecht nichts träumen läßt! —
Florentin. (bestürzt) Holder!
Holder. (mit unbeschreiblicher Majestät) Wisse, ich bin der Obern einer im Bündnisse der schwarzen Brüder! — Eben dies Bündnis sendet mich an die Brüder nach fünf Jahrhunderten, um unsers Ordens heilige Statuten aufrecht zu erhalten zum Wohl der Menschheit; Ich mus — mus dahin! willst du mich begleiten?
Florentin. Wohl, ich schlage ein; denn was hab ich in diesem Leben noch zu verlieren, oder was noch zu gewinnen?
Holder. Ich habe jede Vorkehrung getroffen, daß wir, ohne Unordnungen zu erregen, aus den jetzigen Verhältnissen heraustreten dürfen. Wir reisen nun nach den Alpen.
Holder hielt Wort. Nach Verlauf weniger Monate standen sie schon beide, mit dem kleinen Karl, in einer der grausenvollsten, abgelegensten, unbekanntesten Höhlen des Alpengebürges.
Ein heimliches Schaudern schüttelte allen die Haut. Holder zündete Licht an, welches durch seinen matten Schimmer diesen unterirdischen Aufenthalt nur noch fürchterlicher machte. Sie suchten sich, jeder besonders, ihre künftige Ruhestätt aus; dann langte der Obere des schwarzen Bundes eine Flasche hervor, gefüllt mit einem unbekannten Getränk. Er goß davon eine silberne Schaale voll und trank sie rein aus. Er füllte die Schaale zum andernmahle, und bot sie dem Grafen. Der Graf schauderte und trank. Zum drittenmahle floß das Getränk in den Silberbecher, und Karlchen, ohne die seltsamen Wirkungen zu beahnden leerte das Gefäß.
„Jezt ists vollbracht!“ rief Ludwig Holder aus: „jezt ists vollbracht! leb wohl für diesmahl, Welt, nach fünf Jahrhunderten sehe ich dein Licht wieder!“
Sie umarmtem sich. Das brennende Licht verlöschte plötzlich. Alle sanken aufgelößt um.
„Herr Gott, erbarm dich unser!“ schrie der Graf.
„Vater! Vater!“ lallte das Kind.
Und sie entschliefen! — — —
* * *
Sie scheinen zu erstaunen, meine Leser und Leserinnen! — ich erstaune nicht weniger als Sie selber. Indessen was wahr ist, bleibt wahr. — Florentin und Holder schlummern ruhig den Morgen eines Tages vom Jahr 2300, nach Christi Geburt, entgegen.
Ich bin überzeugt, daß ein volles Drittheil meiner Leser, wo nicht alle, so gern als Florentin von Duur dem wunderbaren Ludwig Holder von Sorbenburg in die Alpenhöhle nachfolgen würden, wenn sie Gewißheit hätten, nach einem gewissen Zeitraum wieder zu erwachen. Wie viel Veränderungen haben sich in der Zeit nicht auf unserm Erdenplaneten ereignet! welche Revoluzionen in der politischen und Schriftstellerwelt haben sich unterdessen angesponnen und ausgebildet! — Wie sehn dann die Staaten, wie sehn dann die Menschen aus!
„Welche Moden werden dann herrschen?“ fragt mich eine Dame.
„Was wird man dann von mir und meinen operibus reden?“ fragt mich ein Autor.
„Wie stehts dann mit dem Bunde der schwarzen Brüder? und wird Florentin mit Holdern und Karlchen glüklicher sein?“
„„Wir möchten um alles in der Welt gern Zuhörer von Holdern abgeben, wenn er seinen Lebenslauf erzählt in der Hütte des vier und zwanzigsten Sekulums!““
Sie haben sammt und sonders, meine Leser, gar nicht unrecht. Allein um Ihren Zwek zu erreichen, ist es nothwendig, daß sie entweder mit Florentin und Holder fünf Jahrhunderte später wieder auferstehn, oder daß Sie mich und meine prophetische Muse bitten, damit wir Ihnen den schwarzen von der Hand des Fatums gewebten Vorhang vor dem Allerheiligsten der Folgezeit ein wenig lupfen, und Sie in den Gukkasten der Zukunft auf ein Weilchen hineinblikken.
Geben Sie mir also ein gutes Wort: so erzähle ich Ihnen im folgenden Bändchen Raritäten aus dem vier und zwanzigsten Jahrhundert nach Christi Geburt! —
Nun? — — —
Wegen Entlegenheit des Drukorts vom Verfasser sind manche den Sinn entstellende Drukfehler in den ersten Theil dieses Buches eingeschlichen. Vorzüglich beliebe man zu verbessern:
Seite 231. Zweihundert, lies fünfhundert.
— 233. Federn, lies Ideen.