Ich weis nicht, ob ich nicht mancher meiner Leser — ermüden würde, wenn ich ihm von den politischen Plänen der schwarzen Herrn vorplauderte; ich weis aber auch nicht, ob ich manchem gefallen könnte, wenn ich die Gründe des schwarzen Bundes zu Staatsreformen verschwiege — beiden also ein Genüge zu thun, widme ich diesem Stoffe ein eignes Kapitelchen, welches nun nach Belieben zu lesen oder zu überblättern ist.
Florentin, der düstre, wilde Florentin, welcher so unglüklich war, Alles zu verlieren, was ihm hienieden Seeligkeit war, eine Geliebte, viele Freunde und Freundinnen, Verwandte, Vaterland, Aussichten in ein Thatenreiches Leben zu verlieren; Florentin, dessen brennender, unersättlicher Durst nach Ruhm und großen Handlungen aus jeder seiner ehmaligen Absichten zu erkennen war, und welcher jezt in der Mitte von Männern, die mit ihm so sehr in diesem Punkte harmonirten, doppelt anwuchs; Florentin, der jedes, auch das geringste Elend des Menschen so innig mitfühlte, der aus jenem erkünstelten, wachendgeträumten Traum einen fürchterlichen Haß wider alle fürstliche Despotie eingesogen hatte — dieser Florentin, sage ich, konnte unmöglich länger einem Antrage widerstehn, der so sehr allen Gefühlen, Affekten und Leidenschaften in ihm schmeichelhaft klang. 5 ) — Er hätte lieber aufjauchzen mögen im Hoch- und Frohgefühl seiner Seele, bei dem Zuruf der Schwarzen: „seid Kanella’s Retter!“ als einen unnatürlichen Widerwillen oder Gleichgültigkeit zu simuliren. — Er konnte nicht lange diese Maske tragen; er warf sie ab und alle Anwesende riefen ihm Beifall und Glükwünsche.
Der schwarze Redner aber reichte ihm ein versiegeltes Paket Schriften, welches fernerweitige Instrukzionen des Ordens bei dieser seiner Operation enthielt, welche der Graf zu sich nahm, und worauf jener so eine Apologie dieser Handlung des Ordens anhub:
„Brüder, der Zwek unsers alten Bundes wars immer: Beförderung menschlicher Glükseligkeit, sie zu bewachen in einzelnen Personen und im Ganzen. Der feinsten Moral wird durch diesen Grundsaz nicht wehe gethan, eben so wenig durch die Mittel denselben anwendbar zu machen!“
„Und wenn nun ein ganzes Volk unterm Tyrannenjoche seufzend, seine Rechte zertreten, seinen Handel und Gewerbe blütenlos, seine Freuden vernichtet sieht — sollte solch ein Gegenstand, welcher das Gefühl jedes Menschen empört, nicht auch unser Erbarmen rege machen? Freiheit ist nun einmahl der Natur schönstes Vermächtnis an den Sterblichen, darf ein Mensch dieses dem andern gewaltsam oder listigerweise rauben? Sklaverei ist der Tod alles irdischen Glüks! —“
„Zwar hat das Volk seinem Fürsten gewisse Rechte zuerkannt, aber nie das Recht der allgemeinen Freiheitsräuberei. Das Volk ist nicht um des Fürsten willen, sondern der Fürst um des Volkes willen vorhanden.“
„Jeder Staat ist an sich eine Republik; bürgerliche Ordnung und Sicherheit zu erhalten mögen mehrere, oder einer die Aufsicht über das gemeine Wesen haben, — gleichviel, wenn nur die Beschüzzer der Ordnung und Ruhe ihre Pflicht erfüllen, daß Gott und Menschheit zufrieden sein dürfen. Wie aber, wenn das Gegentheil eintritt? soll da das Volk verzweifeln und schweigen? soll der zertretne Wurm sich nicht krümmen dürfen unter den eisernen Fersen der Grausamkeit? soll das freigebohrne Volk seine geraubte Freiheit nicht wiederfodern dürfen?“
„O, es müssen viele Szenen vorangehn, ehe die Nazionen sich auflehnen, ehe die Liebe zu ihren Beherrschern ausgetilgt wird! Nur die Verzweiflung wagt erst einen solchen Schritt, aber dieser ist dann auch desto fürchterlicher!“
„Nur erst, wenn jede andre Hoffnung dem bedrängten Volke entschwindet, wenn eine ganze Reihe von Tyrannen und Tyranneien die Geduld desselben ermüdete, wenn neue Neronen zum Ruin des Landes ausgebildet, die traurigste Aussicht in die Zukunft darstellen, nur dann erst ist das Volt berechtet, eigenmächtige Veränderungen in seiner Regierung vorzunehmen.“
„Brüder, sehet auf manche Staaten Europens — und fühlet Ahndungen. Nicht vergeblich hat der Orden der schwarzen Brüder allenthalben und durch mannigfache Mittel den Geist der Freiheit auszubreiten gesucht — nicht umsonst sind dadurch hie und da kleine Revolten entsprungen; alles dies geschah die Landesherrn aufmerksamer auf ihr, ihnen vom Volke anvertrautes, Amt zu machen, wehe ihnen, wenn sie diese unsre Winke mißverstehen!“
„Hätten alle Nazionen nur Josephe, Friedriche, und Wilhelme auf ihren Thronen, o, so würde nie ein Miston in die Hymnen derselben auf ihre Fürsten einschleichen! Aber mancher Staat ist unglüklich genug, einen Piedro, einen Ludwig als seinen Landesvater verehren zu müssen, unglüklich genug noch eine ganze Reihe von Piedronen und Ludwigen erwarten zu müssen, — darum, Freunde habet auf die Folgen wohl acht!“
„Auf, Vinzenz, flieget nach Kanella, feuert den Genius des Volkes wieder an, groß und liebenswürdig zu sein, wie ehmals; durchspähet die Intriguen der Mittyrannen Piedros, wiegelt Volk und Fürsten gegen einander auf, verlieret eher Euer Leben, als Euern Muth. Freilich ist der Kampf zwischen Sklaverei und Freiheit schreklich, er wird mit Bürgerblut verbunden sein; aber der Staat laborirt an einer Todeskrankheit, Ihr seid der Arzt; laßt es immer hin zur furchtbaren Krisis kommen, die Krankheit muß sich brechen. Eilet hin, Piedros Grausamkeiten ein Ziel zu sezzen, — ein andrer soll, später oder früher Ludwigen ein Gleiches thun! 6 )“
„Aufklärendes, herrliches Jahrhundert, du erschienst den Erdbewohnern in einem glänzenden Gefolge — führst du uns nicht auch die goldne republikanische Freiheit zu? — Geht, Vinzenz, wir sehen im Geiste einen schönen Ausgang Eurer Unternehmungen zuvor. Und sollte Euer Muth erschlaffen: so suchet in den Jahrbüchern der Welt die seligsten Perioden der meisten Völker auf, Ihr werdet sie finden unter der Rubrik: republikanische Staatsverfassung. Forschet dann nach den traurigsten Zuständen der meisten Völker, Ihr findet sie größtentheils unter der Regierung monarchischer Despoten. Rom und Griechenland sanken, als sie nicht mehr frei waren, die nordamerikanischen Freistaaten stiegen empor, da sie frei wurden!“
„Gegen einen Numa, Titus, Mark Aurel, Alraschid, Nusirvan, Heinrich IV. Friedrich II. Joseph II., Fr. Wilhelm II. findet Ihr immer zehn Alexanders, Solimanne, Tarquine, Neronen, Kaligulas, Herodesse, Genserichs, Christierne, Mulei Ismaels, Karl XII., Philippe II. u. s. w. Gelüstet Euch zur Belustigung von Bluthochzeiten, oder Greueln eines Alba zu lesen: so forschet in den monarchischen Regierungen nach. Und erwacht dann nicht Euer Muth, empört sich dann nicht Euer Herz, erglühet dann nicht Euer Busen vom Thatensüchtigen, Hülfe und Rettung suchenden Erbarmen: so habt ihr nie an den Brüsten einer Sterblichen gesogen! — Auf, es lebe die Freiheit, sei es in Demokratien, oder weisen Monarchien! 7 )“
Der Redner riefs, und die Versammlung der schwarzen Brüder stimmte Tutti ein: es lebe die Freiheit! die Gläser wurden geschwänkt, Gesänge der Freiheit wurden gesungen, und, trunken von lieblicher Schwärmerei schied man beim Anbruch des Morgens auseinander. In einer Chaise des Forstmeisters Blattrabe traf Florentin an eben dem Tage wieder zu Munchenwall ein.