Seit diesen Auftritten herrschten in Kanella tiefe Stille und Ruhe; es kam nirgends zu öffentlichen Händeln. Aber diese allgemeine Stille glich der vor einem Gewitter; sie ist schreklich. Die Volksfeste wurden nicht mehr so lebhaft, als sonst gefeiert; in den Tabagien und Gasthöfen lärmte nicht mehr der frohe Muthwille; die schönsten Spaziergänge wurden seltner besucht. Gram und Mismuth war auf jedem Gesichte zu lesen; Armuth wohnte unter den meisten Dächern, Unthätigkeit, Ekel der Arbeit in den meisten Werkstuben.
Nichts ist für einen Staat unglükweissagender, als solche Phänomene! Armuth gebiert Muthlosigkeit, Misvergnügen, Widerwillen gegen alle Arbeiten beim gemeinen Mann, weil er noch nur das wenigste von dem durch seinen Fleis Gewonnenen für sich behält, sondern den größten Theil seines Erwerbs den Pächtern, Monopolisten, Zöllnern, Steuern- und Acciseeinnehmern für den Fürsten u. s. f. entrichten muß. Träger Müssiggang ist der Vater gefährlicher Projekte und Träume, wo man sich denn durch irgend ein Wagstük in die ehmaligen Glüksumstände wieder hinauf zu schwingen hofft.
Der habsüchtige Benedetto, der schwelgerische Piedro argwöhnten von diesem Erfolg ihrer Unternehmungen zur Verbesserung der Finanzen nicht das geringste. Nothdurft, — so machiavellisirten sie — ist das Triebrad im Staate, welches Industrie, Künste und Handwerke befördert. Reichthum der Landeseinwohner macht sie frech, luxuriös, träge. Der Unterthan ist ein Esel, der nur mit Zwang seine Pflichten erfüllt.
Ob Piedro und sein Universalminister richtig argumentirten, wird uns der Erfolg mit Thatsachen belegen können. — Nur so viel war jezt schon gewiß, daß das Gebiet von Kanella um diese Zeiten ungleich mehr verarmte Familien, Bankeroteurs, Bettler, Beitelschneider, Straßenräuber, und andres unnüzzes Gesindel aufzuzeigen hatte, als irgend sonst.
Mehr gährte es in den Köpfen des so oft beleidigten, oft ungerecht herabgewürdigten Senats und Adels. Der erstere hatte kein anderes Gesezbuch, als die Laune des Kardinals, des Prinzen Moriz und der Gräfin Rosaffa, lezterer keine Anwartschaft durch Verdienste sich emporzuschwingen; Mittel waren nur etwa die Schürze einer fürstlichen Beischläferin, oder eine Börse gepreßt voller Goldstükken.
Borsellinos Schiksal machte neue Sensazion; dieser unglükliche Greis starb an seinen Wunden. Vor seinem Ende schrieb er noch an den jungen Giovanni, seinen Sohn, der sich damahls in Rom befand, einen beweglichen Brief, worin er ihn bat nach Kanella zurükzukommen, um den Prozeß auszuführen, welchen sein Mörder wider ihn anhängig gemacht hatte. — Giovanni, dem der ganze Karakter seines Vaters angeerbt war, kam — und fand Borsellinos Leichnam im Sarge.
„Oh!“ rief er, und warf sich über den entseelten Vater, hin: „ich bin zu spät gekommen! — Gott, mein Gott, daß ich ihn verlieren könnte, das wußt ich wohl — aber so ihn zu verlieren, das vergebe ich dem Mörder nie, wenns auch der Himmel könnte! — Erschlagen, meuchelmörderischerweise erschlagen mein Vater — nein, das hat er nicht verdient um Kanellas Wohl!“ —
Es waren viele Edle und Senatoren in dem Trauerzimmer versammelt — alle bemitleideten in den zärtlichsten Ausdrükken den leidenden Giovanni.
„Nein, nein,“ unterbrach er sie: „tröstet mich nicht, das Werk der Barmherzigkeit will ich an mir selber verrichten. Das Blut des Mörders löschet meine Wuth früh oder spät! — O, namenloser Verbrecher, o Mörder! Mörder, verflucht seist du vor dem Schöpfer und der Kreatur, verflucht sei dein Schlaf und dein Wachen, verflucht der Becher, den du leerst, verflucht sei der Bissen, welcher dich sättigt. — Es rüttle dich aus mitternächtlichem Halbschlummer Borsellinos Geist, es verjage dir die Freude des Tages Borsellinos Gespenst! — Mörder, entsezlicher Mörder, sichre dich, denn die Rache schläft nicht. — Verflucht will ich sein vor dem Weltrichter ewig, wenn ich nicht die Blutsünden abwasche — verflucht sei der Gedanke, welcher sich in meine Seele hineinstiehlt, ohne daß Rache ihm dieselbe aufschloß — es verdorre meine Hand, die sich dir friedlich darreicht, es verblinde mein Auge, wenn es dich anlächelt. Drükke ich einst den lallenden Säugling an mein Vaterherz, so sei das erste Gebet, welches ich ihn lehre, der gräslichste Fluch über dich und deine dann vermoderte Asche! — Oh! oh!“ —
Der ganze Senat, unzähliche vom Adel, zahlloses Volk begleiteten den Sarg zum Grabe, in einem feierlichen Zuge, desgleichen in Kanella noch unerhört war.
Was Giovanens Prozeß betraf: so wurde vom Fürst dahin entschieden, daß, weil Borsellino einen frevelhaften Aufruhr begonnen, derselbe das Leben gerichtlich hätte verlieren müssen, da aber der natürliche Tod seiner Strafe zuvorgekommen; so würden die Erben des Delinquenten verbunden sein, drei Viertel vom Vermögen desselben, als Strafgebühren, zu entrichten. Von Rechtswegen.
Giovanni liebte die schöne Laura, Tochter des edeln Kanellesers Eo. Viele Wochen verflossen, ehe Giovanni zu seiner Geliebten ging. Er fand sie das erstemahl, als er sie wieder erblikte, in Thränen. „Nun, trautes Mädchen, wirst du nie Giovannens Weib — was soll dir ein armer Edelmann?“ sagte er. Laura war untröstlich; der junge Borsellino unerschöpflich an Witz, das arme Mädchen zu foltern. „Ich sehe dich gern leiden, denn dein Leiden quält mich zum Ziele hin, das mir vorgestekt ist. Morizens lezte Nacht sei unsre Hochzeitnacht! verstehst du mich?“
„„Ich hab’ Euch verstanden, edler Borsellino,““ sagte der alte Eo, indem er ins Zimmer hereintrat, und von mehrern Edelleuten begleitet wurde: „„seht hier Eure Freunde, die Euch zur baldigen Hochzeit helfen wollen.““
Giovanni war bestürzt; er bat um Erklärung des Räthsels und man gab sie ihm mit den Worten: „Wir alle arbeiten an Morizens Fall — arbeiten an Aufrechthaltung des Senats, des Adels und der Bürgerrechte. Piedro ist ein schwacher Fürst, es gilt eine gewagte That! — Ihr seid unser Genosse?“
„„Mit Herz und Hand!““ erwiederte glühend Giovanni und warf sich den Männern in die Arme.
In öftern Zusammenkünften entwarf man den Plan, aber die Meinungen waren beständig getheilt. Einige drangen nur auf Morizens Wegräumung, andere auf allgemeine Reform der Regierung.
Man suchte beides zu verbinden — es gelang; es wurde die lezte nächtliche Zusammenkunft bestimmt, in welcher die Rollen vertheilt werden sollten.
Die Nacht erschien und jeder der Verschwornen mit ihr im Pallast des Eo. Ihre Zahl war vierzig. Die folgende Nacht wurde zur Ausführung des patriotischen Entwurfs geweiht. Zehn Edelleute sollten nach Mitternacht in Morizens Schloß eindringen und ihn ermorden oder lebendig fangen. Eben so viel sollten sich des Fürsten und des Kardinals zu gleicher Zeit versichern; dann sollte mit den Glokken gestürmt, das Volk versammelt und Freiheit ausgerufen werden. Im Fall einer Widersezzung der Fürstlichgesinnten, müsse jeder der Verschwornen Sorge tragen, eine gewisse Anzahl Bürger bereit und unter Waffen zu halten.
Der Plan war in der That sehr unreif, doch die Rache- und Freiheitdurstigen achteten es für Feigheit länger zu projektiren und die Unternehmung aufzuschieben.
„Auf!“ rief der begeisterte Giovanni: „laßt uns in dieser lezten Nacht den Bund besiegeln mit Eiden — Leben für Leben, Tod oder Freiheit und Rache!“
„„Leben für Leben! Kanella frei, oder wir verderbt!““ schrien alle, und wilde Schwärmerei umfaßte sie.
Die Weinbecher wurden gefüllt und geleert. „Borsellinos Geist umschwebt uns!“ rief Giovanni: „er sieht wohlgefällig unsern Bund! wohlan, laßt uns gehn und ringen, als Brüder oder sterben mit Brudertreue. Heda, wir trinken Bruderschaft, nicht etwa in Wein, sondern in unserm Blute. Auf, folgt mir nach!“
Er ergrif ein Messer, sties es sich in die linke Hand, daß das rauchende Blut in seinen Pokal stürzte. Jeder that ein gleiches; ging durch einander her, lies jedem von seinem blutigen Becher kosten, und trank von des andern Blut.
Aber mitten in dem Rausch dieser Begeisterung öffneten sich die Thüren — es blizten Gewehre herein — die Verschwornen erstarrten, die Leibwache Piedros besezte rings das Zimmer und rief: „ergebt euch auf Gnade und Ungnade!“